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Ungenaue Diagnosen, falsche Therapie, oberflächliche Behandlung, die Liste ist lang: Ältere Menschen werden in der Medizin zunehmend Opfer einer skandalösen Diskriminierung, sie erhalten längst nicht immer die gleichen medizinischen Leistungen wie jüngere Patienten. Und die Politik überlegt sogar, wie pflegerische Leistungen für Alte weiter reduziert werden können. Ursula Biermann deckt die alltäglichen Missstände im deutschen Gesundheitssystem auf, lässt Betroffene zu Wort kommen und zeigt Möglichkeiten und Wege, wie eine Verbesserung der Situation zu erreichen wäre. Ein schockierendes Buch zu einem brisanten Thema.…mehr

Produktbeschreibung
Ungenaue Diagnosen, falsche Therapie, oberflächliche Behandlung, die Liste ist lang: Ältere Menschen werden in der Medizin zunehmend Opfer einer skandalösen Diskriminierung, sie erhalten längst nicht immer die gleichen medizinischen Leistungen wie jüngere Patienten. Und die Politik überlegt sogar, wie pflegerische Leistungen für Alte weiter reduziert werden können. Ursula Biermann deckt die alltäglichen Missstände im deutschen Gesundheitssystem auf, lässt Betroffene zu Wort kommen und zeigt Möglichkeiten und Wege, wie eine Verbesserung der Situation zu erreichen wäre. Ein schockierendes Buch zu einem brisanten Thema.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2009

Leidlich durch die feindlichen Linien kommen
Ursula Biermann schildert, wie ältere Menschen im Krankenhaus schlechter behandelt werden als jüngere

Eine betagte Frau kommt zum Arzt und beklagt sich: "Herr Doktor, Sie müssen mir das Treppensteigen wieder erlauben. Dieses ewige rauf und runter an der Dachrinne macht mich fix und fertig!". Dieser "Rentner-Witz" ist einer der wenigen, der sich nicht über die verschiedenen Gebrechen im Alter lustig macht. Im Gegenteil: Er unterstreicht auf subtile Weise die körperliche wie geistige Leistungsfähigkeit älterer Menschen und lenkt den Spott auf den Arzt, der den Gesundheitszustand seiner Patientin offenbar falsch eingeschätzt hat.

Dass ältere Menschen inzwischen immer stärker diskriminiert werden, wenn sie medizinische Hilfe brauchen, davon ist die Journalistin Ursula Biermann fest überzeugt. Noch vor Erreichen des Rentenalters hatte sie während eines diagnostischen Eingriffs eine Erfahrung machen müssen, die sie als entwürdigend empfand und die sie auf die Tatsache zurückführt, dass ihr fortgeschrittenes Lebensalter (Anfang 60) dazu den Anlass bot. Dieses persönliche Erlebnis bildete den Anstoß für eine höchst aufschlussreiche journalistische Recherche, die an vielen Einzelbeispielen zeigt, wie schwer es ältere Menschen heute haben, eine adäquate medizinische Versorgung zu bekommen.

Der Titel lässt es an Drastik nicht fehlen: ",Der Alte stirbt doch sowieso'. Der alltägliche Skandal im Medizinbetrieb". In der Kritik steht die sogenannte Dreiklassenmedizin. Damit ist gemeint, dass man in der medizinischen Versorgung nicht nur einen Unterschied zwischen Privat- und Kassenpatienten macht, sondern auch zunehmend die ältere Generation als die "dritte Klasse" diskriminiert. Als Beleg werden neben "schockierenden Erfahrungen" auch aktuelle Forschungsergebnisse zitiert, so etwa die Studie von Hilke Brockmann, die Krankenakten von mehr als 400 000 Krankenhauspatienten nach Altersgruppen auswertete und dabei eine unterschiedliche Behandlungsintensität feststellte.

Ist jemand schwer erkrankt und unter 60 Jahre, dann bekommt er in der Regel eine stationäre Behandlung, bei der Kosten keine entscheidende Rolle spielen. Bei Siebzig- oder Achtzigjährigen gilt das nicht mehr im gleichen Maße. Während in Deutschland die Altersdiskriminierung meist verdeckt geschieht, werden in anderen Ländern, wie beispielsweise in Großbritannien, älteren Menschen Therapien verweigert, indem man offen auf Rentabilitätsgründe verweist.

Als vor einigen Jahren ein CDU-Nachwuchspolitiker den Vorschlag machte, den Mittachtzigern im Lande kein neues Hüftgelenk mehr auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren, schlugen die Wogen in Deutschland hoch. Doch es gibt hierzulande noch radikalere Stimmen, die das Alter, bei dem aufwendige medizinische Therapien nicht mehr in Anspruch genommen werden sollen, mit Vollendung des 75. Lebensjahres veranschlagen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, hat solche Positionen, die vereinzelt auch von Medizinethikern vertreten werden, scharf kritisiert und darauf hingewiesen, dass ihn dies an "Euthanasie unter anderen Vorzeichen" erinnere.

Hilfreicher als ein solches "Totschlagargument" in der deutschen Diskussion um Altersbegrenzungen medizinischer Leistungen ist aber der Hinweis des höchsten Repräsentanten der deutschen Ärzteschaft, dass man vor alten Menschen aufgrund ihrer Lebensleistung ärztlicherseits Respekt haben und deshalb ihnen auch im Krankheitsfall ermöglichen sollte, in würdigen Umständen zu leben. Dass dieses Ziel nicht einfach zu erreichen ist, wusste bereits Immanuel Kant, der - wie so viele seiner Zeitgenossen - Altersgebrechen als unvermeidliche Last ansah: "Dahin führt die Kunst das menschliche Leben zu verlängern: dass man endlich unter den Lebenden nur so geduldet wird, welches nicht eben die ergötzlichste Lage ist."

In der Praxis werden Gesundheitsleistungen für ältere Menschen in Deutschland längst rationiert, wie die Beispiele, die Biermann zusammengetragen hat, zeigen. So wird älteren Patienten häufig eine effektive Schmerztherapie, auf die sie eigentlich Anspruch hätten, mit dem Hinweis verwehrt, Schmerzen seien nun einmal Alterserscheinungen, mit denen man sich abfinden müsse. Auch wird älteren Menschen mit fadenscheinigen Argumenten häufig eine an Leitlinien orientierte Diagnostik und Therapie bei Osteoporose vorenthalten. So weigern sich beispielsweise die gesetzlichen Krankenkassen, die Kosten für Hüftprotektoren zu übernehmen, obwohl diese recht preiswert sind und teurere Behandlungen von Oberschenkelhalsbrüchen im fortgeschrittenen Lebensalter verhindern.

Doch der eigentliche Skandal ist die Verweigerung von Reha-Maßnahmen - ein Umstand, der ältere Menschen daran hindert, wieder selbständig zu leben, und sie deshalb zum Pflegefall macht. Das sind leider keine Einzelfälle. Hier scheint eine (gewollte?) Strukturschwäche unseres Gesundheitssystems vorzuliegen. Das Gleiche gilt für das reformierte Betreuungsrecht mit seinen zum Teil katastrophalen Folgen für die Betroffenen. Auch die unzureichende Pflege und Behandlung von Demenzkranken wird hier zu Recht getadelt, wenngleich die Missstände zum Teil durch Medienberichte längst bekannt sind und die Politik Abhilfe versprochen hat, beispielsweise durch die Einrichtung von Pflegestützpunkten.

Der Forderungskatalog, den die Autorin aufstellt, ist lang und reklamiert seine politische Umsetzung. Gefordert werden: mehr ambulante Pflege, Rehabilitationskonzepte, eine altersgerechte Therapie durch entsprechende Arzneimittelstudien, Geriatrie als Schwerpunkt hausärztlicher Versorgung. Aber Biermann rät auch zur Selbsthilfe: die Pflege von Freundschaften, so dass man im medizinischen Notfall im Alter Unterstützung hat. Das empfahl übrigens schon 1561 der italienische Arzt Girolamo Cardano: Man müsse sich im Alter wie im Feindesland bewegen, sich nicht auf Verpflegung vor Ort verlassen, sondern rechtzeitig Reserven schaffen - also sein soziales Umfeld beizeiten so gestalten, dass man später leidlich durch die feindlichen Linien kommt. Ein Hinweis, den man heute wohl ernster denn je zu nehmen hat.

ROBERT JÜTTE

Ursula Biermann: ",Der Alte stirbt doch sowieso'. Der alltägliche Skandal im Medizinbetrieb." Herder Verlag, Freiburg 2009. 198 S., br., 17,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den Titel von Ursula Biermanns Buch ("Der Alte stirbt doch sowieso") hält der Stuttgarter Historiker Robert Jütte zwar für etwas drastisch. Aber was die Journalistin über die schlechte medizinische Behandlung von älteren Menschen zusammengetragen hat, scheint ihm überzeugend recherchiert und überaus instruktiv. Zustimmend äußert er sich über Biermanns Kritik der Dreiklassenmedizin, die nicht nur den Unterschied zwischen Privat- und Kassenpatienten macht, sondern zunehmend ältere und alte Menschen als die "dritte Klasse" diskriminiert. Neben zahlreichen Erfahrungen findet Jütte in dem Buch auch aktuelle Forschungsergebnisse zitiert, die diese Einschätzung belegen. Er referiert über die Rationierung von Gesundheitsleistungen für ältere Menschen, die auch in Deutschland längst gängige Praxis ist. Den "eigentlichen Skandal" sieht er in der Verweigerung von Reha-Maßnahmen, was viele ältere Menschen zum Pflegefall macht. Neben dem Forderungskatalog der Autorin hebt er insbesondere deren Rat zur Selbsthilfe hervor, Freundschaften zu pflegen, so dass man im Notfall im Alter auch Unterstützung habe.

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