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Bestimmte Ideen, Erfindungen, Offenbarungen, Entdeckungen und Konfliktsituationen haben in der Geschichte teils dramatische Umwälzungen ausgelöst, die der ökonomischen, technologischen, geistigen, künstlerischen oder politischen Entwicklung eine entscheidende Wende verliehen und oft zur Herausbildung neuer Gesellschaftsformen, Religionen, politischer Ideologien, wissenschaftlicher Theorien und Weltbilder führten. Analysen zeigen, dass derartige Prozesse meist eine übereinstimmende Genese und Verlaufsstruktur besitzen. Typische Beispiele mit weitreichenden Konsequenzen stellen die Entstehung…mehr

Produktbeschreibung
Bestimmte Ideen, Erfindungen, Offenbarungen, Entdeckungen und Konfliktsituationen haben in der Geschichte teils dramatische Umwälzungen ausgelöst, die der ökonomischen, technologischen, geistigen, künstlerischen oder politischen Entwicklung eine entscheidende Wende verliehen und oft zur Herausbildung neuer Gesellschaftsformen, Religionen, politischer Ideologien, wissenschaftlicher Theorien und Weltbilder führten. Analysen zeigen, dass derartige Prozesse meist eine übereinstimmende Genese und Verlaufsstruktur besitzen. Typische Beispiele mit weitreichenden Konsequenzen stellen die Entstehung des Monotheismus, des Christentums, des Islam, die Reformation, der Cartesianismus, die Französische Revolution, der Darwinismus, nativistische Heilserwartungsbewegungen in der so genannten "Dritten Welt" und der Holocaust dar, die neben anderen den Gegenstand des Buches bilden.
Autorenporträt
Autor Klaus E. Müller, geb. 1935, ist Professor für Ethnologie an der Universität Frankfurt am Main. Er hat zahlreiche bedeutende Veröffentlichungen, etwa über die Geschichte der Ethnographie, die Ethnologie des Geschlechterkonflikts und über elementare Formen des sozialen Verhaltens, vorgelegt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2003

Das Neue ist das bessere Alte
Ein Sammelband untersucht historische Wendeprozesse
Von Geschichten lässt sich meist erst am Ende sagen, welche Richtung sie immer schon einschlagen wollten, und vollends die große Erzählung namens Geschichte ist ein ergebnisoffener Vorgang. Doch wenn dieser sich verdichtet, wenn Tage zerstören, was Jahre aufbauten, dann spricht der Kulturkritiker von einem historischen Wendepunkt und meint damit, nun büße die Gegenwart ihr Lotterleben. Wer seiner inneren Bewegung das Odium des Pessimismus nehmen will, der spricht wie nun die zwölf Autoren eines Sammelbandes lieber von historischen Wendeprozessen. Augenblick und Dauer, Kontinuität und Bruch sollen so versöhnt werden.
Dergleichen Begriffsrabulistik kritisiert Christoph Markschies. Die Wende-Metaphorik leiste „einer Enthistorisierung Vorschub und kann deswegen leicht ideologisch ausgebeutet werden.” Für sein eigenes Thema, die Entstehung des Christentums, spricht Markschies von einer „Entwicklungskontinuität”, die Judentum und Urchristentum verbinde. Weniger eindeutig äußert sich Ludwig Ammann zur islamischen Offenbarung. Muhammads „welthistorische Revolution” bestehe in der „Sinnfortbildung” traditioneller Kulte. Andererseits bedeute die Botschaft des Korans, das Gebot persönlicher Unterwerfung unter Allah, einen Traditionsbruch. Die ersten 70 Muslime konnten den „Umschwung” nur in Medina ins Werk setzen, weil dort fünf miteinander zerstrittene, sesshafte Stämme lebten, die das Integrationspotential der neuen Lehre erkannten. Die Beduinen im Rest Arabiens waren hingegen transformationsresistent.
Zu allen Zeiten hängen die bestehenden Gemeinschaften zäh, aber erfolglos am Überkommenen. Charismatische Eliten benennen soziale oder geistige Defizite. Wenn ihr Aufstand gegen die Ordnung Nachahmer findet, hat nach relativ kurzer Zeit ihr Stamm, ihr Land, ihre Nation ein neues Gesicht. Zwangsläufige Entwicklungen aber hat es nie gegeben. Selbst die Französische Revolution hätte nicht zum Sturz der Monarchie führen müssen: Wenn Ludwig XVI. sich an die „Spitze der Bewegung” gestellt hätte, dann, so Jens Ivo Engels, „hätte es vermutlich bei vielen Zeitgenossen die Bereitschaft gegeben, eine vom König angeführteRevolution zu realisieren.”
Auch ohne kontrafaktische Geschichtsmeditationen gelangt Moshe Zuckermann zu spektakulären Ergebnissen. Die Gründergeneration des Staates Israels habe den Holocaust für ihren Zionismus instrumentalisiert und auf diese Weise nicht nur „das Sinnlose mit Sinn ausgestattet”, sondern auch die Anonymisierung der Opfer durch die Nazis fortgesetzt. Die „Neuen Juden” negierten die „Diaspora-Juden”, statt eigenständiger Individuen durfte es nur noch den einen Typus geben, den „Juden nach Auschwitz”. Zuckermanns Plädoyer gegen die „Ideologisierung einer Wende” ist leidenschaftlich geschrieben, doch der schwierigen Frage, ob die Shoah als eine universalhistorische Wende begriffen werden kann, weicht er aus. Wollte man diese Frage bejahen, wäre von unserer Gegenwart noch das Schlimmste zu erwarten.
ALEXANDER KISSLER
KLAUS E. MÜLLER (Hrsg.): Historische Wendeprozesse. Ideen, die Geschichte machten. Herder Verlag, Freiburg 2003. 330 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Statt von "historischen Wendepunkten" sprechen die Autoren dieses Bandes lieber von "historischen Wendeprozessen", und zwar um Augenblick und Dauer, Kontinuität und Bruch im Geschichtsprozess zu versöhnen, erklärt Rezensent Alexander Kissler. Während Christoph Markschies in seinem Beitrag über die Entstehung des Christentums die Wende-Metaphorik kritisch sehe und eine "Entwicklungskontinuität" zwischen Judentum und Urchristentum feststelle, so Kissler, gebe sich Ludwig Ammann in seinem Aufsatz über die islamische Offenbarung weniger eindeutig. Zwar sehe Ammann in Muhammads "welthistorischer Revolution" einerseits eine "Sinnfortbildung" traditioneller Kulte, doch bedeute andererseits das im Koran enthaltene Gebot der Unterwerfung unter Allah einen Traditionsbruch. Neben den Beiträgen von Markschies und Ammann hebt Kissler vor allem die Arbeit von Moshe Zuckermann hervor. Zuckermann zeige, wie die Gründergeneration des Staates Israels den Holocaust für ihren Zionismus instrumentalisiert habe. Sein Plädoyer gegen die "Ideologisierung einer Wende" würdigt Kissler als "leidenschaftlich geschrieben". Etwas bedauerlich findet er nur, dass Zuckermann der Frage, ob die Shoah als eine universalhistorische Wende begriffen werden könne, ausweicht.

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