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Produktdetails
  • Herder Spektrum
  • Verlag: Herder, Freiburg
  • Seitenzahl: 223
  • Abmessung: 25mm x 146mm x 219mm
  • Gewicht: 398g
  • ISBN-13: 9783451269714
  • ISBN-10: 3451269716
  • Artikelnr.: 24650828
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.1999

Die Offenbarung entschleiern
Der ägyptische "Ketzer" Nasr Hamid Abu Zaid erzählt sein schwieriges Leben

Nasr Hamid Abu Zaid: Ein Leben mit dem Islam. Aus dem Arabischen von Chérifa Magdi. Erzählt von Navid Kermani. Herder SPEKTRUM. Verlag Herder, Freiburg 1999. 223 Seiten, 36,- Mark.

Wie fortschrittlich darf ein muslimischer Gelehrter heute sein? Immer wieder, wenn zwischen Algier und Karachi Menschen für "ungläubig" erklärt und gegebenenfalls mit Sanktionen belegt werden, stellt sich diese Frage. Nach dem - mittlerweile wohl eingeschlafenen - Fall Salman Rushdie war die Zwangsscheidung des ägyptischen Koranforschers Nasr Hamid Abu Zaid der wohl spektakulärste Anlass zur Sorge. Auf Antrag islamistischer Kreise hatte ein ägyptisches Gericht verfügt, der Gelehrte müsse von seiner Frau Ibtihal Yunes geschieden werden, weil er ein "Ungläubiger" sei. So könne er nicht länger mit einer muslimischen Frau verheiratet sein. Es folgten Todesdrohungen. Beide leben heute in den Niederlanden, in der ehrwürdigen Stadt Leiden, die auf eine große orientalistische Tradition zurückblickt.

"Ein Leben mit dem Islam" ist der Titel der jetzt auf Deutsch erschienenen Autobiographie des Gelehrten. Er hat sie dem Orientalisten Navid Kermani erzählt. Die in Frankfurt lebende Chérifa Magdi, selbst aus Ägypten stammend, hat die gesprochenen Texte übersetzt. Beide sind glänzend gerüstet für eine Beschäftigung mit Abu Zaid, hat doch Navid Kermani über dessen Werk "Mafhum an Nass" wissenschaftlich gearbeitet ("Offenbarung als Kommunikation") und Frau Magdi ein anderes wichtiges Werk des Gelehrten, "Naqd al chutab al dini", unter dem Titel "Islam und Politik. Kritik des religiösen Diskurses" ins Deutsche übertragen.

Abu Zaids Memoiren wechseln zwischen Berichten über sein Leben und Gedanken über sein Werk hin und her. Sie zeigen das üble Geschick eines zutiefst frommen Muslims, der unter die Fanatiker gefallen ist. Vieles erinnert an die berühmte Autobiographie "al Ayyam" ("Die Tage") des 1973 verstorbenen ägyptischen Dichters Taha Hussein, der auch ausdrücklich erwähnt wird. Dieser stammte - wie Abu Zaid - aus einem Fellachendorf und arbeitete sich im Laufe seines langen Lebens zum führenden modernistischen Schriftsteller und Kulturminister hoch. Taha Hussein, der schon im Kairo nach der Jahrhundertwende durch europäische Gelehrte wie den italienischen Orientalisten Nallino mit modernen Wegen der Interpretation vertraut wurde und diese später durch einen Aufenthalt in Paris weiter entwickelte, wurde Zielscheibe konservativer Gelehrter. Sein kulturpolitischer Elan ist im heutigen Ägypten abgestorben, auch wenn man Taha Hussein im vergangenen Jahr geehrt hat.

Auch Abu Zaid stammt vom Dorf. Schon als Schüler im kuttab, der einfachen Koranschule, zeigte er besondere Begabung. Der zunächst für einen praktischen Beruf Ausgebildete, der freilich kein größeres Glück kannte als die Koranrezitation, den "tadschwid", erwarb sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg seine akademische Bildung, wurde Dozent und Professor in Kairo. Wie Taha Hussein macht auch Abu Zaid kein Hehl daraus, dass er erst im Ausland, so beim Studium in Amerika, kennenlernte, was zeitgenössische Wissenschaft wirklich ist. Berufung auf die alten Autoritäten und mechanisches Memorieren kennzeichnen bis heute den Alltag in vielen Schulen und Universitäten des Orients, vor allem, wenn es die Religion und die klassische Literatur betrifft, die beide unantastbar sind. In Amerika übrigens gefiel es dem Ägypter nicht besonders, eine Erfahrung, die er mit vielen Muslimen teilt.

Abu Zaid hat nie die religiöse Bedeutung des Korans als Gotteswort angezweifelt. Der Koran, die göttliche Rezitation, ist für ihn allezeit mehr als nur menschliche Dichtung. Sie ist Offenbarung, die auch ästhetisch verzückt. Doch moderne Textkritik, die er durchaus in Ansätzen auch schon bei alten muslimischen Gelehrten findet, und die Semiotik bringen ihn dazu, den inneren Kern und Sinn des heiligen Buches von bloß Historischem zu unterscheiden, oder auch von Sätzen, die metaphorisch gemeint sind. Dass alles im Koran, was nicht der Ratio standhalte, als Metapher aufgefasst werden müsse, lehrten schon die Mutaziliten, die Begründer der rationalen Theologie im frühen Islam. Durch seine systematische "Decodierung" des Korans möchte Abu Zaid den Islam auf zeitgemäße Weise wiederbeleben, die religiöse Essenz - auch im Sinne einer Trennung des Religiösen von der Politik, die im ägyptischen Dorf schon immer herrschte - vom geistigen Stillstand scheiden. Doch den Frömmlern ist gerade der Fromme ein Dorn im Auge. Als Opfer einer Hexenjagd, die in der Universität gegen ihn begann und vor dem Kadi endete, musste der Denker seine Heimat verlassen. Er will in Ägypten nicht begraben sein.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Nasr Hamid Abu Zaid erzählt aus seinem Leben, Navid Kermani hat es aufgeschrieben, Hilal Sezgin hat's gelesen. Sie ist von der "Wärme dieses Erzählens" entzückt. Aufgewachsen mit "Beten und Almosengeben" sei Abu Zaid zu einer Zeit, in der Religion noch keine "Angelegenheit von staatlichem Zwang" war. Später ging Abu Zaid ins Exil, nachdem er in seiner Heimat Ägypten eine Zwangsscheidung erlebte, berichtet die Rezensentin. Eine große Bedeutung in diesem Buch habe der islamische Glauben Abu Zaids. Für die Rezensentin ist dies eine "ergreifende Lebensgeschichte".

© Perlentaucher Medien GmbH