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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2004

Er gehörte keinem
Eine Golo-Mann-Bibliographie von Klaus Jonas und Holger Stunz

Golo Mann (1909 bis 1994) gehört zu den bedeutendsten Geschichtsschreibern des deutschen Sprachraums, und doch kennt man ihn nicht recht. Unter den sechs Kindern Thomas Manns ist er das verschlossenste, ja geheimnisvollste. Die vorliegende Bibliographie lenkt den Blick über das historiographische Werk hinaus - die Gentz-Biographie, die deutsche Geschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, die monumentale Lebensbeschreibung Wallensteins - auf das reiche publizistische Werk, mit dem Golo Mann die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland begleitet hat.

Über die Hälfte des rund 1750 Nummern umfassenden Werkverzeichnisses, Reden, Essays, Interviews sowie Buch- und Zeitungsbeiträge zum Zeitgeschehen, entfällt auf diesen Bereich. In ihnen zeigt sich ein kluger und unabhängiger, auch unberechenbarer, ein freimütiger, markanter und weitschauender Kopf mit vielen Facetten. "Ich schere mich den Teufel um rechts und links", sagte er, und so war es. Er half Willy Brandt, aber er half auch Franz Josef Strauß. Er gehörte keinem. "Wo steht der eigentlich?" fragten die Leute mißtrauisch. Er geriet immer wieder ins Parteiengezänk und bezog dabei Prügel mal von links, mal von rechts. Er war ein entschiedener Kritiker der westdeutschen Studentenbewegung, aber wer ihn deshalb der Rechten zuordnen wollte, mußte sich damit anfreunden, daß Golo Mann zugleich eine vernünftige Verständigung mit dem kommunistischen Osten zu befördern suchte. Die Vertriebenenverbände rubrizierten ihn deshalb als "deutschen Verzichtler". Golo Mann war ein großer Konservativer, aber eben doch auch ein im Feuer des Exils gehärteter Antifaschist.

Klaus W. Jonas, durch seine bibliographischen Arbeiten zu Thomas Mann bestens bekannt, und sein junger Mitstreiter Holger R. Stunz haben hier eine nicht genug zu rühmende Pionierarbeit vorgelegt. Die dem Werk vorgeschaltete, 35 Seiten starke Chronik gibt ein noch sehr poröses Datengerüst, das den Wunsch nach mehr Ausführlichkeit aufkommen läßt. Sie fokussiert vor allem den öffentlichen Golo Mann, verzichtet aber weitgehend auf den privaten, verzeichnet nicht einmal die genauen Daten aller Wohnsitzwechsel und beruflichen Veränderungen. Ganz und gar kryptisch bleiben so folgenreiche Ereignisse wie die Adoption einer deutschen Familie (Hans und Ingrid Beck-Mann mit zwei Töchtern), die das Umfeld in den letzten zwei Lebensjahrzehnten entscheidend prägte.

Die Omnipräsenz in den Medien täuscht. Golo Mann war einsam, er brauchte die Öffentlichkeit als Ersatz für Liebe, die ihm fehlte. So richtig heimisch wurde er trotz hoher Auflagen und vieler Ehrungen in Deutschland nie, sowenig wie sein Vater. Er kam als Amerikaner und starb als Schweizer. Das Private wie das Öffentliche steckt voller Rätsel. Eine Biographie Golo Manns müßte ein Abenteuerpfad durch den Dschungel des zwanzigsten Jahrhunderts sein. Der Schweizer Historiker Urs Bitterli wird in diesem Frühjahr hoffentlich eine solche vorlegen.

HERMANN KURZKE

Klaus W. Jonas, Holger R. Stunz: "Golo Mann". Leben und Werk. Chronik und Bibliographie (1929-2003). In Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Literaturarchiv Bern. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2003. 343 S., geb., 45,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Obwohl er als Historiker im Licht der Öffentlichkeit stand, war er einsam, behauptet Hermann Kurzke über Golo Mann, den er als das verschlossenste der sechs Kinder Thomas Manns bezeichnet. Sowohl Golo Manns Privatleben wie sein öffentliches Auftreten stecken für Kurzke voller Rätsel, die auch die nun vorliegende Golo Mann-Bibliografie nicht wirklich erhellen kann. Denn Golo Mann war zwar ein Konservativer, hält Kurzke fest, aber ebenso ein glühender Antifaschist und politisch weder von links noch von rechts zu vereinnahmen. Dennoch kann Kurzke die Pioniertat der beiden Verfasser nicht genug rühmen, die dieses 1750 Nummern umfassende Werkverzeichnis samt Reden, Essays, Interviews erstellt haben. Allerdings beschränke sich die Arbeit der beiden Verfasser auf die öffentliche Seite des Golo Mann, bemerkt Kurze, schon die vorangestellte Chronik weise größere Lücken im biografischen Geflecht auf, so seien nicht mal alle Wohnortwechsel und beruflichen Veränderungen angezeigt, geschweige denn private Ereignisse wie die Adoption einer Familie. Dennoch sei diese Bibliografie äußerst verdienstvoll, versichert Kurzke, lenke sie doch den Blick über das historiografische Werk Golo Manns hinaus auf seine sonstigen publizistischen Tätigkeiten. Im übrigen tröstet er sich damit, dass im Frühjahr der Schweizer Urs Bitterli eine Golo Mann-Biografie vorlegen will.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr