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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Harrassowitz
  • Seitenzahl: 1568
  • Deutsch
  • Abmessung: 285mm
  • Gewicht: 6484g
  • ISBN-13: 9783447046268
  • ISBN-10: 3447046260
  • Artikelnr.: 11163424
Autorenporträt
Hildegard Hammerschmidt-Hummel lehrte englische Literatur- und Kulturwissenschaft an den Universitäten Marburg und Mainz. Drei Jahre lang leitete sie das Kulturreferat am deutschen Generalkonsulat in Toronto und war anschließend langjährige Leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin und Herausgeberin des DFG- und Mainzer Akademieprojekts "Die Shakespeare-Illustration". Die Autorin leistete u. a. zahlreiche werk- und autorzentrierte Beiträge zur Shakespeare-Forschung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003

Das große Shakespeare-Memory
Illustrationen aller Dramen/ Von Tobias Döring

Von Malern hat der Bühnenbrettermagier wohl nicht sehr viel gehalten. Den einzigen Vertreter dieser Kunst, der im vielhundertköpfigen Figurenuniversum seiner Dramen überhaupt auftritt, führt Shakespeare uns als geldgierigen Gecken vor, einen Popanz, der mit seiner Malerei nur eitel auf die Gunst der Mächtigen schielt. In Shakespeares London ging man ins Theater, um ein Stück zu "hören", wie es hieß. Was auf der Bühne spielte, galt vorrangig dem Ohr, denn außer prächtigen Kostümen gab es in der Tat nicht viel zu sehen. Das "O von Holz", der Spielraum des Dramatikers, war eine Echokammer; die Szenerie der Stücke schufen Worte, und allen Bühnenzauber boten Stimmen. Eindringlich, ja beschwörend fast, erging daher der Ruf ans werte Publikum, sich alles Nötige doch bitte selber vorzustellen und, was dem Auge vorenthalten wird, durch rege Einbildungskraft sich auszumalen.

Die Aufforderung hat Gehör gefunden. Die Folgen solcher Phantasiekräfte, wie Shakespeare-Dramen sie entfesselt haben, sind kaum noch zu ermessen und halten selbst in Zeiten opulenter Bühnenpracht wie auch in unserer kinobildersüchtigen Epoche an. Zwar entzieht sich, was je ein sinnbegabter Zuschauer sehen mag, zumeist der Kundgabe. Was aber Maler oder Zeichner in den Dramen sehen, schlägt sich in deren Werken nieder und lädt uns zur Betrachtung ein.

Als Eugène Delacroix 1825 nach London reiste und dort die Tragödienhelden vom großen Edmund Kean verköpert sah, fand er, wie er nach Hause schrieb, schier keine Worte, um seine Bewunderung für das Genie des Dichters auszudrücken. Bilder jedoch fand er viele, wie seine wunderbar romantischen "Hamlet"-Lithographien zeigen. Manch einem Augenkünstler muß es genauso gegangen sein. In mehr als vierhundert Jahren jedenfalls ist die Bildersprache aller Shakespeare-Dramen in eine solche Vielzahl sprechender Bilder verwandelt worden, daß diese längst ein Paralleluniversum bilden. Die Echokammer ist nun eine verwunschene Galerie, ein Bilderlabyrinth, in dem wir uns auf das schönste verlieren.

Hier finden sich Beispiele aus allen Perioden und für nahezu alle Stilrichtungen der europäischen Kunstentwicklung. Seit 1594 ein Cambridger Student erstmals einen Eindruck von "Titus Andronicus" in feinen Federstrichen festhielt, sind viele ihm gefolgt: Herausgeber wie Nicholas Rowe, der 1709 die erste illustrierte Shakespeare-Ausgabe besorgte; Historienmaler wie William Hogarth, der sich gern als "Shakespeare der Malerei" feiern ließ; Bühnenprotokollanten wie Daniel Chodowiecki, der 1778 den Theaterstil der Zeit nachzeichnete; Visionäre wie William Blake, der aus den Dramen glühende Bilderdestillate zog; entschlossene Nostalgiker wie die Präraffaeliten, die in ihnen eine Gegenwelt zur grauen Gegenwart suchten; emsige Enzyklopädisten wie John Gilbert, der für die Viktorianer alle Szenen aller Stücke ausmalte; Impressionisten, Symbolisten, Surrealisten, bis hin zu Abstraktion und Avantgarde, zu Comic-Zeichnern wie dem Brasilianer VON oder Karikaturisten. Sie alle haben ihren Shakespeare auf Papier und Leinwand inszeniert.

Nicht immer muß dabei Bewunderung spielführend sein. Genau wie im Regietheater, so sind auch Großmeister der Bildkunst nur ihrer eigenen Auffassung verpflichtet und setzen sich - wie William Turner, der "Romeo und Julia" kurzerhand nach Venedig verlegte - über Textvorgaben souverän hinweg. Darin liegt allerdings gerade die Spannung, die ihre Arbeit antreibt und zu immer neuer Auseinandersetzung reizt. Nachdem ein legendärer Dichter einst die Malerei zur stummen Schwester der Poesie erklärt hat, wetteifern die Künste miteinander um die beredteste Darstellung der Welt. Auch Shakespeare stellt daher seiner Maler-Figur in "Timon von Athen" einen nicht minder eitlen Dichter zur Seite, der ebenfalls um Anerkennung buhlt: Wort oder Bild - was bietet mehr? Doch aller Streit ist schnell vergessen, sobald wir die drei opulenten Wortbildbände aufblättern.

Wer darin beispielsweise Josef Hegenbarths Macbeth-Porträt betrachtet, der sieht nicht bloß, wie einem Mörder blankes Entsetzen ins Gesicht tritt, weil er zugleich den Schlaf gemordet hat, der hört hier förmlich dessen Stimme unter Qualen konstatieren, was nicht mehr ungeschehen zu machen ist: "Ich hab die Tat getan." Aus dem schizoiden Albtraum-Porträt der Lady Macbeth, das Salvador Dalí 1937 schuf, tönen gleich zwei Stimmen, stählern und von kalter Ambition die eine, die andere zerbrechlich, irr und wie entrückt. Ganz anders dagegen klingen die sanft fließenden Kreidelinien, mit denen Johann Heinrich Füßli die Körpersehnsucht zwischen Romeo und Julia einfängt; in ihnen schwingt auch alles heiße Liebesflüstern jener Mondscheinnacht im Garten mit. Wer Augen hat, zu sehen, der höre!

Vor mehr als vierzig Jahren faßte der Marburger Anglist Horst Oppel den Plan, Bilder, die von Shakespeare-Dramen angeregt wurden, umfassend zu dokumentieren, um sie, genau wie Produktionen für die Bühne, als eigenwertige Deutungen der Texte zu erschließen. Das Forschungsprojekt wurde nach seinem Tod von Schülern fortgeführt, maßgeblich von Hildegard Hammerschmidt-Hummel in Mainz, die es seit zwei Jahrzehnten mit der ihr eigenen Entschiedenheit verfolgt hat. Jetzt ist es - vorerst jedenfalls - zu einem Abschluß gekommen, und der Ertrag ist eine Augenlust. Dreitausend Illustrationen von 550 Künstlern aus Westeuropa und Nordamerika (Schwerpunkte sind England, Frankreich, Deutschland) werden dargeboten, katalogisiert und kommentiert sowie durch Künsterlerbiographien, Bibliographien und Register zugänglich gemacht. Und da die Abbildungen sämtlich in Schwarzweiß vorliegen, bleibt so der individuellen Phantasie noch reichlich Raum zur Ausmalung.

Die Anordnung der Bilder ist nicht chronologisch, sondern folgt den 37 Stücken und hält sich überdies genau an deren Szenenfolge. Durch diese schöne Konzeption sehen wir jede Figur dutzendfach vervielfältigt, und jede Szene erscheint wie im Kaleidoskop. (Nur das strähnige Haar des Junkers von Bleichwang hängt durchweg ungekräuselt wie Flachs auf einem Rocken.) Obwohl oftmals durch Familienähnlichkeit verbunden, blicken uns die vertrauten Charaktere in faszinierender Verfremdungsfülle an. Der Bühnenjude Shylock erscheint mal als hakennasige Grimasse, mal als grimmer Vater, mal als geschundene Kreatur. Die Verschwörer gegen Cäsar setzen ihren blutigen Entschluß mal, wie bei Wilhelm von Kaulbach, mit kraftvoller Theatralik ins Werk, mal wie in wirrer Panik und mal in trostloser Verlorenheit. Immer aber sind die Bilder vor allem ein Beweis der vielsagenden Vorahnung, die Shakespeare seinen Cäsar-Mördern selbst in den Mund legt: "In wieviel Zukunftszeiten/Wird wohl noch diese unsre Szene nachgespielt!" So können ansonsten wohl nur Götter auf die Weltgeschichte schauen: In jeder Darstellung gewahren wir, wie sich längst Vorhergeschriebenes neu vollzieht.

Daher hält dieses fabelhafte Shakespeare-Memory die eigentlichen Entdeckungen dort bereit, wo gänzlich unbekannte Szenen vorgespielt werden. Manche Bilder zeigen nämlich, was die Bühne stets verbirgt. Auf dem Gemälde, das die Berliner Malerin Gisela Breitling 1985 für den Wettbewerb "Images of Shakespeare" schuf, sehen wir Ophelia in einer Pose wie sonst nie: als ruhenden Akt in freier Landschaft, die fast den Körperrundungen zu folgen scheint, voll erotischer Kraft und vollkommen bei sich - ein starkes Gegenbild zur bleichen Wasserleiche der Hysterikerin wie in traditioneller Ikonographie.

So geht es uns bei diesen Bildlektüren nicht anders als in "Prosperos Bücher", jenem Shakespeare-Film aus der Paintbox, in dem Peter Greenaway vor fünfzehn Jahren einen wahren Bildersturm entfesselte. Mit jeder Seite, die wir aufschlagen, erwacht eine Geschichtenwelt zu wundersamem Eigenleben, quillt wuchernd aus dem Buch hervor und macht jeden Betrachter gleich zum Mitspieler. Herzog Prospero ging ins Exil, weil er die Bücher mehr als die Macht schätzte. Für dergleichen Bilderbuchschätze würden allerdings auch wir jedes Herzogtum gerne hergeben.

"Die Shakespeare-Illustration 1594 bis 2000". Bildkünstlerische Darstellungen zu den Dramen William Shakespeares: Katalog, Geschichte, Funktion und Deutung". Hrsg. von Hildegard Hammerschmidt-Hummel. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz / Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2003. Drei Bände, zus. 1260 S., zahlr. Abb., geb., Kass., 228,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

(Notiz aktualisiert am 31.7.2013) Alexander Menden ist einerseits beeindruckt, andererseits verärgert: Hildegard Hammerschmidt-Hummel habe ebenso wichtige wie eindrucksvolle Arbeit dabei geleistet, eine umfangreiche Kompilation von Bebilderungen Shakearescher Werke zu erstellen. Seine Figuren kommen, was ihre motivgeschichtliche Bedeutung angeht, gleich nach Bibel und antiken Mythen - und dazu liege jetzt quasi die illustrierte Fassung vor. Überaus hilfreich seien, so Menden, auch die Bibliografie, die Bildlegenden und das enthaltene Lexikon. Dafür sieht der Rezensent den "programmatisch-interpretierenden Teil" beinahe als eine Katastrophe: Hier wimmelt es nach seiner Darstellung reißerischen Spekulationen, fragwürdigen Interpretationen und sprachlichen Unsicherheiten. Und das bei einer Ausgabe, die ansonsten alles Zeug zum Standardwerk hätte. Ausnahmsweise, meint Menden also, sollen wir in diesem Buch nur die Bilder anschauen.

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