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Woher kommen unsere Werte und Vorstellungen? Wird eine Nation durch ihre Grenzen, Sprachen oder gar die Abstammung ihrer Bürger definiert? Als neugieriger Entdecker führt Raoul Schrott in vier großen Essays hinein in die Welt unseres Zusammenlebens. Am Beispiel des Hochdeutschen zeigt er, wie Kultur überhaupt erst entsteht. Welche Sprengkraft Ideen haben, demonstriert er an der Politik des Heiligen, wie sie etwa die Papstwahl vorführt. "Nichts Abgeschlossenes vermag auf Dauer zu bestehen." Dieser Satz erlangt neue Bedeutung, betrachtet man die Gesellschaft als Ergebnis jahrtausendelanger…mehr

Produktbeschreibung
Woher kommen unsere Werte und Vorstellungen? Wird eine Nation durch ihre Grenzen, Sprachen oder gar die Abstammung ihrer Bürger definiert? Als neugieriger Entdecker führt Raoul Schrott in vier großen Essays hinein in die Welt unseres Zusammenlebens. Am Beispiel des Hochdeutschen zeigt er, wie Kultur überhaupt erst entsteht. Welche Sprengkraft Ideen haben, demonstriert er an der Politik des Heiligen, wie sie etwa die Papstwahl vorführt. "Nichts Abgeschlossenes vermag auf Dauer zu bestehen." Dieser Satz erlangt neue Bedeutung, betrachtet man die Gesellschaft als Ergebnis jahrtausendelanger Prozesse. Hier blickt ein Universalgelehrter weiter als nur bis zum nächsten politischen Grabenkampf.
Autorenporträt
Raoul Schrott, geboren 1964, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Peter-Huchel- und den Joseph-Breitbach-Preis. Bei Hanser erschienen zuletzt u.a. Homers Heimat (2008) und seine Übertragung der Ilias (2008), Gehirn und Gedicht (2011, gemeinsam mit dem Hirnforscher Arthur Jacobs), die Erzählung Das schweigende Kind (2012), die Übersetzung von Hesiods Theogonie (2014), der Gedichtband Die Kunst an nichts zu glauben (2015) sowie Erste Erde (Epos, 2016), Politiken & Ideen (Essays, 2018), Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal (Roman, 2019) und Inventur des Sommers (Über das Abwesende, 2023). Raoul Schrott arbeitet zurzeit im Auftrag der Stiftung Kunst und Natur an einem umfangreichen Atlas der Sternenhimmel. 2023 hatte er die Ernst-Jandl-Dozentur der Universität Wien inne.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2018

Die Götter sind so schrecklich
Teufelskenner: Raoul Schrott versteigt sich im Heiligen

Raoul Schrott ist ein Autor, der schon hinlänglich bewiesen hat, dass ihm zu vielen Dingen vieles einfällt. Im jüngsten Buch (Raoul Schrott: "Politiken & Ideen". Vier Essays. Hanser Verlag, München 2018. 251 S., geb., 23,- [Euro]) sind es "Politiken", nämlich jene des Nationalen, des Heiligen, der Sprache und des Kulturellen. Weil das ein weites Feld ist, versuchen wir uns nicht am Überblick über diese vier Essays, sondern steigen statt dessen gleich in jenen ein, in dem Schrott vom hartnäckigen Weiterleben des Heiligen in einer sich eigentlich weitgehend säkular fühlenden Gesellschaft handelt.

Mit der Idee Gottes gehe es bergab, konstatiert er dort, weshalb die Idee des Bösen, das Teuflische, Konjunktur habe. Das sehe man an der "Typisierung Hitlers", der "weltweit unzweifelhaft das fleischgewordene Böse darstellt". Merkwürdig, denken wir an dieser Stelle, lasen wir nicht öfter von ganz anderen Bildern Hitlers in einigen Weltgegenden? Aber es geht halt darum, sehen wir dann gleich, dass Hitler eine "Umkehrfigur" sein soll, weil nämlich "die Auseinandersetzung mit ihm vom selben Horror und derselben Faszination geprägt (ist) wie vor dem Heiligen". Ganz einfach.

Und damit geht's gleich zur nächsten Umkehrung. Denn die von Hitler betriebene Vernichtung der Juden könne unter der nun einmal nicht loszuwerdenden christlichen Perspektive "auch an die Stelle der Kreuzigung treten: wo der Eine sich für die Menschen opferte, wurden hier Menschen für einen Einzelnen ausgelöscht. Sieht man darin einen kollektiven Opfertod, wird daraus das Schicksal einer spiegelverkehrten Heilsgeschichte."

Haben wir richtig gelesen? Aber es steht tatsächlich so da: Wo Jesus sich für die Menschen am Kreuz opferte, wurden hier Menschen, nämlich Juden, für einen Einzelnen, nämlich Hitler, ausgelöscht. Wobei diese Auslöschung im nächsten Satz doch noch zur Opferung wird. Die gleich darauf eingeschobene rhetorische Frage, ob dieser Blickwinkel einem Massenmord auch wirklich gerecht werde, unterstreicht durch ihre Folgenlosigkeit, dass der Autor ebendiese Sichtweise festhält.

Und als ob Schrott ahnte, dass uns die Raffinesse der so erkannten Symmetrie, die spiegelverkehrte Heilsgeschichte, oder vielmehr das Schicksal derselben durchaus nicht einleuchtet, gibt er gleich einen anschaulichen Beleg für die solcherart anvisierte "sakrale Dimension" der Judenvernichtung. Die Architektur des von Daniel Libeskind entworfenen Jüdischen Museums in Berlin nämlich. Denn was sehen wir schließlich dort: Nicht nur kreuzen sich dessen Achsen, selbst die Fenster weisen Kreuzform auf, "gleichsam als Zeichen dafür, wie schwer es uns fällt, Geschichte ohne die gewohnten Symbole des Heiligen zu verstehen". Wer jetzt nicht einsieht, dass die Judenvernichtung die Kreuzigung vertritt, dem kann keiner mehr helfen.

Ein paar Absätze weiter - nachdem wir im Vorbeigehen gelernt haben, dass auch ein Großteil moderner Kunstgeschichte im Bann des Heiligen steht, weil Bilder Rahmen haben, die sie von der Umgebung abheben, und die Abgrenzung vom Alltäglichen nun einmal die Grundbestimmung des Heiligen sei - diagnostiziert der Autor mit Blick auf Peter Eisenmans Berliner Stelenfeld, dass "das Ästhetische eines Mahnmals nur sehr bedingt dazu in der Lage ist, das subjektive Erlebnis von Todesschrecken wachzurufen". Sehen wir auch so, wir würden sogar hinzufügen, dass auch das Unästhetische nicht heranreichte, selbst wenn wir uns unter einem objektiven Erleben dieses Schreckens nichts vorstellen können.

Aber weiter im Text: "Ohne die sie begleitende gesellschaftliche Erinnerungskultur (. . .) hätte deshalb Auschwitz lediglich die Eindrücklichkeit einer leerstehenden Fabrik." Nebbich, natürlich muss man davon wissen, was dort geschah. Und wie geschieht den Besuchern dort nach Schrott: Sie reagieren auf "diese dämonischen genius loci ähnlich wie auf das numinos Göttliche - ebenso sehr tremendum wie fascinans, in der Angstlust der Götterschau. Denn Götter sind so schrecklich, wie sie Schreckliches zulassen oder auch es selbst erleiden - ob der alttestamentarische Jahwe, Apollon, der Marsyas langsam die Haut in Streifen abzieht, oder Jesus an seinem Kreuz."

So schwadroniert er dahin. Und wir gestehen, uns packte das tremendum, doch nicht fasziniert. Während unweigerlich Fragen vor uns auftauchten, die weder mit dem Heiligen noch seiner Umkehrfigur Hitler zu tun haben, sondern sehr viel bescheidener ausfallen: Wie etwa diejenige, ob ein renommierter Verlag denn seinem Autor nicht schonend mitteilen kann, dass er sich ja gerne da und dort versteigen darf, aber doch vielleicht eher nicht, wenn es um die Judenvernichtung geht. Und wir beließen es beim Eindruck, den diese Passagen uns von der Tiefgründigkeit des Autors gaben.

HELMUT MAYER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2018

Plumpes Ding mit Nabel
Raoul Schrott versucht sich an Politik und Migration
Was in der aktuellen Debatte über nationale Identitäten und den Begriff der Heimat derzeit falsch läuft, lässt sich gut am Beispiel der Tomate zeigen. Der österreichische Schriftsteller, Übersetzer und Abenteurer Raoul Schrott beschreibt das beliebte Nachtschattengewächs in seinem Essayband „Politiken & Ideen“ als paradigmatisch für den kulturellen Transfer, der alles uns Bekannte definiert und zugleich ständig verändert. Die Tomate illustriere „die verschiedensten evolutionären Stammlinien, die bis zu uns und in unsere Zeit hinein reichen“. Wollte sich etwa jemand auf die Tomate als typisch deutsch, österreichisch oder auch nur europäisch berufen, würde er hier ganz schnell wieder auf die richtige Spur gebracht werden.
In der heute in Deutschland für die ursprünglich südamerikanische Frucht gebräuchlichen Bezeichnung schwinge nämlich noch das aztekische „Xitomatl“ mit, was so viel wie „plumpes Ding mit Nabel“ bedeute. Im österreichischen „Paradeiser“ hingegen offenbare sich eine völlig andere kulturelle Entwicklungslinie. Dieser Name sei durch bildliche Darstellungen des Sündenfalls geprägt, in denen die verführerische Frucht stets als roter Apfel dargestellt worden sei. Das legte, nicht zuletzt aus „kommerziellen Interessen“, die Vermarktung als „Paradiesapfel“ nahe. Von hier aus kann man die Wortgenese bis zu altpersischen Lustgärten verfolgen, die ebenfalls „Paradies“ genannt worden sein sollen. Das alles nur als Kostprobe für die Tiefen, in die Schrott in diesem Buch vordringt, und die an so fruchtbaren Objekten wie der Tomate jene amorphen „Rahmenbedingungen von Kultur zum Vorschein kommen“ lassen, die derzeit in vielen Debatten zu scheinbar eindeutigen Fakten geronnen als identitätsstiftende Kronzeugen herhalten müssen.
So verdienstvoll und interessant diese Ausführungen sind – die aktuellen Debatten um das Was und Warum nationaler Identitäten werden nicht anhand der Kulturgeschichte der Tomate ausgetragen. Schrott tarnt sein Buch als eine Spurensuche kultureller Einflussnahmen auf die Politik, obwohl er eigentlich ein Eingreifbuch in die offenbar in seinen Augen nicht mit den rechten Instrumenten geführte Debatte über Identität und Heimat geschrieben hat. Dabei reicht es nicht, nur Wissen zu sammeln und wie Geschütze aufzufahren. Eine Auseinandersetzung mit populistischen und neurechten Thesen erfordert einen Registerwechsel, der Schrott nicht gelingt.
Denn indem er zeigen möchte, dass Identität ein kulturelles und noch dazu ein sehr vielen Variablen unterworfenes Konstrukt ist, begibt er sich selbst in eine Rechtfertigungsrolle. So schreibt er über die Herkunft von Flüchtlingen: „Die Schrift, die wir benutzen, erhielten wir (…) aus jenem Raum, von dessen Flüchtlingen sich nun ganz Europa abschotten möchte (…). Ihnen verdanken wir nicht nur die erste moderne Zivilisation samt Städtegründung, Kanalisation, verkehrstechnischer Infrastruktur und einem bis heute grundlegenden Recht, sondern auch die staatstragend apostrophierte Religion“. Abgesehen davon, dass sich nicht alle Flüchtlinge so zusammenlegen lassen – mindestens für Zentralafrikaner müssten, wenn man denn so argumentieren möchte, völlig andere Prämissen gelten –, sucht Schrott damit nach einem irgendwie diffus kulturhistorischen Rechtfertigungsgrund für die Aufnahme von Flüchtlingen. Damit begibt er sich, wenn auch mit positiven Vorzeichen, auf die argumentative Ebene all der neurechten Nationalisten, die am liebsten alle Menschen nach mehr oder weniger willkürlichen kulturellen bis biologistischen Maßstäben in miteinander nicht zu vereinbarende Völker einteilen möchten. Er verleiht den rechten Vorwürfen an die deutsche Flüchtlingspolitik Gewicht, indem er sich auf sie einlässt.
Mit Argumenten aus der Genetik versucht er zwar, den Begriff des Volkes zu entschärfen – denn wir stammen ja alle vom selben Homo erectus ab, und überhaupt ist unser Erbgut zu 99 Prozent mit dem eines Schimpansen identisch –, fällt damit aber selbst in krude Argumentationsmuster, die Menschen Rechte aufgrund biologischer Tatsachen zusprechen möchten. Tatsachen, die noch dazu irreführend in die Debatte eingebracht werden, denn die vom beinahe identischen Erbgut suggerierte Nähe zum Schimpansen ist im Kontext der Debatte, in die sich Schrott einschaltet, völlig irrelevant. Das Argument vom ähnlichen Erbgut ließe sich beliebig verfeinern, von wo aus es dann nicht mehr weit ist zu dem rassischen Denken, das Schrott aber gerade abzulegen versucht.
Auch die Fremdenfeindlichkeit versucht er evolutionär zu erklären: „Als Primaten waren wir darauf angewiesen, unser Territorium zu verteidigen“, heißt es da. Trotz des zu 99 Prozent identischen Erbguts möchte man dem ganz einfach entgegenhalten, dass wir aber zum Glück keine Primaten mehr sind. Auch hier geht das Problem einer oft Trugschlüssen aufgesessenen Argumentation aber tiefer: Schrott versucht zu erklären, dass in möglichst großen Kooperationen, im Gegensatz zu Abschottungen, nicht zuletzt wirtschaftlicher Nutzen steckt. „Migration befördert also das Wirtschaftswachstum.“ Der Fehler liegt schon im Ansatz: Migration kann und darf nicht Objekt einer Kosten-Nutzen-Rechnung sein.
Das Problem in allen vier in dem Band versammelten Essays ist, dass Schrott oft unkritisch jeder sich bietenden Metaphern- und Assoziationskette folgt. Zur Religion als staatsstiftender Identität schreibt er, dass „das Kalifat des IS, der Iran oder Israel nicht aufhören, auf jeweils eigene Weise vorzuführen, dass Glaube kein Fundament für ein funktionierendes Staatsgebilde ist“. Abgesehen davon, dass alle diese drei „Staatsgebilde“ auf ihre Weise sehr wohl funktionieren oder funktioniert haben, sind sie kaum, wie es Schrott hier tut, in eine Reihe zu stellen. Dieses Buch hätte eine größere Bereitschaft zur Selbstkritik auf Seiten des Autors und ein strengeres Lektorat auf Seiten des Verlags nötig gehabt.
NICOLAS FREUND
Raoul Schrott: Politiken & Ideen. Vier Essays. Carl Hanser Verlag, München 2018. 254 Seiten, 23 Euro. E-Book 16,99 Euro.
„Als Primaten waren wir
darauf angewiesen, unser
Territorium zu verteidigen.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Politiken & Ideen" ist Raoul Schrotts kluge Intervention in die politischen Debatten unserer Zeit." Uwe Schütte, Wiener Zeitung, 23.06.18