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Die Fotografie hat immer einen besonderen Stellenwert in John Bergers Werk gehabt. Dieser Band versammelt zum ersten Mal seine Aufsätze zur Fotografie, von den sechziger Jahren bis heute: eine kleine Kunstgeschichte der Sichtbarkeit. Ob er über das Werk großer Fotografen (August Sander, Paul Strand, Henri Cartier-Bresson u.a.) schreibt, ob er den politischen Gebrauch der Fotomontage analysiert oder das Foto des toten Che Guevara mit einem Gemälde Rembrandts vergleicht, er tut es mit den Augen des Malers und des Schriftstellers. Der Augenblick der Fotografie, der einem einzigartigen Moment Sinn…mehr

Produktbeschreibung
Die Fotografie hat immer einen besonderen Stellenwert in John Bergers Werk gehabt. Dieser Band versammelt zum ersten Mal seine Aufsätze zur Fotografie, von den sechziger Jahren bis heute: eine kleine Kunstgeschichte der Sichtbarkeit. Ob er über das Werk großer Fotografen (August Sander, Paul Strand, Henri Cartier-Bresson u.a.) schreibt, ob er den politischen Gebrauch der Fotomontage analysiert oder das Foto des toten Che Guevara mit einem Gemälde Rembrandts vergleicht, er tut es mit den Augen des Malers und des Schriftstellers. Der Augenblick der Fotografie, der einem einzigartigen Moment Sinn verleiht, ermöglicht für Berger "eine andere Art zu erzählen" und einen kritischen Blick auf die Gegenwart.
Autorenporträt
John Berger, 1926 in London geboren, war Schriftsteller, Maler und Kunstkritiker. Bereits 1972 wurde er mit dem Booker Preis ausgezeichnet. John Berger lebte viele Jahre in einem Bergdorf in der Haute Savoie. Er starb 2017 in Paris, nur wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag. Bei Hanser erschienen Essaybände, Gedichte und Romane, zuletzt Gegen die Abwertung der Welt (Essays, 2003), Hier, wo wir uns begegnen (2006), A und X (Eine Liebesgeschichte in Briefen, 2010), Bentos Skizzenbuch (2013), Der Augenblick der Fotografie (Essays, 2016), eine Neuausgabe von Von ihrer Hände Arbeit (Eine Trilogie, 2016) und zuletzt Ein Geschenk für Rosa (2018).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2017

Eine Erwartung
von Sinn
John Berger erkundet den
„Augenblick der Fotografie“
Es ist alles eine Frage der Zeit. Im richtigen Moment auf den Auslöser drücken. Für den Fotografen Henri Cartier-Bresson hat dieser entscheidende Augenblick geradezu mystische Qualität. Keine Berechnung, kein Bedenken helfen weiter, eher eine Art von Gespür, eine „Überwachheit“ aller Sinne, um im Bruchteil einer Sekunde etwas zu erkennen und den Finger zu senken. Es ist der Augenblick eines Ganzen, die Fähigkeit, Übereinstimmungen wahrzunehmen, den „Blick auf eine Ordnung zu erhaschen, die allem zugrunde liegt“.
Der Schriftsteller John Berger, der in der vergangenen Woche gestorben ist (SZ vom 4. Januar), hat dieser geheimen Ordnung der Fotografie lange nachgeforscht. Ein Sammelband mit seinen Essays, Skizzen und Porträts erlaubt es, einen Blick auf Bergers eigene Ordnungen zu erhaschen. Die Stücke zeigen, mit welch feinem Gespür er Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Dingen wahrnahm. Etwa zwischen einem Foto und einem Gemälde. Die Malerei, so Berger, übersetzt reale oder vorgestellte Dinge in ein Gefüge aus Zeichen. Ein Foto indessen bezieht sich immer auf Reste von Geschehenem, auf Erscheinungen. Genauer: Es besitzt keine eigene Sprache, sondern es zitiert lediglich Erscheinungen.
John Berger war auch Maler. Zuletzt hatte er in „Bentos Skizzenbuch“ (2011) Zeichnungen und Texte zusammengebracht und über das Schreiben nachgedacht: „Wenn wir einer Geschichte folgen, bleiben wir dem Erzähler auf der Spur, oder besser, wir folgen seinem Augenmerk – dem, was seine Aufmerksamkeit entdeckt, worauf sie verweilt, was sie übersieht oder wiederholt“. Das liest sich wie ein kleines Selbstporträt. Berger war ein leidenschaftlicher Augenmensch, der einem Phänomen nachging, es analysierte und deutete, um kurz darauf zu einer anderen Erscheinung zu hüpfen.
Dennoch gibt es so etwas wie grundsätzliche Ideen, die seine Schriften zur Fotografie durchziehen. Berger dachte das Leben als ein stets bewegliches Gefüge aus Erfahrung. Die Erscheinungen haben für ihn die Qualität von Offenbarungen, wobei er Offenbarung in einem nicht-religiösen Sinn verstand: Etwas tritt uns als bedeutungsvolles Ganzes entgegen. Das Foto schneidet ein Bild aus dieser Bewegung der Zeit, entnimmt es seinem Zusammenhang. Es friert den Augenblick ein und macht ihn auf diese Weise vieldeutig.
Eine gute Fotografie nutzt diese Vieldeutigkeit. Sie wird ausdrucksstark dadurch, dass sie den Offenbarungscharakter der Erscheinungen verstärkt, gleichsam quer durch sie hindurchliest und eine Idee aufscheinen lässt. Freilich, das betont Berger ein ums andere Mal, kann jedes Foto für die unterschiedlichsten Zwecke gebraucht oder gar instrumentalisiert werden. Nicht von ungefähr setzte er sich in einem Essay mit den Möglichkeiten der Fotomontage auseinander. Anderen Texten senkte er seine eigene Deutung der historischen und politischen Entwicklungen ein. Das beginnt bei Stücken, die sich kritisch mit dem Vietnamkrieg beschäftigen, und endet bei sehr klugen Gedanken zum Wesen der Revolution. Fotos lassen sich für Berger auch als Einspruch gegen eine übermächtige Vorstellung von Geschichte denken. Sie halten die Erinnerung an Momente der Zeitlosigkeit oder des Traums wach, können zudem den Toten Respekt zollen.
Tatsächlich ist dieser Band vor allem ein Buch über das Sehen und die Erinnerung. Nicht nur, weil Berger seine Gedanken immer aus der Anschauung heraus entwickelt. Er betrachtet Fotografien und taucht in das Leben großer Fotografen ein, es mag sich um André Kertész handeln oder um Martine Franck. Wenn er über das Sehen nachdenkt, stützt er sich auf seine Erfahrungen, liest aber auch nach, was die moderne Naturwissenschaft über die Wahrnehmung herausgefunden hat und knüpft daran seine Deutungen. Wer die Welt auf das Messbare begrenzt, der zielt am Rätsel des Sehens vorbei: „In jedem Akt des Sehens liegt die Erwartung von Sinn.“ Was nicht bedeutet, es müsste auch jedes Mal ein Sinnganzes zu entdecken sein. Berger ging es vielmehr um eine grundsätzliche Offenheit des Wahrnehmens.
Und die Erinnerung? Zwar arbeitet die Fotografie einfacher als die Erinnerung, für Berger aber gab es kein Ausdrucksmittel, das ihr näher sein könnte. Beide stellen sich dem Vergehen der Zeit entgegen, beide sammeln Bilder des Moments und sorgen für Gleichzeitigkeit. Was Bergers Essays an solchen Stellen vermissen lassen, ist ein Bewusstsein für die Brüchigkeit von Erinnerungen. Sind es nicht oft nur Splitter, die in jedem Erinnerungsvorgang zudem neu zugeschliffen werden? Dafür hat sein Festhalten an der Idee des Sinns bisweilen etwas fast Tröstliches. Ein unverwüstlicher Glaube an eine „alternative Zukunft“ ist den Texten eingeschrieben. Und auch wenn offen bleibt, wie genau diese Zukunft aussehen könnte, gewiss hat sie etwas mit einem Gespür für entscheidende Augenblicke zu tun.
NICO BLEUTGE
John Berger: Der Augenblick der Fotografie. Essays.
Herausgegeben von Geoff Dyer. Aus dem Englischen von Hans Jürgen Balmes und anderen. Carl-Hanser-Verlag, München 2016. 272 Seiten,
22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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"Seine Betrachtungen über einzelne Werke und Künstler waren große Literatur, nicht in dem Sinne, dass sie fiktional gewesen wären, sondern als erzählerische Erkundung all der Geheimnisse, die sich in und hinter der Kunst verbergen." Ralf Schlüter, art, März 2017

"Die Stücke zeigen, mit welch feinem Gespür Berger Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Dingen wahrnahm. ... Er war ein leidenschaftlicher Augenmensch, der einem Phänomen nachging, es analysierte und deutete, um kurz darauf zu einer anderen Erscheinung zu hüpfen. ... Vor allem eine Buch über das Sehen und die Erinnerung." Nico Bleutge, Süddeutsche Zeitung, 09.01.17

"Man möchte langsamer lesen, um noch mehr sehen zu können von dem, was Berger mit Worten so treffend beschreibt. Denn für uns Leser ist es auf jeden Fall ein Glück, dass er in die schreibende Zunft gewechselt ist." Kirstin Breitenfellner, Falter, 47/2016

"Kunst, Fotografie, das Werk der Hände - die überraschend luziden Bezüge zwischen den vielen Tätigkeiten der Menschen machen das Geheimnis seiner Essays aus." Hans Jürgen Balmes, Süddeutsche Zeitung, 04.11.16

"Seine Bücher geben keine Handlungsanweisungen, aber sie fordern ihre Leser auf, sich zu verhalten, und sie pflanzen ihnen einen gesunden Widerstandsgeist ein, der mehr als nur ein Gefühl von Freiheit in sich trägt." Gregor Dotzauer, Tagesspiegel, 05.11.16

"John Bergers Essays zur Fotografie zu lesen, heißt, ihm in eine Welt der Zuneigung, der Behutsamkeit und des Zorns über die maßlose Ungerechtigkeit der kapitalistischen Weltordnung zu folgen." Andrea Gnam, Photonews, 12/2016…mehr