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Im 19. Jahrhundert stand die Kunst des Liebesbriefs in voller Blüte. Die Briefe sollten jene innigen Gefühle heraufbeschwören, nach denen sich das schicksalhaft getrennte Paar sehnte. Sie beflügelten die Phantasie und bereicherten die Sprache. Dieter Hildebrandt präsentiert in seinem neuen Buch bedeutende Liebesbriefe von Lessing bis Ingeborg Bachmann. Es sind Dokumente der Leidenschaft und der Verzweiflung, des Glücks und der Angst, und es sind Versuche, Raum und Zeit mit aller Kraft zu überwinden, die Schrift und Sprache zur Verfügung stehen. "Küsse lassen sich nicht schreiben." Wer hätte…mehr

Produktbeschreibung
Im 19. Jahrhundert stand die Kunst des Liebesbriefs in voller Blüte. Die Briefe sollten jene innigen Gefühle heraufbeschwören, nach denen sich das schicksalhaft getrennte Paar sehnte. Sie beflügelten die Phantasie und bereicherten die Sprache. Dieter Hildebrandt präsentiert in seinem neuen Buch bedeutende Liebesbriefe von Lessing bis Ingeborg Bachmann. Es sind Dokumente der Leidenschaft und der Verzweiflung, des Glücks und der Angst, und es sind Versuche, Raum und Zeit mit aller Kraft zu überwinden, die Schrift und Sprache zur Verfügung stehen. "Küsse lassen sich nicht schreiben." Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Otto von Bismarck zu solch poetischen Höhenflügen imstande war?
Autorenporträt
Hildebrandt, DieterDieter Hildebrandt, 1932 in Berlin geboren, lebt heute als freier Schriftsteller im Spessart.Im Carl Hanser Verlag sind zuletzt erschienen: Schillers erste Heldin (Das Leben der Christophine Reinwald, geb. Schiller, 2009), Das Berliner Schloss (Preußens leere Mitte, 2011) und Die Kunst, Küsse zu schreiben (Eine Geschichte des Liebesbriefes, 2014).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieter Hildebrandt hat sich mit "Die Kunst, Küsse zu schreiben" einiges vorgenommen, verrät Renate Stauf, eine Odyssee durch eine "Flut von Papier und anderen Botenstoffen" will er unternehmen und eine Geschichte der Liebesbriefe schreiben, zu denen für den Autor der Apfel im Paradies, der mittelalterliche Minnesang und die Sonette Shakespeares genauso gehören wie eben der klassische Brief, erklärt die Rezensentin. In ihren Gemeinsamkeiten drückt sich für Hildebrandt die "Ungeschichtlichkeit der Liebe" aus, die sich nur durch verschiedene Konventionen unterscheiden, so Stauf, und schon immer stellte sich das Problem, wie der unmittelbare, individuelle Ausdruck der Gefühle sich den jeweiligen Konventionen widersetzen könnte. Das ist ganz schön viel auf einmal, findet die Rezensentin. Immerhin tauchen bei Hildebrandt zahlreiche Fragen auf, über die weiter nachzudenken sich lohne, meint Stauf, die aber weiterhin auf eine historisch-systematische Geschichte des Liebesbriefs hofft.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2014

Ein bisschen Verstellung ist immer dabei

Dieter Hildebrandt verfolgt das Schicksal des Liebesbriefs durch die Zeiten. Und er weiß, warum das Genre auch im Digitalzeitalter nicht umzubringen ist.

Es gibt ihn vermutlich, seit der Mensch über Sprache und Schrift verfügt. In den Liebesratgebern vergangener Zeiten steht er am Anfang aller Verführungskunst. Heute behauptet der Liebesbrief seinen Platz in den digitalen Medien; allen modernen Totsagungen zum Trotz. Kaum ein anderes Kommunikationsmedium hat sich so anpassungs- und wandlungsfähig gezeigt. Und über kaum ein anderes wissen wir so wenig.

Dabei ist das Interesse groß, wie nicht nur an der Fülle jüngerer Liebesbriefeditionen abzulesen ist. Briefwechsel wie die zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann, Marion und Wolfgang Koeppen, Meinrad Inglin und Bettina Zweifel sorgten für Aufsehen. In der neueren Sprach- und Literaturwissenschaft zeigt sich, wie sehr sich vor dem Hintergrund konkreter Liebeskorrespondenzen die als sicher geltenden Bilder von Epochen verändern können. An Einzelfällen wird eine Integrationskraft des Liebesbriefs für wissenschaftliche, künstlerische, familiäre und soziale Diskurse offenbar, die es als empfindlichen Mangel erscheinen lässt, dass die Kulturgeschichte des Liebesbriefs bisher ungeschrieben blieb.

Dieter Hildebrandts Buch über die "Kunst, Küsse zu schreiben" kann und will diese Lücke nicht schließen. Von Briefen ist über weite Strecken seines Parforceritts durch die Jahrhunderte nicht einmal die Rede. Dennoch wird an dieser kenntnisreichen Zeitreise der Liebe jeder sein Vergnügen finden, der es zu schätzen weiß, Altbekanntes in neuer Beleuchtung wahrzunehmen und dabei auf manchen Solitär zu stoßen.

Ob es von Belang ist, sich den verbotenen Apfel im Paradies als "ersten Liebesbrief" vorzustellen, dem sich die "Erbsünde als jauchzende Ekstase" verdankt, den Minnesang als eine "Fanfare der Lust", als den "wildesten Liebesbrief aller Zeiten" zu lesen oder Shakespeares Sonette als die "größte Sammlung homoerotischer Liebesbriefe" zu begreifen, sei dahingestellt. Die mitreißende Sprachlust des Autors setzt mehr auf Leidenschaft und Dramatik: "Wittenberg! Was Hamlet verwehrt wurde, gelingt hier: Wir sind in Wittenberg. Aus dem Bann des Sonetts befreien wir uns zur Prosa der Reformation. Aus dem Klangteppich der Liebeslyrik fallen wir in die Drastik lutherischer Fleischeslust." Davon ist im Folgenden mitnichten die Rede.

Hildebrandts Geschichte des Liebesbriefs ist voller Sprünge und Würfe. Zum einen will sie davon überzeugen, dass dem "Lebenshauch", der uns seit mehr als tausend Jahren aus den "Strandgütern der Liebe" zuströmt, etwas Archaisch-Zeitloses anhaftet. Zum anderen werden der behaupteten "Ungeschichtlichkeit der Liebe" und der Vorstellung vom "innersten Impuls des wahren Liebesbriefs" Beobachtungen des Wandels gegenübergestellt. So etwa, wenn der Liebe bei Petrarca "eine neue Sprache" und ein neuer "Klang" zugeschrieben oder Luthers Ehebriefe als "Besiegelung einer anthropologischen Wende" gelesen werden.

Aufschlussreiches findet sich beispielsweise in dem klugen Kapitel zu Gellerts Brieflehre und Briefpraxis, wo der Erfinder der natürlichen Briefsprache als raffinierter Briefstratege erkannt wird. Anstelle der propagierten Unterhaltung zwischen Abwesenden wagen Gellerts eigene Briefe etwas ganz anderes: "Sie sind nicht weniger als ironische Versenkungen ins ferne Gegenüber, Kabinettstücke des Rollentauschs, ein durchtriebenes Qui pro quo."

Spätestens seit der Romantik übt sich die Liebesbriefkultur des bürgerlichen Zeitalters unentwegt in solcher Kunst der Verstellung. Ob bei Goethe, Caroline Schlegel, der Günderrode, Kleist, Beethoven oder bei Clara Schumann - "spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr" (Schiller). Das gilt erst recht für die Korrespondenzen von Gutzkow, Keller, Bismarck, Rosa Luxemburg, Kafka oder Karl Kraus. Noch in ihren individuellsten Ausdrucksformen wird die briefliche Liebesrede von sprachlichen Klischees eingeholt und umstellt. Derridas kategorischer Satz, "dass es nichts jenseits der écriture gibt", erweist sich als unhintergehbar.

Verlorengegeben wird auch der Glaube an die Wahrheit des Moments, der von Richardson bis zu Goethe noch die ganze "Beseligung" der Liebesbotschaften ausgemacht hatte. Kellers Satire auf den Liebesbrief ("Die mißbrauchten Liebesbriefe") deckt das Wissen um die Konventionalisierung der Gefühle auf und demonstriert, wie leicht das Papier zum "ungetreuen Boten" werden, der den richtigen Sinn falsch oder den falschen Sinn richtig übermitteln kann.

Vielleicht kann das Schreiben der Liebe seine Beredsamkeit und seine Intensität gerade deshalb noch im zwanzigsten Jahrhundert von den "alten Mustern" beziehen. So etwa bei Karl Kraus, der in seinem Werben um Sidonie Nádherný von Borutin zum modernen Minnesänger wird: "(...) dieser schneidende Prosaist bekam eine zweite Stimme, mit der er zwei Jahrzehnte lang, bis zu seinem Tod, eine Frau besang, die ihn wie ein entrücktes Burgfräulein oder eine Hohe Frouwe durch ein Wechselspiel aus Nähe und Distanz in eine uralte Rolle zwang".

Was es tatsächlich bedeutet, wenn ein moderner Autor einen solchen Rollencharakter einnimmt, bleibt unerörtert. Eine historisch-systematische Erkundung der Liebesbriefkultur findet nicht statt. Hildebrandt will seine Geschichte des Liebesbriefs als Odyssee verstanden wissen, "als eine mut(willige) Passage durch ein Meer von Tränen (auch der Freude), durch eine Flut von Papier und anderen Botenstoffen, vorbei an den Wirbeln alter und neuer Leidenschaften und immer wieder abgelenkt vom Anbranden unserer Gegenwart". Das ist vielleicht ein bisschen viel auf einmal. Aber man kann über manches in diesem Buch sicherlich noch weiter nachdenken.

RENATE STAUF

Dieter Hildebrandt: "Die Kunst, Küsse zu schreiben". Eine Geschichte des Liebesbriefs.

Carl Hanser Verlag, München 2014. 409 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Dieter Hildebrandt verfolgt das Schicksal des Liebesbriefs durch die Zeiten. Und er weiß, warum das Genre auch im Digitalzeitalter nicht umzubringen ist." Renate Stauf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.05.14