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Chuck, der Held aus Wolf Wondratscheks berühmtem Gedichtband "Chuck's Zimmer", ist erwachsen geworden. Er hat sich selbst ein Geschenk gemacht und einen Sohn gezeugt, der jetzt 14 ist und die gleichen Symptome zeigt, die Chuck zum Rebellen werden ließen: Er möchte mit der Elternwelt nichts zu tun haben. Er mault und muffelt und hört nicht zu, wenn der Vater mit großem Pathos seine Wahrheiten verkündet. Wiederholt sich das Problem der 68er-Generation? Wolf Wondratschek versucht, durch die komische und traurige Erzählung der Geschichte des Vaters etwas über den Sohn herauszufinden. Der Sohn…mehr

Produktbeschreibung
Chuck, der Held aus Wolf Wondratscheks berühmtem Gedichtband "Chuck's Zimmer", ist erwachsen geworden. Er hat sich selbst ein Geschenk gemacht und einen Sohn gezeugt, der jetzt 14 ist und die gleichen Symptome zeigt, die Chuck zum Rebellen werden ließen: Er möchte mit der Elternwelt nichts zu tun haben. Er mault und muffelt und hört nicht zu, wenn der Vater mit großem Pathos seine Wahrheiten verkündet. Wiederholt sich das Problem der 68er-Generation? Wolf Wondratschek versucht, durch die komische und traurige Erzählung der Geschichte des Vaters etwas über den Sohn herauszufinden. Der Sohn bleibt natürlich ein "Geschenk", auch wenn er den Vater an die Grenzen der Verzweiflung treibt.
Autorenporträt
Wondratschek, Wolf
Wolf Wondratschek, 1943 geboren, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt am Main. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2011

Die alte Welt zerfällt
Wolf Wondratscheks legendärer Held Chuck hat einen Sohn bekommen

Ein sehr unwahrscheinlicher Vater, dieser Chuck. Er hätte dieses Versprechen gar nicht zu geben brauchen, damals, 1974, als er als Held von Wolf Wondratscheks Gedichtband "Chuck's Zimmer" mit den Worten verabschiedet wurde: "Chuck, der sein Kind liebt, / das nie zur Welt kommen wird." Es war schon klar, dass dieser Chuck weiter allein durch die Welt ziehen muss. Von Liebe zu Liebe, von Boxkampf zu Boxkampf, von Rausch zu Rausch. "Chuck's Zimmer" - das waren Gedichte für die Massen, das war einer der erfolgreichsten Gedichtbände in Deutschland nach dem Krieg. 300 000 Mal wurde er verkauft, und die Geschichte des Helden begann so: "Chuck wacht auf / die Erde ist leer." Ein Mann im Kosmos seiner selbst, Kontakt zur Welt nur im Vorübergehen.

Er ging allein, und sein Schöpfer Wondratschek überließ ihn die meiste Zeit sich selbst. Lange schon schreibt er kaum noch Gedichte, sondern Prosa, Erzählungen meist, obwohl er im Chuck-Gedichtband selbst mahnend geschrieben hatte: "The trouble with fiction is that it makes too much sense." Als Prosa-Autor ist Wondratschek lange schon kein Schriftsteller für die Massen mehr. Aber er lässt sich nicht kleinkriegen, schreibt und schreibt sein Werk fort. Aber wenn er jetzt, 37 Jahre nach dem Erscheinen von "Chuck's Zimmer", den alten Helden wiederauferstehen lässt, dann klingt das erst mal nach einer sehr riskanten Idee: Wer will den strahlenden Kämpfer von einst im Alter wiedersehen? Muss das nicht larmoyant werden, verlogen, rührselig, schlapp - ein Schattenspiel, nur dem krampfhaften Bemühen des Autors geschuldet, an vergangene Erfolge anzuknüpfen? Und dann noch die Transformation des Helden, aus der maximal wortreduzierten Wondratschekschen Lyrik-Leichtigkeit hinüber ins Langatmig-Erzählte?

Nein, das konnte wohl nicht gutgehen. Ist es aber.

Also, der unwahrscheinliche Vater Chuck ist Vater geworden, vor vierzehn Jahren schon, wir hatten nur noch nichts davon gehört. Das hat - so kitschig und sich-von-selbst-verstehend muss man es wohl sagen - sein Leben umgedreht, einmal um die eigene Achse: neuer Mensch, neue Welt. Chuck sagt es so: "Was war das, Vater zu sein? Es ist nichts, dachte er, wenn es nicht da ist, und wenn es da ist, hört es nie mehr auf." Natürlich wollte Chuck das nicht, das Kind, den Sohn. Vor allen anderen Dingen hasst Chuck die Gewöhnlichkeit, und was, bitte, ist gewöhnlicher, bürgerlicher, langweiliger als ein Kind? Es beginnt schon mal mit der fatalen Erkenntnis seiner Machtlosigkeit. Die junge Frau, Geliebte im Vorübergehen, ist an Chucks Einspruch gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft überhaupt nicht interessiert. Ein Schock für Chuck: "Erst einmal hatte er mehr als mit der schwierigen Wahrheit, sich fortgepflanzt zu haben, mit den Besitzansprüchen einer jungen Mutter zu kämpfen, die ihre eigenen Ansichten hatte, was von Chucks Entscheidung zu halten war, keine Familie gründen zu wollen."

Und das ist nur der Anfang seiner Machtlosigkeit. Erst kann er nicht verhindern, dass sein Kind auf die Welt kommt. Dann darf er es nicht sehen. Denn die Mutter hat überhaupt kein Interesse daran, dem Mann, der mit aller Macht die Geburt des Kindes verhindern wollte, nun den Kontakt zu ihm zu ermöglichen. Chuck kann es nicht fassen. Die Macht in diesem grandiosen Selbstbestimmungsleben ist ihm einfach aus der Hand genommen worden. An einem Tag, in einer Nacht der Unachtsamkeit. Er wird sie nie mehr zurückgewinnen, die alleinige Herrschaft über sein Leben. Aber er wird es auch nicht wollen. Nichts will er so wenig wie dieses alte Leben.

Wolf Wondratschek erzählt von diesem alten Chuck, als wäre er der Held eines großen Gedichts. So klar, so hell, so direkt ist der Prosa-Autor Wondratschek noch nie gewesen. Dieser Chuck scheint ihm nahe zu sein wie keine andere Figur aus dem Kosmos seines Werks. Die Verzweiflung, die Einsamkeit, die Liebe dieses Chuck sind unbedingt glaubwürdig in jeder einzelnen Zeile.

Das Buch beginnt im Moment des Scheiterns. Chuck ist pleite, keine Einkünfte, keine Ersparnisse, die Bücher, die er schreibt, finden kaum Käufer. Zum Leben reicht das alles nicht. Zeit für eine grundsätzliche Ansprache an den Sohn. Er darf ihn inzwischen sehen, selten nur und zu von der Mutter zugeteilten Zeiten, aber sie sehen sich. Chuck redet also, wie das so ist mit dem Geld, dass Geld es spüre, wenn man es nicht schätze, und dass es sich dann einen anderen suche, der seinen Wert zu schätzen wisse. Chuck-Weisheiten - ganze Seiten voll: "Geld verdirbt einem die Armut." "Wichtiger als Geld ist die Ruhe dessen, der keines hat." Und so weiter. Der Sohn hält die Ohren fest verschlossen: "Sein Sohn saß wie erstarrt da, zusammengekrümmt und auf Augenhöhe mit der Tischkante, bereit zu feuern - was für Chuck kein Grund war, verärgert oder enttäuscht zu sein. Er wußte, daß Kinder das können, zuhören und nicht zuhören, beides gleichzeitig; er selbst hatte das perfekt beherrscht."

Auf diesem dünnen Seil muss der Vater jetzt balancieren. Einerseits ist er ungeheuer stolz auf die trotzige Widerständigkeit seines Sohnes, der sich von niemandem, am wenigsten jedoch von seinem Vater irgendwelche Weisheiten mitgeben lässt. Glücklich und sich selbst erkennend, registriert Chuck jede Faser revolutionären Eigensinns bei seinem Sohn. Doch auf der anderen Seite: Wohin mit den ganzen grundsätzlichen Lebenserkenntnissen, die er ein Leben lang gesammelt hat? Den Gesetzen des Lebens, die nur er kennt und die er weitergeben muss, um ihm, dem Chuck-Sohn, das Leben zu erleichtern und zu erleuchten: Bleib widerständig, aber mach die Ohren auf, wenn ich mit dir rede!?

Sie zerfällt einfach, die alte, große, ewige Chuck-Welt, vor den verschlossen Ohren dieses Sohnes. Natürlich hält er trotzdem an ihr fest, er hat ja keine andere. Aber sie ist, er weiß es, ein wenig lächerlich geworden, die ewigen Erkenntnisse ein wenig weniger gewiss. Dieses Lachen, dieses Schaudern, dieses Zweifeln, diese ganze Erschütterung des Chuck-Gebäudes tun dem Buch, tun dem Stil, in dem es geschrieben ist, ungeheuer gut. Dieser männerstolze Chuck ist, ein wenig, eine lächerliche Figur. Ausgerechnet eine Frau, die Mutter ihres Kindes, überblickt als Einzige die Lage. Einmal machen sie zu dritt einen Ausflug: "Chuck am Steuer, sein Sohn hinten, mit unterschiedlicher Begeisterung bei der Sache. Sie sagte es ihm, als der Kleine mal pinkeln mußte. Warum kannst du ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Fällt dir nicht auf, daß du ihm andauernd alles erklären willst?" Und, nachdem sie seine zweifelhaften Ansichten über Frauen lässig zurückgewiesen hat, ihr schöner Satz: "Mach ihn nicht mit deinem Gerede blind."

Dieser Chuck erleidet im Alter eine Niederlage nach der anderen, muss sich also inzwischen schon von Frauen belehren lassen! Einstürzende Gewissheiten machen das Leben neu - und das Schreiben scheinbar leicht. Reduziert, knapp, melodisch, bilderreich und oft großartig schön: "Wie lieben Frauen wie sie? Auf hoher See sozusagen, wenn der Himmel die Engelsleiter entrollt?"

Die schönsten Bilder, die schönsten Sätze findet Wondratschek für das Alter, eine Melancholie des Abschiednehmens, eine Trauer grundiert dieses Buch, die nicht zu trösten ist: "Es ist die Erinnerung, die, wenn man alt ist, näher und näher kommt, die Traurigkeit, die weh tut, vielleicht." Die Menschen um ihn herum, seine Freunde, sterben, einer nach dem anderen. An Neuanfänge ist nicht mehr zu denken. Was bleibt, ist die Kunst. Und die Fähigkeit, ein neues, ein anderes Leben sich auszudenken.

Natürlich lernt er das vor allem beim Spielen mit seinem Sohn, beim Schein-Angeln vom Bett aus, beim Braten des Fisches auf einem fiktiven Feuerchen. Beim gemeinsamen Grillen von Affenfleisch und Klapperschlangen. wenn er, zusammen mit seinem Sohn, in ein Buch einzieht, ein neues Buch, mit einer neuen Geschichte.

"Tun wir, was wir tun müssen. Machen wir weiter. Machen wir staunen. Auch wenn das Schreiben von Büchern immer mehr nur noch einer Zeremonie gleicht, einer einsamen ungeselligen Beschäftigung, weitermachen mit den Büchern, mit dem Glauben daran", schreibt Wondratschek. Ein heroischer Kampf. Er hat gewonnen.

VOLKER WEIDERMANN

Wolf Wondratschek: "Das Geschenk". Hanser-Verlag, 170 Seiten, 17,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.04.2011

Der gelungene Kartenspielertrick
Was macht eigentlich Chuck? In seinem neuen Buch „Das Geschenk“ blickt Wolf Wondratschek in den Rückspiegel seines Lebens – und seiner Literatur
Die einfachsten Tricks sind oft die besten, das ist in der Literatur nicht anders als beim Kartenspiel. Wolf Wondratschek nennt den Helden seines neuen Buches Chuck und legt damit einen Köder aus. Denn Chuck, so hieß auch das Alter Ego seiner frühen Gedichte, jene auf der Grenze zwischen Literatur und Leben balancierende Kunstfigur, die seinem erfolgreichsten Gedichtband den Titel gab. „Chuck’s Zimmer“, das klingt nach den bundesrepublikanischen siebziger Jahren. Wer sich damals für Rock und Lyrik interessierte, der kennt diesen Namen. Und mittlerweile hat er als Sound der eigenen Jugend selbst für jene einen guten Klang, die sich für Wondratscheks Gedichte nicht erwärmen konnten.
Dass Wolf Wondratschek, das lyrische Großmaul der Siebziger und das sprichwörtliche „Arschloch der achtziger Jahre“, nach einer langen Durststrecke wieder Konjunktur hat, liegt nicht zuletzt am geschickten Umgang mit diesem Mythos. Chuck ruft ihn auf, Chuck hält ihn wach, aber Chuck ist es am Ende nicht gewesen. Denn Chuck ist eine Kunstfigur, die den Leser geradezu herausfordert, das biographische und das erfundene Ich miteinander zu identifizieren. Sie verschafft dem Autor freie Hand beim Spiel mit Dichtung und Wahrheit. „Das Geschenk“ ist vor allem deshalb ein bemerkenswertes Buch, weil es eine große Frage verhandelt: Wie man das wilde Leben überleben und sich trotzdem noch in die Augen sehen kann.
Wer einst als junger Wilder unterwegs war und heute noch am Leben ist, muss ein Spießer sein. Das ist der Verdacht, der diesem Buch zugrunde liegt. Er richtet sich nicht nur gegen den Autor selbst, sondern auch gegen den Leser. Wer dieses Buch feiert und Chuck tatsächlich noch von früher kennt, läuft Gefahr, die eigene Jugend nostalgisch zu verklären, die ganz so wild eben doch nicht gewesen sein kann. Der eigentliche Genuss der Lektüre aber steckt in der Beobachtung all der Taschenspielertricks, die Wondratschek anwendet, um den Verdacht von sich selbst abzulenken.
Im Zentrum stehen zwei biographische Ereignisse auf Leben und Tod, der Drogenentzug nach jahrelangem Kokainkonsum und die Geburt des Sohnes Anfang der neunziger Jahre. Zum Zeitpunkt des Erzählens ist der Sohn bereits vierzehn, er lebt bei seiner Mutter und schaut nur gelegentlich bei Chuck vorbei, der in den wenigen gemeinsamen Stunden demonstrativ cool, aber eben doch sichtbar beteiligt, um die Gunst des seltenen Gastes wirbt.
Diese Szenen sind nicht zuletzt deshalb von erhellender Komik, weil Chuck passiert, was er sich nie vorstellen konnte: Er versteht den eigenen Vater und muss ihm Abbitte leisten, und er ist selbst in der Position des Werbenden, desjenigen, der um Liebe bettelt, und damit in der Position all der Mädchen und Frauen, die nach der Verführung um Zuneigung winselten.
Dass Wolf Wondratschek ein guter Spieler ist, zeigt sich auch daran, dass er das nicht verschweigt, sich also an die Regeln des Offenbarungsspiels hält, sie aber zugleich zu seinen Gunsten wenden will. Das gelingt nur, weil er von sich selbst in der dritten Person erzählt und damit nach Bedarf zwischen Innen- und Außensicht wechseln kann. So kann er beschreiben, dass Chuck von außen genauso lächerlich aussieht wie alle Väter, auch wenn er sich immer noch wie der einsame Cowboy fühlt, über dessen Posen sich der Sohn lustig macht.
Der Wechsel zwischen Innen- und Außensicht prägt auch die geradezu slapstickartige Szene bei einer Urologin. Die Ärztin ist dummerweise ausgesprochen schön, und so fällt es Chuck entsprechend schwer, ihr nur als Patient mit Miktionsbeschwerden gegenüberzustehen. Also versucht er, ein wenig mit ihr zu flirten, sie solle das noch mal mit den Augen machen, was sie soeben getan habe: mit den Blicken tanzen. Doch die alten Tricks verfangen nicht, stattdessen bittet die Schöne um sein Ejakulat, das er in einem dafür vorgesehenen Raum mit Hilfe von Zeitschriften gefälligst allein ans Tageslicht befördern soll.
Der eigentliche Coup dieser Vater-Sohn-Geschichte aber ist ihre Verknüpfung mit dem Drogenentzug und mit dem Bild des abgebrannten Schriftstellers, der kein Geld für eine Entzugsklinik hat. Also greift er zu Selbstrettungszwecken auf die gängige Praxis älterer Männer zurück, ein junges Mädchen mit Statussymbolen zu verführen (Dichterpose, Chevrolet), und verbindet die Ruchlosigkeit dieser Handlung mit dem literarischen Motiv der verführten Unschuld. So gelingt ihm beides zugleich: das Eingeständnis einer moralischen Verfehlung und ihre Überhöhung im Namen der Literatur. Noch bevor ihm die junge Frau erzählen kann, dass sie schwanger ist, wirft er die Notration Kokain ins Klo und spült sie in den Orkus. Doch erst am Tag der Entbindung ist er seine Sucht für immer los. „Es war der Vater so neu geboren wie der Sohn.“
Es ist weniger die Tatsache, dass die daraus entstehende dysfunktionale Familie aus drei Generationen besteht, Vater und Sohn trennt fast ein halbes Jahrhundert, die Mutter wiederum ist fünfundzwanzig Jahre jünger als der Vater, sondern es ist das Ergebnis einer sprachlichen Operation, mittels derer Wolf Wondratschek das eigene Vatersein zugleich vorführt und dementiert. Indem er den Drogenentzug und die Geburt des Sohnes verbindet und die Rückeroberung des eigenen Körpers als Wiedergeburt schildert, leugnet er das Generationenverhältnis auf symbolischer Ebene. Chuck und sein Sohn werden zu Brüdern, wenn nicht gar zu Zwillingen.
Die Augen als Fenster zur Seele sind das durchgängige Motiv des Buches. Als der Sohn dem Vater bei einem Treffen einen Kartenspieltrick vorführt, reißt ihn das Gelingen aus der Lethargie. Zum ersten Mal schaut er ihm strahlend direkt in die Augen. Und als die Mutter wieder einmal am abweisenden Verhalten des Sohnes verzweifelt, beschwichtigt Chuck sie mit dem Argument, es gebe „ein untrügliches Zeichen dafür, dass einer ein guter Junge ist“: „Daß er einem direkt in die Augen schauen kann!“ Und eben das könne er, selbst in unangenehmen Situationen.
Die Scham, im Gegensatz zu vielen Weggefährten das wilde Leben überlebt zu haben, ist diesem Buch auf eigentümliche Weise eingeschrieben. Im Schlepptau seiner Hauptfigur zieht „Das Geschenk“ eine Zeit ans Licht, die nicht verklärt wird, aber ebenso wenig verraten werden soll. Dass Chuck am eigenen Kind die Normalität feiert – „das ganz normale, gesunde, robuste Exemplar eines Jungen!“ –, ist ein spätes Dementi der eigenen Außenseiterrolle. Wolf Wondratschek will wieder dazugehören, und er hat diesen Wunsch mit einem Buch in Szene gesetzt, das mehr über ihn verrät, als er selbst zugeben kann.
MEIKE FESSMANN
WOLF WONDRATSCHEK: Das Geschenk. Carl Hanser Verlag, München 2011. 176 Seiten, 17,90 Euro.
Ein untrügliches Zeichen dafür, dass einer ein guter Junge ist? Dass er einem in die Augen schaut: Wolf Wondratschek im Café Sperl in Wien. Foto: Sepp Dreissinger
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fast bekenntnishaft enthusiastisch kommt Ernst Osterkamps Besprechung dieses neuen Romans um Chuck daher, den Mann, den man als Wondratschek-Leser von früher kennt. Da waren freilich alle noch jünger: darum ist dies nun das Porträt eines älteren Mannes. Der allerdings, darum geht es, wundersam verjüngt wird durch die Geburt eines Sohnes, mit dem nicht mehr zu rechnen war. Die Mutter des Kinds haut Chuck dabei übers Ohr, im Roman selbst kommt sie entsprechend kaum vor, summa summarum findet der Rezensent das, weil Chuck ja weiß, was für ein Arschloch er sein kann, aber in Ordnung. Wie er überhaupt das "Cowboy"-Hafte des Protagonisten nicht weniger goutiert als die gelassene Erzählhaltung Wolf Wondratscheks, der mit diesem Buch seine alten Fans, denkt Osterkamp, erfreuen und unter dem jüngeren Publikum mühelos neue finden sollte.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Wolf Wondratschek kehrt zu seinem alten Helden Chuck zurück und beschert ihm und uns mit 'Das Geschenk' pure Lebens- und Lesefreude." Ernst Osterkamp, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.11 "Ein gutes, weises, humorvoll-wehmütiges Buch." Gerald Schmickl, Wiener Zeitung, 09.04.11 "Nicht nur eine spannende Liebeserklärung an den Sohn, sondern auch ein flammendes Plädoyer für die Literatur." Andreas Tobler, Basler Zeitung, 11.03.11 "'Das Geschenk' ist vor allem deshalb ein bemerkenswertes Buch, weil es eine große Frage verhandelt: Wie man das wilde Leben überleben und sich trotzdem noch in die Augen sehen kann." Meike Fessmann, Süddeutsche Zeitung, 2./3.11.11 "Wolf Wondratschek erzählt von diesem alten Chuck, als wäre er der Held eines großen Gedichts. So klar, so hell, so direkt ist Wondratschek noch nie gewesen. ... Die Verzweiflung, die Einsamkeit, die Liebe dieses Chuck sind unbedingt glaubwürdig in jeder einzelnen Zeile. ... Reduziert, knapp, melodisch, bilderreich und oft großartig schön." Volker Weidermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.02.11 "Seit Peter Handkes "Kindergeschichte" von 1983 wurde in der deutschen Literatur nicht bezwingender, berührender über das Vatersein geschrieben, wurden die Pole dieser Erfahrung, ihre Stinknormalität und ihre Existenzwucht, nicht so leichthändig verdichtet. Es ist ein Buch ohne jede Erzählschwere. ... Ein kleines Meisterwerk. Dies verdankt sich nicht zuletzt der Haltung, dem Ton des Textes, der Mischung aus Ernst und Selbstironie, aus lässiger Vergnügtheit und wehmütiger Melancholie." Ursula März, Die Zeit, 17.03.11"Wondratschek kann sie noch immer, die Sätze, die sitzen wie eine linke Gerade." Christoph Schröder, Frankfurter Rundschau, 09.06.11…mehr