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Die Welt des großen Zeichners Piranesi ist eine Welt der Ruinen und der Labyrinthe. Wer heute seine im Italien des 18. Jahrhunderts entstandenen Veduten - etwa die "Carceri d'Invenzione" - betrachtet, dem drängen sich Assoziationen zur Gegenwart auf. Martin Meyer, der sich über die Schweiz hinaus einen Ruf als Universalist im deutschsprachigen Feuilleton erworben hat, stellt eine Piranesi-Interpretation ins Zentrum seiner Essays. Von dort aus spannt er Verbindungslinien zu Thomas Mann, Heidegger und Goya. Abstecher führen ihn bis zu Tim und Struppi: denn auch sie gehören in einen…mehr

Produktbeschreibung
Die Welt des großen Zeichners Piranesi ist eine Welt der Ruinen und der Labyrinthe. Wer heute seine im Italien des 18. Jahrhunderts entstandenen Veduten - etwa die "Carceri d'Invenzione" - betrachtet, dem drängen sich Assoziationen zur Gegenwart auf. Martin Meyer, der sich über die Schweiz hinaus einen Ruf als Universalist im deutschsprachigen Feuilleton erworben hat, stellt eine Piranesi-Interpretation ins Zentrum seiner Essays. Von dort aus spannt er Verbindungslinien zu Thomas Mann, Heidegger und Goya. Abstecher führen ihn bis zu Tim und Struppi: denn auch sie gehören in einen Denkzusammenhang, der die Gegenwart mit dem Wissen von Kunst, Literatur und Philosophie konfrontiert.
Autorenporträt
Martin Meyer, 1951 in Zürich geboren, studierte Philosophie, Literatur und Geschichte. 1974 wurde er Redaktor im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung, das er von 1992 bis 2015 leitete. 2004 für Krieg der Werte ausgezeichnet mit dem Europäischen Essay-Preis Charles Veillon. Martin Meyer lebt in Zürich. Im Hanser Verlag sind zuletzt erschienen: Tagebuch und spätes Leid. über Thomas Mann (1999), Piranesis Zukunft. Essays zu Literatur und Kunst (2009), Albert Camus. Die Freiheit leben (2013), Gerade gestern (2018).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2009

Was uns die Schreibmaschine war

Requiem und Wiederkehr: Martin Meyers Essays zu Literatur und Kunst reizen durch eine Erotik des Abschieds, die doch den Hoffnungen des Geistesmenschen ein Hintertürchen offen lässt.

Wer von den Älteren erinnerte sich nicht an jene warmen Sommernächte, in denen man bei offenem Fenster nichts hörte als eine einsam vor sich hin klappernde Schreibmaschine, die irgendwo in der Nähe ein kreativer oder auch nur fleißiger Zeitgenosse unermüdlich traktierte? Damit ist es vorbei, alle Sommernachtsträume dieser Art sind verflogen, seit das smarte Klacken der Computertastatur seinen diskreten Charme gerade noch bis ans Ohr des Users heranreichen lässt. Angesichts dieser Veränderungen erscheint die Zeit der Schreibmaschine als das Jahrhundert des Dichters als Arbeiter, dem es ständig bewusst blieb, wie unausweichlich der Geist den Forderungen des schweren Geräts unterworfen ist.

So gedenkt denn auch Martin Meyer in seinem neuen Essayband "Piranesis Zukunft" der Schreibmaschine mit dem zwar kühlen, doch durchaus mitfühlenden Blick fürs Unwiederbringliche. Fast, so Meyer, reime sich heute der Name dieser alten mechanischen Freundin auf Dampfmaschine. Ersetzte die Schreibmaschine das nicht selten bis zur Unlesbarkeit bizarre Faszinosum der Handschrift, so habe der Computer schließlich alle Eigenheiten des Schreibens egalisiert. Die Schreibmaschine wird Meyer zum Symbol für das Werden und Vergehen in der Kultur, für den Zusammenhang von Zeitbewusstsein und Zeitfixierheit, und nicht zufällig schließt die Betrachtung über sie diese Sammlung von Essays ab.

Zuvor geht es keineswegs um Geräte, sondern durchweg um Schriftsteller, Philosophen und bildende Künstler von Rang. Beinahe alle lassen die Kennzeichen verwehter Klassizität erkennen. Martin Meyer ist ein Meister darin, Thomas Mann, Elias Canetti, Theodor W. Adorno oder Jean-Paul Sartre als Repräsentanten einer Ideenwelt vorzuführen, die, jeweils für sich genommen, immer noch eine gute Figur macht, die jedoch in ihren großen Anliegen das Heute nicht mehr erreicht. Und erst Schillers Welten, wie weit sind sie unserer Wirklichkeit doch entrückt, auch wenn mancher heute die von Schiller einst so frisch propagierte Humanitätsidee glaubt erneuern zu müssen? In Meyers Sicht ist Schillers skeptischer Humanismus ein Fall für eine nachmoderne Archäologie, die die Fülle des Wohllauts, der aus den alten Zeiten zu uns herüberklingt, noch vernimmt, jedoch nicht mehr an seine Verheißungen (und ebenso wenig an seine Verwerfungen) glauben kann.

Die Erotik des Abschieds, die Meyer Thomas Mann als dem großmeisterlichen Vertreter der Abendröte der Weltliteratur zuspricht, ist auch sein eigentliches Element. So scheint es, als seien diese Essays in ihrer stilistischen Gewandtheit und ihrem beeindruckenden Kenntnisreichtum dazu versammelt worden, einmal umfassend adieu zu sagen und den zarten Reiz dieser Handlung anhaltend auszukosten. Es handelt sich um Texte, die über zwei Jahrzehnte hinweg entstanden sind, vielfach vom Feuilletonchef der "Neuen Züricher Zeitung" aus aktuellen Anlässen für ebendieses Blatt geschrieben, und die nun gesammelt die spezielle geistige Lagerung ihres Urhebers erkennen lassen. Und diese steht durchaus repräsentativ für den historisch denkenden Intellektuellen der Gegenwart.

Niemand würde auf Anhieb widersprechen, wenn Meyer behauptet, die Gesten eines Adorno aus den "Minima Moralia" oder eines Sartre aus "Les mots" trügen längst die Stigmata des Abgelebten. Doch ist es ein einziger von Meyers Texten, der Zweifel an der umfassenden Abschiedsstimmung aufkommen lässt. Der titelgebende Essay "Piranesis Zukunft" demonstriert, wie ein Unternehmen, das für sich selbst vor allem archäologischen Charakter beanspruchte, in den Augen der Nachwelt zum Symbol einer Ästhetik der Zukunft werden konnte. Piranesi konnte, als er auf seine ganz eigene Art die römischen Carceri zeichnete, nicht ahnen, wie die Romantiker ein paar Jahrzehnte später ihn verstehen würden.

Auf markante Art widerstrebt diese eine gekonnt ins Gesamtbild dieser Essays eingefügte Abhandlung der Tendenz des gesamten Bandes. Der auf Abschied gestimmte Leser erkennt plötzlich, dass Kunstwerke unberechenbare Wiedergänger sein können, deren Potential kein Requiem und kein Aloe auszuschöpfen vermag. Dies ist die Hoffnung des Geistesmenschen, den Meyer als Essayist virtuos verkörpert. Vielleicht ist es das Maß an Hoffnung, das wir uns angesichts einer digitalen Jetztzeit, die alle Geschichte auf einen unkörperlichen Punkt konzentriert zu haben scheint, gerade noch erlauben können. Die triumphale Rückkehr der Schreibmaschine wird von uns ohnehin niemand mehr erleben.

CHRISTIAN SCHÄRF

Martin Meyer: "Piranesis Zukunft". Essays zu Literatur und Kunst. Hanser Verlag, München 2009. 272 S., geb., 21,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz gerührt tritt der Rezensent vor uns hin, um vom mitfühlenden Blick des Autors auf Schreibmaschinen und verwehte Klassiker wie Canetti, Thomas Mann und Schiller zu schwärmen. Kultur kommt und geht, jaja. Im Entdecken solcher Momente ("Erotik des Abschieds", oh la la) und abgelegten Repräsentanten ist der NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer in seinen Essays ein Meister, meint Christian Schärf. Stilistisch und kenntnismäßig auch. Und weil Schärf sich als historisch denkender und archäologisierender Intellektueller bei Meyer so gut aufgehoben fühlt, glaubt er ihm sogar die Sache mit dem Wiedergängertum der Kunstwerke und also Künstler. Von wegen adieu.

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