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Die in ihnen schlummernde Macht offenbaren die Dinge erst, wenn Weggeworfenes zurückkommt: wie der Ring des Polykrates, wenn Verschicktes von einem Dritten versteckt wird; wie "Der entwendete Brief" von E. A. Poe, wenn Verschenktes in den Händen eines Dritten auftaucht; wie das Taschentuch in Shakespeares "Othello". Der Literaturwissenschaftler Michael Niehaus erzählt Geschichten, in denen Dinge von Hand zu Hand gehen. Sein Buch schöpft aus dem reichen Fundus von Literatur, Film und Theater und schildert das rätselhafte erotische oder detektivische Begehren, die Verführungskraft und die…mehr

Produktbeschreibung
Die in ihnen schlummernde Macht offenbaren die Dinge erst, wenn Weggeworfenes zurückkommt: wie der Ring des Polykrates, wenn Verschicktes von einem Dritten versteckt wird; wie "Der entwendete Brief" von E. A. Poe, wenn Verschenktes in den Händen eines Dritten auftaucht; wie das Taschentuch in Shakespeares "Othello". Der Literaturwissenschaftler Michael Niehaus erzählt Geschichten, in denen Dinge von Hand zu Hand gehen. Sein Buch schöpft aus dem reichen Fundus von Literatur, Film und Theater und schildert das rätselhafte erotische oder detektivische Begehren, die Verführungskraft und die Beunruhigung, die wandernden Dingen und ihren Geschichten innewohnen.
Autorenporträt
Michael Niehaus, geboren 1959 in Bonn, Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte in Freiburg, Promotion 1993 in Essen, dort auch Habilitation 2001 im Bereich Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Zunächst lehrte er an der Universität Bielefeld bis er 2010 an die Universität Dortmund berufen wurde. Publikationen u.a. zu Erzählliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts, zu Literatur und Recht, zum Film, zur Erzähl- und Kommunikationstheorie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.10.2009

Taler, du musst wandern
Michael Niehaus umgeht erzählend die Metaphysik der Dinge
Bücher erzählen ja meist von Menschen, die zu handelnden Figuren werden und damit, philosophisch gesprochen, zu Subjekten. Oder sie handeln, im Falle von Sachbüchern, von Sachen und Sachverhalten. Michael Niehaus hat nun ein Buch geschrieben, das von den „Dingen” erzählen will, genaugenommen von den „wandernden Dingen”. Was aber macht ein Ding zum Ding, was unterscheidet es von einer Sache und warum taugt es nicht zum Subjekt?
Wer solche Fragen aufwirft und ernsthaft behandeln möchte, gerät in schweres metaphysisches Gelände. Anstatt die „Frage nach dem Ding” auf gut Heideggerianisch direkt zu stellen, versucht der Autor, sich den Dingen und ihren Eigenschaften mit einem variantenreichen Erzählmanöver zu nähern. Dazu unternimmt er einen Gang durch den westlichen Literatur- und Filmkanon, der sich von etwas sinnschwerem Jargon dann doch nicht ganz freizuhalten weiß.
Niehaus hat eine Überfülle an Geschichten zusammengetragen, in denen Dinge zwar die Handlung bestimmen, selbst aber nie zum Thema werden. Sie wandern zwischen den Figuren umher und verschwinden dann unbeachtet im Inventar. Dennoch wirkt in ihnen, so der Autor, ein „Strukturmotiv”, das sich aus einer neuen Beobachtungsperspektive wie von selbst erschließen soll: „Indem sich der Blick an die Dinge heftet, wendet er sich vom ,Subjekt der Geschichte‘ ab. Erzählt wird von der Unterwerfung des Subjekts unter eine Position, von seiner Unterwerfung unter ein rätselhaftes erotisches oder detektivisches Begehren, unter eine ihm vorgängige intersubjektive Struktur – erzählt wird also von der Kehrseite jener Geschichte.”
Der Tonfall gibt zu verstehen, dass hier jemand die „Kehrseite der Geschichte” mit den Begrifflichkeiten der Psychoanalyse ausleuchten möchte. Besonders viele Anleihen nimmt Niehaus dazu im Vokabular der französischen Großdenkers Jacques Lacan. Ein wenig irritierend ist allerdings, dass er seinen Gewährsmann und das zugrundeliegende Theoriegerüst nicht von Anfang an offenlegt. Wer noch nichts von der „symbolischen Ordnung” Lacans gehört hat, von der „Ehre des Vaternamens”, dem „imaginären Dreieck” und der „vierten Position”, dem müssen einige Zuordnungen im „Buch der wandernden Dinge” schleierhaft vorkommen. Niehaus verwendet viele solche Begriffe, als seien sie selbsterklärend und in ihrem theoretischen Gehalt völlig unproblematisch. Das gibt seinem sprachlich ausgefeilten und mit viel Liebe zur gewogenen Formulierung geschriebenen Buch zuweilen eine beschwörende Note, notorische Kursivsetzungen miteingeschlossen.
Dennoch bietet sich dem Leser auf den rund vierhundert Seiten eine Menge Erhellendes und durchaus Kurzweiliges. Durch die Fokussierung auf die dingliche Ebene lassen sich Klassiker und Kleinode des Erzählkanons unterhaltsam resümieren. So zum Beispiel einige Dramen Shakespeares. Nicht an Worten oder Taten kristallisiert sich die Eifersuchtsintrige im „Othello”, sondern an der Wirkung eines Taschentuchs. Dieses Erbstück schenkt der Feldherr von Venedig seiner Gattin Desdemona als Unterpfand seiner Liebe. Erst als das Tüchlein im dritten Akt in die Hände des neidgetriebenen Jago fällt, verfügt dieser über ein Mittel, Othello gegen den loyalen Leutnant Cassio aufzuwiegeln. Blieben Jagos Verleumdungen lange wirkungslos, so gibt ihm ein Stückchen bestickten Stoffes nun die symbolische Macht über das gesamte Dramenpersonal. Othello erdrosselt bekanntlich seine treue Desdemona, weil er den Liebespfand in Cassios Händen wähnt. Als Jagos Intrigenspiel schließlich auffliegt, richtet sich der Feldherr selbst. Die Subjekte befinden sich im Bann eines unscheinbaren Dinges, gegen dessen Überzeugungskraft alle Reden Schall und Rauch sind.
Als ähnlich „beziehungsvoll” zeigen sich unzählige in Geschichten verstrickte Dinge, von Fouqués Galgenmännlein über die Jägerhosen des Herrn von Bredow, die sich „offensichtlich nicht zum symbolischen Phallus eignen” – ein Beispiel für Niehaus’ mitunter bedeutungsheischende Pointen – bis hin zur Hauptmannsuniform, mit deren Hilfe der arbeitslose Schuhmacher Wilhelm Voigt die Stadtkasse von Köpenick in Beschlag nimmt. Eine besonderes Augenmerk legt der Autor auf Wert- und Schmuckobjekte, die geradezu prädestiniert sind, symbolisch befrachtet von Hand zu Hand zu wandern. Ringe, magische Diamanten oder einmalige Perlen kommen auch deshalb zu Genüge vor, weil sie oft die Bande zwischen Mann und Frau verkörpern und somit ein psychoanalytisch fruchtbares Motiv abgeben. Verführt vom schier unerschöpflichen narrativen Fundus verliert sich das Buch hin und wieder im Anekdotischen, die Gruppierung der sehr verschiedentlichen Dinggeschichten nach typischen Vorgängen und Funktionen (beispielsweise „Unterschieben, Unwissentlich erwerben, Übernehmen, Zustecken und Verwandtes” oder „Herrschaftliche Gaben – Gaben an den Herrscher”) gibt da zumindest eine orientierende Struktur.
Erst im Schlusskapitel geht Niehaus auf den Gegenstand ein, der seinem Theorierahmen paradigmatisch vorsteht: Der Brief als wanderndes Ding par excellence. Die Erzählung „The purloined letter” von Edgar Allan Poe hat es in der Psychoanalyse und in der Literaturwissenschaft zu überragender Bedeutung gebracht, weil der „entwendete Brief” einen vermeintlich „reinen Signifikanten” darstellt, ein bloß Bezeichnendes, dessen einzige Eigenschaft es ist, den beteiligten Figuren ihre Bestimmung zuzuweisen und sie damit gewissermaßen zu „unterwerfen”. In Poes Geschichte geht es um einen stibitztes Schriftstück, das ein hintertriebener Minister so lange als Druckmittel gegen die Königin einsetzen kann, bis der Meisterdetektiv Auguste Dupin ihn mit seinen eigenen Mitteln überlistet. Um nicht selbst in Versuchung zu geraten, den kompromittierenden Brief als Machtinstrument zu verwenden, verkauft Dupin ihn für eine hohe Summe dem Polizeipräfekten, einem ergebenen Diener der Königin. Damit ist der Brief ausgelöst und seine Laufbahn als Signifikant kommt an ihr (vorläufiges) Ende. Lacan sah in dieser Parabel ein Sinnbild der Psychoanalyse, deren Angelegenheit es ja ist, mehr über den Patienten zu wissen als dieser selbst, wobei das ausgelöste Wissen gegen Entlohnung preisgegeben und zugleich bezähmbar wird.
Michael Niehaus ist nun mit Lacans Deutung des „reinen Signifikanten” nicht ganz zufrieden und stellt anhand eines Derrida-Aufsatzes heraus, dass sich das Ding eben doch nicht gänzlich im Symbolischen auflöst, dass Lacan die Materialität des Briefes und, wie viele vor ihm, die „Dinglichkeit” als solche unterschlagen habe. Insofern sperrt sich das Ding gegen eine theoretische Erfassung und bleibt, wie Heidegger sagen würde, ein unfassliches „Geviert”, um das sich „Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen” versammeln. Am besten wird man den Dingen wohl gerecht, indem man variantenreich von ihnen erzählt. Ob man dabei auch allzu tiefschürfend phrasieren muss, dürfte vor allen Dingen Geschmackssache sein. TOBIAS HABERKORN
MICHAEL NIEHAUS: Das Buch der wandernden Dinge. Carl Hanser Verlag, München 2009. 405 Seiten, 21,50 Euro.
Dinge bestimmen zwar oft die Handlung, sind aber selten Thema
Der „entwendete Brief” als analytisches Paradigma
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2009

Stumm ist das Ding und eigensinnig obendrein

Ein Sachbuch im besten Sinn: Michael Niehaus geht in Literatur, Theater und Film den reizvollen Verwicklungen nach, die wandernde Gegenstände unter ihren oft ahnungslosen Besitzern stiften.

Nachdem in den Geistes- und Kulturwissenschaften lange Zeit vom Verschwinden des Realen die Rede war, ist das Pendel mittlerweile längst in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Zahllose Bücher handeln von der Macht und Bedeutsamkeit der Dinge, und es gibt wohl kaum ein Artefakt, das nicht als Schlüsselfigur einer kulturhistorischen Studie in Frage käme. Da es endlos viele Dinge gibt, kann es eben auch endlos viele Ding-Monographien geben, und jeder Versuch, der schieren Menge an Zeug eine Gestalt abzugewinnen, steht vor der Herausforderung, eine spezifische Zugangsweise zu entwickeln. Zu den Büchern, denen das in hervorragender Weise gelingt, gehört das kürzlich erschienene "Buch der wandernden Dinge" des Literarturwissenschaftlers Michael Niehaus. Anhand eines beachtlichen Fundus aus Literatur, Theater und Film geht Niehaus den Verwicklungen nach, die daraus entstehen, dass Dinge ihre Besitzer wechseln, vertauscht und vererbt werden können, zu Indizien werden oder einfach abhandenkommen. Neben vertrauten Beispielen wie Edgar Alan Poes "Der entwendete Brief" oder Alfred Hitchcocks "Notorious" bringt Niehaus dabei auch zahlreiche überraschende Funde.

Niehaus' Lektüre all dieser Geschichten von Ringen, Steinen, wandernden Münzen oder Kleidungsstücken zielen weder auf eine Motivgeschichte noch auf eine Symboltheorie des Dings. Vielmehr geht es um die Frage, wie ein Ding seinen Besitzer in Konstellationen versetzen kann, von denen er selbst gar nichts gewusst hat und die sich auch nur bedingt kontrollieren lassen. Die leere Coca-Cola-Flasche, die in Jamie Uys' Film "Die Götter müssen verrückt sein" achtlos aus einem Flugzeug geworfen wird, konnte von den Buschmännern, die sie auflesen, eben nicht erwartet werden, sondern musste ihnen als rätselhafter Vorfall zustoßen. Und wenn Niehaus Shakespeares "Othello" referiert, dann folgt das Geschehen nicht den Begierden und Machenschaften der Darsteller, sondern ordnet sich um die stumme Präsenz des Taschentuchs, das im dritten Akt erscheint, um dann durch verschiedene Hände zu gehen.

Das wandernde Ding, so Niehaus, ist "auf rätselhafte Weise mehr als das, was die Figuren in den Geschichten mit ihm anstellen". Es geht seiner eigenen Wege und kommt mit den Bedeutungen, die man ihm zuschreibt, nicht immer zur Deckung. Der geschärfte Blick für die Struktur solcher Ding-Konstellationen führt Niehaus sicher durch sein weitverzweigtes Labyrinth der Texte und Bilder. Zugleich bewahrt er ihn aber auch vor den beiden Verkürzungen, die das Reden über Dinge häufig bestimmen: dem Anthropomorphismus, der die lakonischen Objekte zu vertraulichen Kameraden macht und überall menschliche Physiognomien erblickt, sowie dem Animismus, der die Dinge mit allerlei Absichten und Willensbekundungen versieht. Beide Formen der Einverleibung verfehlen das Spröde und Teilnahmslose der Dinge, das Paul Valéry einmal als "Nullpunkt der Bedeutung" beschrieben hat und das Niehaus in manchen seiner Lektüren durchscheinen lässt.

Das wandernde Ding, so heißt es am Ende des Buches, sei keine Sache der Theorie. "Wenn wir den Blick starr auf es richten, um es abzuzeichnen, wird es uns umso sicherer entgehen." Zu Recht nähert sich Niehaus seinem Gegenstand deshalb nicht durch Deduktionen und begriffliche Fixierungen, sondern im phänomenologischen Durchgang durch die Geschichten selbst. Das ist der große Reiz dieses Buches. Es ist ein Sachbuch im besten Sinne und unterscheidet sich wohltuend von den zahllosen Erzeugnissen der Sekundärliteratur, bei deren Lektüre man vor allem den stilistischen Absturz im Vergleich zum literarischen Primärtext zur Kenntnis nimmt.

Zugleich handelt es sich keineswegs um ein theoriefreies Buch. Die beim Lesen bereits geahnten Bezüge zu Lacan und Heidegger werden auf den letzten Seiten deutlich markiert, und am Beginn des Textes steht eine Reflexion über die "Sachherrschaft", wie sie sich aus juristischer Perspektive darstellt. Das narrative und strukturorientierte Vorgehen wird dem Buch freilich nicht nur Freunde machen. Die methodische Konsequenz dieses Verfahrens ist die Konzentration auf den Plot. Das reflektierte Nacherzählen erzeugt einen ganz eigenen geschlossenen Textraum, der aber leicht auch allzu homogen wirken kann. In ihm scheint es letztlich ohne Belang, ob eine Geschichte aufgeschrieben, im Theater aufgeführt oder verfilmt worden ist. Auch leistet sich der Autor einige Längen und Wiederholungen.

Umgekehrt vermisst man einige Autoren, die - wie Proust, Flaubert oder Nabokov - für das Thema einschlägig sind. Es wäre jedoch verfehlt, diesem Buch Vollständigkeit abzuverlangen, auf die es gar nicht angelegt ist. Überdies hat der Autor mit seinen Lektüren eine Spur gelegt, die sich in eigenen zukünftigen Lektüren weiterverfolgen lassen. So kann man diesem eigenwilligen Buch nur wünschen, dass es selbst zum wandernden Ding wird und viele Leser erreicht.

PETER GEIMER

Michael Niehaus: "Das Buch der wandernden Dinge". Vom Ring des Polykrates bis zum entwendeten Brief. Carl Hanser Verlag, München 2009. 405 S., br., 21,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Variantenreich", aber auch "allzu tiefschürfend": Mit Michael Niehaus hat Rezensent Tobias Haberkorn einen Lacan-Kenner entdeckt, der seine Vorliebe für die psychoanalytische Sprache des Franzosen nicht immer sofort offenlegt. Wie Haberkorn etwas irritiert feststellt, bekommt man in diesem Buch über das Wesen der Dinge, wie sie im westlichen Literatur- und Filmkontext ausgedeutet werden, doch einige Lacansche Begriffe ("Ehre des Vaternamens", "imaginäres Dreieck") trocken und unerklärt vor die Augen gesetzt, so dass Lacan-Laien bei dem ohne Zweifel "sprachlich ausgefeilten" Text doch ihre Mühe haben dürften. Gleichwohl strotzt das Buch für Haberkorn nur so vor kurzweiligen und erkenntnisreichen Passagen, gerade auch wenn sich aus dem unerschöpflichen narrativen Archiv bedient wird. So erfreut sich Haberkorn beispielsweise sehr an der Neubetrachtung von Shakespeares "Othello", in der nun alles vom Einfluss des Taschentuchs her erzählt wird. Unter diesem zweigeteilten Urteil erklärt Haberkorn das Buch zur Geschmackssache.

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