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Vor dem "Osttransport" nach Auschwitz kann Willi Weber die Gedichte seiner Frau Ilse in einem Geräteschuppen einmauern - Gedichte und Lieder, die sie für ihre Mithäftlinge und ihre Pflegekinder geschrieben hat. Willi überlebt und kann die Papiere nach der Befreiung in Sicherheit bringen: die Schilderungen ihres Lebens als Jüdin in Mähren, die Briefe, in denen sie vom Terror des Nationalsozialismus erzählt, die Trostgesänge aus der Kinderkrankenstube im KZ. Das Buch macht zum ersten Mal die charismatische Figur Ilse Weber sichtbar, die bei Überlebenden von Theresienstadt und in der Literatur…mehr

Produktbeschreibung
Vor dem "Osttransport" nach Auschwitz kann Willi Weber die Gedichte seiner Frau Ilse in einem Geräteschuppen einmauern - Gedichte und Lieder, die sie für ihre Mithäftlinge und ihre Pflegekinder geschrieben hat. Willi überlebt und kann die Papiere nach der Befreiung in Sicherheit bringen: die Schilderungen ihres Lebens als Jüdin in Mähren, die Briefe, in denen sie vom Terror des Nationalsozialismus erzählt, die Trostgesänge aus der Kinderkrankenstube im KZ. Das Buch macht zum ersten Mal die charismatische Figur Ilse Weber sichtbar, die bei Überlebenden von Theresienstadt und in der Literatur ein Mythos ist, von deren Werk aber bisher fast nichts bekannt war.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2008

Also duschen wir nicht
Ilse Webers Texte aus Theresienstadt

Die meisten Gedichte und Liedtexte von Ilse Weber hatte Willy Weber in der kurzen Zeit, die ihm vor seinem Abtransport nach Auschwitz blieb, in einem alten Geräteschuppen in Theresienstadt versteckt und unmittelbar nach dem Krieg wieder hervorgeholt. Die Briefe - die frühesten sind auf 1933 datiert - hatte seine Frau, solange es möglich war, an Freunde und Verwandte, vor allem aber an ihren kleinen Sohn und dessen Pflegeeltern in England und Schweden, geschrieben; ein großer Teil wurde viel später auf dem Dachboden eines englischen Hauses entdeckt. Es sind die wenigen geretteten Zeugnisse einer begabten jüdischen Schriftstellerin, deren Leben 1944 in den Gaskammern von Auschwitz endete.

Ilse Weber, 1903 in Witkowitz bei Mährisch-Ostrau geboren, war unter ihrem Mädchennamen Herlinger als Autorin von Kinderbüchern und Hörspielen bekannt. Sie übersetzte auch Lyrik und fühlte sich Karl Kraus und Karel Capek verbunden. Ihre beste Freundin war Lillian, die Tochter eines schwedischen Diplomaten; sie war die Einzige, auf die sie sich verlassen konnte, als Repressalien und Verfolgung auch in der Tschechoslowakei unerträglich wurden. Ihr gegenüber klagte sie: "Wir sind rechtlos, schutzlos, staatenlos, ins Niemandsland abgeschoben ... Ostrau ist überfüllt mit Flüchtlingen, wir leben unter Bestien ... An Dich klammert sich mein Glaube an die Menschheit." Nachdem alle Flucht- und Auswanderungsversuche der Familie gescheitert waren, vertraute sie der Freundin ihren ältesten Sohn an. Mit einem der letzten Kindertransporte erreichte der Achtjährige England, fand aber bald eine neue Zuflucht bei Lillians Mutter in Schweden.

Ilse Weber blieb mit ihrem Mann und dem jüngsten Sohn in Prag zurück, wo sie zunächst eine Dreizimmerwohnung bezogen; wenig später mussten sie sich mit ihrer alten Mutter in einem einzigen Raum zusammendrängen. "Thomys (des Jüngsten) Gegenwart vertreibt Selbstmordgedanken", schreibt sie an die Freundin. Sie bittet inständig um Nachrichten aus "einer besseren Welt", sorgt sich, dass der Älteste seine Muttersprache vergessen oder seinen Gasteltern gegenüber nicht dankbar genug sein könnte. Auf dem jüdischen Friedhof von Prag, der einzigen grünen Oase, die sie betreten darf, sammelt sie Blätter von den Gräbern von Berühmtheiten und schickt sie dem Sohn. Sie sehnt sich nach ihm und versucht, über die Entfernung hinweg durch die lebendige Beschreibung von vertrauten Kinderszenen die innige Verbundenheit zu erhalten.

Die Herausgeberin Ulrike Migdal lässt die Briefe unkommentiert. Erst im Anhang liefert sie kurze Erklärungen nach. So entstehen Informationslücken. Die Intensität der Briefe von Ilse Weber lässt trotzdem einen Vergleich mit denen von Lilly Jahn zu. In Prag war Ilse Weber neben ihrer Arbeit als Näherin unfähig, Gedichte zu schreiben. Lebensmittel und Heizmaterial aufzutreiben wurde immer schwieriger. Die Angst um das Überleben wuchs wie die täglichen, unerträglichen Kränkungen. Im Jahre 1942 musste die Familie innerhalb von drei Stunden nach Theresienstadt "umsiedeln". Dort, in der Kaserne in Theresienstadt, die statt den tausend Soldaten, für die sie gebaut worden war, jetzt fünftausend Juden als Unterkunft diente, begann Ilse Weber in Versen ihren Alltag, ihre Sehnsucht und ihre schwindende Hoffnung zu schildern. Die Gedichte gingen im Lager von Hand zu Hand. Sie waren eine Stimme gegen das ungeheure Verbrechen: Anklage, aber auch Trost im Leiden und eine sehnsüchtige Beschwörung des verlorenen Lebens in Freiheit. Es seien ihre schönsten Gedichte, haben Kenner ihres Werks festgestellt.

Für die Kinder im Krankenhaus - in jedem einzelnen sah Ilse Weber vermutlich ihre eigenen - schrieb sie auch Wiegenlieder. Sie pflegte sie nicht nur, sie sang und spielte auch mit ihnen. Obwohl sie hätte fliehen können, begleitete sie die Kinder 1944 in die Gaskammern. Wie Janusz Korczak bis zum Ende bei seinen polnischen Waisenkindern blieb, so hat auch Ilse Weber freiwillig und in voller Kenntnis darüber, was sie in Auschwitz erwartete, diesen letzten Gang auf sich genommen. Erschütternd ist der Bericht eines tschechischen Häftlings, der die Leichen aus den Öfen ziehen musste, über seine letzte Begegnung mit Ilse Weber. Sie erkannte den Landsmann und fragte ihn: "Stimmt es, dass wir duschen dürfen nach der Reise?" Er wollte nicht lügen. Das sei kein Duschraum, sondern eine Gaskammer, antwortete er. So schnell wie möglich solle sie mit den Kindern singend hineingehen, sich auf den Boden setzen und weitersingen. "So atmet ihr das Gas schneller ein. Sonst werdet ihr von den anderen zu Tode getreten, wenn Panik ausbricht." - "Also werden wir nicht duschen", waren Ilse Webers letzte Worte.

Hanus Weber, Ilses ältester Sohn, traf diesen Freund aus Ostrau viele Jahre nach Kriegsende zufällig bei einem Besuch in Deutschland. Er hatte lange schon Erinnerungen an seine Mutter von überlebenden Leidensgefährten in Theresienstadt und Auschwitz gesammelt und war zusammen mit seinem Vater vielen Spuren nachgegangen. Ulrike Migdal stellte er für dieses Buch das gesamte Material zur Verfügung. Ihr Kommentar am Schluss enthält zahlreiche Briefe und authentische Berichte. Die Herausgeberin erzählt auch von wiederholten Gesprächen mit Hanus Weber, der Korrespondent des schwedischen Fernsehens geworden ist und mehrmals Briefe und Gedichte seiner Mutter öffentlich vorgelesen hat.

Zeugnisse aus Theresienstadt sind auch die Zeichnungen von Künstlern, die aus dem Lager geschmuggelt wurden und von denen hier einige abgebildet sind. Bedrich Frittas "Osttransport" ist eine der eindrucksvollsten Bleistiftzeichnungen: ein dunkler höhlenartiger Raum, in dem Menschen wie Gepäckstücke in Haufen, mit einer Nummer gekennzeichnet und übereinandergestapelt, auf die letzte Reise warten. Ein Höllenszenario aus der Zeit des "Dritten Reichs", das nicht vergessen werden darf, so ungeheuerlich es auch heute erscheinen mag.

MARIA FRISÉ

Ilse Weber: "Wann wohl das Leid ein Ende hat". Briefe und Gedichte aus Theresienstadt. Herausgegeben von Ulrike Migdal. Hanser Verlag, München 2008. 382 S., geb., 21,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.05.2009

Die Unbeantwortbarkeit der Kinderfragen
Eine Chronik der Zerstörung des deutsch-tschechisch-jüdischen Zusammenlebens: Ilse Webers Briefe und Gedichte aus Theresienstadt
Ilse Weber, 1903 in Witkowitz bei Mährisch-Ostrau geboren und 1944 in Auschwitz ermordet, hat 1928 „Jüdische Kindermärchen” und 1930 „Das Trittroller-Wettrennen” veröffentlicht. Wenn heute ein Buch mit ihren Briefen und Gedichten aus Theresienstadt (wohin sie 1942 aus Prag deportiert wurde) erscheint, dann nicht, weil Ilse Webers Wirken als Kinderbuch- und Hörspielautorin eine Nachwelt gefunden hätte. Dass Ilse Weber trotzdem nicht vergessen wurde und dass nun, Jahrzehnte nach ihrem Tod, ein Band mit erschütternden Lebensdokumenten erscheint, verdankt sich der Beharrlichkeit einiger Personen.
Zuvorderst ist die Herausgeberin dieses Buches, Ulrike Migdal zu nennen, die in ihrem Nachwort erzählt, wie Ilse Webers Texte Theresienstadt und Auschwitz überdauern konnten. In Jad Vaschem fand sie in den achtziger Jahren bei der Recherche über die Künstler von Theresienstadt ein Gedicht mit dem Titel „Brief an mein Kind”. Als das Gedicht dann in einem Buch mit Chansons und Satiren aus Theresienstadt erschien, meldete sich ein schwedischer Journalist. Das Gedicht stamme von seiner Mutter, und das Kind sei er. Hanuš Weber war 1939 von Prag aus mit einem der letzten Kindertransporte nach England entkommen, wo er bei einer Freundin seiner Mutter, einer schwedischen Diplomatentochter, Aufnahme fand. Später wurde das Kind dann nach Schweden gebracht, wo es bei der Mutter von Ilses Freundin (Lilian, an die viele der hier gesammelten Briefe gerichtet sind) aufwuchs.
Lieder und Gedichte im Erdloch
Der andere Sohn, Vilem, wurde mit seiner Mutter nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert und starb mit ihr in den Gaskammern. Ilses Ehemann kehrte aus der Zwangsarbeit lebend nach Prag zurück und konnte bald nach dem Krieg den Kontakt zu seinem überlebenden Sohn wieder herstellen. Die Lieder und Gedichte, die Ilse Weber im Lager geschrieben hatte, hatte er vor seinem Abtransport in einem Erdloch in Theresienstadt versteckt. Die Briefe fanden sich erst 1977 bei der Entrümpelung eines englischen Dachbodens. Ein weiteres Jahrzehnt ließ Hanuš Weber, der in Schweden als Journalist tätig war, die Briefe liegen, ehe er sie wieder las und schließlich zur Publikation freigab.
Haben Ilse Webers Briefe und Gedichte, nur weil eine Kette von Zufällen ihre späte Publikation ermöglichte, die literarische Aufbewahrung mehr verdient als irgendein anderes Lebenszeugnis aus Theresienstadt und Auschwitz? Vielleicht nicht mehr als, aber bestimmt so sehr wie. Die Deutsch sprechende und schreibende tschechische Jüdin aus Nordmähren, die Kinderbuchautorin und spätere Kinderkrankenschwester in Theresienstadt, war nicht unbedingt eine große Dichterin, aber eine beeindruckende Person, mutig, tatkräftig, selbstlos. Die Briefe geben das Bild eines unabhängigen, vielseitig gebildeten Geistes, einer Frau, die Karl Kraus („der wahrhafteste, lauterste Mensch der Welt”) und Karel Capek verehrt und die, was nach 1933 zunehmend unmöglich wird, deutsche Kultur und tschechoslowakischen Patriotismus vereinen will.
1936 schreibt sie ihrer schwedischen Freundin, ihr Sohn Hanuš habe sie gefragt, ob sie Deutsche oder Tschechen seien: „(Das ist so ziemlich die schlimmste Frage, die er mir stellen kann.) Denn ich bin deutsch erzogen, bin aber seit dem Umsturz in Deutschland nicht mehr ‚deutsch‘. Ich: (diplomatisch) Wir sind Juden. Hanuš: Ja, aber was für Juden, tschechische oder deutsche? Ich: (da ich erstens mangelhaft tschechisch spreche und zweitens vor mir selbst nicht lügen will): Wir sind – tschechoslowakische Juden!” Damit gibt sie ihrem Sohn eine Antwort, die sie, wie sie dann weiter schreibt, selbst nicht glaubt.
Ilse Webers Chronik der Zerstörung des deutsch-tschechisch-jüdischen Zusammenlebens in Witkowitz, Prag und anderswo liest sich schon beklemmend genug. Herzzerreißend wird es dann, als der Sohn Hanuš nach England abgereist ist und die Mutter ihm aus Prag und dann aus Theresienstadt besorgte Briefe schreibt. Der Sohn antwortet einsilbig oder gar nicht und sie liest ihm die Leviten, in der Sorge, dass der Sohn inzwischen „verdummt” sei. Viele Jahre später wird sich der längst erwachsene Sohn wegen seiner kindlichen Mundfaulheit schwere Vorwürfe machen.
„Wann wohl das Leid ein Ende hat”, heißt dieses Buch. Der Titel ist ein Vers aus einem von Ilse Webers Theresienstädter Gedichten. „Ich wende mich betrübt und matt, / so schwer wird mir dabei, / Theresienstadt, Theresienstadt / – wann wohl das Leid ein Ende hat – / wann sind wir wieder frei?” Ilse Weber ist im Herbst 1944 mit einer Gruppe der von ihr betreuten Kinder aus Theresienstadt in Auschwitz ermordet worden. Ihre Briefe und Gedichte sind eine Stimme im großen Archiv der Opfer des Holocaust. Man empfindet Bewunderung für diese Frau, und Dankbarkeit für diejenigen, die diese Dokumente den heutigen Lesern zugänglich gemacht haben. CHRISTOPH BARTMANN
ILSE WEBER: Wann wohl das Leid ein Ende hat. Briefe und Gedichte aus Theresienstadt. Herausgegeben von Ulrike Migdal. Carl Hanser Verlag, München 2008. 352 Seiten, 21,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Berührt zeigt sich Oliver Pfohlmann von Ilse Webers Briefen und Gedichten aus Theresienstadt. Wie er berichtet, wurde Weber, die vor 1933 eine gefragte Kinderbuch- und Hörspielautorin war, 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort arbeitete sie als Kinderkrankenschwester, bis sie 1944 in Auschwitz zusammen mit ihrem Sohn vergast wurde. Pfohlmann hebt hervor, dass die Gedichte und Lieder, die Weber in Theresienstadt verfasste, für ihre Zuhörer geradezu "therapeutische Qualitäten" hatten und ihnen Lebensmut, Trost und Hoffnung spendeten, ohne das alltägliche Grauen auszusparen. Eindringlich findet Pfohlmann auch Webers Briefe an eine schwedische Freundin, die bedrückenden Veränderungen nach 1933 schildern und die zunehmende Verzweiflung der Autorin bezeugen.

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