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Aus persönlicher Erinnerung wird Zeitgeschichte: 1953 kehrt Hartmut von Hentig aus den USA in das von Wirtschaftswunder und Restauration geprägte Deutschland zurück. Am Internat Birklehof entdeckt er die Lust und Not des Erziehens und entwickelt eigene, neue Vorstellungen von Schule. Seine Beiträge zu den öffentlichen Debatten über brennende pädagogische Fragen, aber auch über die innere Verfasstheit des Landes machen ihn bekannt. Bis heute mischt sich der Emeritus streitbar in die öffentlichen Angelegenheiten ein, geachtet von und befreundet mit Golo Mann, Carl Friedrich von Weizsäcker, Marion Gräfin Dönhoff oder Inge Aicher-Scholl…mehr

Produktbeschreibung
Aus persönlicher Erinnerung wird Zeitgeschichte: 1953 kehrt Hartmut von Hentig aus den USA in das von Wirtschaftswunder und Restauration geprägte Deutschland zurück. Am Internat Birklehof entdeckt er die Lust und Not des Erziehens und entwickelt eigene, neue Vorstellungen von Schule. Seine Beiträge zu den öffentlichen Debatten über brennende pädagogische Fragen, aber auch über die innere Verfasstheit des Landes machen ihn bekannt. Bis heute mischt sich der Emeritus streitbar in die öffentlichen Angelegenheiten ein, geachtet von und befreundet mit Golo Mann, Carl Friedrich von Weizsäcker, Marion Gräfin Dönhoff oder Inge Aicher-Scholl
Autorenporträt
Hartmut von Hentig, geboren 1925 in Posen, Professor emeritus für Pädagogik an der Universität Bielefeld, war bis 1987 Wissenschaftlicher Leiter der Laborschule und des Oberstufen-Kollegs des Landes Nordrhein-Westfalen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.01.2008

Aber der Garten – der bleibt!
Von Sausalito nach Bielefeld: Der zweite Teil der Memoiren des Reformpädagogen Hartmut von Hentig
Das Wort „Schule” bedeutet seinem altgriechischen Ursprung („scholé”) nach „Muße” und „freie Zeit”: Entsprechend sind die antiken Anfänge unseres Schulwesens an die wonnige Vorstellung einer eigenständigen Lebensform inmitten eines besonders umhegten und geschützten Bezirks gebunden. In Athen entstanden die ersten Schulen daher an Orten, die buchstäblich und metaphorisch „im Freien” lagen, vorzugsweise in Gärten sowie in der Nachbarschaft jener Plätze, an denen die Polisbürger ihre öffentlichen Angelegenheiten besprachen.
Dem Pädagogen und studierten Altphilologen Hartmut von Hentig, der seinen Berufsweg als Latein- und Griechischlehrer begann, sind solche Zusammenhänge vertraut. Den Untertitel „Schule, Polis, Gartenhaus” für den zweiten Teil seiner Autobiographie dürfte er deshalb mit Bedacht und nicht ohne Schmunzeln gewählt haben. Denn wie mit einem Handstreich ist den sonst etwas ausufernden 665 Seiten, auf denen Hentig sein Berufsleben, sein öffentliches Wirken und schließlich sein Pensionärsdasein im „Gartenhaus” eines Prachtbaus am Kurfürstendamm schildert, mit jener beziehungsreichen Trias der Lebensbereiche ein Bauplan unterlegt. Dem Leser bietet er auch dort noch Orientierung, wo das erzählte Leben sonst eher zerfasert, da es nun einmal keinem höheren Plane folgt. Schule, Polis und Gartenhaus sind dem Reformpädagogen, der sich die „Umwandlung der Unterrichtsschule in einen Lebens- und Erfahrungsraum” zum Programm gemacht hatte, eins.
Nur so vermag dieser zweite Memoirenband nahtlos an seinen von der Kritik gefeierten Vorgänger anzuschließen: Einen „wunderbar erzählten Bildungsroman”, urteilte unser Rezensent (SZ vom 14. März), habe von Hentig aus seiner Kindheit und Jugend gemacht. Der Übergang von der wohlbehüteten Kindheit eines in den Gartenlandschaften Ostpreußens, Kaliforniens und Südamerikas aufgewachsenen Diplomatensohns, der Wechsel von seinen nordamerikanischen Studien- und Wanderjahren zum pädagogischen und akademischen Berufsleben in der kleinen deutschen, zwischen Schwarzwald und Bergischem Land gelegenen Nachkriegswelt, war freilich mit einer gewissen Fallhöhe verbunden. Unser Rezensent schloss mit der etwas bangen Frage, „ob das Leben noch so eindeutig bejaht” werde, wenn demnächst „die Pädagogik das Regiment” ergriffe.
Hartmut von Hentig aber ließ sich nicht bange machen. Dem Erzieher und Gymnasiallehrer, dem Universitätsprofessor und Laborschulleiter, dem schreibwütigen Publizisten und gefragten öffentlichen Redner konnte kein disziplinäres Regime, keine bürokratische Direktive und auch kein Diktat des wissenschaftlichen Begriffs den Vorrang des Lebens vergällen. Neben der Hyperaktivität haben ihn davor seine ungebrochene Neugierde bewahrt, zusammen mit anderen, ursprünglich kindlichen Eigenschaften, die dem Erwachsenen erhalten geblieben sind. Dies gilt besonders für die zum pädagogischen Eros gewandelte Gabe der Einfühlung in die fremde Welt von Kindern und Heranwachsenden. Dazu passt Hentigs Bekenntnis nicht nur zum „xenos”, wie die Griechen den Fremden nannten, sondern auch zum „Allotria”, dem auch ein griechisches Wort zugrunde liegt: „allotrios” bezeichnet bis zum höheren Spass und gepflegten Unfug so ziemlich alles, was „fremdartig” ist und „nicht zur Sache” gehört.
Der Genitivus subiectivus des Hentig’schen „Bildungsromans”, hat sich im Fortgang freilich zum Genitivus obiectivus gewandelt: Denn die Bildung, auf deren Spuren Hentig neugierig und wissensdurstig, unablässig parlierend und plaudernd durchs Leben zieht, ist nicht nur seine eigene, persönliche Sache. Sie ist ihm zum überpersönlichen Projekt geworden, zur öffentlichen Angelegenheit und zur öffentlich verhandelten Sache, so wie Hentigs Pädagogik die Schule nicht als disziplinäre Anstalt, sondern als einen geschützten Raum begreift und zu gestalten sucht: als Polis im Kleinen, als wohlbestallte Herberge und auch als einen lieblichen Ort, der noch ein klein wenig die Erinnerung bewahrt an „Abrahams Gärtchen”.
An Romanhaftigkeit geht dieser Autobiographie in ihrem zweiten Teil natürlich einiges verloren. So begegnen wir dem in vielerlei aufreibende Betriebe eingebundenen Helden zum Beispiel nur noch höchst selten alleine und erfahren beinahe gar nichts aus jenem inneren Leben, mit dem jeder ordentliche Romanheld gewöhnlich ausgestattet sein sollte. Nein, dieser Hartmut von Hentig geht ganz und gar in der unruhigen persona publica auf, die er ist, und im Beruf eines Erziehers, der er auch als Forscher, Gelehrter und Administrator bleibt. In den fünfziger Jahren, als Deutschlands Schulen vielerorts noch Disziplinaranstalten glichen, an denen die Kinder kräftig durchgeprügelt wurden, fand der Amerikarückkehrer seine erste berufliche Anstellung am Internat Birklehof, der von Georg Picht geleiteten Reformschule. Die sechziger Jahre, in denen Pichts prophetisches Wort vom „Bildungsnotstand” die Runde machte, brachten Hentig die Berufung zum Hochschullehrer nach Göttingen. Aus seinen anekdotenreichen Schilderungen, die die alte Alma Mater nicht ganz ohne Wehmut verabschieden, wird deutlich, welch lange Vorgeschichte der Mythos von 1968 hatte.
Helm ab!
Und dann folgte auch schon der Ruf an „das Ungeheuer Bielefeld”, wie Hentig die dortige Reformuniversität mit der von ihm aufgebauten Pädagogischen Fakultät nennt, die als doppeltes Experiment eine Laborschule für Kinder und ein Oberstufenkolleg unterhielt. Der Leser dieses längsten Kapitels von Hentigs Buch folgt betreten den Schilderungen aus einer versunkenen Zeit und staunt nicht schlecht darüber, welch ungeheuere Verschwendung von Lebenszeit und Energien in den siebziger Jahren für unsinnige und zermürbende Debatten in hemmungslos zerstrittenen Gremien und papierproduzierenden Ausschüssen betrieben wurde. Alle Reformen wurden darunter zu Alpträumen. Welch halkyonisches Idyll boten dagegen die friedensbewegten Achtziger, in denen wir Hartmut von Hentig in Mutlangen bei einer Sitzblockade erleben, wo er den Mitdemonstranten aus dem „Peleponnesischen Krieg” des Thukydides vorliest. Es heißt, dass sogar die martialisch ausgerüsteten Bereitschaftspolizisten ihre Helme abgenommen hätten, um dem Bielefelder Professor zu lauschen. Wenn das kein Triumph der Reformpädagogik war.
VOLKER BREIDECKER
HARTMUT VON HENTIG: Mein Leben – bedacht und bejaht. Schule, Polis, Gartenhaus. Hanser Verlag, München 2007. 665 Seiten, 25,90 Euro.
Hartmut von Hentig, 2001 in Berlin. Foto: David Ausserhofer/SZ Photo
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Micha Brumlik hat mit großem Interesse die zweibändigen Memoiren des Erziehungswissenschaftlers Hartmut von Hentig gelesen und erkennt hier einen Protagonisten, der als Mitglied einer adeligen Elite die frühen Jahre der Bundesrepublik begleitet und mitgeprägt hat. Aus den Lebenserinnerungen spricht eine gewisse stoische Grundhaltung gegenüber den Wechselfällen des Lebens und vor allem "Standesbewusstsein", stellt der Rezensent fest, der besonders den ersten Band, in dem sich der Autor nach Vorbild eines Aristoteles oder Rousseau einer existentiellen Selbstbefragung preisgibt, durchaus gern gelesen hat. Wenn die Perspektive im zweiten Band ausgeweitet wird, die Bildungsreform der Bundesrepublik ins Auge gefasst oder Begegnungen mit prominenten Bekannten rekapituliert werden, nimmt das Lektürevergnügen allerdings etwas ab, wie der Rezensent zugibt. Brumlik fällt auf, dass der Autor die NS-Vergangenheit so manches Kollegen nicht gerade überzeugend kleinzureden versucht und dass er über die Entwicklung der Erziehungswissenschaft gar nichts schreibt. Berührend fand der Rezensent den letzten Teil der Lebenserinnerungen, in dem Hentig nicht nur sehr aufrichtig über die Fatalitäten des Alters schreibt, sondern auch über das Zusammenleben mit seinem Lebensgefährten, den Brumlik hier allerdings nicht immer mit der angemessenen Diskretion beschrieben findet, wie er meint.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr