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Der erste Band der achtbändigen Werkausgabe des großen saarländischen Schriftstellers Ludwig Harig versammelt poetologische und ästhetische Texte, Vorlesungen und Rezensionen. Ein Nachwort und ein konzentrierter Sachkommentar des Duisburger Germanisten Werner Jung geben die notwendigen Erläuterungen.

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Produktbeschreibung
Der erste Band der achtbändigen Werkausgabe des großen saarländischen Schriftstellers Ludwig Harig versammelt poetologische und ästhetische Texte, Vorlesungen und Rezensionen. Ein Nachwort und ein konzentrierter Sachkommentar des Duisburger Germanisten Werner Jung geben die notwendigen Erläuterungen.
Autorenporträt
Ludwig Harig, am 18. Juli 1927 in Sulzbach/Saar geboren, starb am 5. Mai 2018 ebenda. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Heinrich-Böll-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis; außerdem war Harig Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.07.2004

Luftkutschers Posthorn
Ludwig Harigs gesammelte Aufsätze und Vorträge
„Warum sollte man nicht die Hervorbringung eines Kunstwerks ihrerseits als Kunstwerk auffassen?” Diese rhetorische Frage von Paul Valéry drängt sich auf, wenn man den Band „Aufsätze und Vorträge” von Ludwig Harig liest. Die „allmähliche Verfertigung seiner Gedanken beim Schreiben”, so der Herausgeber Werner Jung, ist das Thema nicht nur der Essays und Reden Harigs, sondern auch seiner Gedichte und Novellen. Sie sind meist Gedichte über das Schreiben von Gedichten, Novellen über das Erzählen von Novellen, zudem waltet in ihnen ein fein gesponnener Beziehungszauber zwischen eigenen und fremden Texten.
So sehr Harig ein Poeta doctus ist, so wenig bietet er seine eigene Sekundärliteratur; er erklärt, er kommentiert nicht, wenn er das Gedicht zum Gegenstand des Gedichts, die Erzählung zum Gegenstand der Erzählung macht, sondern bewegt sich immer innerhalb des poetischen Diskurses. Auch seine Aufsätze über die Kunst des Schreibens, anfänglich noch an einer wissenschaftlichen Mitteilungsform orientiert, verwandeln sich immer mehr in reine Literatur.
Harig, 1927 im Saarland geboren, arbeitete seit 1950 als Volksschullehrer. Am Anfang seines Schreibens in den fünfziger Jahren steht die Faszination durch einen Gelehrten, in dem mathematische Wissenschaftlichkeit und eine avantgardistisch disponierte ästhetische Sensibilität verschmolzen: Max Bense (1910-1990), der an der TH Stuttgart Wissenschaftstheorie lehrte und die Idee des Studium generale verfocht. Er ist der Architekt eines „Gebäudes der schönen Künste”, so Harig, „das auf den Sohlen mathematisch auskalkulierter Fundamente ruht”. Sprache und Mathematik sind für Harig innig verwandte Welten, über seinem Wörterhaus steht wie bei Arno Schmidt eine Warnung für alle, die nichts von Geometrie verstehen: „Nemo geometriae ignarus intrato.”
Worte machen wie mathematische Formeln - hier ist ihm Novalis, der Magier der Zahl, der wichtigste Gewährsmann - „eine Welt für sich aus, sie spielen nur mit sich selbst”. Das Sprachspiel ist Harigs Welt, eine Welt der „Wortfenster”, durch die man nichts erblickt als die Sprache. Das ist - auch Harig nennt sie so - die „Stuttgarter Schule” der konkreten Poesie, die ihn und Autoren wie Heißenbüttel, Gomringer, Mon und Döhl um das intellektuelle Kraftzentrum Bense vereinte.
Es ist typisch für die Tendenzwende der deutschen Gegenwartsliteratur seit den späten siebziger Jahren, dass sich Harig vom „experimentellen Formalisten” über die Zwischenstation des Neuen Hörspiels, dem er durch Collage und Montage von authentischem Tonbandmaterial neue formale Möglichkeiten erschloss, zum „autobiographischen Erzähler” wandelte - Bezeichnungen, die er für sich selbst gewählt hat. Das bei den „Experimentellen” lange verpönte Erzählen wird - zumal in seinem Meisterwerk, dem Vater-Roman „Ordnung ist das halbe Leben” (1986) - nachdrücklich rehabilitiert, freilich in reflexiver Gebrochenheit, die ein naiv zupackendes Draufloserzählen nicht mehr zulässt. Dieser Wandel spiegelt sich auch im essayistischen Werk Harigs und seinen zahlreichen Rezensionen wider, in der zunehmenden Öffnung zur - zumal epischen - Weltliteratur, die ihre lichten Schatten auf sein eigenes erzählerisches Werk wirft.
Was aber den alten und neuen Harig verbindet, ist sein unbeirrtes Festhalten am „Eigensinn” der Literatur. Am schönsten drückt sich das in seiner „Zürcher Rede über die Notwendigkeit der Luftkutscherei” (1979) aus - einem hinreißenden Bekenntnis zur Nutzlosigkeit der Literatur, einer Liebeserklärung an so schöne Länder wie „Utopia”, „Orplid” oder „Wolkenkuckucksheim”. Angesichts der immer ungenierter um sich greifenden Herrschaft des Homo oeconomicus sind Liebesbekenntnisse dieser Art wahrhaft revolutionäre Taten. Wer sich dergestalt dem Nutzen verweigert, dem ist auch die Kunst mehr als bloße Widerspiegelung der Realität. Über sie geht in der Tat Harigs Erzählen weit hinaus.
Was den wahren Epiker auszeichne, hat Richard Wagner einmal mit Blick auf Cervantes gesagt, sei „das Zweite Gesicht für das Nieerlebte”. Ganz Ähnliches meint ein Satz von Jean Paul, den Harig zitiert: „Die Dichtkunst ist kein platter Spiegel der Gegenwart, sondern ein Zauberspiegel der Zeit, welche nicht ist.” Jean Paul, der in den aktuellen Kanon-Debatten kaum eine Rolle spielt, ist überhaupt einer der ästhetischen Leitsterne Harigs. In seiner Frankfurter Poetik-Vorlesung von 1987 („Wer schreibt, der bleibt”) bekennt er, hier wie oft auf Schillers Spieltheorie zurückgreifend: „mein Wörterspiel ist mein Lebensspiel, Wörter sprechend und Wörter schreibend, sprechend schreibend und schreibend sprechend lebe ich”. Und lohnt es sich denn, auf andere Weise zu leben?
DIETER BORCHMEYER
LUDWIG HARIG: Wer schreibt, der bleibt. Aufsätze und Vorträge. Herausgegeben von Werner Jung. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2004. 526 Seiten, 34,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wenn eine Ausgabe von Aufsätzen und Vorträgen den Rezensenten hingerissen schwärmend hinterlassen, dann kann es sich um keine gewöhnlichen Aufsätze und Vorträge handeln. Nein, bestätigt Dieter Borchmeyer - denn Ludwig Harig ist auch kein gewöhnlicher Schriftsteller, sondern ein poetischer Freigeist mit Basislager in der Mathematik, ein Botschafter aus der Welt des Sprachspiels und ein verdientes Mitglied der "Stuttgarter Schule der konkreten Poesie". Und so sind denn seine Texte über das literarische Schreiben mehr eine Vorführung desselben, denn ein sekundärer Kommentar. Gesammelt aus verschiedenen Schaffensperioden des Saarländer Dichters und Novellisten, zeigen sie dessen Wandel vom reinen Experimentalisten zum - wenn auch niemals unbekümmert drauflos schwadronierenden - Erzähler, wobei eines immer obenan steht: das Beharren auf den "Eigensinn" der Literatur. "Am schönsten", schreibt Borchmeyer, "drückt sich das in seiner 'Zürcher Rede über die Notwendigkeit der Luftkutscherei' (1979) aus - einem hinreißenden Bekenntnis zur Nutzlosigkeit der Literatur, einer Liebeserklärung an so schöne Länder wie 'Utopia', 'Orplid' oder 'Wolkenkuckucksheim'".

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