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Das Epos von Gilgamesh in neuer, lesbarer Fassung: Raoul Schrott hat zusammen mit führenden Assyrologen eine wortgetreue, philologische Übersetzung angefertigt. Und daneben steht eine zweite, dichterische Fassung voll jener sprachlichen Frische und Lebendigkeit, für die Schrott bekannt ist. Das älteste Stück Literatur, das wir kennen, wird damit endlich einer breiten Leserschicht zugänglich gemacht.

Produktbeschreibung
Das Epos von Gilgamesh in neuer, lesbarer Fassung: Raoul Schrott hat zusammen mit führenden Assyrologen eine wortgetreue, philologische Übersetzung angefertigt. Und daneben steht eine zweite, dichterische Fassung voll jener sprachlichen Frische und Lebendigkeit, für die Schrott bekannt ist. Das älteste Stück Literatur, das wir kennen, wird damit endlich einer breiten Leserschicht zugänglich gemacht.
Autorenporträt
Raoul Schrott, Jg. 1964, studierte Literatur und Sprachwissenschaft in Innsbruck, Norwich, Paris und Berlin. Er lebt in Innsbruck und Seillans (Provence). Für sein Werk wurde er bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Armer Waldmensch Enkidu
Damals, vor der großen Flut: Raoul Schrott poliert das Gilgamesch-Epos / Von Hans-Martin Gauger

Gibt es Langweiligeres als die Ilias?" fragte einst in einem Gespräch mit André Gide Paul Valéry. Gide antwortete: "Ja, das Rolandslied!" Auch vom Gilgamesch erwartet man Eindrucksvolles, aber auch ein gewisses Maß an Langeweile. Man hat davon gehört - da ist offenbar, in komplexer und fragmentarischer Überlieferung, ein gewaltiges Werk, älter als Homer, älter auch als die ältesten Teile der Bibel. Zu dem gebietenden Monument hat Raoul Schrott jetzt einen neuen Zugang geschaffen, und siehe: Es bewegt sich, es schwebt.

Man betritt da eine bei den ersten Schritten sehr fremde Welt, die sich schon in den Namen zeigt: Enkidu, Humbaba, Ut-napihti, Ishtar (die ist uns als Astarte freilich schon weniger unvertraut - sumerisch, denn es geht zunächst um Sumer, heißt diese Göttin der Liebe und des Kriegs aber noch schöner, nämlich Innana), dann etwa Ereshkigal, ihre Schwester, Shamhat, die Hure, Aruru oder Belet-Ili, Göttin der Geburt, und so fort - Schrott präsentiert zur besseren Orientierung für all diese Namen zwei Glossare. Und dann Uruk, die Stadt, die erste Großstadt vielleicht, deren riesige Mauern Gilgamesch, der König, erbaute; sie ist nicht identisch mit dem - nicht sehr weit entfernten - Ur, woher Abraham stammte. Bald also ist man beim Lesen in dieser Welt und findet danach so schnell nicht wieder heraus.

Gilgamesch war König von Uruk, das schon um 3000 vor Christus blühte (in der Bibel Erech genannt); als historische Figur gehört er ungefähr in die Mitte des dritten Jahrtausends; die Erinnerung an ihn, die nicht nur positiv war, führte zu mehreren kleineren Epen, die dann, nach wohl zunächst nur mündlicher Tradierung, in Keilschrift aufgeschrieben wurden - in sumerischer Sprache. Um 1800 gab es dann Kopien dieser Epen, das Sumerische war da, als gesprochene Sprache, schon ausgestorben, und etwa hundert Jahre später gab es die sogenannte "Altbabylonische Fassung" des Werks. Um 1200 endlich entsteht dann, nun aber in akkadischer Sprache, das "Zwölftafel-Epos" oder die "Ninevitische Fassung", und da haben wir nun schon den Namen eines Autors, der aber wohl nur zusammengestellt und redigiert hat - der Mann hieß Sin-leqe-unninni. Die letzten überlieferten Kopien stammen aus den Jahren um 150 vor Christus. So ruhen danach diese Texte, wobei ein indirektes Weiterwirken nicht ausgeschlossen ist, fast 2000 Jahre lang in völliger Vergessenheit bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein, wo sie wiedererweckt werden. George Smith ist der schlichte Name dessen, den man als ersten Assyriologen bezeichnen darf - ein Autodidakt. Nennen wir aber auch den Lyzeumsdirektor Grotefend, dem 1802 die Entzifferung der Keilschrift gelang. Nur dieser besonderen Schrift übrigens verdanken wir die Texte, um die es hier geht, weil deren materielle Träger entschieden dauerhafter sind als etwa Papyrus oder Pergament.

Das Gilgamesch-Epos sollte nicht in Urtümlichkeitstaumel versetzen. Es ist zwar das älteste Epos, das uns zugänglich ist, doch muß man sich klarmachen, daß dies alles eigentlich schon ungeheuer spät ist, keine Spur von "Morgenfrühe der Menschheit" und dergleichen. Die Malereien in Altamira zum Beispiel sind viel, viel älter und sind keineswegs die ältesten. Man sollte also nichts irgend "Primitives" erwarten oder das Gelesene so deuten. Da ist bereits, wie Hartmut Schmökel, einer von Schrotts Vorgängern, sagt, "Verfeinerung": "Wir sind weit entfernt von der Urwüchsigkeit schlichten Fabulierens", was immer dies heißen mag. Übrigens ist auch die Schrift oder ihre Erfindung erheblich älter, als Schrott angibt, und sie kommt auch nicht, wie man lange glaubte, aus Mesopotamien.

Schrott leitet sein Buch mit einem Essay ein, dann folgt eine Fassung des Epos, die sich auf die "altbabylonischen" Fragmente stützt, dann, nach erneuter Einleitung, die "ninevitische Fassung", also die des Sin-leqe-unninni. Bei den "altbabylonischen" Texten heißt es in der Überschrift wie im Titel des Buchs überhaupt: "Raoul Schrott. Gilgamesh.Epos"; nachher jedoch: "Gilgamesh. Ninivitische Fassung. Deutsch von Raoul Schrott", was einen in beiden Teilen unterschiedlichen Anspruch dokumentiert. Schließlich gibt es, offensichtlich ernsthaft und mit zahlreichen Hinweisen auf gelehrte Literatur, zwei wissenschaftliche, aber faßlich geschriebene Anhänge, die dem Verständnis helfen: "Zum kulturellen Kontext des Epos" (von Robert Rollinger) und "Zum literarischen Kontext des Epos" (von Manfred Schretter). Seriös ist auch Schrotts Einleitung; er hat sich, soweit dies hier möglich ist, gut informiert. Über einige flapsige Bemerkungen liest man angesichts des Vorgelegten ohne Groll hinweg.

Schrott legt hier also, auch was ihn selbst angeht, eigentlich zwei recht verschiedene Werke vor - die "altbabylonischen", sumerisch geschriebenen Kurzepen werden "übertragen" im Sinne einer relativ freien "Nachahmung", und die akkadisch geschriebene Standard-Fassung wird "übersetzt". Beide Texte sind, wenn man sie liest, ohne irgendeine Kenntnis der Sprachen, in denen sie geschrieben oder aufgeschrieben wurden, überaus eindrucksvoll. Natürlich liest sich der erste Teil besonders gut, und da ist freilich sicher mehr Raoul Schrott. Der erste Text ist üppiger, sinnlicher, auch noch greifbarer szenisch, es fehlen auch nicht die vertrauten Schrott-Deftigkeiten ("bringt ihm Shamhat die hat von allen / die ich kenne den breitesten arsch"), aber zurückhaltend scheint der Text auch im Original kaum zu sein. Es finden sich auch mehr moderne Einbrüche, sprachlich und auch gedanklich, etwa "Das alles betrifft mich doch wohl nur am rande" oder Ut-napishtis Rede über Gilgamesch:

"am schluß behauptete er sogar / er sei ein gott wenn auch nur zu zwei dritteln - dabei / kam er mir eher vor wie ein halbes kind - gott bewahr / mich vor solchen spinnern - ich will bloß meine ruhe / doch seine einfalt hatte auch etwas rührendes / daß er glaubte sich vor mir aufplustern zu müssen."

Im ersten Teil wird nicht nur, wie auch im zweiten, alles außer Eigennamen und Satzanfängen klein geschrieben, es gibt an Interpunktion da nur Striche und Frage-und Ausrufungszeichen, während im zweiten auch Punkte und Kommata sind, und direkte Rede erscheint da kursiv - Absetzung also schon im Graphischen. Im übrigen hält die abweichende Schreibung zur hier sehr erwünschten Verlangsamung des Lesens an. Warum Schrott "Gilgamesh" und andere Namen sozusagen englisch schreibt, ist weniger einsehbar, aber eine Art Verfremdung ist dies auch.

Man kann oder muß bei einer Übersetzung oder Nachdichtung drei Fragen stellen. Was wollte der Übersetzer oder Nachdichter? Hat er erreicht, was er wollte? Wollte er, was er wollte, zu Recht? Im Falle dieser Übertragung und dieser Übersetzung kann man die beiden letzteren Fragen klar bejahen. Schrott wollte im ersten Fall "nachdichten" und im zweiten "übersetzen" und wollte beidesmal, in verschiedener Weise, die sich unvermeidlich wiederholenden Texte an uns heranführen, ohne ihnen ihre Fremdheit zu nehmen.

Dies ist sinnvoll, und eine große Schwierigkeit ist es auch. Schrott hat sie mit keckem Schwung gemeistert. Er konzentriert sich auf das Inhaltliche, will "die prosaischen Elemente der Poesie wie die dramatischen Seiten des Epos akzentuieren". Und wieder ist es sinnvoll, dies zu wollen, denn das "Poetische" in Sprache, Sprechweise, Rhythmus, Bildern und so fort ist bei einem dermaßen fernen Text ohnehin kaum zu restituieren. Der Übersetzer schreibt immer seine eigene Sprache. Übrigens konnte bisher auch niemand sagen, worin das Poetische eigentlich besteht - Inhaltliches gehört jedenfalls sicher auch dazu. Man will bei einem solchen Text doch vor allem wissen, worum es geht. Man will die "Fabel", wie Goethe sagte und gegenüber einem überraschten Eckermann auch hinzufügte, sie sei bei einem Gedicht das Wichtigste.

Schrott hat vermieden, was Übersetzer noch heute oft ganz und gar nicht vermeiden. Sie "schönen" nämlich oft, in der Wortwahl besonders: sie poetisieren oder, polemischer gesagt, sie poetastern. Man hat Schrott vor kurzem (Leopold Federmair im "Merkur") unter dem harten Titel "Der große Poesie-Schwindel" heftig kritisiert: Er "entpoetisiere". Er ist aber gerade zu loben, weil er "prosaisch" bleibt, auch in der Poesie, jedenfalls bleibt er es hier. Und in dem, was er in diesem Buch ausdrücklich als "Übersetzung" will, ist er, so gut es bei den unvermeidlichen Voraussetzungen geht, entschieden philologischer als bei dem als "Nachdichtung" Gewollten. Da scheint das Original durch - auch in seinen Schwächen. Da zeichnet ihn beharrliche Redlichkeit aus. Und in beiden Teilen ist hohe Intensität.

Überdies ist hier für den Übersetzer- und Nachdichter-Autor, nicht anders als für den Rezensenten, ziemlich schwankender Boden: Es wurden ja nicht die fraglichen Originale, die in Sumerisch, Akkadisch, Hethitisch und Hurritisch vorliegen, sondern Übersetzungen übersetzt. Klar ist auch, daß die vorliegenden deutschen Übersetzungen mindestens ergänzt werden mußten - sie sind veraltet: erstens in ihrem Sprachduktus und ihrer Auffassung von Übersetzung und zweitens in den Forschungsergebnissen, die ihnen noch nicht vorlagen. Hartmut Schmökel zum Beispiel übersetzt in Blankverse, weil das nun einmal zu poetischer Rede im Deutschen gehöre (es ist auch relativ leicht zu machen): "Der alles schaute bis zum Erdenrunde, / Jed' Ding erkannte und von allem wußte . . ." Dagegen Schrott: "Er, der den abgrund sah, die grundfeste unseres landes, / der das meer kannte und wußte, was zu wissen ist . . ."

Dies ist der Beginn des Werks und auch sein ursprünglicher Titel - "Sha Naqba Imuru" (so tönt es herauf aus dem Brunnen der Vergangenheit), "Der Alles / Die Tiefe sah", ein Werk, dessen Thema der Tod ist und die Unmöglichkeit seiner Überwindung. Eigentlich ein banales Thema. Andererseits ist es, in all seiner Banalität, mit einem lässigen "Was soll das?" nicht wegzufegen. Und im "Gilgamesch" hängt an ihm eine ganze farbige fremde Welt. Der Tod wurde, nach dem Tod des Freunds Enkidu, selbst für den mächtigen und starken und ganz und gar außergewöhnlichen Gilgamesch, der nur zu einem Drittel Mensch war und zu zwei Dritteln Gott, ein Problem, eigentlich: das Problem. Dieses letzte Drittel Mensch, das ihm eigen war, wurde ihm zum Verhängnis - auch er starb, wie Enkidu gestorben war, der nur zu zwei Dritteln Mensch war und zu einem Drittel Tier.

Dann bleibt also nur - aber: ist das eine Antwort? - das Auskosten des durch die Götter Gebotenen und Festgelegten und vielleicht auch jenes "Ich werde nicht gänzlich sterben", "non omnis moriar" des Horaz, also das seinen Schöpfer überdauernde Werk; bei Gilgamesch ist dieses Werk die enorme Stadtmauer von Uruk. Übrigens gibt es im "Gilgamesch" ein eher tristes Totenreich, dem biblischen "Scheol" und dem Hades der Griechen nicht unähnlich, von dem man schwer sagen kann, ob ihm ein definitives Ende nicht vorzuziehen sei. Aber, wie uns auch "Gilgamesch" lehrt: auf das, was wir vorziehen, kommt es nun einmal gar nicht an.

Lassen wir uns in dieser Lage durch Raoul Schrott, der es uns leichtmacht, weil er es sich schwermachte und weil er kühn ist, hineinführen in diese Welt und in ihre Geschichten: die Tötung zum Beispiel des Himmelstiers, den die verschmähte Ischtar-Innana auf Gilgamesch losläßt, oder dann die des gewaltigen Humbaba, des Herrn des Zedernwalds, oder ganz besonders die schöne erotisch getönte Freundschaft zwischen dem Gottmenschen Gilgamesch und dem Tiermenschen Enkidu, welch letzteren Schamhat, die Hure, zivilisiert hatte, und dann die Ut-napischtis, des babylonischen Noahs, der Gilgamesch berichtet von dem, was einmal war - damals, vor der großen Flut.

"Gilgamesh". Nachdichtung und Neuübersetzung von Raoul Schrott. Kommentiert von Reinhold Biechler, Robert Rollinger und Wolfgang Schretter. Carl Hanser Verlag, München 2001. 344 S., 20 Abb., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Dafür, dass der Autor eine dermaßen undankbare Aufgabe übernimmt, meint unser Rezensent großzügig, müsse man ihm einfach dankbar sein. Dabei lässt Stefan Weidner keinen Zweifel daran: Dieses Projekt kann gar nicht funktionieren. Es wäre geradeso, als bauten die Griechen ihre Tempel wieder auf und ließen Vestalinnen aufziehen, ein Disneyland, ganz fürchterlich. Weshalb sich Weidner drauf verlegt, uns die Fakten und, im Kern, das Epos selbst zu vermitteln, um schließlich wieder zur aktuellen Übertragung zurückzukehren. Die nun krankt laut Rezensent an dem Versuch des Autors, die, zunächst mit aller Gewissenhaftigkeit und Transparenz, wie Weidner betont, rekonstruierte Fassung einigermaßen willkürlich zu ergänzen. Das wird dann eine "Hochglanzfassung" der altbabylonischen Überlieferungen, ein "psychologisierender Kostümfilm", eine "schwüle Klamotte," und die "archaische Wucht," die sich für Weidner gerade in den Trümmern und Textlücken des uralten Epos' eingelagert hat, verpufft. Dass Weidner dennoch prophezeit, um diese Übertragung werde niemand herumkommen, der sich für Gilgamesh auf Deutsch interessiere, verweist am Ende nochmals auf die Undankbarkeit einer Aufgabe, an die sich seit 1934 niemand mehr rangetraut hat.

© Perlentaucher Medien GmbH