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Kopenhagen im April 1949. Im Hafenbecken liegt eine junge Frau, ertrunken. "Die Deutsche" hat man sie genannt, denn zur Zeit der deutschen Besatzung hat man Karin oft in den Autos der Nazi-Offiziere gesehen. Seitdem lebt sie als Verfemte in der eigenen Stadt. Doch was ist wirklich geschehen? Julien Green erzählt die Geschichte einer unmöglichen Liebe in Zeiten des Krieges und die Geschichte einer unbedingten Suche nach einem Glauben, der diesem Krieg widerstehen kann.

Produktbeschreibung
Kopenhagen im April 1949. Im Hafenbecken liegt eine junge Frau, ertrunken. "Die Deutsche" hat man sie genannt, denn zur Zeit der deutschen Besatzung hat man Karin oft in den Autos der Nazi-Offiziere gesehen. Seitdem lebt sie als Verfemte in der eigenen Stadt. Doch was ist wirklich geschehen? Julien Green erzählt die Geschichte einer unmöglichen Liebe in Zeiten des Krieges und die Geschichte einer unbedingten Suche nach einem Glauben, der diesem Krieg widerstehen kann.
Autorenporträt
Julien Green wurde am 6.September 1900 in Paris geboren. Nach einem Studienaufenthalt in den USA kehrte er 1922 nach Paris zurück, hier erschienen auch seine ersten beiden Veröffentlichungen, darunter die Romane "Mont-Cinere" und "Leviathan".
Während einer USA-Reise wurde Green vom Ausbruch des zweiten Weltkrieges überrascht und verbrachte daher einige Zeit als Lehrer am College in Baltimore. 1945 kehrte er nach Paris zurück und blieb dort, nur unterbrochen von zahlreichen Reisen, bis zu seinem Tod.
Julien Green erhielt viel renommierte Preise und war seit 1971 Mitglied der Academie Francaise.
Er starb am 13.08.1998 in seiner Pariser Wohnung.
Schon seit Erscheinen seines ersten Buches, 1926 auch in Deutschland, hatte er enthusiastische Leser wie Walter Benjamin, Klaus Mann und Hermann Kesten. Seine Bücher sind geprägt von Leidenschaft und Askese, atmosphärisch dichter Beschreibung und psychologischem Scharfblick.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Keiner zensiert wie ich
Julien Greens "Der Andere" wiederaufgelegt / Von Jürg Altwegg

Die tragische Heldin, die ein Feindsliebchen war, ist tot. Ihre Leiche wird im Hafenbecken von Kopenhagen gefunden. Auch ihr Schöpfer, der als katholischer französischer Dichter "unsterblich" geworden war, ist tot. Er hatte die Nazis in der amerikanischen Armee bekämpft. Tot ist ebenfalls sein Übersetzer, der als deutscher Leutnant in die Kulturgeschichte Frankreichs Einzug gehalten hatte.

Es ist ein meisterhafter Roman um Schuld und Sühne und eine ungeschriebene Dreiecksgeschichte, die sie vereint. Julien Green, 1900 als Sohn amerikanischer Eltern in Paris geboren, wollte sich 1940 um sein zweites Vaterland Frankreich verdient machen. "Am nützlichsten sind Sie, wenn Sie weiterhin Ihre Bücher schreiben", beschied ihn der Dichter und Informationsminister Jean Giraudoux, Verehrer Hitlers und Propagandist der Kollaboration mit den Besatzern. Green entschied sich indes für eine antifaschistische Schaffenspause. Als die Deutschen kamen, verließ er Paris. Er wurde Soldat der US-Army. Im Rundfunk sprach er ab 1943 täglich zu den Franzosen. Als ihr Land befreit war, kam er zurück.

Doch seine Gedanken blieben jenseits des Atlantiks: Amerika rückte ins Zentrum seiner Literatur, Green schrieb seine Südstaatenromane. In Paris geriet er wie viele Schriftsteller und Philosophen, die im bewaffneten Widerstand oder Exil gewesen waren, ein bißchen in Vergessenheit. Sein Katholizismus und Kulturpessimismus entsprachen so überhaupt nicht der linken Euphorie, die es mit Jean Genet hielt, mehr mit Marx als mit Gott, mit Intellektuellen wie Sartre und Camus, die in Paris geblieben waren und ihre Meisterwerke, die den Nachkrieg prägten, vor der Drucklegung von einem deutschen Leutnant hatten absegnen lassen.

In der Literatur kehrte die verdrängte Vergangenheit und Wahrheit 1968 zaghaft zurück. Patrick Modiano veröffentlichte seinen ersten Roman, "La Place de l'Etoile". Michel Tourniers "Erlkönig" erschien 1970, Julien Greens "Der Andere" im Jahr danach. Sein literarischer Rang wurde durchaus gesehen - seine epochale Bedeutung, sein historisches Profil wird erst im nachhinein erkennbar. Der katholische Dichter verlegte die Handlung nach Dänemark, wohin der Franzose Roger aus Angst vor dem Krieg in seiner Heimat gereist war. Die blonden Däninnen liegen dem "Latin Lover" zu Füßen. Er genießt die erotischen Ausschweifungen in vollen Zügen. Mit Karin ist alles ganz anders. Sie zieht ihn an und stößt ihn ab. Sie ist protestantisch und hat Angst vor Männern. Ihre Sehnsucht nach dem Tod ist größer als ihre Lust an der körperlichen Liebe.

Zehn Jahre später kehrt Roger nach Kopenhagen zurück. Er sucht Karin.1939 war Sex seine große Obsession - 1949 ist es seine Suche nach Gott. Aus dem Faun der frivolen Jahre ist ein von Schuldgefühlen und Sühnephantasien herumgetriebener Mensch geworden, der sich in ein Kloster zurückziehen will. Karin lebt geächtet und in Einsamkeit, als sie der Anruf ihres früheren französischen Geliebten erreicht. Sie war die Hure der deutschen Offiziere. Der Katholizismus, zu dem sie sich bekehren möchte, kann sie auch nicht von ihrem Sündenfall erlösen. Rogers religiöses Gerede ist ihr unerträglich. Als Karins Leiche im Wasser gefunden wird, weiß niemand, was mit ihr geschehen ist. Aber viele sind erleichtert. Mit einer Struktur aus vier Teilen kreist Julien Green das Geheimnis von Karins Unglück und Weltschmerz ein - ohne das Unsagbare je auszusprechen. Geschichten wie diese hatten sich in Frankreich tausendfach abgespielt, erstmals geschrieben hat sie der amerikanische Dichter in Paris - ein Szenenwechsel und mehrfacher Rollentausch waren die Voraussetzung.

Schon ein Jahr nach der Originalausgabe erschien eine deutsche Übersetzung. Für diese anforderungsreiche Aufgabe konnte ein ausgewiesener Kenner der französischen Literatur gewonnen werden. Er hieß Gerhard Heller, hatte noch vor dem Krieg Romanistik studiert und seine Sprachkenntnisse in langen Auslandsaufenthalten verbessert. Der Verlag legt seine deutsche Nachdichtung nun allerdings ohne jeden Hinweis auf seine Person neu auf. Damals versuchte Heller, sich als freier Übersetzer durchschlagen, nachdem sein Verlag (Stahlberg), in dem er zweihundert Titel der französischen Literatur herausgebracht hatte, 1968 abgewickelt werden mußte. Seinem Aufbau war die Zeitschrift "Merkur" vorausgegangen, zu dessen Gründungsmannschaft Heller mit seinem Freund Hans Paeschke gehörte. In Baden-Baden teilten sie eine Wohnung. Hier befreundete sich Heller auch mit Alfred Döblin an. Einer seiner Söhne war 1944 als französischer Soldat in den Vogesen gefallen; Heller konnte ihm bei der Suche nach dem Grab behilflich sein. Beide waren für die französische Besatzungsmacht tätig, in deren Auftrag Heller vor dem "Merkur" bereits eine Zeitschrift gemacht hatte.

Seine guten Kontakte und wertvollen Kenntnisse gingen auf die Jahre unmittelbar davor zurück. Im Krieg war Gerhard Heller mit dem Dienstgrad eines Leutnants in Paris für die Zensur und die Papierzuteilung zuständig gewesen. Er organisierte die legendäre Reise der faschistischen französischen Schriftsteller nach Weimar. Heller agierte als liberaler Zensor mit einem sicheren ästhetischen Urteilsvermögen. Das hat sich, als das Papier knapp wurde, als segensreich für die französische Literatur erwiesen. Heller verstand es, die guten Autoren zu fördern. Mit seiner Erlaubnis konnten Werke von Camus, Sartre, Aragon erscheinen. Jüdische und antinazistische Autoren aber durften von vornherein nicht publiziert werden. Die berüchtigte "Liste Otto" umfaßte schließlich tausend dem Reißwolf geweihte Titel. Heller rettete immer wieder einzelne Exemplare. Als "2242 Tonnen Bücher" zerstört wurden, erinnerte ihn dies an die Bücherverbrennungen.

Was er "dabei empfand, begriff er erst später, dank Sartre, der seinerseits Marx zitierte: Scham ist ein revolutionäres Gefühl." Gerhard Heller schrieb dies 1981 in seinem Bericht "Ein Deutscher in Paris". Im Gegensatz zu den anderen Repräsentanten der deutschen Kultur im besetzten Frankreich - Otto Abetz und Karl Epting, aber auch Jünger und Sieburg - hatte sich Heller nach 1945 diskret gemacht und in absolutes Schweigen gehüllt. Man erinnerte sich seiner in Frankreich, als das Tabu Vichy zu bröckeln begann. Es gab die ersten Enthüllungen über Papon. Hellers Erinnerungen entstanden auf Initiative eines Pariser Verlags und wirbelten viel Staub auf. Der Chef der Zensurbehörde verniedlichte darin seine Bedeutung. Er verzichtete aber vor allem darauf, die französischen Dichter und Philosophen zu kritisieren oder gar zu kompromittieren - kein Wort zum Beispiel über Marguerite Duras, die in der Papierabteilung gearbeitet und die er auch privat regelmäßig getroffen hatte.

Als Heller von der Académie française geehrt wurde, war Green längst ihr Mitglied. Heller erwähnt ihn als einen der Dichter, die er übersetzte und mit denen er sich anfreundete. Was sie sich sagten, was sie verschwiegen, ist nicht überliefert. Der deutsche Leutnant hat die meisterhafte katholische Parabel über Scham und Schande des historischen Sündenfalls auf seinem höchsten literarischen Niveau übersetzt. Im Gegensatz zu anderen Werken, die in den vergangenen Jahren meist in Neuübersetzungen - zuletzt "Adrienne Mesurat" - wieder aufgelegt wurden, widerstand Hellers Nachdichtung der Zeit. Mit ihr schließt der Verlag die Ausgabe der Romane Julien Greens ab.

Julien Green: "Der Andere". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Gerhard Heller. Carl Hanser Verlag, München 2001. 349 Seiten, geb., 46,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kalt und fremd, warnt Christoph Bartmann, müsse die Hoffnungslosigkeit dieser katholischen Tragödie den heutigen Leser berühren: Eine verzweifelte Sünderin will katholisch werden, um dem Teufel zu entkommen und eine Liebe zu retten. Ob das nicht grauenvoll klinge. Allerdings. Allerdings gefällt Bartmann der Roman trotzdem ausnehmend gut. Ein Wunder, meint er selbst, dass das Ganze niemals schwerfällig, sondern bisweilen sogar heiter wirkt. Oder eben die Kunst des Julien Green. Und einer Lesart des Katholizismus vielleicht auch, die das Institutionelle, Festgefügte und Autoritäre scheut und sich den "Hang zum Spott" bewahrt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Niemals schwerfällig, sondern im Gegenteil bisweilen fast heiter und nonchalant." Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung, 06./07.10.2001 "Ein meisterhafter Roman um Schuld und Sühne... Greens epochale Bedeutung, sein historisches Profil wird erst im nachhinein erkennbar. Gerhard Heller hat die meisterhafte katholische Parabel über Scham und Schande des historischen Sündenfalls auf seinem höchsten literarischen Niveau übersetzt." Jürg Altwegg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.12.2001