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Unheimliches geschieht auf der Insel Waytansea: Mauern tauchen auf, wo Türen sein sollten, Räume, soeben noch als Esszimmer oder Küche genutzt, verschwinden plötzlich. In Wände geritzte Prophezeiungen drohen jedem, der einen Fuß auf die Insel setzt, mit dem Tod. Für Misty Wilmot kommt diese Warnung zu spät: Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch fällt ihr Mann Peter ins Koma, ihre Tochter Tabbi ertrinkt bei einem Unfall, und sie selbst ist wegen einer Vergiftung ans Bett gefesselt. Gequält von Wahnvorstellungen über ihren herannahenden Tod protokolliert Misty jedes einzelne Ereignis ihres…mehr

Produktbeschreibung
Unheimliches geschieht auf der Insel Waytansea: Mauern tauchen auf, wo Türen sein sollten, Räume, soeben noch als Esszimmer oder Küche genutzt, verschwinden plötzlich. In Wände geritzte Prophezeiungen drohen jedem, der einen Fuß auf die Insel setzt, mit dem Tod. Für Misty Wilmot kommt diese Warnung zu spät: Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch fällt ihr Mann Peter ins Koma, ihre Tochter Tabbi ertrinkt bei einem Unfall, und sie selbst ist wegen einer Vergiftung ans Bett gefesselt. Gequält von Wahnvorstellungen über ihren herannahenden Tod protokolliert Misty jedes einzelne Ereignis ihres grausamen Schicksals. Und sie malt: Geradezu obsessiv malt sie Stunde für Stunde, Bild um Bild, ohne sich je an eines erinnern zu können. Doch jede Zeichnung raubt etwas von ihrer Lebenskraft, bis Misty in einem ihrer seltenen klaren Momente bewusst wird, dass sie sich buchstäblich zu Tode malt. Mit beinah übermenschlicher Anstrengung gelingt es ihr, sich den alptraumhaften Halluzinationen zu entziehen, die sie seit Monaten gefangen halten, nur um in eine neue Welt des Wahnsinns einzutreten: Eine letzte Prophezeiung weissagt, dass Misty der einzige Mensch ist, der die Insel von ihrem Fluch erlösen kann ...

Eine hintergründige Parabel über die lebensverachtende Respektlosigkeit der modernen Gesellschaft: Eine boshafte Abrechnung.
Autorenporträt
Der amerikanische Autor Chuck Palahniuk, geb. 1962, träumte lange davon, Schriftsteller zu werden. Doch erst ein persönlicher Einschnitt in seinem Leben gab ihm schließlich den Impuls, seinen Traum zu verwirklichen. Seit seinem Überraschungserfolg 'Fight Club' genießt Palahniuk nicht nur bei zahlreichen Lesern Kultstatus, er hat sich mit seinen folgenden Romanen auch in die Riege amerikanischer Bestsellerautoren geschrieben. Chuck Palahniuk lebt in Portland, Oregon.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2005

Daumenschrauben für die Gegenwart
Chuck Palahniuk schreibt über die Kunst des Schmerzes und den Schmerz der Kunst: "Das letzte Protokoll"

Mit der Dunkelheit ist es ja so, daß du nur lang genug drin sein mußt, und wenn du wieder herausfindest, dann siehst du alles in einem viel helleren Licht. Die Dunkelheit, könnte man sagen, ist also nur eine Taktik. Nur ein Trick.

Andererseits ist die Dunkelheit vor allem auch dunkel. Sie ist finster und bedrohlich, und du bist ganz allein dort, wo dich niemand sieht und dir niemand hilft. Und weil du das Licht nicht mehr findest, weil du aber nicht aufgehört hast, danach zu suchen, deshalb erfindest du dir eben das Licht, die Quelle, deine Hoffnung. Das heißt, du wirst gläubig, auf eine gewisse Weise, auf eine manchmal zweifelhafte Weise, denn in dieser Welt der Mörder, Lügner und Scharlatane ist der Glaube immer auch etwas, das sich gegen dich wenden kann. Auch der Glaube ist nur ein Trick.

"Was man nicht versteht, kann man deuten, wie man will."

Aber du bist nicht Victor oder Carl oder Misty oder Chuck.

Du bist nicht Victor, sexsüchtiger, verlorener Victor, der sein Geld damit verdient, daß er in Restaurants so tut, als ob er erstickt, damit fremde Leute ihm zu Hilfe eilen, die sich dann wie Helden fühlen, weil sie ihn ja gerettet haben, und ihm so dankbar sind für dieses Heldengefühl, das ihrem kleinen Leben etwas von Größe, von Spiritualität sogar und auch von Glauben gibt, daß sie ihm immer wieder und gerne Geld geben, was ist schon Geld in dieser glaubenstauben Zeit?

Du bist nicht Carl, gnädiger, grausamer Carl, der seine Frau und seine Tochter vor so langen Jahren verloren hat, daß er wie ein Gefühlsmutant durch sein Leben wandelt, erinnerungslos und schal, bis er auf eine seltsame Serie von Zufällen stößt, es gibt keine Zufälle, lauter tote Säuglinge, und immer ist dieses Kinderlied im Spiel, ein Kinderlied, das tötet, wie sich herausstellt, und Carl, der einsame Carl, wird zum Killer, mehr aus Neugier als aus Leidenschaft, mehr aus Schwäche als aus Machtwillen, bis er sich aufmacht zu einem bizarren, verwickelten Kreuzzug, der ihn quer durch Amerika führt, ein dunkler Ritter, der diese spirituelle Wüste durchstreift und dabei fast eine Familie findet und fast so etwas wie Liebe.

Du bist nicht Misty, arme, dumme Misty, deren Mann im Koma liegt und die viel zuviel trinkt und immer dicker wird und nicht mehr malt und deren Tochter ein willenloses kleines Monster ist in den Fängen der Großmutter, die Misty benutzt, um der Vorsehung den Weg zu ebnen, eine grausame, verdrehte Vorsehung, die Tod und Tragödie bedeutet, um einigen so etwas wie Ruhe und Glück zu bringen, eine Vorsehung, die Menschen verschlingt, aber so ist das, das Wort ist mächtiger als das Schwert, auch darin besteht ein Trick, ein böser Trick.

Und du bist nicht Chuck, dunkler, brillanter Chuck, der sich all das ausgedacht hat, der all das in sich trägt.

Chuck, der so ernst schaut auf den Fotos, der mal lange Haare hat und aussieht wie ein Jesus aus den weiten Wäldern des Westens, der mal kurze Haare hat und aussieht wie ein Asket, der die Einsamkeit gewählt hat, weil hinter seinen gleichmütigen Augen ein Kampf tobt, zu schrecklich, um davon anderen zu erzählen.

Chuck, der in Portland, Oregon, geboren wurde und mal Mechaniker war, bevor ihn sein erstes Buch gleich berühmt gemacht hat, der "Fight Club" Ende der neunziger Jahre, erst sein Roman und dann der Film mit Brad Pitt oder umgekehrt.

Chuck, der all diese Bücher geschrieben hat, Victor und "Der Simulant", wo er die Welt als Krankheit beschreibt, an der wir alle leiden, und uns nichts bleibt, als uns selbst zu therapieren; Carl und "Lullaby", wo er die Biographie als Fluch beschreibt, den wir ein Leben lang vertreiben wollen, ohne zu merken, daß das gerade der Fluch ist; Misty und "Das letzte Protokoll", wo er Krankheit und Kunst und Biographie auf so boshafte und kluge Weise ineinander, übereinander, gegeneinander schiebt, daß am Ende die Vernichtung einer Welt steht.

Armer, erwählter Chuck.

Er ist der Schmerzensmann der amerikanischen Literatur, er ist ein Visionär und ein Gläubiger, er ist ein Verzweifelter und ein Ungläubiger, er ist ein glänzender Stilist, der seine Sätze wie Nadeln in die Texte treibt, seine Geschichten sind geboren aus Wut und Schmutz, er ist der Edgar Allan Poe des 21. Jahrhunderts, er geht durch die Finsternis, denn er will sehen.

Chuck Palahniuk. Die Website, die seine Fans eingerichtet haben, heißt nur "The Cult".

Denn Palahniuk ist Religion. Er erzählt moderne Antimärchen. Seine Literatur ist eine Art Gegenzauber für eine Gegenwart, die sich dem Lärm, dem Sex, dem Egoismus und der Verschwendung verschrieben hat. Chuck Palahniuk ist ein höchst zweifelhafter Aufklärer im Gewand eines Romantikers.

"Misty erzählt, um den Ausdruck von Schmerz richtig hinzukriegen, habe der Bildhauer Bernini einmal sein Gesicht gezeichnet, während er sich mit einer Kerze das Bein versengte. Als Géricault ,Das Floß der Medusa' malte, ging er in ein Krankenhaus und machte Skizzen von den Gesichtern der Sterbenden. Er trug ihre abgetrennten Köpfe und Arme in sein Atelier und beobachtete, wie die Hautfarbe sich während des Verwesungsprozesses veränderte."

Palahniuks neuester Roman "Diary", der auf deutsch mit dem recht irreführenden Titel "Das letzte Protokoll" und auch im Vergleich zur amerikanischen Ausgabe in einer sehr lieblosen Aufmachung erscheint, ist auf einer Ebene eine gnadenlose Meditation über die Art und Weise, wie die Kunst den Schmerz bedingt, wie ohne Schmerz keine wahre Kunst möglich ist, wie sich bei Michelangelo, Matisse, Schumann, Nietzsche, Klee, Byron, Kahlo, Rothko, Paganini und all den anderen Schönheit und Leiden bedingt und ergänzt haben - besonders von der Bleivergiftung Goyas ist Palahniuk angetan, die den Maler langsam in Taubheit, Depression und Wahnsinn versinken ließ.

So wie Misty.

"Falls du dich nicht erinnerst: Wenn sie dich besuchen kommt, trägt sie immer eine dieser alten kaputten Broschen, die du ihr geschenkt hast. Misty legt den Mantel ab, nimmt die Brosche und klappt die Nadel auf. Die hat sie natürlich mit Alkohol sterilisiert. Gott behüte, daß du auch noch eine Staphylokokkeninfektion bekommst. Sie steckt dir die Nadel dieser haarigen alten Brosche - ganz, ganz langsam - in die Hand, den Fuß oder den Arm. Bis sie entweder auf einen Knochen stößt oder auf der anderen Seite wieder herauskommt. Falls es blutet, wischt Misty das ab.

Wie nostalgisch."

Misty, die denkt, ihr Mann liege deshalb im Koma, weil er versucht habe, sich selbst umzubringen. Misty, die all die Anrufe kriegt von den Leuten, deren Ferienhäuser ihr Mann renoviert hat und de-nen nun ein Schlafzimmer fehlt oder eine Küche oder ein Bad, einfach verputzt und verschwunden, und wenn sie das Zimmer doch noch finden und die Wand aufbrechen und hineinleuchten ins Dunkel dahinter, dann sehen sie dort in zittrigen, wütenden Buchstaben Sätze wie ". . . wenn ihr einen Fuß auf die Insel setzt, werdet ihr sterben . . ." oder ". . . verschwindet von hier, so schnell ihr könnt. Sie werden alle Kinder Gottes töten, wenn sie damit die eigenen retten können . . ."

Misty, die talentierte Kunststudentin aus der weißen Unterschicht Amerikas, die vom Glanz und Geld der Wilmot-Familie geblendet wird, die Peter Wilmot heiratet und mit ihm ins Familienhaus auf die idyllische Insel Waytansea zieht - um dort zum Werkzeug eines jahrhundertealten Plans zu werden. Sie soll helfen, der Insel den Reichtum zurückzugeben, den die Abkömmlinge der ersten Amerikaeroberer verloren haben. Sie soll helfen, die Touristen von der Insel zu vertreiben. Sie soll helfen, die verlorene Unschuld, den Urzustand, eine Art Paradies wiederherzustellen. Ein tödlicher Plan. Ein Trick.

Auch darin ist Palahniuk natürlich ein durch und durch amerikanischer Autor: Er weiß, daß diese Unschuld für immer verloren ist, aber er rennt und rennt gegen dieses Wissen an. Im Grunde ist es auf sehr fortschrittliche Weise reaktionär, was er in seinen Romanen fordert und formuliert. Aber vielleicht ist der Aufklärer heute ein Antimodernist.

"Dadurch wissen wir, was wir nicht wissen."

Palahniuk liebt die Gegensätze, die scharfen Schnitte, die Widersprüche. Er ist ein formbewußter, brillanter, innovativer Schreiber, der seine Geschichten aber weniger erzählt, als vielmehr anwendet. Wie ein Operateur setzt er diese Nadelsätze, die seinen Romanen ihren betörenden Rhythmus, ihren fast magischen Sog verleihen. Palahniuk ist ein Moralist, dessen Strenge oft hinter der verräterischen Schönheit seiner Sätze verschwindet. Im Grunde geht es nie um etwas anderes in Palahniuks Büchern als um diese Brüche, um diesen Singsang, um die Worte, die den Weg weisen zum Unbewußten, Versteckten, Verborgenen. Er hat es geschafft, daß die Art, wie er die Geschichte erzählt, so wichtig ist wie die Geschichte selbst.

"Das Wetter heute ist teilweise wütend mit gelegentlichen Tobsuchtsanfällen.

Falls du dich nicht erinnerst: Misty hat dir Lammfellstiefel mitgebracht, damit du warme Füße hast. Du trägst enge orthopädische Strümpfe, die dir das Blut ins Herz zurückzwingen sollen. Sie hebt alle Zähne auf, die dir ausfallen.

Nur um das festzuhalten: Sie liebt dich immer noch. Wenn das nicht so wäre, würde sie sich nicht die Mühe machen, dich zu quälen.

Du Mistkerl. Kriegst du das mit?"

Das Licht, das in diese dunkle, von Panik, Paranoia und Wahn durchzogene Welt Chuck Palahniuks dringt, kommt aus den unerwarteten Ecken, und manchmal existiert es auch nur in den Köpfen seiner Antihelden. Palahniuk mag und respektiert seine Figuren, er ist ihnen nah, ohne mit ihnen den ganzen Weg zu gehen. "Das letzte Protokoll" ist sein am feinsten gesponnener Roman, bei all dem Thrill und der Depression ist er von einer fast verschlungenen, schwebenden Heiterkeit. Die Kunst des selbstzerstörerischen Tagebuchs, wie sie in dem Roman angelegt ist, bezeichnet dabei eine Art von autobiographischem Manifest. "Das letzte Protokoll" ist philosophisch auf eine Art, die manchen auf die Nerven gehen kann, die Philosophie als einen Streit um Wahrheiten verstehen und nicht als ein Spiel.

Chuck Palahniuks Literatur ist der schmale Weg zwischen zwei Wahrheiten.

Es gibt gerade keinen anderen.

GEORG DIEZ.

Chuck Palahniuk: "Das letzte Protokoll". Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Manhattan-Verlag. 284 Seiten. 19,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.07.2005

Schmerztherapie
Nägel im Hinterkopf: Chuck Palahniuks „Das letzte Protokoll”
Hätte Misty doch nie mit der Malerei begonnen, ihr wäre die Rolle der Hauptleidtragenden in Chuck Palahniuks neuem Roman erspart geblieben. Dabei beginnt die Geschichte des mittellosen Mädchens wie ein Märchen. Peter Wilmot scheint der Prinz zu sein, für den es lohnt, das eigene Leben, die Kunst, aufzugeben. Sie folgt ihm nach Waytansea Island, Sitz seiner ehemals wohlhabenden Familiendynastie. Dort jedoch tun sich eigentümliche Dinge. Bei Bauarbeiten verschwinden Räume, die man mit ominösen Todesdrohungen ausgemalt hinter Zwischenwänden wiederfindet. Es ist dies Peters psychopathisches Werk, der dann nach einem angeblichen Selbstmordversuch ins Koma fällt. Auf sich gestellt und nur mit Hilfe von Alkohol und Medikamenten zum Frondienst im Inselhotel in der Lage, stößt Misty auf die rätselhaften Botschaften zweier Frauen, Künstlerinnen wie sie einst, die auf Waytansea unnatürlicher Tode gestorben sind. Bald bedeuten ihr die Insulaner, nun ihrerseits die Malerei wieder aufzunehmen. Es gilt eine grausame Nachfolge anzutreten, so dräut es Misty schließlich. Was der Clan verlangt, das sei verraten, kostet sie fast das Leben.
„Das letzte Protokoll” führt Misty als eine Art Koma-Tagebuch für den absenten Mann, vor allem jedoch ist es das Logbuch des eigenen Leidens. Chuck Palahniuk hat hier erneut ein abgründiges, finster misanthropisches Buch vorgelegt, in dem die Beschreibung der physischen Versehrtheit des Individuums breitesten Raum einnimmt. Anders als im knallharten „Fight Club” splittern hier keine Nasenbeine, doch auch der neue Roman erweist sich mitunter als narrative Schmerztherapie. „Sie hackt noch einmal, und wieder sticht sie sich”, heißt es, als Misty versucht, sich eines Gipses zu entledigen, der sie an der Flucht hindern soll, „die Klinge fährt durch die dünne Haut bis auf den Knochen.” Dabei ist Palahniuk ein Könner auch der leisen Töne, weiß zuweilen mit einer fast minimalistischen Prosa zu überzeugen. Das einmal gesetzte „Mutter” statt des gewohnten „Mama” bedeutet präzise die Entfremdung der Tochter. Doch der Blick auf die Oberfläche scheint nie ausreichend. Diese durchstoßend dringt der anatomische Blick wie zwanghaft stets tief ins Fleisch ein. Reizvoll sind hier einzig jene Momente, in denen Inhalt und Form zur Deckung kommen: „Der Kopfschmerz hämmerte ihr den langen, langen, langen Nagel in den Hinterkopf.” Die Wirkung dieses literarischen Piercings jedoch lässt bald nach, der Text erweist sich aufgrund zu vieler Hiebe und Stiche zuletzt selbst als seltsam blutleer. Ähnlich ermattet wie die Protagonistin in ihrem Verließ voller Leinwände findet sich bald auch der Leser.
Spannung vermag erst das Schreiben über das Schreiben selbst wieder zu erzeugen, ein wiederkehrendes Moment in Palahniuks Romanen, etwa in „Flug 2039”(2003) oder in „Lullaby” (2004). „Das letzte Protokoll” suggeriert zunächst aufgrund seiner Form, herkömmliches Tagebuch einer Autorin zu sein. Doch Palahniuk nährt systematisch Zweifel an Mistys Autorschaft. Schwiegermutter Grace, die ihrerseits Tagebuch führt, hatte sie stets dazu zwingen müssen, gleichzeitig vieldeutig betont: „Wir kennen jeden deiner Schritte.” Die Tagebücher der toten Künstlerinnen enthalten überdies identische Geschichten. Wer schreibt hier wessen Leben, so fragt man sich und jagt Indizien nach. Auf diese Weise am Fundament zu rütteln ist bestechend und weit verstörender als von in Brustwarzen fahrenden Broschennadeln zu lesen oder zur Kenntnis zu nehmen, dass schwarze Farbe aus verkohlten Knochen besteht.
JOHANN C. MAASS
CHUCK PALAHNIUK: Das letzte Protokoll. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Manhattan Goldmann, München 2005. 284 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Wer ist der Autor" sei die spannende Frage bei diesem Roman in Tagebuch-Form, erklärt uns Rezensent Johann C. Maass. Zunächst sei er die Stimme einer Malerin, die mit ihrem Geliebten zu dessen Heimat und Familiedynastie auf eine Insel fährt. Der Mann fällt ins Koma, die Malerin dokumentiert ihr "Überleben" unter Alkohol und Medikamenten auf der Insel mit dem "Protokoll", das der Roman ist. Der Autor habe hier wieder einmal ein "abgründig, finster misanthropisches Buch" geschrieben, konstatiert der Rezensent, und er beherrsche jenseits aller finalen und gewalttätigen Szenarien durchaus auch die "leisen Töne". Aber die ständigen Beschreibungen von physischen Verletzungen sind ganz und gar nicht nach seinem Geschmack, und er legt mit Nachdruck die Finger auf die vermeintlichen Wunden von Palahniuks Prosa. Paradoxerweise seien die einschneidenden Darstellungen "seltsam blutleer" und ermüdeten den Leser. Die Frage nach der Autorschaft dagegen sei "bestechend" inszeniert. Schon tote Malerinnen auf der Insel, die Schwiegermutter, die eigene Mutter haben alle sprachliche Spuren hinterlassen, die das Protokoll der Malerin als Palimpsest über Untoten lesbar machten.

© Perlentaucher Medien GmbH