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Produktdetails
  • Verlag: Europäische Verlagsanstalt
  • Seitenzahl: 179
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 388g
  • ISBN-13: 9783434504238
  • ISBN-10: 3434504230
  • Artikelnr.: 24451301
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.1999

Olga, Lara und Schweine
György Dalos besichtigt Pasternak

Hunderttausende hatten "Doktor Schiwago" in der literarischen Hausapotheke stehen. David Leans arg verkitschte Verfilmung mit Omar Sharif als Schiwago, Julie Christie als Lara und reichlich russischem Puderzucker-Schnee machte ganze Kinosäle schluchzen und bescherte Hollywood einen ähnlichen Erfolg wie "Ben Hur" oder "Vom Winde verweht". Als 1978 die Erinnerungen der letzten Geliebten und Muse Boris Pasternaks erschienen, gab der deutsche Verlag Olga Iwinskaja im Buchtitel als die literarische Figur aus, die sie angeblich inspiriert hatte: "Lara. Meine Zeit mit Pasternak".

Die Affäre um die Verleihung des Literatur-Nobelpreises 1958 an Boris Pasternak liegt vier Jahrzehnte zurück, das Buch seiner Geliebten zwei. Was mag den in Berlin lebenden ungarischen Schriftsteller György Dalos veranlasst haben, den Fall noch einmal aufzurollen und in einem "Fast-Roman" das bewegte Leben der Olga Iwinskaja nachzuzeichnen? Nostalgie kann es nicht sein, aber eine gewisse Obsession jener fünfziger und sechziger Jahre, die unter dem Zeichen des Kalten Krieges standen, wohl schon. Es war eine Zeit, als künstlerische Wahrhaftigkeit und staatlich verordnete Lüge sich noch recht übersichtlich gegenüberstanden. Dieser Faszination hat Dalos schon mit seinem Buch "Der Gast aus der Zukunft" (1996) gehuldigt, das die Begegnung Anna Achmatowas mit Isaiah Berlin vor dem Hintergrund des Kalten Krieges nachzeichnete. Das neue Buch ist das bessere, es verknüpft die heiße Liebe mit dem Kalten Krieg auf schlüssigere Weise.

Olga Iwinskaja ist 1995 in Moskau gestorben. Das von einer Moskauer Boulevardzeitung im November 1997 in Umlauf gesetzte Gerücht, sie sei eine auf Pasternak angesetzte KGB-Agentin gewesen, wurde selbstverständlich auch im Westen kolportiert. Dalos' Recherche hält sich an die veröffentlichten Dokumente und vermeidet heilsam jede Fabuliererei. Seine Dokumentation ist zwangsläufig unvollständig, diverse Archive sind noch immer verschlossen. Dennoch ist sein Buch nicht anachronistisch, sondern höchst lehrreich und der Iwinskaja gegenüber auch fair. Dalos betreibt weder Weißwäscherei noch Dämonisierung dieser Frau, die hin und her gerissen war zwischen der Hingabe an Pasternaks Angelegenheiten (oder was sie dafür hielt) und amourösen und materiellen Eigeninteressen. Als zumindest zwiespältige Figur gibt Olga Iwinskaja kein schlechtes Sujet für einen "Fast-Roman" ab. Das erzählerische Geflecht aus politischen Intrigen, Familiendrama, Genese eines berühmten Romans und Porträt eines Zauderers und großen Dichters liest sich auch vier Jahrzehnte nach den Ereignissen mit ungebrochener Spannung.

Schon bald nach der ersten Begegnung 1946 in den Büroräumen der Zeitschrift "Nowyi Mir" wurde die fünfunddreißigjährige Olga Iwinskaja, die zwei gescheiterte Ehen hinter sich hatte, Pasternaks Geliebte. Der Dichter war ebenfalls ziemlich erschöpft von seiner zweiten Ehe mit Sinaida Neuhaus, die er 1934 geheiratet hatte und trotz allem nie verließ. Das klassische Dreiecksverhältnis muss den unschlüssigen Pasternak arg gebeutelt haben.

Die Stalin-Epoche überlebte Pasternak bekanntlich unbeschadet: ein Rätsel noch heute. Ob Stalins angebliches Diktum "Diesen Himmelsbewohner rührt mir nicht an!" geholfen hat oder ob dem aus Georgien stammenden Diktator Pasternaks schöne Übertragungen georgischer Lyrik geschmeichelt haben? Der KGB hatte aber stets auch andere, erpresserische Mittel, einen scheinbar Verschonten in Panik zu versetzen, das Auftauchen dieser Geliebten und Vertrauten ließ er sich nicht entgehen. Sie wurde im Oktober 1949 verhaftet und aufgrund des berüchtigten Paragraphen 58-10 ("Antisowjetische Agitation und Propaganda") ins Arbeitslager gesteckt. Erst in der März-Amnestie 1953 nach Stalins Tod kam sie frei und knüpfte mit dem sich mitschuldig fühlenden Dichter wieder an. Der wird schließlich in der Schriftstellersiedlung Peredelkino bei Moskau zwischen der "großen Datscha", wo die Angetraute mit den beiden Söhnen wohnte, und der "kleinen Datscha" als dem Reich der Nebenfrau hin und her pendeln, zwischen zwei massiven Schuldgefühlen zerrieben und ewig sich um eine Entscheidung drückend.

Explosiv wurde die Situation erst, als der italienische Literaturagent Sergio d'Angelo im Mai 1956 in der "großen Datscha" zu Gast war und das Haus mit dem Manuskript des "Doktor Schiwago" verließ. Olga Iwinskaja versuchte den fatalen Gang der Ereignisse aufzuhalten, doch diesmal war Pasternaks Zaudern unecht - er wollte die Veröffentlichung. Über die Möglichkeiten einer unzensierten Veröffentlichung seines Romans in der Sowjetunion machte er sich wohl kaum Illusionen. Dalos' Buch gewinnt seine Spannung nicht zuletzt aus Pasternaks Widersprüchen, aus seinen persönlichen Paradoxien, seinem Kleinmut, seinen Gefühlsschwankungen: "Boris Pasternak war mutig genug, einen antisowjetischen Roman in den Westen schmuggeln zu lassen, und traute sich nicht, bei seiner Geliebten zu übernachten. Beide Haltungen waren seiner Persönlichkeit immanent."

Doch schon überstürzten sich die Ereignisse. Feltrinelli in Mailand veröffentlichte den Roman im November 1957, und schon im Jahr darauf, am 23. Oktober 1958, wurde Pasternak der Literatur-Nobelpreis zugesprochen. Auf sein berühmtes Antwort-Telegramm ("Unendlich dankbar, bewegt, stolz, überrascht, verwirrt") folgte schon drei Tage später der Widerruf, die Ablehnung des Nobelpreises unter massivem politischen Druck. Die infame Hetzkampagne wirkt auch heute noch empörend. Vor allem der ZK-Sekretär des Jugendverbandes Komsomol, Wladimir Semitschastnyi, tat sich dabei hervor: Pasternak sei schlimmer als ein Schwein, weil dieses nicht den Trog besudle, aus dem es fresse.

Olga Iwinskaja als Pasternaks "rechte Hand" (so nannte sie der Dichter selber) wurde wohl auch von offiziellen Stellen als Vermittlerin benutzt, die zudem beauftragt war, Pasternak vor ausländischen Besuchern abzuschirmen. So kam die Iwinskaja aus einer zwielichtigen Rolle nie heraus. Sie zur KGB-Agentin zu stempeln, dürfte wohl abwegig sein. Dalos verweist zu Recht auf einen Geheimbericht des KGB vom 16. Februar 1959, der die Iwinskaja schon im ersten Satz als "sehr antisowjetisch eingestellt" charakterisierte. Auch andere Dokumente zeigen klar, was die "Organe" von ihr hielten, die zu allem Makel auch noch adeliger, nicht proletarischer Abkunft war: "moralisch korrupt" und "antisowjetisch". Dass sie dennoch gelegentlich mit offiziellen Stellen kooperierte, begründet sich wohl mit ihrer Angst vor einer neuen Verhaftung. Die Jahre im Lager von 1949 bis 1953 hatten sie traumatisiert. Und sie sollte überdies Recht behalten. Kaum war Pasternak am 30. Mai 1960 gestorben, wurde sie zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, von denen sie die Hälfte absitzen musste. Keine Traumkarriere für eine angebliche Agentin! Einen Anklagegrund zu fabrizieren, war für den KGB ein Kinderspiel. Immer wieder landeten "italienische Touristen" bei der Iwinskaja, die Koffer voller Rubelnoten als Pasternaks Schiwago-Tantiemen bei ihr ablieferten. Wegen "Devisenvergehen" und "Schmuggel" wurde sie schließlich verurteilt.

Als es während des Gewaltmarsches von der Bahnstation zum Arbeitslager zu einem Zwischenfall kam, soll die Iwinskaja den Wachsoldaten voller Wut zugebrüllt haben: "Ihr Schweine! Habt ihr je den Namen Pasternak gehört? Habt ihr den ,Doktor Schiwago' gelesen? Wisst ihr eigentlich, wer Lara ist?" Dalos bleibt seiner Zurückhaltung treu, wenn er den Ausbruch nur knapp kommentiert: "Alles, was an Olga Iwinskaja falsch und echt war, hat sie in diesem Wutausbruch exakt zum Ausdruck gebracht." Gewiss leuchtet hier ihre kleine Lebenslüge auf, die Verwechslung von Literatur und Leben, doch vielleicht half ihr diese Verwechslung, die Lagerzeit zu überleben. Vielleicht aber schickte sie nur die Schweine-Metapher, mit der ihr Geliebter einst besudelt wurde, energisch an den Absender zurück.

RALPH DUTLI.

György Dalos: "Olga - Pasternaks letzte Liebe". Fast ein Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Elsbeth Zylla. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999. 180 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Dorothea Dieckmann äußert sich in ihrer Doppelbesprechung von Györy Dalos` beiden neuen Roman sehr verhalten. Das Thema Thema des "Gottsucher", die Tristesse Ungarns nach der Niederschlagung des 56er-Aufstands, wird nach Dieckmann in dem Buch ziemlich deutlich. Was sie damit meint, bleibt unklar. Dieckmann lässt einen etwas im Umklaren darüber, was sie von der Geschichte hält. "Abgeklärte Sympathie", macht sie in ihr aus, eine "einfühlsame Reportage". Ist das nun gut oder schlecht? "Olga, Pasternaks letzte Liebe" wird von Dieckmann eigentlich nur erwähnt. Eine wahre Geschichte über die Verschleppung einer literarischen Figur. Hhm.

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