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Produktdetails
  • Verlag: Europäische Verlagsanstalt
  • Seitenzahl: 511
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 958g
  • ISBN-13: 9783434504078
  • ISBN-10: 3434504079
  • Artikelnr.: 24051209
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.1999

Geballte Geschichten mit drei Gesichtern
Richard Sorge: Der James Bond der Zeithistoriographie

Robert Whymant: Richard Sorge: der Mann mit den drei Gesichtern. Aus dem Englischen von Thomas Bertram. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999. 520 Seiten, Abbildungen, 48 Mark.

Autor des neuesten Sorge-Buches - es wird das letzte nicht sein - ist der britische Journalist Robert Whymant. Die englische Ausgabe trägt den Titel "Stalin's Spy", die deutsche "Richard Sorge: der Mann mit den drei Gesichtern". Zwei genügen offenbar nicht. Whymant beschreibt Sorges Lebenslauf, den Aufbau und die Arbeit seines umfangreichen Spionagerings in Japan von 1933 bis zur Enttarnung im Jahre 1941 und Sorges Haft und Hinrichtung am 7. November 1944, dem Jahrestag der Oktober-Revolution. Sorges Person ist heute von einer Legende überdeckt. Whymant fügt der Legende noch einige pikante, aber unbeweisbare Details hinzu.

Richard Sorge war von 1933 an Japan-Korrespondent der "Frankfurter Zeitung" und galt seinerzeit zu Recht als bester Kenner der japanischen Politik. Hinter dieser Tarnung aber arbeitete er für den Geheimdienst der Roten Armee, das "Vierte Büro". Sein wichtigster Mitarbeiter war der Japaner Ozaki, den Premierminister Prinz Konoye zum Kabinettsberater berufen hatte. Was Sorge von ihm und den anderen Mitgliedern seines Ringes hörte, prüfte er in der Regel in Gesprächen mit dem deutschen Botschafter General Eugen Ott oder den deutschen Wehrmachtsattachés. Ihre Namen und ihr bestätigendes, ergänzendes oder kritisches Urteil über seine Analyse tauchen häufig in Sorges Funksprüchen auf. Er besaß die Erlaubnis der Moskauer Zentrale, ihnen auch Informationen mitzuteilen, die er von Mitgliedern seines Rings erhalten hatte. Denn als enger Mitarbeiter Otts würde er der japanischen Geheimpolizei unverdächtig sein. Den Gesandten Erich Kordt hatte Sorge schon bei seinem ersten zufälligen Treffen mit der Nachricht überrascht, Japan verhandle hinter dem Rücken der anderen beiden Achsenmächte insgeheim mit Washington über einen Modus vivendi. Die Botschaft sah ihn als ihren wichtigsten Informanten über Japans Politik an.

Bauherr der eigenen Legende.

Er hat über die deutsche Politik in der Botschaft sicherlich auch viel erfahren, wichtige Nachrichten aber selten, da Ribbentrop die Mission weitgehend uninformiert hielt, selbst über Verhandlungen mit Japan, die er über die japanische Botschaft in Berlin führte. Sorge berichtete einmal nach Moskau, Ott könne von Berlin nicht das Datum des Angriffs gegen die Sowjetunion bekommen und sei auf das angewiesen, was Oberst Scholl ihnen beiden mitgeteilt habe. Es ist schwer zu sagen, wer in diesem Informationsaustausch wem am meisten gegeben hat.

Ungeklärt, aber keineswegs unglaubhaft ist die Behauptung des SS-Geheimdienstchefs Schellenberg, Sorge habe auch für ihn gearbeitet: "Sorges Aufklärungsmaterial wurde immer wichtiger für uns, da wir 1941 unbedingt mehr über die japanischen Absichten den Vereinigten Staaten gegenüber erfahren wollten. Nach dem Beginn unseres Feldzugs in Rußland warnte er uns, Japan werde keinesfalls seinen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion brechen." Schellenberg nennt einige Indizien für seine Behauptung, die nachdenklich machen, so daß man Sorges Arbeit für den SS-Geheimdienst nicht ausschließen sollte.

Von seinen Meldungen nach Moskau waren zwei von besonderer Bedeutung: Am 1. Juni 1949 teilte er Moskau mit, der aus Berlin kommende und nach Bangkok entsandte deutsche Militärattaché Scholl habe ihm gesagt, Hitler werde die Sowjetunion am 15. Juni angreifen. Im Verhör behauptete Sorge, natürlich das richtige Datum, den 22. Juni, genannt zu haben. Es gibt verschiedene Versionen; Sorges Funksprüche sind in Moskauer Archiven heute zugänglich. Whymant hat sie dort aber anscheinend nicht eingesehen. Die Meldung über den deutschen Angriff soll in Moskau die Randbemerkung bekommen haben: "Gehört zu den zweifelhaften und irreführenden Nachrichten." Stalin tat alle solchen Warnungen als Provokation oder Propaganda ab.

Ernster nahm man in Moskau aber Sorges Funkspruch vom 1. September 1941: "Nach dem wohlabgewogenen Urteil von uns allen hier und von (Boschafter) Ott, (Militärattaché) Kretschmer, (Marineattaché) Wenneker ist die bis vor kurzem noch bestehende Möglichkeit eines japanischen Angriffs (auf die Sowjetunion) mindestens bis zum Ende des Winters auszuschließen. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen."

"Von uns allen!" - das klingt fast so, als hätten der gesamte Spionagering und die Botschaftsführung sich zu einer Beratung zusammengefunden und gemeinsam diesen Funkspruch an das Vierte Büro ausgearbeitet. Am 4. Oktober 1941 gab er eine Information Ozakis weiter, Japan werde zunächst Thailand, danach Malaysia, Singapur und Sumatra angreifen, wenn es in den Gesprächen mit den Vereinigten Staaten bis Mitte Oktober nicht zu einem Kompromiß komme.

Die häufig wiederholte Behauptung, Sorge habe berichtet, Japan werde auch die Vereinigten Staaten angreifen, trifft nicht zu. Er hatte diese Meldung zwar Anfang Oktober entworfen; sein Funker Max Clausen hatte aber schon lange keine Lust mehr mitzumachen; er gab sie nicht nach Moskau weiter. Nach Sorges Verhaftung am 17. Oktober fand man sie, noch unverschlüsselt, in seinem Haus. Es wäre die Krönung seiner Spionage gewesen. Dennoch gab schon der Funkspruch über Japans Angriffspläne auf Südostasien den Sowjets genug Anlaß, Truppen aus Sibirien abzuziehen und an ihrer Westfront einzusetzen.

Whymants Beschreibung des Spionagerings, seines Aufbaus und seiner Arbeit ist gründlich und meistens auch zutreffend. Anders die Abschnitte, in denen er Sorges deutsche Gesprächspartner darstellt. Diese sind fast alle stark verzeichnet oder überhaupt unkenntlich. Otts Sohn zum Beispiel trägt bei Whymant durchweg den Vornamen "Podwick". Podwick? Ein Rätsel, denn er hieß ganz einfach Helmut, und in der Familie und unter Freunden nannte man ihn Moggi. Er ist in Rußland gefallen. Selbst seine Schwester hat den Namen "Podwick" nie gehört.

Whymant schreibt ferner, es sei unbestritten, daß Helma Ott, die Frau des Botschafters, mit Sorge das Bett geteilt habe. Unbestritten? Hat er dafür einen Zeugen? Oder schreibt er das nur aus dem reißerischen Buch des ehemaligen Tokioter CIC-Chefs Willopughby ab? Whymant behauptet, Ott habe Sorge den "Geheimcode" der deutschen Botschaft übergeben; aber das wäre nach der Art der Verschlüsselung gar nicht möglich gewesen. Er hatte definitiv keinen Zugang zu diesem Chiffrierverfahren.

Der Fall Sorge ist ein dankbares Sujet für politische Thriller: Der "Spiegel" hat das schon 1951 erkannt: Da hatte man einen Meisterspion mit der überragenden Intelligenz eines James Bond, Sex und Frauen, einen Bohemien und Säufer, der die tölpelhaften deutschen Beamten übers Ohr haute, aber von eigenen Genossen verraten wurde und heldenhaft zum Galgen schritt. Ein wahrhaft tragisches, den Leser erschütterndes Ende! Zwei Filme und über zwei Dutzend Bücher sind schon über ihn erschienen. Die Story kann beliebig erweitert werden und ist nicht totzukriegen.

Richard Sorge war der erste, der in den Verhören im Gefängnis seine Legende aufzubauen begann, weil er hoffte, als wichtiger Spion ausgetauscht zu werden. Seine Spionage, sagte er, habe sich außerdem nicht gegen Japan, sondern gegen Deutschland gerichtet. Nicht die mitangeklagten Japaner seines Spionagerings, sondern der deutsche Botschafter, der ihm sogar Geheimberichte zu lesen gab - was vermutlich auch stimmte -, sei sein wichtigster Informant gewesen. Während der Entstalinisierung wurde der "Kundschafter" Sorge, auf dessen Warnungen Stalin nicht gehört hatte, auch in der Sowjetunion als Meisterspion gefeiert und zum "Helden der Sowjetunion" ernannt.

Die Tendenz, aus ihm einen Helden zu machen, zieht sich auch durch Whymants Buch, ganz besonders in den langen Auszügen aus Eta Harich-Schneiders Memoiren. Sie war eine hervorragende Cembalistin, ein bißchen überspannt, aber eine amüsante Erzählerin, die ihre Geschichten freilich der Pointe wegen immer, wie sie es nannte, "ballte". Vom Propagandaministerium auf eine Gastspielreise nach Japan gesandt, lebte sie in Tokio einige Monate im Gästezimmer der Botschafterresidenz. Doch als Ott sie schließlich wegen, sagen wir mal, unsoliden Lebenswandels bat, sich eine eigene Wohnung zu nehmen, und nachdem später Kordt sie ermahnen mußte, weil die Tochter des berühmten Admirals Yamamoto sich bei der Botschaft über sexuelle Belästigung während einer Klavierstunde durch Eta Harich-Schneiders Liebhaber, einen strammen SS-Mann, beklagt hatte, schwor Eta ihm und Ott fürchterliche Rache. Man lachte damals darüber (aber "hell has no fury like a woman scorn'd").

Sie wurde 1951 Hauptinformantin Augsteins für seine "Spiegel"-Serie über Sorge. Viele ihrer "geballten" Geschichten geistern seitdem durch die Sorge-Bücher. Whymant machte reichlich Gebrauch von ihren Erzählungen über Sorge, mit dem sie ein intensives Liebesverhältnis gehabt haben will. Es besteht Grund, anzunehmen, daß auch diese Geschichte weitgehend erfunden ist, um ihre Nähe zu dem Meisterspion, ihre unwiderstehliche erotische Anziehungskraft und ihr großes Künstlertum zu beweisen. Das liest sich bei Whymant dann so: ",Erhaben! Erhaben!' rief er (Sorge) aus, als der letzte Akkord verklang. ,Das Spiel der maestra ist erhaben - ein paar Minuten hielt sie meine Seele in ihren Händen! Ein Toast, meine Damen und Herren! Auf mein kleines preußisches Genie!'"

Solche romanhaften Passagen in Whymants Buch erhöhen vielleicht seinen Unterhaltungswert, geben aber falsch Zeugnis von den Personen und Ereignissen. Der Rezensent hat damals in der deutschen Botschaft in Tokio, übrigens im Zimmer unmittelbar unter Sorges Büro, gearbeitet und sowohl ihn als auch die anderen hier erwähnten Personen auf der deutschen Seite gut gekannt.

Wie war er wirklich?

Wer war Sorge wirklich? Er kämpfte für die Weltrevolution und glaubte an die sozialistische Heilslehre wie an eine Religion. Er war ein anregender, seriöser Gesprächspartner. Was er von Hitler und seiner Politik hielt, sprach er offen und manchmal so drastisch aus, daß man fürchten mußte, er rede sich um Kopf und Kragen; aber er lachte dazu nur; denn er hatte das Vertrauen der Botschaft, hatte dort sogar ein Büro, wo er ein kleines deutsches Nachrichtenbulletin herausgab, und außerdem war er ja Parteigenosse. Doch wenn er getrunken hatte, kam er leicht ins Schwadronieren, wurde laut und wußte alles besser. Er wollte anerkannt sein. Aber als Spion blieb ihm öffentliche Anerkennung - zu Lebzeiten jedenfalls - versagt.

Seine Promiskuität ist oft genüßlich ausgemalt worden. Gewiß, er sah gut aus, und sein Ruf als Draufgänger machte manche Frauen neugierig, was er wohl auch zu nutzen wußte. Doch auch das hat die Legende übertrieben. In Tokio lebte er mit seiner Geliebten Hanako Miyake zusammen, die bis heute sein Grab und Andenken pflegt.

Sorges Gesicht war nicht dämonisch, wie es bei Whymant heißt, sondern zerrissen und interessant. Man sah jedesmal zweimal hin, wenn er eintrat. Margret Boveri, die ihn kannte, hat diese Zerrissenheit am besten beschrieben. Sein Sarkasmus und Zynismus erstreckten sich auf alles, aber sein Traum vom kommunistischen Millennium war ihm heilig. Dabei hatte er mit seiner hohen Intelligenz den grauenhaften Terror in Stalins Reich doch gesehen. Das aber verdrängte er, und davon konnte er mit niemand sprechen. Allenfalls mit Katja Maximowa, seiner Frau aus zweiter Ehe, der er bewegende, liebevolle Briefe geschrieben hat. Aber sie lebte in Moskau und wartete all die Jahre auf ihn. Sie starb noch vor ihm, wegen Spionage verurteilt, in einem sowjetischen Arbeitslager.

Er war einsam und hatte keine Freunde. Vor Jahren hatte er sich mit Eugen Ott in der Ablehnung Hitlers und seiner Politik getroffen. Er wäre der einzige Mensch gewesen, den er Freund hätte nennen können. Doch mit ihm konnte er über das, was ihn im Innersten bewegte, nicht reden. Das Vierte Büro war ihm wichtiger. Sorge hat den Freund von Anfang an und jahrelang schamlos betrogen.

ERWIN WICKERT

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Geschichte des "deutschen Meisterspions" Richard Sorge hatte "alle Elemente eines Thrillers", diagnostiziert Rezensent Ludger Lütkehaus. Daneben sei es auch eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs und die Tragödie des Mannes, eines überzeugten Kommunisten, der der Sowjetunion glänzende Dienste geleistet hat, um dann von ihr fallen gelassen zu werden. Sorge wurde in Japan als Spion gehenkt. Whymant wird in seiner Biografie Sorges allen Aspekten "mit Abstrichen" gerecht, meint Lüdtkehaus. Die historische Situation und die Tragödie kämen nicht zu kurz. Nur über Sorges "ausschweifendes Liebesleben, seinen Alkoholismus" hätte Lüdtkehaus gerne etwas weniger erfahren.

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