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Anfang März 2008 wird Russlands neuer Präsident gewählt. Wladimir Putin darf nach der Verfassung kein drittes Mal antreten. Doch niemand bezweifelt, dass in der "gelenkten Demokratie" ein enger Vertrauter Putins sein Nachfolger wird. Sachkundig und lebendig porträtiert der Russland-Kenner Boris Reitschuster den neuen Herrn des Kreml: Wird er die Macht der Geheimdienste weiter stärken und den Großmacht-anspruch des amtierenden Präsidenten aufrecht erhalten? Oder wird er sich abwenden vom politischen Vermächtnis seines Vorgängers?

Produktbeschreibung
Anfang März 2008 wird Russlands neuer Präsident gewählt. Wladimir Putin darf nach der Verfassung kein drittes Mal antreten. Doch niemand bezweifelt, dass in der "gelenkten Demokratie" ein enger Vertrauter Putins sein Nachfolger wird. Sachkundig und lebendig porträtiert der Russland-Kenner Boris Reitschuster den neuen Herrn des Kreml: Wird er die Macht der Geheimdienste weiter stärken und den Großmacht-anspruch des amtierenden Präsidenten aufrecht erhalten? Oder wird er sich abwenden vom politischen Vermächtnis seines Vorgängers?
Autorenporträt
Boris Reitschuster verfiel schon als Jugendlicher Russland. Er arbeitete vor Ort als Dolmetscher, Übersetzer und Redakteur bei verschiedenen deutschen Zeitungen, dpa und AFP. Seit 1999 leitet er das Moskauer Focus-Büro. 2008 wurde er mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2008

Schaf im Wolfspelz
Rätseln über Putins Nachfolger Dmitrij Medwedew
Der Titel des Buches von Boris Reitschuster sollte ursprünglich lauten: „Der neue Herr des Kreml. Dmitrij Medwedew”. Jetzt endet der erste Satz mit einem Fragezeichen. „Durch sprachlich kleinsten Unterschied, getrennt man ganze Welten sieht”, wusste schon der Schriftsteller Eugen Roth. Es geht um den künftigen Präsidenten Russlands, der wegen seiner freundlichen, aber emotionslosen Art den Spitznamen „Bio-Roboter” trägt, den andere „Wesir” nennen, weil er sie an willfährige Verwaltungsbeamte der mächtigen Kalifen erinnert. Da er noch kleiner ist als sein Amtsvorgänger, firmiert er bei Witzbolden als „Lilliputin”.
Es ist kein Zufall, dass Wladimir Putin genauso im Mittelpunkt dieses Bandes steht wie Dmitrij Medwedew. Putin, von Boris Gryslow, dem treu ergebenen Parlamentspräsidenten, 2007 zum „nationalen Führer” ausgerufen, hat Russland seit der Jahrtausendwende geprägt. „Die Gewaltenteilung ist aufgehoben; das Parlament, die Gerichte, die Staatsanwaltschaft, die wichtigsten Medien sind brave Erfüllungsgehilfen des Kreml.”
Reitschuster beschreibt treffend die Unterdrückung der Opposition. Deren Vertreter werden bei öffentlichen Auftritten bisweilen „umzingelt von Obdachlosen mit abstoßendem Äußeren und teilweise von Geschwüren entstellten Gesichtern”. Die Botschaft lautet offenkundig: Sehr her, mit welchen verkommenen Gestalten sich Kasparow und Co. umgeben. Wobei nicht jeder Oppositionelle ein „lupenreiner Demokrat” ist. Man gewinnt den Eindruck, „dass Demokratie unter Putin anstatt, wie vielfach behauptet, ‚lupenrein‘ zu sein, vielmehr mit der Lupe gesucht werden muss”. Deshalb sei das Kapitel „Naive im Westen” dem Leser besonders ans Herz gelegt.
Der Autor dringt tief in die russischen Verhältnisse ein, wahrt aber zugleich Distanz, um seinen Gegenstand aus vielen Perspektiven zu betrachten und ein begründetes Urteil abgeben zu können. Reitschuster leitet seit 1999 das Focus-Büro in Moskau und wurde 2008 für seine engagierte Berichterstattung mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet. Während sein Buch „Putins Demokratur” sechs Jahre nach dessen Übernahme der Präsidentschaft vorlag und eine glänzende politische Analyse auf gesicherter empirischer Basis darstellt, erscheint das Werk über Medwedew noch vor dessen Amtsantritt. Über den künftigen Präsidenten Russlands ist wenig bekannt. Und hier erfährt der Leser auch nicht sehr viel Neues. Von einer „aktuellen politischen Biographie”, wie es im Klappentext heißt, kann keine Rede sein.
Medwedew und Putin kennen sich bereits aus St. Petersburg, als beide für Bürgermeister Anatolij Sobtschak arbeiteten und Medwedew, der promovierte Jurist, „eine Art Generalbevollmächtigter Putins wurde, zuständig für den diskreten Geldabfluss ins Ausland”. In den neunziger Jahren war Medwedew an millionenschweren Unternehmen beteiligt, die Reitschuster an der Korrektheit der Vermögensdeklaration des Präsidentschaftskandidaten zweifeln lassen, da dieser im Januar 2008 ein Vermögen von lediglich 76 111 Euro angab. Im Jahr 2000 leitete Medwedew Putins Wahlkampfteam für die Präsidentschaftswahlen, wurde Erster Stellvertreter des Präsidialamtschefs und im selben Jahr Vorsitzender des Aufsichtsrats von Gazprom; 2003 avancierte Medwedew zum Präsidialamtschef, im November 2005 übernahm er den Posten des ersten Vize-Premierministers und wurde erstmals von einem größeren Teil der Öffentlichkeit wahrgenommen.
Hehre Worte
Reitschuster sieht im Beziehungsgeflecht zwischen Putin und Medwedew deutliche Vorteile für Ersteren und charakterisiert den neuen Präsidenten als „Schaf im Wolfspelz”. Trotzdem ist sich der Autor offenbar nicht ganz sicher. Einerseits erscheint Medwedew als Marionette Putins. Andererseits könnte, gibt Reitschuster zu bedenken, der neue Präsident „auf den Geschmack kommen”. Es ist ein ständiges Hin und Her. Nichts genaues weiß man nicht. Und darin liegt – bei allen sonstigen Stärken – die Schwäche dieses Buches.
Der künftige Präsident macht derweil das, was bereits der alte machte: Er spricht sich für Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie aus. Aber die „entscheidende Frage” sieht Reitschuster zu Recht darin, ob Medwedew, „wie der KGB-Offizier Putin, das Auseinanderklaffen von Wort und Tat für selbstverständlich hinnimmt und solche hehren Worte als ebenso unvermeidliche wie unverbindliche Lippenbekenntnisse versteht – oder ob er genau dieses Auseinanderklaffen verurteilt und nur notgedrungen gute Miene zum bösen Spiel macht”. Für eine Antwort ist es Reitschuster zufolge „noch viel zu früh”. Auch darin ist ihm beizupflichten. Aber warum hat er jetzt dieses Buch geschrieben? Das Medwedew-Porträt kommt zu früh, um fundiert Auskunft zu geben. Der Autor wäre gut beraten gewesen, sich auf ein Lagebild Russlands beim Übergang von Putin zu Medwedew zu konzentrieren. Darin liegt seine Stärke, nicht in unergiebiger Medwedew-Kaffeesatzleserei.
Reitschuster ist auch in Norbert Schreibers Buch mit einem Text vertreten. Hier berichtet er über seine Festnahme am Rande des EU-Russland-Gipfels im Mai 2007 in Samara. Es handelt sich um einen typischen „Sammelband” einer Vielzahl von Autoren, deren Aufsätzen etwas der rote Faden fehlt. Während Wolfgang Petritsch „Russlands Rückkehr auf den Balkan” beleuchtet, lässt uns Thomas Roth, der erneut als Korrespondent in Russland tätig ist, an seiner „Rückkehr an die Moskwa” teilhaben. Originalbeiträge stehen neben schon publizierten Artikeln, wie dem von Joschka Fischer über die Gefahren eines neuen Wettrüstens zwischen Russland und den USA, der bereits im März 2007 in dieser Zeitung erschien. Die Kritik an den russischen Verhältnissen, die von Schreiber und den übrigen Autoren gut begründet und nachvollziehbar geäußert wird, führt der Herausgeber auf die „Liebe zu diesem großartigen Land” zurück. „Denn wenn man ein Land liebt, oder es auch bloß zum Partner gewählt hat, und sei es nur zum strategischen, muss man es kritisieren dürfen. In lupenreinen Demokratien ist das so.” RALF ALTENHOF
BORIS REITSCHUSTER: Der neue Herr des Kreml? Dmitrij Medwedew. Econ, Berlin 2008. 256 Seiten, 16,90 Euro.
NORBERT SCHREIBER: Russland. Der kaukasische Teufelskreis oder die lupenreine Demokratie. Wieser, Klagenfurt 2008. 450 Seiten, 35 Euro.
Medwedew (links) und das Ehepaar Putin in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale am vergangenen Sonntag, dem Osterfest der orthodoxen Kirche. Foto: dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2008

Schwache Hand mit starker Frau?
Annäherung an Russlands neuen Präsidenten Medwedjew

Von demokratischer Gewaltenteilung ist in Russland nach anfänglich durchaus ernsthaften Versuchen im Zuge des Untergangs der Sowjetunion kaum noch etwas geblieben. Was unter Boris Jelzin schon bald aus dem Ruder lief und schließlich geradezu chaotische Züge annehmen sollte, konterte sein Nachfolger Wladimir Putin mit einer ganz auf ihn zugeschnittenen sogenannten Machtvertikale, die so gut wie keinen Raum mehr für parlamentarische Mitsprache, das Entstehen einer unabhängigen Judikative oder freie Medienvielfalt ließ. Nichts sei dem Land abträglicher, so die vom Kreml gesteuerte Sprachregelung, als das Volk widerstreitenden Machtverhältnissen auszusetzen.

Und nun? Sieht sich Russland nicht doch unter Doppelherrschaft gestellt, seit Putin die politische Bedeutung des Ministerpräsidenten auf die Ebene derjenigen des Staatspräsidenten angehoben hat, jetzt, da sein langjähriger Adlatus Dmitrij Medwedjew von ihm auf den Kremlthron gehievt worden und er selbst an die Spitze der Regierung getreten ist? Boris Reitschuster, ein ebenso scharfsinniger wie scharfzüngiger Beobachter der Vorgänge in Moskau, wartet gleich im Titel seines Buches nicht von ungefähr mit einem weiteren Fragezeichen auf: Ist Dmitrij Medwedjew wirklich "Der neue Herr im Kreml?" Eine Antwort darauf kann so kurz nach dem Ämterwechsel niemand geben.

Vermutlich wissen nicht einmal die "Doppelherrscher" selbst, welchen Verlauf dieses Experiment nehmen wird. Zwar hat Medwedjew, der im Gegensatz zu Putin in Sankt Petersburg, dem damaligen Leningrad, vergleichsweise wohlbehütet als Spross einer Professorenfamilie aufwuchs und anders als Putin offenbar auch wenig Neigung zu einer "Tschekisten"-Karriere zeigte, vor seinem Einzug in den Kreml über Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit in einer Weise gesprochen, die aufhorchen ließ. Fortan vielleicht doch ein "Liberaler" im Zentrum der Macht? Der Autor hat die so hoffnungsvoll klingenden Ankündigungen des neuen Präsidenten mit den Reden des Vorgängers verglichen - und siehe da: Was Medwedjew zu verheißen schien, hatte nahezu wortwörtlich schon Putin den Russen während seiner ersten Amtszeit von 2000 bis 2004 in Aussicht gestellt.

Nicht minder bemerkenswert ist ein von Reitschuster in Erinnerung gerufenes Interview, in dem Medwedjew kurz vor seiner Berufung zum Nachfolger Putins wissen lässt, sein Land könne nun einmal nur mit Hilfe einer "starken Macht des Präsidenten" geführt werden. Verwandle sich Russland hingegen in eine parlamentarische Republik, werde es "verschwinden". In seinem Gespräch mit der Zeitschrift "Itogi" ging er sogar noch weiter und reagierte auf die wohl kaum gegen seinen Willen gestellte Nachfrage, wo die Macht denn nun liegen werde, wenn im Kreml ein Präsident sitze, die Regierung aber von einem "Nationalen Führer", mithin Putin, geleitet werde: "Es wird keine zwei, drei oder fünf Zentren geben. Russland regiert der Präsident, und davon gibt es nach der Verfassung nur einen."

Damit sind den Spekulationen über das künftige Machtgefüge in Moskau selbstredend Tor und Tür geöffnet. Ihnen kann sich auch der Autor schwerlich entziehen, wobei er allerdings gelegentlich einen etwas flotten Hang zur Psychoanalyse erkennen lässt. Es täusche sich, wer beklage, dass Medwedjew blass und farblos wirke, wird dem Leser bedeutet. Immerhin könne der neue Präsident mit einem "eindrucksvollen Farbtupfer" in Gestalt seiner Frau Swetlana aufwarten. Ihres Zeichens Wirtschaftswissenschaftlerin, wird sie als eine starke und selbstbewusste Frau porträtiert, die "eine Schlüsselrolle für die Zukunft Russlands spielen" könne. Wie bitte? Zur Begründung lässt der Autor allen Ernstes einen "sehr gut vernetzten Moskauer Politiker" mit dem Satz zu Wort kommen: "Wenn Wladimir Putin damit rechnet, dass er mit Dmitrij Medwedjew eine Marionette im Präsidentenamt installieren kann, dann hat er diese Rechnung ohne Swetlana gemacht."

Gegen Ende des Buches kommen freilich auch Reitschuster in dieser Hinsicht so manche Bedenken. Er hält es für "weitaus wahrscheinlicher", dass Medwedjew "als schwacher Präsident eine Fußnote in der Geschichte Russlands bleiben wird". Zwar hat Medwedjew in steter Nähe zu seinem Mentor Putin über Jahre hinweg viele Erfahrungen im Moskauer "Haifischbecken" sammeln können: als Chef des Präsidialamtes im Kreml, als stellvertretender Ministerpräsident und nicht zuletzt als Aufsichtsratsvorsitzender des keineswegs nur wirtschaftlich mächtigen Gasprom-Giganten. Ein politisches Leichtgewicht ist er mithin wohl kaum.

Putin hat kurz vor seinem Umzug ins Weiße Haus, dem Regierungssitz an der Moskwa, ein nach ihm benanntes Programm zur Entwicklung Russlands hinterlassen, das zeitlich bis zum Jahr 2020 reicht. Da nun bietet sich ein Zahlenspiel an, dem auch Reitschuster nicht widerstehen kann. Möglicherweise hat die Rechnung nach allen bisherigen Erfahrungen mit Putins Einfallsreichtum sogar etwas für sich. Also: Nach vierjähriger Amtszeit Medwedjews im Kreml könnte sich 2012 wieder Putin zum Präsidenten küren lassen und ebendies 2016 ein weiteres Mal. Dann wäre ein zeitlicher Gleichklang seiner Kremlherrschaft mit seinem Entwicklungsprogramm hergestellt - und das alles im Rahmen der russischen Verfassung.

WERNER ADAM

Boris Reitschuster: Der neue Herr im Kreml? Dmitrij Medwedjew. Econ Verlag, Berlin 2008. 254 S., 16,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ralf Altenhof weiß Boris Reitschusters Buch über Dmitrij Medwedew, "Der neue Herr des Kreml", durchaus zu schätzen, aber er verhehlt nicht, dass es neben großen Stärken auch einige Schwächen aufweist. Überzeugend findet er die Ausführungen über die russischen Verhältnisse, die Unterdrückung der Opposition, die Aufhebung der Gewaltenteilung und das System Putin. Kein Zufall scheint ihm, dass neben dem zukünftigen Präsidenten Russlands Medwedew auch Putin im Mittelpunkt des Buchs steht. Altenhof attestiert dem Autor, das Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Politikern zu erhellen. Die Frage, ob Medwedew nun eine Marionette Putins sei oder nicht, bleibt in seinen Augen allerdings unergiebig unentschieden. Überhaupt erfährt man über Medwedew zu seinem Bedauern nichts viel Neues. Seines Erachtens kommt das Medwedew-Porträt auch "zu früh", um wirklich fundiert zu sein. Insgesamt hätte er sich gewünscht, der Autor hätte sich auf ein "Lagebild Russlands beim Übergang von Putin zu Medwedew" konzentriert.

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