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Das ursprüngliche BGB war vom Leitbild des mündigen Bürgers geprägt, der eigenverantwortliche Entscheidungen trifft und deren Konsequenzen trägt. Die Abhandlung zeigt unter anderem am Beispiel des Verbraucherprivatrechts und des Wohnraummietrechts, wie jahrzehntelange rechtspolitisch motivierte Einflussnahme diese Mündigkeitsvermutung sukzessive relativiert hat. Das zeitgenössische Privatrecht basiert auf der Annahme eines schutzbedürftigen und als Verbraucher, Mieter oder Arbeitnehmer strukturell unterlegenen Bürgers. An die Stelle von dispositivem Gesetzesrecht sind zunehmend unabdingbare…mehr

Produktbeschreibung
Das ursprüngliche BGB war vom Leitbild des mündigen Bürgers geprägt, der eigenverantwortliche Entscheidungen trifft und deren Konsequenzen trägt. Die Abhandlung zeigt unter anderem am Beispiel des Verbraucherprivatrechts und des Wohnraummietrechts, wie jahrzehntelange rechtspolitisch motivierte Einflussnahme diese Mündigkeitsvermutung sukzessive relativiert hat. Das zeitgenössische Privatrecht basiert auf der Annahme eines schutzbedürftigen und als Verbraucher, Mieter oder Arbeitnehmer strukturell unterlegenen Bürgers. An die Stelle von dispositivem Gesetzesrecht sind zunehmend unabdingbare und durch Umgehungsverbote flankierte zwingende Inhaltsvorgaben getreten. Diese Abkehr vom Leitbild des mündigen Bürgers gerät nicht nur in Konflikt mit der politischen Projektion eines souveränen und autonomen Wahlbürgers, sondern begegnet auch gravierenden verfassungsrechtlichen und ökonomischen Bedenken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2017

Wie mündig sind wir?
Gängelung im modernen Privatrecht

Bei den über 100 Doktorarbeiten, die jedes Jahr zum Wirtschaftsrecht erscheinen, erstaunt es, dass das Thema der Mündigkeit erst jetzt intensiv durchdrungen wird. Dabei ist es eine Grundsatzfrage, die Matthias Rüping treffend herausarbeitet und bejahend beantwortet: Sollte es im Privatrecht eine Rückkehr zum Leitbild des mündigen Bürgers geben? Ursprünglich galt fast ausschließlich die Vertragsfreiheit. Der darin verankerte Grundsatz der Vertragstreue bedeutete, dass sich Partner auch dann an ihre rechtsgeschäftlichen Versprechen halten mussten, wenn sich nach Vertragsschluss eine ungleiche Lastenverteilung offenbarte.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde dieses Diktum sukzessive aufgeweicht, vor allem im Verbraucherprivatrecht, bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, im Mietrecht und im Arbeitsrecht. Hier steht nun der Schutz vor Übervorteilung der vermeintlich schwächeren Vertragspartner im Mittelpunkt der Überlegungen. So nachvollziehbar jede einzelne Änderung auch sein mag, ergibt es im Großen und Ganzen doch das gesetzgeberische Leitbild eines überforderten Bürgers.

Zudem hemmen viele "Schutzvorschriften" den Markt: Das Kündigungsrecht wirkt als Eintrittsschranke für jüngere Arbeitnehmer, das starre Mietrecht und die "Mietpreisbremse" verhindern das Angebot entsprechender Wohnungen, die Einschränkungen bei Genussmitteln wie Tabak bevorzugen internationale Konzerne und gefährden mittelständische deutsche Familienunternehmen. Bei der nächsten wirtschaftlichen Talfahrt wird man all das auch in Deutschland schmerzlich merken.

Doch wann muss der Bürger sinnvollerweise geschützt werden, und wann liegt eine Überregulierung vor? Auch mündige Personen lesen sich Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) nur im seltensten Fall durch. Das generelle Verbot etwa überraschender Klauseln ist sinnvoll, damit Millionen gut ausgebildeter Menschen ihre Zeit nicht damit vergeuden, Kleingedrucktes zu studieren. Rüping bezeichnet das AGB-Recht daher als "tendenziell effizienzsteigernd".

In allen anderen Rechtsgebieten aber müsse das Mündigkeitsprinzip so weit wie möglich geachtet werden. Ihm komme ein rechtspolitischer Eigenwert dadurch zu, dass es individuelle Würde sichere, Widersprüche vermeide, Rechtssicherheit fördere und individuelle Lerneffekte ermögliche. "Sozialpolitisch motivierter Schutz der schwächeren Vertragspartei ist ein Ziel, das aufgrund von problematischen Typisierungen und unvermeidbaren Effizienzverlusten nur mit gravierenden kontraintentionalen Effekten verfolgt werden kann." Rationalitätsdefizite der Teilnehmer im Rechtsverkehr seien zwar aus empirischer Sicht nicht von der Hand zu weisen. Diese Defizite stellten aber den Eigenwert der Mündigkeitsvermutung nicht in Frage, weil sich diese nicht aus einer empirisch korrekten Erfassung der Realität legitimiere.

Rüping weist zudem ausführlich nach, dass der Schutz der Schwächeren sogar kontraproduktiv wirke - und zwar für die eigentlichen Schutzobjekte selbst. Denn die hoheitliche Steuerung kann eine effiziente Allokation der zur Verfügung stehenden Ressourcen verhindern: "Selbst wenn ein Marktversagen realiter vorliegt, ist die ökonomisch effiziente Behebung dieses Versagens durch Einflussnahme auf das Privatrecht keineswegs garantiert; im Gegenteil kann sich die Allokation in diesen Fällen durch hoheitliche Regulierung sogar noch ineffizienter gestalten."

Als Beispiel nennt Rüping das Mietrecht: Obwohl nicht jeder Mietvertrag über Wohnraum durch eine Situation des Marktversagens gekennzeichnet sei, erfasse der Schutz des Mietrechts ausnahmslos jeden Mieter von Wohnraum. Das Zustandekommen effizienter Transaktionen werde auf diese Weise verhindert. Auch das ist sicher ein Grund für die Wohnungsnot in deutschen Großstädten. Rüping kommt zu einem nachvollziehbaren Fazit: "Das Privatrecht erscheint zur Erreichung sozialpolitischer Ziele nicht immer die geeignete Materie. Die Legitimität sozialschützender Normen ist damit keineswegs in Abrede gestellt; allein ihre Lokalisierung im Regime des Privatrechts erscheint mitunter ungünstig."

Aus ökonomischer Sicht sollte vielmehr der Grundsatz gelten, Rechts- und Wirtschaftsprozesse sich in einem ersten Schritt marktwirtschaftlich und damit effizient entfalten zu lassen und Umverteilungen erst in einem zweiten Schritt und ohne unmittelbare Einwirkung auf den Vertragsinhalt vorzunehmen. Diese Ansicht teilt im Übrigen auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2014/15, wenn er mehr Vertrauen in Marktprozesse einfordert. In der Tat sollten Ressourcenlenkung und Umverteilungsaufgaben als je eigenständige rechtliche Arrangements betrachtet werden.

Rüping schlägt vor, dass der Gesetzgeber bei künftigen Maßnahmen immer das Instrument wählen sollte, das bei gleicher Eignung den geringeren Konfliktstoff mit dem Leitbild des mündigen Bürgers bietet: Externe Aufklärung sei besser als die Verankerung vertraglicher Informationspflichten. Diese wiederum seien sinnvoller als gesetzliche Formvorschriften, und Letztere seien Verboten formularmäßiger Vereinbarungen vorzuziehen. Zusätzlich schlägt Rüping Opt-out-Modelle vor, nach denen Regelungen von den Vertragspartnern flexibel vereinbart werden können.

Das könnte etwa an einigen Stellen des Verbraucherprivatrechts geschehen: Müssen die Gewährleistungsrechte bei Gebrauchtwagen fixiert sein - oder würde die Möglichkeit ihrer Abwahl zu geringeren Kaufpreisen führen? Auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsrecht könnte man dispositiv gestalten. Arbeitsverhältnisse würden so für Arbeitgeber wieder attraktiver werden. Rüpings Werk ist ein klug durchdachtes Plädoyer für Privatautonomie und Bürgermündigkeit.

JOCHEN ZENTHÖFER

Matthias Rüping: Der mündige Bürger. Leitbild der Privatrechtsordnung? Duncker & Humblot, Berlin 2017. 285 Seiten. 89,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jochen Zenthöfer ist erfreut, das Thema Mündigkeit im Buch von Matthias Rüping behandelt zu finden. Rüping kann ihm nachweisen, dass der Schutz des Schwächeren auch für den Schwachen nicht unbedingt produktiv ist. Rüpings Rat zu externer Aufklärung zwecks Realisierung des Leitbilds des mündigen Bürgers sowie seinen Vorschlag zur Reformierung des Gewährleistungsrechts und der Lohnfortzahlung vermag der Rezensent nachzuvollziehen. Ein kluges Plädoyer für Privatautonomie und Bürgermündigkeit, findet Zenthöfer.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Alles in allem verdient Rüpings Blick auf das Grundsätzliche der Privatrechtsordnung hohe Anerkennung. Das zum Bürgerlichen Recht auch Bürger gehören, die im Prinzip frei und selbstverantwortlich Entscheidungen treffen, für deren Folgen sie dann auch geradestehen, ist im Verlaufe der letzten zwei oder drei Jahrzehnte zunehmend in Vergessenheit geraten. Dass Rüping daran mit dem Begriff des 'mündigen Bürgers' erinnert, ist verdienstvoll und wird hoffentlich die privatrechtstheoretische Debatte neu befruchten.« Jürgen Basedow, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationale Privatrecht, Band 82, Heft 3/2018

»Rüpings Werk ist ein klug durchdachtes Plädoyer für Privatautonomie und Bürgermündigkeit.« Jochen Zenthöfer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Seite 16 vom 16.Oktober 2017, Nr. 240