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Ernst Wilhelm Bohle (1903-1960) wurde 1933 mit 30 Jahren der jüngste Gauleiter der NSDAP und war von 1938 bis 1941 als Staatssekretär im Auswärtigen Amt (AA) tätig. Die Geschichtswissenschaft beschäftigte sich mit ihm bisher nur am Rande und richtete ihr Augenmerk vor allem auf seinen Anteil am Aufbau der von ihm von 1933 bis 1945 geleiteten Auslandsorganisation der NSDAP (AO) und ihre weltweite Propagandaarbeit.
Die vorliegende Biographie ist Verlaufsgeschichte und reflexiver Akt zugleich. Auf der Grundlage umfangreicher Archivstudien widmet sich Frank-Rutger Hausmann erstmals Bohles
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Produktbeschreibung
Ernst Wilhelm Bohle (1903-1960) wurde 1933 mit 30 Jahren der jüngste Gauleiter der NSDAP und war von 1938 bis 1941 als Staatssekretär im Auswärtigen Amt (AA) tätig. Die Geschichtswissenschaft beschäftigte sich mit ihm bisher nur am Rande und richtete ihr Augenmerk vor allem auf seinen Anteil am Aufbau der von ihm von 1933 bis 1945 geleiteten Auslandsorganisation der NSDAP (AO) und ihre weltweite Propagandaarbeit.

Die vorliegende Biographie ist Verlaufsgeschichte und reflexiver Akt zugleich. Auf der Grundlage umfangreicher Archivstudien widmet sich Frank-Rutger Hausmann erstmals Bohles Elternhaus, betrachtet die in Südafrika verlebte Jugend, sein Studium und seine Berufstätigkeit. Er stellt Bohles enges Verhältnis zu Rudolf Heß dar sowie seine Spannungen mit Reichsaußenminister von Ribbentrop, seine Reise- und Rednertätigkeit im Dienst der Partei, seine Beziehungen zu Goebbels, Himmler und Ley sowie die in Nürnberg, Landsberg und diversen US-amerikanischen Internierungscamps verbrachte Haftzeit vor und nach dem Nürnberger bzw. dem Wilhelmstraßen-Prozeß. Hausmann schließt mit der Beschreibung Bohles letzter Lebensjahre in Hamburg - in diesen Zeitraum fallen seine Entnazifizierung und seine Tätigkeit als »Werbeberater für den englischen Sprachbereich« für mehrere überregionale Industrieunternehmen.

Wie andere im Ausland aufgewachsene NS-Führer war Bohle ein Vertreter des nationalkonservativen Auslandsdeutschtums. Allerdings machte ihn die britische Erziehung, die er in Kapstadt genossen hatte, besonders geschmeidig. Die im Kontakt mit drei Kulturen - der deutschen, britischen und südafrikanischen - erworbene Weltläufigkeit prädestinierte ihn zum Diplomaten. Später übte er als Gauleiter der AO und Staatssekretär im AA eine wichtige Doppelfunktion aus.

Wenngleich Bohle »liberaler« als die meisten anderen Gauleiter agierte, darf man seine nationalsozialistische Grundeinstellung nicht unterschätzen. Er war ehrgeizig und baute die AO zu einerBehörde mit über 800 Mitarbeitern aus, die bis zum Ende des »Dritten Reiches« höchst effektiv arbeitete.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2009

Geschmeidig und geständig
Aufstieg und Fall des Staatssekretärs Ernst-Wilhelm Bohle

"Ladies and Gentlemen, heute haben wir den ersten Nazi in diesem Bau." Die meisten der von Robert M. W. Kempner verhörten Nationalsozialisten hatten ihre Zugehörigkeit und ihr Engagement während Hitlers "tausendjährigem Reich" stets abgestritten. Doch im Oktober 1945 konnte der stellvertretende Hauptankläger der Vereinigten Staaten beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher die Freude über seinen Erfolg scheinbar nicht mehr zurückhalten. Er forderte daher seine Sekretärinnen auf, sich angesichts des historischen Moments von ihren Schreibtischstühlen zu erheben. Im Zeugenflügel des Justizpalastes hatte er soeben einen Mann vernommen, der sich offenherzig als "überzeugter Nazi" bekannte und frei bekundete, bis zuletzt an Hitler geglaubt zu haben. Der Geständige war Ernst-Wilhelm Bohle, der von 1933 bis 1945 Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP (AO) und zudem zwischen 1938 und 1941 Staatssekretär im Auswärtigen Amt (AA) war. Über Bohle, der 1933 jüngster Gauleiter der NSDAP wurde, liegt nun erstmals eine umfassende Biographie vor.

Schon die aufgeführten Staats- und Parteiämter - von diversen SS-Ehrenrängen ganz zu schweigen - machen deutlich: Der 1903 in England geborene und in Südafrika aufgewachsene Bohle war im "Dritten Reich" bei weitem nicht nur Staffage. Doch trotz bester Kontakte zu den Spitzen des Reiches wie Rudolf Heß, Heinrich Himmler oder Joseph Goebbels, der ihn aufgrund seines Organisationstalents zu "unseren fähigsten Leuten" zählte, kam Bohle in der historischen Forschung bislang meist erstaunlich gut weg. Den Ursachen des Urteils über den angeblichen "Gentleman-Gauleiter" ist Frank-Rutger Hausmann nachgegangen. Entstanden ist eine detailreiche Lebensskizze, die Aufstieg und Fall des Parade-Auslandsdeutschen Revue passieren lässt.

Bohles Leben gleicht einem Schauspiel in vier Akten; die Kulissen könnten unterschiedlicher kaum sein. Mit drei Jahren kam seine Familie nach Kapstadt. Die Schlüsselfigur der im südafrikanischen Idyll - am Fuß des Tafelberges - verlebten Jugend war zweifelsfrei der Vater. Hermann Bohle, Selfmademan, Universitätsprofessor und unangefochtener Patriarch der Familie, ließ Sohn Ernst-Wilhelm und seinen Geschwistern eine "konsequente Erziehung" zukommen. Die deutschnationale Einstellung des Vaters spiegelte sich auch darin wider, dass im Hause Bohle jedes nichtdeutsche Wort verpönt war. So kam es, dass Ernst-Wilhelm während des Ersten Weltkriegs von seinen Mitschülern als "Kaiser Will" gehänselt wurde, zumal er den deutschen Monarchen vor den spitzfindigen Provokationen seines Englischlehrers verteidigte. Letztlich überrascht unter diesen Vorzeichen auch der Eintritt in die NSDAP schon Ende 1931 nur wenig. Ein typischer Vertreter des nationalkonservativen Auslandsdeutschtums?

Diese Schlussfolgerung greife zu kurz, meint der Verfasser. Hausmann betont vielmehr den hohen Stellenwert, den der Kontakt mit der britischen und der südafrikanischen Kultur in Bohles Entwicklung einnahm. Im Grunde sei dies der Schlüssel für das Verständnis von Persönlichkeit und Handlungsmaximen: "Bohle war ein geborener Diplomat, der Konflikte elegant überspielen konnte." Seine britische Erziehung habe ihm eine "Weltläufigkeit antrainiert, welche in Deutschland damals nicht häufig anzutreffen war. Ihr verdankte er ein Basisempfinden für Fairness und Zivilcourage. Radikalität war ihm suspekt."

Doch gegen das Bild des liberalen Nazis steht - auch das macht die Studie deutlich - die nationalsozialistische Grundeinstellung, der unbegrenzte Glaube an den "Führer" und der enorme Ehrgeiz des oft beneideten und begabten Quereinsteigers. Bohles Wille, die ihm übertragenen Ämter auszufüllen und das nationalsozialistische Regime zu stärken, wird im zweiten Teil der Studie leider zu episodenhaft dargestellt. Zentrale Themen sind die Aufbauphase der AO, das enge Verhältnis zu seinem Protegé Heß, die Reise- und Rednertätigkeit im Dienst der Partei sowie seine Rolle in den Ränkespielen der einzelnen NS-Diven. Vor allem die Manöver gegen den als Erzfeind empfundenen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und das zeitweise Zuarbeiten für Himmlers Reichssicherheitshauptamt werfen ein neues Licht auf den Machtmenschen Bohle.

Ob als reuiger Sünder und Mustergefangener von Landsberg (1949 war Bohle in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse, dem "Wilhelmstraßen-Prozess", zu einer Haftstrafe verurteilt worden), den Mithäftlinge als Nestbeschmutzer beschimpften, oder in den fünfziger Jahren in Hamburg zunächst als Hausierer und später als Werbeberater: Bohle meisterte seine letzte Lebensphase (er starb 1960) als Überlebenskünstler, der noch einmal von den in der Jugend angeeigneten Regeln profitierte. Ehrlichkeit, Toleranz und vor allem die Fähigkeit, sich an neue Situationen "geschmeidig" anzupassen, halfen Bohle bei der mühsamen Suche nach seinem Platz in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Diese Eigenschaften hatten ihn innerhalb der Verbrecherbande des "Dritten Reiches" nach oben gebracht, und zwar ohne erkennbare Gewissenskonflikte.

JOHANNES KAMINSKI

Frank-Rutger Hausmann: Ernst-Wilhelm Bohle. Gauleiter im Dienst von Partei und Staat. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2009. 299 S., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fast scheint Rezensent Johannes Kaminski Mitleid zu empfinden angesichts der von Frank-Rutger Hausmann in dieser Biografie dokumentierten "mühsamen Suche" des Nazi-Schergen Ernst-Wilhelm Bohle nach seinem Platz im Nachkriegsdeutschland. Die umfassende Lebensgeschichte des "jüngsten Gauleiters der NSDAP", die hier erstmals in ihren vielfältigen Bezügen zum NS-Staat entfaltet wird, zeigt dem Rezensenten einen Menschen mit Tugenden wie Fairness und Zivilcourage, doch leider auch mit eindeutig nationalsozialistischer Gesinnung und unbedingtem Führerglauben. Was der Autor dazu schreibt, findet Kaminski "leider zu episodenhaft". Ein "neues Licht" auf den intriganten Machtmenschen und "Überlebenskünstler" Bohle wirft das Buch laut Rezensent jedoch allemal.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Hausmanns Studie [stellt] einen wertvollen Beitrag zur biographisch orientierten Erforschung des Nationalsozialismus dar.« Prof. Dr. Johannes Koll, in: Neue Politische Literatur, Jg. 57, Heft 1/2012

»Entstanden ist eine detailreiche Lebensskizze, die Aufstieg und Fall des Parade-Ausländerdeutschen Revue passieren lässt.« Johannes Kaminski, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Politische Bücher, 02.10.2009