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"Das Volk" steht heute in ethnischer und gesellschaftlicher Auflösung. Ob es sich in Wanderungsbewegungen neu formieren wird, ist noch unklar. Den "natürlichen" Volkssouverän früherer Zeiten - oft schon nur Theorie - gibt es nicht mehr. "Sein Wille in Wahlen und Abstimmungen" ist staatsrechtlich Ausdruck streng begrenzter Organkompetenz; Wahlen sind vor allem Personalbestimmungen auf Zeit, weithin bleibt der inhaltliche Volkswille unfassbar. Volk und Volkswille werden immer mehr zur Fiktion, als solche selbstverständlich. In Föderalismus und Kommunalisierung wird der "gestufte", fraktionierte…mehr

Produktbeschreibung
"Das Volk" steht heute in ethnischer und gesellschaftlicher Auflösung. Ob es sich in Wanderungsbewegungen neu formieren wird, ist noch unklar. Den "natürlichen" Volkssouverän früherer Zeiten - oft schon nur Theorie - gibt es nicht mehr. "Sein Wille in Wahlen und Abstimmungen" ist staatsrechtlich Ausdruck streng begrenzter Organkompetenz; Wahlen sind vor allem Personalbestimmungen auf Zeit, weithin bleibt der inhaltliche Volkswille unfassbar. Volk und Volkswille werden immer mehr zur Fiktion, als solche selbstverständlich. In Föderalismus und Kommunalisierung wird der "gestufte", fraktionierte Souverän zum Problem.

Diese Fragen werden nicht häufig als solche gestellt, noch seltener wird ihre Beantwortung vertiefend versucht. Und doch ist "Volkssouveränität" das Grundprinzip der Demokratie, nur ein anderes Wort für sie; immer lauter wird mehr Volksbeteiligung gefordert, mehr direkte Demokratie. Dies ist ein Weg aus dem Dilemma des fiktiven Volkes, rechtlich wie politisch wird er aber nicht allzu weit führen. Repräsentative Volksherrschaft mag theoretisch wenig befriedigen - in der Praxis des Staatsrechts ist sie kaum zu erschüttern.

Es bleibt daher weithin beim vielfach in staatsrechtlich und politisch entwickelten Formen geführten und verführten Volk. Ihre Analyse ergibt Ansätze zu einer Theorie der Demagogie. Als gemässigte ist diese ebenso notwendig in der Demokratie, als Dialog mit den Bürgern, wie in ihrer immanenten Steigerungsfähigkeit gefährlich, ja verheerend. Die Demokratie muss mit dieser Gefahr leben, aber sie darf, sie muss ihr weiter die Überzeugung, ja die rechtliche Fiktion der Volkssouveränität entgegensetzen. Hier mögen sich irrationale Grundlagen der Staatsform finden. Solange sie Freiheit tragen, sollten sie halten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2006

Wo steckt denn das Volk?
Walter Leisner bietet die fiktive Konstruktion einer Staatlichkeit an

"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Deshalb kann es mit dieser auch nicht weit her sein. Denn wir sind nicht das Volk. Andere auch nicht. Das Volk ist weder handelndes Subjekt - gern und häufig Souverän genannt -, noch taugt es zum Objekt in Sätzen, die vorgeben, etwas über das Volk auszusagen. Kurz: Das Volk ist ein Un-Ding, ein Un-Jekt. Von dem geht nichts aus - schon gar nicht Gewalt. Damit ist die erste Frage von Walter Leisner, emeritierter Ordinarius für Öffentliches Recht, bereits beantwortet: Das Volk ist kein "realer Souverän". Also ein fiktiver? Hier erst fängt es an, spannend zu werden. Denn die Frage betrifft die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit. Der verwegene Versuch von John R. Searle, eine "Ontologie sozialer Tatsachen" zu etablieren, ist bekanntlich gescheitert, und zwar auf hohem Niveau. Dorthin gelangt Leisner gar nicht erst. Seine Fragen verharren mit verstörender Konsequenz draußen vor der Tür ihrer philosophischen Dimension. Damit befindet er sich freilich in der Gesellschaft des gleichfalls philosophieabstinenten sogenannten Grundgesetzgebers. Der sogar zu wissen glaubte, wie es um die Staatsgewalt näherhin bestellt sei: Gemäß Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes wird sie "vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt".

Iphigenie sprach nur ein großes Wort gelassen aus. Hier purzeln sie ontologiegesättigt zuhauf. Wo aber Ontologie herrscht, ist Demagogie nicht weit. Leisner thematisiert sie eigens und ausführlich, vor allem in dem Kapitel über das "geleitete", das "geführte Volk". Hier vermengt sich die ohnehin verquere Ontologie mit suspekten Führungsqualitäten - so beispielsweise, wenn der Autor die Rolle der "Führer des Volkes" unter anderem darin sieht, dem Volk, dem "schweigenden Souverän", der sich "dieses seines Willens noch nicht einmal bewußt war", ebendiesen erst bewußtzumachen, und zwar "als etwas längst in der Volksseele oder in den Volksgehirnen Präexistierendes". Hirnforscher an die Arbeit! Auch Gralssucher sind willkommen, denn "die letzte Stufe der Willensbildung" werde "erreicht in einem wahren Gralswunder der Volkssouveränität". Was dessen Vorstufe anlangt, so wird sie vom Autor gekennzeichnet als die "der intensiven einpeitschenden Willensbeeinflussung des Volkes".

Der Volksführer, der das schafft, mag durchaus "vom kleinen Gemeinderat zum großen Kanzler" aufgestiegen sein. Nur eines darf er nicht: ein Intellektueller sein. Denn "der ,Intellektuelle', wenn es ihn denn gibt, ist schließlich häufig, wenn nicht in der Regel, als Denkender von willensarmer Passivität, vielleicht gar gefühlskalt". Die "Persönlichkeitskräfte" des wahren Volksführers sind - Leisner zufolge - dagegen von ganz anderer Qualität. Mit ihnen ausgestattet, wird "der Volksmann" nicht nur zum "Staatsleiter wie Metternich", sondern "zum Tribun wie Danton". Zum Tribun, der es am Ende schafft, daß "das Volk zur Truppe wird". Wer in diesen Tagen nach Berlin blickt, erkennt glücklich: Zumindest das muß man nicht befürchten. Im Gegenteil. "Die Auswechselbarkeit des volksführenden Polit-Personals" erscheint als wahrer Segen.

Sollte nicht auch "das Volk" als solches ausgewechselt werden? Oder zumindest herabgedimmt zur bloßen Fiktion? Leisner bietet immerhin die "fiktive Konstruktion einer Staatlichkeit" an, resigniert aber sogleich: "Eine Staatlichkeit aus lauter rechtlichen Annahmen bestehend - das läßt sich nicht vorstellen." Gleichfalls nicht, daß "nach dem Ende des Führers, dem Ende des Reiches nun auch das Ende des Volkes" drohen soll. Nein, die Volkssouveränität hält er für unverzichtbar. Als letztes Bollwerk. Denn die Demokratie werde "sich wohl zwangsläufig und in immer rascheren Kreisläufen von freiheitlich-liberalen Strukturen zum Gleichheitsstaat, von dort in demokratische Anarchie entwickeln, um schließlich in Formen autoritärer Führung ihr Heil zu suchen - und wieder zurückzulenken zu freiheitlichen Ausgangspunkten". Diese tollkühne Hoffnung basiert einzig und allein auf der Volkssouveränität. Denn in dem geschilderten "Kreislauf bleibt sie als solche, als ein unausgesprochen und vielleicht inhaltlich unaussprechbarer Gedanke gegenwärtig".

"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen", riet schon Wittgenstein. Wer gleichwohl weiter von Volk und Volkssouveränität reden will - der Text des Grundgesetzes legt das mehr als nur nahe, und die Sehnsucht nach Legitimation verführt dazu -, der sollte sich dazu einer neuen Begrifflichkeit bedienen. Jenseits aller überholten Metaphysik und verblichenen Ontologie. Zum Glück fehlt es nicht an Versuchen, ebendies zu tun. Sie verdienen eine kritische Auseinandersetzung. Leisner bleibt diese schuldig.

WALTER GRASNICK

Walter Leisner: Das Volk. Realer oder fiktiver Souverän? Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2005. 269 S., 78,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Mit verstörender Konsequenz", beginnt Walter Grasnick seine Besprechung, enthalte sich der Autor aller philosophischen Fragen, die für eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Thema eigentlich unvermeidbar seien. Auch bedürfe es einer neuen Begrifflichkeit, wenn man die Frage stelle, wer "Das Volk" sei und was es mit der vermeintlichen "Volkssouveränität" auf sich hat. Dem Autor zufolge zeichne sich der "wahre Volksführer" durch "Persönlichkeitskräfte" aus, die ihm ermöglichen dem Volk den Volkeswillen zuallererst "einzupeitschen". Des Rezensenten ironische oder ketzerische Frage lautet daraufhin, sollte das Volk nicht gleich ausgewechselt werden gegen eine "fiktive Konstruktion einer Staatlichkeit"? Der Autor halte die "Volkssouveränität" jedoch deshalb für "unverzichtbar", weil sie die innere Dynamik der Demokratie erst zum "Gleichheitsstaat", dann zur "Anarchie", dann zum Führer, zurückzulenken vermöge zu "freiheitlichen Ausgangspunkten". Wer von Volk und Volksouveräntität spreche, kritisiert der Rezensent, müsse mehr zu bieten haben als der Autor, bei dem nur ein, Zitat Leisner, "vielleicht inhaltlich unaussprechbarer Gedanke" herumgeistere.

© Perlentaucher Medien GmbH