Produktdetails
  • Knaur Taschenbücher
  • Verlag: Droemer/Knaur
  • Seitenzahl: 263
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 645g
  • ISBN-13: 9783426619353
  • ISBN-10: 3426619350
  • Artikelnr.: 09453004
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2001

Der verlorene Sohn
Undiktierte Lebenskunst: Zwanzig Jahre Georgette Dee

Es ist im Unterhaltungsgeschäft wie im richtigen Leben: Am hartnäckigsten wird der geliebt, der dem Liebenden Tiefschläge verpaßt, sobald dieser sich sicher wähnt. Caterina Valente zum Beispiel hielt ihre Bewunderer mit permanenten abrupten Wechseln von brillantem Jazz zu perfektem Schlager jahrzehntelang in Atem, Madonna fesselt ihre Fans, indem sie vorgestern die Dominapeitsche schwang und gestern die Engelsflügel, die momentan zum Cowboyhut eines blondgelockten "American girl" mutiert sind. Robbie Williams schließlich erntet millionenfach "love supreme", weil er sich mal als Supermacho geriert, mal als schwul outet.

Die vielleicht gekonntesten Tiefschläge und festesten Liebesfesseln verteilt Georgette Dee. Das ist verwunderlich, denn als weibmännliche Diseuse arbeitet sie in einem Unterhaltungsbereich, der dauerhafte Anhängerschaft nicht kennt und seinen Protagonisten alles andere als Wankelmut abverlangt. Der Preis nämlich, den Travestie für ihr Dasein als Nische in der Kunst zahlt, heißt Zuverlässigkeit und todernstes Erfüllen des Klischees, mit dem sie spöttisch spielt. Das bedeutet getarnte Überanpassung: Unbeschreiblich weiblich soll der Kerl im Fummel agieren, verführerischer als verführerisch sein, um am Ende der Paradiesvogelflüge zuverlässig wieder als Blindgänger und Narr jener normal genannten Welt zu landen, die nach solcher Entspannung um so häufiger lechzt, je besser sie funktioniert.

Weh dem also, der als Travestiekünstler mehr sein will denn willfähriges Spiegelbild erotischer Eskapaden, die das Publikum nach Ende der Vorstellung wieder in die Hinterkammern seiner Phantasien sperrt, oft und gern mit einem tränendrüsigen Demaskierungsfinale entlassen, das beteuert, hinter dem Glamour stecke doch nur "ein Mann wie du und ich". Anders Georgette Dee, deren Bewunderer sich seit 20 Jahren zwischen Berlin, Paris, Frankfurt, Zürich und Winsen an der Luhe mit Hingabe von einem Wesen schikanieren lassen, das nie ganz Frau oder Mann ist, keinen Tribut an die Normalität und selten einen an die glamouröse Narrenkäfigwelt entrichtet und keine Stimmung ungestört bestehen läßt: Mitten in eine Melancholie, die sie gerade beschworen hat, läßt sie ein kreischendes Lachen platzen, die schönsten alten Chansons fleddert sie, im schönsten Kalauer schlägt sie ihrem Publikum unversehens ein Drama ins Gesicht.

Zuckerbrot und Peitsche, das uralte Diseusenrezept, ist dafür nur die halbe Wahrheit. Die ganze ist die des Fegefeuerlebens derer, die aus den heterosexuellen Normen fallen: Bloß keine Schwächen, keine Hoffnungen zeigen, dem traurigen Ende mit einem dröhnenden Finale voraussein, aufkeimende Gefühle mit Spott verätzen, damit die Wunde kaum noch schmerzt, wenn sie geschlagen wird, alles verlachen, ehe das Angelachtwerden sich zum Ausgelachtsein verkehrt - das ist die auf die Bühne gehobene Lebenskunst der Georgette Dee, mit der sie nicht nur unmittelbar Betroffene bannt.

Nun liegt das alles schriftlich vor. In einem opulent bebilderten Band anläßlich des zwanzigjährigen Bühnenjubiläums, das sie mit ihrem Pianisten Terry Truck begeht. Festlesen werden sich nur eingefleischte Fans in den seitenlangen lobenden Kritiken, den eigens für den Band verfaßten Elogen der Kollegen und den Selbstkommentaren. Zu privat, zu intim, zu sehr im Stil wohngemeinschaftlicher "Weißt dunoch?"-Nostalgie kommen letztere daher, zu oft am Rand selbstgefälligen Selbstmitleids, zu häufig im Duktus weinerlichen Katzenjammers nach Besäufnissen - ein Poesiealbum für gehobene Ansprüche und Betroffene. Sogar vom Pointenfeuerwerk ihrer selbstverfaßten Conferencen, das auf der Bühne so fassungslos macht, bleibt gedruckt oft nur Wunderkerzenflimmern.

Anfängliches Durchblättern ist besser. Denn dann sprechen die Bilder. Selbstverständlich sind Dutzende faszinierende Momentaufnahmen von Konzerten vorhanden, die diesem androgynen Gesicht huldigen, das manchmal beängstigend schön, oft sardonisch und ebenso oft verzweifelt ist. Alle Mienen, Gesten und Posen zwischen Ironie und Tragik, Glamour und Gosse werden aufgereiht, die Roben, die so raffiniert anders sind als die Rüschenkaskaden, Paillettenregen und Pfauenfederorgien, mit denen Travestie sonst aufwartet.

Aber dann verblüffen Schnappschüsse, Probenfotos und Porträts, auf denen ein Mann auftaucht mit Zügen, in denen man einen sensiblen Schrifsteller erkennen würde, einen sympathischen Tramper, einen Landmann spielenden Ökologiejünger aus der Großstadt, einen Kumpel, mit dem man Pferde stehlen könnte, höchstens, daß man etwas auf ihn achten müßte, weil er vielleicht mittendrin zu träumen beginnen könnte. Mit anderen Augen liest man nun Zeilen wie das eben noch als peinlich und eitel empfundene Bekenntnis eines Friseurbesuchs: "Meine Kurzhaarfrisur 1998 hat damals viel Gemunkel verursacht, dabei hatte sie einen ganz schlichten Grund: Ich schenkte sie meinem Vater, der im Sterben lag, um ihm das zu zeigen, was ich bin: sein Sohn."

So viele Personen in einer. Eine davon schreibt: "Von Brecht habe ich viel gelernt, aber das Wichtigste darunter ist, die Dinge nicht so hinzunehmen, wie die Verhältnis-Mäßigkeit der Mittel sie einem scheinbar diktiert." Nicht, weil die Kulturfunktionäre der DDR und die Gralshüter des Berliner Ensembles sie 1988 zu Konzerten nach Ost-Berlin einluden, hat Georgette Dee das Recht zu solchen Bemerkungen, sondern weil sie als unheilige Johanna in allen Schlachthöfen zu Haus ist.

Weil das so ist, macht sie aus Konzerthallen oder kleinsten Kleinkunstbühnen ihre großen Schlachthäuser der verlogenen oder betrogenen Gefühle - und lehrt in ihren besten Momenten die Zuhörer verzweifeln. Im Mai 1989, so liest man im Album, hat sie Konzerte mit dem Satz eröffnet: "Willkommen im Klub der unglücklich Verliebten in die unglücklich Veranlagten." Unverbesserlich, wer dabei grammatikalische Schnitzer moniert, verblendet, wer darin nur die Grußformel sogenannter Minderheiten erkennen kann.

DIETER BARTETZKO.

Georgette Dee, Terry Truck: "Das Album". Th. Knaur Verlag, München 2001. 264 S., Abb., br., 29,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dirk Fuhrig nutzt seine Besprechung dieses "Fan-Buchs in Hochglanz" zu einer Liebeserklärung an die "größte lebende Diseuse" Georgette Dee. Immerhin erfährt man jedoch auch, dass im Buch erzählt wird, wie Dee und Truck sich 1981 im Londoner Stadtteil Brixton trafen, um dann gemeinsam 20 Jahre über Stadt und Land zu touren, immer "in 'schrecklicher Finanzsituation'", zitiert Fuhrig aus dem Buch. Zugleich bietet diese "Bestandsaufnahme" eines Künstlerduos auch "verblüffend offenherzige Details aus dem Leben" der Sängerin, verspricht der Rezensent.

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