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Warum schwieg der Papst zum NS-Terror?
Dramatische Kämpfe, Intrigen und ein verhängnisvolles diplomatisches Pokerspiel bestimmten die Politik des Vatikans. Siebzig Jahre lang waren die Dokumente in den geheimen Archiven des Vatikans unter Verschluss. Zum ersten Mal kommt jetzt die Wahrheit über die Politik des Heiligen Stuhls in den Jahren 1933 bis 1939 ans Licht.

Produktbeschreibung
Warum schwieg der Papst zum NS-Terror?

Dramatische Kämpfe, Intrigen und ein verhängnisvolles diplomatisches Pokerspiel bestimmten die Politik des Vatikans. Siebzig Jahre lang waren die Dokumente in den geheimen Archiven des Vatikans unter Verschluss. Zum ersten Mal kommt jetzt die Wahrheit über die Politik des Heiligen Stuhls in den Jahren 1933 bis 1939 ans Licht.

Autorenporträt
Peter Godman, geboren 1955 in Auckland, Neuseeland, ist nach Dozenturen in Oxford, Cambridge und Tübingen seit 2002 Professor für lateinische Philologie des Mittelalters und Geistesgeschichte an der Sapienzia in Rom. Obwohl bekennender Nichtgläubiger, bekam er bereits 1996 die Erlaubnis zur Recherche im Geheimarchiv des Vatikans. Peter Godman hat zahlreiche wissenschaftliche Bücher geschrieben, die international publiziert und ausgezeichnet wurden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2004

Überraschung im Anhang
Der Vatikan und das "Dritte Reich" aus neuseeländischer Sicht

Peter Godman: Der Vatikan und Hitler. Die geheimen Archive. Aus dem Englischen und Lateinischen von Jens Brandt. Droemer Knaur Verlag, München 2004. 368 Seiten, 19,90 [Euro].

Peter Godman erfreute sich in den letzten Jahren im vatikanischen Archiv des Heiligen Offiziums legendärer Privilegien. Wer rätselte, womit der Professor für mittellateinische Philologie aus Neuseeland, ein "bekennender Nichtgläubiger", seine Vorzugsbehandlung verdient haben könnte, wartete deshalb mit besonderer Spannung auf eine außergewöhnliche Veröffentlichung. Es erfordert Mut, vielleicht sogar Übermut, wenn ein Nichthistoriker sich für seine allererste Veröffentlichung zur deutschen Zeitgeschichte ein so komplexes Thema wie "Der Vatikan und Hitler" vornimmt und das Ergebnis innerhalb eines Jahres veröffentlicht.

In diesem Fall wird das Ansehen des Verlags und des Autors bereits durch den sicher absatzfördernden, aber völlig irreführenden Schutzumschlag strapaziert. Man ahnt, daß dies ein "Versehen" war, und man ist verstimmt. Das Umschlagbild zeigt Nuntius Eugenio Pacelli 1929 nach seinem Abschiedsbesuch beim Reichspräsidenten, hat also mit Adolf Hitler so wenig zu tun wie das gesamte Buch, in dem es tatsächlich vor allem um mögliche Reaktionen vatikanischer Stellen auf die Herausforderung durch die totalitären Ideologien geht. Die Bibliographie enthält reihenweise Titel, die sich in der Veröffentlichung selbst höchstens in Spurenelementen ausfindig machen lassen, die vielen Zeithistoriker aus der ersten Reihe, die nicht einmal pro forma auftauchen, müssen sich deshalb nicht grämen. Die Befürchtung des Lesers, leichte Kost geboten zu bekommen, erweist sich bereits in der ersten Zeile als berechtigt und wird durch den "souveränen" Umgang des Autors mit den Quellen nicht geringer. "Kirche oder nicht Kirche?", angeblich eine grundsätzliche Überlegung Hitlers vom 13. Dezember 1941, ist weder grundsätzlich noch von 1941, sondern die schlichte Abwägung des Reichskanzlers am "Tag von Potsdam" im März 1933: Gehe ich vor dem Staatsakt in den offiziellen Gottesdienst, oder besuche ich demonstrativ die Gräber der "alten Kämpfer" auf dem Luisenstädtischen Friedhof?

Ohne breite Literaturkenntnis scheint vieles Bekannte neu, können Quellenbefunde nicht richtig eingeordnet werden, wächst die Gefahr, von der Quantität bestimmter Quellen auf deren Qualität zu schließen. Eine sachlich falsche Schätzung des Nuntius Orsenigo vom 7. März 1933, sechs oder sieben Millionen von insgesamt 13 Millionen Katholiken hätten für die Nazis gestimmt, ist und bleibt - selbst wenn sie korrekt zitiert wird - eine Falschmeldung, solange der Leser nichts über die korrigierenden Ergebnisse der historischen Wahlforschung erfährt. Godman tappt immer wieder in solche Bewertungsfallen. Der Leipziger Ernst Bergmann beispielsweise, den man wegen seiner Bedeutung als Theologe nicht kennen müßte, wird allein deshalb zu einer Figur von Rang stilisiert, weil seine Schriften am gleichen Tag indiziert worden sind wie Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts". Oder: Die in den beiden konsultierten vatikanischen Archiven offenbar reichhaltig vorhandenen Quellen zum "Nudismus" verführen den Autor zu der Behauptung, dieses Problem habe tatsächlich bis weit ins Jahr 1934 "die versammelte Aufmerksamkeit" des Heiligen Offiziums und des Staatssekretariats beansprucht und von wichtigeren Aufgaben abgelenkt. Ein deutsches Archiv hat Godman nicht besucht. Ohne neue Quellen auf Belege aus der vorhandenen Literatur angewiesen, scheut er sich notfalls nicht, ganz verschiedene Zitatfetzen, die in den "Grundlagen des Nationalsozialismus" des österreichischen Bischofs Alois Hudal über 70 Seiten verteilt stehen, in einem einzigen Beliebigkeitssatz zusammenzupressen. Die These Hochhuths, Cornwells und Goldhagens vom Antisemitismus Pius' XII. weist er vernünftigerweise zurück, um sich methodisch dann doch Cornwell anzunähern, der sich seinen entscheidenden "Beweis" durch Übersetzungskunst bekanntlich selbst hergestellt hat. Godman greift zur Technik des irreführenden Halbzitats; das ganze Zitat hätte es ihm nämlich nicht erlaubt, die frei gewordene Schurkenrolle des Antisemiten dem "egoistischen Doppelagenten" Bischof Hudal zuzuweisen. Der Autor stützt sich dabei auf das traditionelle Zitationskartell, in dem Hudal als "antisemitischer Hoftheologe der NSDAP" gilt. In Unkenntnis des aktuellen Diskussionsstandes, in der zum Teil ein ganz anderes Bild entsteht, überschätzt und diffamiert er den Rektor der Anima gleichzeitig. Weil die entscheidende Rolle, die Hudal im Oktober 1943 beim Abbruch der Judenrazzia in Rom gespielt hat, nicht ins Bild paßt, schrumpft sie ohne weitere Begründung zur unbedeutenden "Episode".

Für die Annahme, der Außenseiter Hudal habe im vatikanischen Machtgefüge eine Hauptrolle als Appeaser spielen können, spricht übrigens fast nichts. Aus welchen anderen Gründen hat der Vatikan dann trotz bester Informationen in den Friedensjahren des "Dritten Reiches" gezögert, den Nationalsozialismus vor aller Weltöffentlichkeit klar zu verurteilen? Godman beschreibt in seinem Antwortversuch die gegenseitige Blockade, in der sich Papst Pius XI., das vatikanische Staatssekretariat unter Leitung von Eugenio Pacelli und das Heilige Offizium hielten. Diese Trias sei dem von Kardinal Gasparri im Juni 1933 vorgegebenen Leitmotiv verpflichtet gewesen, ein politisch-religiöses Ringen in Deutschland auf jeden Fall zu vermeiden, weil der nationalistische Kurs der NSDAP mit der Stimmung der deutschen Bevölkerungsmehrheit durchaus im Einklang stehe. Außerdem sei die Absicht des Vatikans, die verschiedenen totalitären Ideologien gemeinsam zu verurteilen, durch taktische Rücksichten auf die eine, dann auf die andere Seite immer wieder vereitelt worden.

Die Überraschung folgt am Ende: Das Wichtigste in Godmans Buch steht im Quellenanhang: Für die Meinungsbildung im Heiligen Offizium und im vatikanischen Staatssekretariat zur Verurteilung des Nationalismus, Rassismus, Kommunismus und Totalitarismus gibt es keine Aufzeichnungen. Wir kennen jetzt aber erstmals das Ergebnis, ausführliche Gutachten vom Mai 1935, Oktober 1936 und April 1938. Auf dieser Basis kann eine neue Diskussionsrunde über die Rolle der politischen Religionen im "Dritten Reich" und über das immer noch unerledigte Thema "Der Vatikan und Hitler" beginnen.

Für die Übersetzung der lateinischen Gutachten ins Deutsche waren die Sprachkenntnisse des Professors aus Neuseeland sicher nützlich, aber sollten sie tatsächlich alle Privilegien erklären können?

KARL-JOSEPH HUMMEL

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Den Willen zur Objektivität schätzt Hansjakob Stehle am meisten, wenn er Peter Godmans Buch über die Verbindungen zwischen Hitler und dem Vatikan liest. Der in Rom lehrende Professor konnte schon vor der offiziellen Öffnung einen Blick in die vatikanischen Archive werfen und Geheimdokumente einsehen. Heraus kamen neue Einsichten über "Hitlers Papst" Pius XII, basierend auf "gründlichen" Forschungsarbeiten, die sich so manch anderer Autor bislang "erspart" habe, wie der Rezensent spitz anmerkt. Obwohl der Rezensent die aufwändigen Studien Goldmans honoriert, ist er mit den Schlussfolgerungen, die der Autor zieht, nicht zufrieden. Dass Pius XI. und Pius XII. nicht aus purer Feigheit zu den Nazi-Gräueln geschwiegen hätten, sondern weil sie glaubten, weise zu handeln, hält Stehle nur für die "halbe Wahrheit".

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