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Said ist ein Selbstmordattentäter. Er wartet auf seinen Einsatz, um sich selbst in die Luft zu sprengen und möglichst viele Israelis mit in den Tod zu reißen. Als Said noch ein Kind war, vertrieben israelische Siedler seine Eltern von dem Land, das sie bewirtschafteten; seither lebt die Familie im Flüchtlingslager bei Dschenin. Als Said zwölf Jahre alt war, wurden sein Vater und sein Onkel verhaftet, geschlagen und misshandelt. Als er sechzehn Jahre alt war, wurde seine Mutter erschossen. Said sagt: "Wir haben nichts. Weder Fahrzeuge noch Panzer, geschweige denn Flugzeuge, mit denen wir einen…mehr

Produktbeschreibung
Said ist ein Selbstmordattentäter. Er wartet auf seinen Einsatz, um sich selbst in die Luft zu sprengen und möglichst viele Israelis mit in den Tod zu reißen.
Als Said noch ein Kind war, vertrieben israelische Siedler seine Eltern von dem Land, das sie bewirtschafteten; seither lebt die Familie im Flüchtlingslager bei Dschenin. Als Said zwölf Jahre alt war, wurden sein Vater und sein Onkel verhaftet, geschlagen und misshandelt. Als er sechzehn Jahre alt war, wurde seine Mutter erschossen. Said sagt: "Wir haben nichts. Weder Fahrzeuge noch Panzer, geschweige denn Flugzeuge, mit denen wir einen Krieg gegen die israelische Armee und für einen souveränen palästinensischen Staat führen könnten. Wir haben nur unsere Körper. Das sind unsere einzigen Waffen."
Dies ist die Geschichte seines Lebens.
Autorenporträt
Raid Kassab Abdallah Sabbah, geboren 1973 in Konstanz, arbeitet als Journalist, Drehbuchautor und Dokumentarfilmer. Zur Zeit studiert er an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seine Familie stammt aus Dschenin im Westjordanland.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2002

Mörder und Selbstmörder zugleich
Ein palästinensischer Attentäter berichtet vor seinem Tod über die Motive für seine Tat – und stirbt dann doch ganz anders als geplant
RAID SABBAH: Der Tod ist ein Geschenk. Die Geschichte eines Selbstmordattentäters, Droemer-Weltbild, München 2002. 250 Seiten, 19.90 Euro.
Wann immer sich ein palästinensischer Selbstmordattentäter irgendwo in Israel in die Luft sprengt und dabei Zivilisten tötet, schütteln die Menschen im Westen verständnislos den Kopf. Wie kann man, lauten die berechtigten Fragen, unschuldige Zivilisten töten und dabei den eigenen Tod in Kauf nehmen? Zum Verständnis – im Sinne von Verstehen, nicht im Sinne von Zustimmung – führen zwei Wege: die Kenntnis der palästinensischen Leidensgeschichte. Und das Bemühen, die Koordinaten einer anderen Kultur zur Kenntnis zu nehmen.
Viele Palästinenser, nicht nur die Akteure der „Islamischen Widerstandsbewegung” (Hamas), sprechen nicht von „Selbstmordattentaten”, sondern von „Märtyreroperationen”. Sein eigenes Leben zu opfern hat besonders im schiitischen Islam eine lange Tradition. Aber auch im (sunnitischen) Palästina treibt Hoffnungslosigkeit und persönliche Erniedrigung durch die israelische Besatzungsmacht viele junge Menschen zum Töten durch Selbstmord.
Leben im Lager
Solche Analysen bleiben allerdings blass – solange die persönlichen Schicksale nicht in den Vordergrund rücken. Es ist das Verdienst von Raid Sabbah, die Lebensgeschichte des Palästinensers Said aufgezeichnet zu haben. Raid Sabbah ist selbst Palästinenser, seine Familie stammt aus dem Flüchtlingslager Dschenin. Raid Sabbah lebt heute mit deutschem Pass in Ludwigsburg und studiert an der Filmakademie Baden-Württemberg. Die Gespräche mit Said wurden im März 2002 geführt.
Said war kein besonders religiöser Mensch. Trotzdem hat er sich Anfang dieses Jahres dem „Islamischen Dschihad” im Flüchtlingslager Dschenin als Kandidat für ein Selbstmordattentat zur Verfügung gestellt. Seine Tat konnte Said nicht mehr ausführen. Er starb im April 2002 in Dschenin in den Kämpfen mit israelischen Truppen.
In mehreren langen Gesprächen hat Said zuvor seine Lebens- und Leidensgeschichte offenbart. Das Buch schildert diese Geschichte in Form einer Ich-Erzählung. In diese Erzählung hat Raid Sabbah immer wieder Passagen mit Anmerkungen eingefügt. Diese Texte erklären dem Leser die jeweilige politische Situation, in der Said lebte: ein geschicktes Mittel, das Schicksal in den aktuellen Stand des israelisch-palästinensischen Konfliktes einzubetten.
Said wurde 1972 in einem kleinen Dorf bei Ramallah geboren. Er war noch ein Kleinkind, als plötzlich israelische Landvermesser das Areal der neu zu bauenden Siedlung Hadasha absteckten. Der gesamte Grund und Boden der Familie wurde enteignet. Said, Eltern und Geschwister kamen bei einem Onkel im Flüchtlingslager Dschenin unter: Flüchtlinge im eigenen Land. Ganz in Herzls Sinne begründete der israelische Beamte, der die Enteignung vollzog, die illegale Vertreibung mit den Worten: „Dieses Land ist jüdisches Land. Es gehört uns. Das ist das biblische Judäa und Samaria. Gott hat uns hierher geführt.”
In Dschenin fand Saids Vater Beschäftigung im Restaurants des Bruders. Eines Tages wurde er von einer Militärpatrouille aufgegriffen und erst in der Nacht zurück gebracht. Er war „bewusstlos. Und überall waren Blutergüsse und offene Wunden, die von Schlägen mit spitzen Gegenständen herrührten.”
In der ersten Intifada stellte sich Said der israelischen Militärmaschinerie mit Steinen entgegen. Eines Tages nahmen Said und sein Bruder Farid an einem Straßenkampf teil. Die Israelis schossen mit scharfer Munition. Doch nicht Farid oder Said, sondern die Mutter der beiden wurde getötet. Said erzählt: „Man hatte sie kaltblütig erschossen. Eine Kugel mitten in die Stirn. Und das nur, weil sie aus Sorge um ihren Jüngsten ihm hinterher gerannt war, um ihn nach Hause zu holen. Sie hatte doch mit allem, was sich hier abspielte, nichts zu tun.”
Später wurde Said von den Israelis ins Gefängnis gesteckt, gefoltert und zu vier Jahren Haft verurteilt. „Sie zogen mir die Sandalen aus, winkelten meine Beine an , so dass meine Füße in die Höhe ragten und zogen sie zwischen dem Brett und dem Seil durch. Dann begannen sie das Brett in der Weise zu drehen, dass das Seil eine Schlaufe um meine Fußknöchel bildete und sich durch das Drehen immer enger zog.” Dabei hagelten Peitschenhiebe auf Saids Fußsohlen. Said musste bei jedem Schlag laut mitzählen.
Übertriebene Darstellungen? Said mag in dem einen oder anderen Detail ungenau sein. Aber diese Art der Folter wird besonders von israelischen Menschenrechtsorganisationen immer wieder bestätigt – und kritisiert. 1993 schlossen Jassir Arafat und die Israelis in Oslo eine Art Friedensvertrag. Die Freude in der Familie Saids und bei vielen Freunden war groß. Endlich bestand Hoffnung auf ein normales Leben. Said suchte Arbeit, und fand sie in Israel – als ehemaliger Gefängnisinsasse ohne entsprechende Erlaubnis. Eines Tages wurde Said von einer Militärpatrouille angehalten und geschlagen. Bewusstlos wachte er im Krankenhaus von Dschenin wieder auf, in das ihn die Israelis geschafft hatten. So sah der Friede von Oslo für viele Palästinenser aus.
Dann folgte im Herbst 2001 die zweite Intifada. Saids Vater sagte zu seinem Sohn: „Sterben ist besser, als so weiterzumachen wie bisher.” Auch aus Said, einem Jugendlichen, der Steine warf, war ein Mann geworden,der zum Selbstmordattentat, zu einer Märtyreroperation, bereit war. Eines Tage ging Said zuMitgliedern des „Islamischen Dschihad” und sagte : „Ich bin bereit.”
Zum Märtyrer, wie die Palästinenser es sehen, wurde Said auf andere Weise. Beim Kampf mit israelischen Soldaten starb Said am 2.April dieses Jahres im Flüchtlingslager Dschenin. Said war knapp 30 Jahre alt.
HEIKO
FLOTTAU
„Sterben ist besser, als so weiterzumachen wie bisher” – jugendliche Straßenkämpfer nehmen den Tod in Kauf.
Foto:
Reuters
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als Verdienst des Autors sieht es Heiko Flottau an, die Lebensgeschichte des Palästinensers Said aufgezeichnet zu haben, der sich bereit erklärt hatte, für die zweite Intifada zu sterben. Selbstmordattentate aus der langen Tradition besonders des schiitischen Islam zu erklären -auf den sich sogenannte "Märtyreroperationen" stützen - reicht als Analyse lange nicht aus, so Flottau. Said hat seine Lebens- und Leidensgeschichte, die hier in der Ich-Erzählung geschildert wird, offenbart, und ist, anders als vorgesehen, im Kampf mit israelischen Soldaten gestorben. Flottau erwähnt Saids Lebensstationen im einzelnen und sieht auch dessen Darstellung der brutalen Foltermethoden der israelischer Militärs nicht überzogen. Auch wenn die Berichte in dem ein oder anderen Detail ungenau seien, so erklären die Erzählungen dem Leser doch die jeweilige politische Situation, und das versteht Flottau als gelungenes und "geschicktes Mittel, das Schicksal in den aktuellen Stand des israelisch-palästinensischen Konflikts einzubetten".

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