Produktdetails
  • Verlag: Droemer/Knaur
  • Seitenzahl: 311
  • Erscheinungstermin: 25. September 2012
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm x 133mm x 27mm
  • Gewicht: 405g
  • ISBN-13: 9783426199602
  • ISBN-10: 3426199602
  • Artikelnr.: 35649490
Autorenporträt
Heinrich Steinfest wurde 1961 geboren. Albury, Wien, Stuttgart - das sind die Lebensstationen des erklärten Nesthockers und preisgekrönten Kriminalautors Heinrich Steinfest, welcher den einarmigen Detektiv Cheng erfand. Er wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet, erhielt den Stuttgarter Krimipreis 2009 und den Heimito-von-Doderer-Preis. 'Ein dickes Fell' wurde für den Deutschen Buchpreis 2006 nominiert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2013

Es war so finster und auch so bitterkalt
Heinrich Steinfests Roman „Das himmlische Kind“ erzählt eine moderne Hänsel-und-Gretel-Geschichte
Seit vor einem halben Jahr der Vater ausgezogen ist, versinkt die Mutter in Traurigkeit. Wie ein „Gespenst“ geistert sie durchs Haus, nur noch ein Schatten ihrer selbst, der von fern an die frühere Mutter erinnert. Sie wirkt nicht einmal mehr „genervt“, sondern auf eine unheimliche Art „abweisend“. Selbst wenn sie ihre Kinder berührt oder ihnen einen Kuss auf die Wange drückt, bleibt nichts haften. Für die zwölfjährige Miriam fühlt sich das an wie „alte Aufkleber“, die einfach abrutschen, weil sich „auf der Klebefläche zu viel Staub gesammelt“ hat. Stellt sie der Mutter eine Frage, dauert es lange, bis eine Antwort kommt.
  Einmal fragt Miriam, was „Aquapet“ bedeutet, der Name des Plastikspielzeugs, das sie aus einem alten Karton herausgefischt hat. Was „Aqua“ heißt, weiß sie schon. Aber „Pet“? Bis es ihr die Mutter schließlich verrät, hat sie es längst im Internet recherchiert. Denn Miriam ist ein kluges Mädchen. Sie kann sogar die Dinge, die sie wissen will, von denen unterscheiden, die zu wissen sie für schädlich hält. Dass das virtuelle Haustier in Form einer in einem Wasserrohr schwebenden bunten Figur, die mittels Batterie um Liebe und Zuwendung fleht und durch Knöpfe ansprechbar ist und in Bewegung versetzt werden kann, einem Phallus gleicht, findet sie unerheblich.
  Der 1961 in Australien geborene, in Österreich aufgewachsene und mittlerweile in Stuttgart lebende Heinrich Steinfest hat sich bisher als Autor von Kriminalromanen einen Namen gemacht. Sein aktueller Roman „Das himmlische Kind“ gehört in ein anderes Genre. Ganz allmählich lässt er die realistisch angelegte Geschichte um eine auseinanderbrechende Familie ins Märchenhafte kippen, ohne dass das Geschehen jemals ganz und gar phantastisch wird. Eines Tages packt die Mutter ihre beiden Kinder ins Auto, zu einem Ausflug aufs Land, wie sie sagt. Die Freude ist groß. Doch als sie unterwegs Saft und die sonst streng verbotene Cola verteilt, wittert Miriam Unheil. Heimlich kippt sie die Getränke auf den Boden. So kann sie sich und den fünfjährigen Elias retten, als die Mutter das Auto in einem Baggersee versenkt.
  Wie Hänsel und Gretel verirren sich die beiden Kinder im Wald, wo sie schließlich eine Hütte finden, die ihnen Schutz vor Kälte und Schnee gewährt. Sie lernen, in der Wildnis zu überleben. Miriam kramt all ihr Wissen aus Büchern, Radio, Fernsehen und Internet zusammen. Mithilfe eines zum Glück funktionstüchtigen Feuerzeugs und einem Stapel Pornohefte gelingt es ihr, den Ofen anzufeuern. So können sie ihre Kleidung trocknen und Schnee erhitzen, um Trinkwasser zu erhalten. Doch das Brennholz droht zur Neige zu gehen, zu essen brauchen sie auch etwas. Miriam zieht los, sammelt Holz und Tannennadeln und bringt eine tote Amsel mit. Wenn sich Hühnchen kochen lassen, müsste das auch gehen. Und ist es nicht „humaner“, ein bereits gestorbenes Tier zu verspeisen, als Tiere eigens für diesen Zweck zu töten?
  Auch wenn die Sache nicht immer ganz aufgeht – manchmal plaudert der Erzähler dann doch allzu erwachsen aus dem Off –, liegt der Charme des Romans in seiner Bereitschaft, sich ganz auf das kindliche Bewusstsein einzulassen, vor allem auf das Miriams, die auf der Schwelle zum Erwachsenwerden steht. So kann die „tapfere kleine Person“ einerseits wie eine Erwachsene all die Dinge tun, die zum Überleben notwendig sind, andererseits erlebt sie die Welt noch als magisch und beseelt. Es ist diese Mischung, die zur Rettung führt.
  Als der kleine Elias vor Fieber glüht, macht sie ihm nicht nur Wadenwickel, wie sie es von ihrer Oma gelernt hat, sie beginnt auch, eine Geschichte zu erzählen, mit lauter Windungen, Abschweifungen und Fortsetzungen, in die Elias durch das Kundtun seiner Wünsche eingreifen kann. Die Heilkraft des Erzählens, dessen ist sie sich gewiss, hält den kleinen Bruder am Leben.
  Doch auch Miriam selbst braucht Unterstützung. Als sie bei ihren Streifzügen durch den Wald einem Rehbock begegnet, deutet sie die stille Konzentration seines Blicks als Zeichen, von dem sie sich leiten lässt. Es gibt ihr Schutz und Kraft und führt sie schließlich zu einem Feuer, das andere Kinder angezündet haben. Sie wohnen in einem riesigen, von ihrer Uroma, einer Architektin, im Stil Frank Lloyd Wrights erbauten Haus. Es wird zu einer Art Transformationsstation, einer Sphäre des Übergangs zwischen Imagination und Realität, die das Geschwisterpaar darauf vorbereitet, von seinem viel beschäftigten, mit einem jungen Model liierten Vater in Empfang genommen zu werden.
  Dass Heinrich Steinfest Vergnügen daran fand, sich von kindlichen Einfällen durch seinen Roman leiten zu lassen, merkt man ihm an. Herzhaft greift er in den Honigtopf der Kinder-, Jugend- und Abenteuerliteratur. Mal sind es die Märchen der Brüder Grimm, mal „Alice im Wunderland“ oder „Pu der Bär“, mal ist es „Robinson Crusoe“, auch vor „Harry Potter“ und Michael Ende kennt er keine Scheu. Manchmal ist das schon arg schlicht. Doch immer wieder fallen Früchte vom Baum der Erkenntnis: über Fürsorge, Zuwendung und Elternschaft, die sich nur als „Instanz des Trostes“ erfüllt. Anders als in Véronique Olmis Roman „Meeresrand“, der ebenfalls vom Selbstmord einer Mutter erzählt, stellt Steinfest die Kinder ins Zentrum. Dass Miriam den Wunsch der Mutter, sie mit in den Tod zu nehmen, als Zeichen der Fürsorge deutet, ist ein kluger Akt seelischer Notwehr. Er bezeugt die unbedingte Solidarität von Kindern gegenüber ihren Eltern, was immer sie ihnen auch antun.
MEIKE FESSMANN
Heinrich Steinfest: Das himmlische Kind. Roman. Droemer Verlag, München 2012. 312 Seiten, 19,99 Euro.
Steinfest lässt das Thema
einer zerbrechenden Familie
ins Märchenhafte kippen
Die ausgesetzten Kinder lernen, im Wald zu überleben.
FOTO: PATRICK PLEUL/PICTURE ALLIANCE/ZB
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In "Das himmlische Kind" erzählt Heinrich Steinfest eine "moderne Hänsel-und-Gretel-Geschichte", berichtet Meike Fessmann. Eine alleinerziehende Mutter beschließt aus Verzweiflung, Selbstmord zu begehen und ihre Kinder, Miriam und Elias, mit in den Tod zu nehmen. Doch die Kinder können sich retten. Sie fliehen in den Wald und finden Zuflucht in einer kleinen Hütte, wo sie lernen, in der Natur zu überleben, fasst die Rezensentin zusammen. Das besondere an Steinfests Erzählstil ist, wie sehr er sich in diesem Buch auf die Perspektive Miriams einlässt, die, kurz vor dem Erwachsenenalter, zwar in der Lage ist, für sich und ihren Bruder zu sorgen, aber die Welt noch als magisch und beseelt erlebt, erklärt die Rezensentin: als ihr Bruder krank wird, macht sie ihm Wadenwickel und erzählt ihm Geschichten, und sie ist sich sicher, dass es "die Heilkraft des Erzählens" ist, die ihn letztendlich wieder auf die Beine bringt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Das himmlische Kind" ist eine Geschichte voller Zeichen, Wunder und atmosphärisch dichter Bilder. Nacherzählen läßt sich das schlecht, lesen läßt es sich gut, in diesem novellenartigen Märchen-Roman, in dem sein darf, was es nicht geben kann. Ex libris (Ö1, ORF) 20130106