• Gebundenes Buch

2 Kundenbewertungen

Aufrüttelnd und provokant, zugleich warmherzig und witzig
Wenn es um Fußball geht, kann man dem zehnjährigen Hanno Kelsterberg nichts vormachen. In Sachen Protest allerdings auch nicht. Seit zwei Jahre zuvor der asketische Hartmut Gründler ins Souterrain der Familie zog und sich als unbeugsamer Politkämpfer entpuppte, steht Hannos einst heile Welt auf dem Kopf. Statt Fußball zu spielen, muss er nun mit zu Demos und verteilt Handzettel. Während der Vater den Mann im Keller zunächst belächelt, gerät die Mutter in den Bann des kompromisslosen Idealisten, die Ehe zerbricht. Ein provokanter und…mehr

Produktbeschreibung
Aufrüttelnd und provokant, zugleich warmherzig und witzig

Wenn es um Fußball geht, kann man dem zehnjährigen Hanno Kelsterberg nichts vormachen. In Sachen Protest allerdings auch nicht. Seit zwei Jahre zuvor der asketische Hartmut Gründler ins Souterrain der Familie zog und sich als unbeugsamer Politkämpfer entpuppte, steht Hannos einst heile Welt auf dem Kopf. Statt Fußball zu spielen, muss er nun mit zu Demos und verteilt Handzettel. Während der Vater den Mann im Keller zunächst belächelt, gerät die Mutter in den Bann des kompromisslosen Idealisten, die Ehe zerbricht. Ein provokanter und berührender Roman über eine Familie, die unversehens von der Zeitgeschichte gestreift wird.
Autorenporträt
Ljubic, Nicol
Nicol Ljubic, 1971 in Zagreb geboren, wuchs in Schweden, Griechenland, Russland und Deutschland auf. Er studierte Politikwissenschaften und arbeitet als freier Journalist und Autor. Für seine Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis. Für seinen zweiten Roman, 'Meeresstille', erhielt er 2011 den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis sowie den Ver.di-Literaturpreis, zudem stand der Roman auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschien der Roman 'Als wäre es Liebe'. In den Jahren 2014 und 2016 war er Mitinitiator der Europäischen Schriftstellerkonferenz. Nicol Ljubic lebt in Berlin.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Im Sommer 1975 nimmt Familie Kelsterberg einen Untermieter auf - an sich nichts Besonderes. Außergewöhnlich ist aber der neue Mieter: Der Umweltaktivist Hartmut Gründler hat sich mit vehementer Konsequenz der Sache verschrieben, dem Lebensschutz. Ob er davon leben könne? Davon nicht, aber dafür. Ljubi schildert die gut recherchierte Geschichte Gründlers und die der fiktiven Kelsterbergs aus Sicht von Hanno, der seine Mutter in hohem Alter mit einem als Gründler-Mahnmal gestalteten Rollator auf der Straße beobachtet und sich fragt, was damals passiert ist. Hanno wird kurz nach Gründlers Einzug acht Jahre alt, brennt für Fußball und ist bislang in einer vermeintlich glücklichen Familie aufgewachsen. Die Mutter ist interessiert an Gründlers Tun; der Vater aber hält ihn für einen Spinner und kann nicht verstehen, warum seine Frau ihn unterstützt. Gründler protestiert im Hungerstreik gegen Lügen der Atomkraft-Befürworter und zündet sich später selbst an. Die Hauptfigur in dem sich um seinen Feuertod drehenden Roman ist aber die Familie, die sich zu diesen Ereignissen zur Zeit des Deutschen Herbstes verhalten muss. Anregend und klug erzählt Ljubi, wie Politik und Fragen nach Verantwortung und Wertvorstellungen unversehens den eigenen Haushalt dominieren.

© BÜCHERmagazin, Melanie Schippling

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2017

Der Vater war einfach zu groß für uns alle
Atomkraft, pfui Deibel: Nicol Ljubics Roman basiert auf dem Leben des Umweltaktivisten Hartmut Gründler

Ein Mensch brennt. Er brennt vor Leidenschaft, er brennt für eine Sache, er brennt für den Widerstand - so lange, bis aus der Metapher Wirklichkeit wird und sein Körper in Flammen aufgeht. Dieser Mensch ist besessen. Er lebt in einer Zeit des Aufbegehrens. Die deutsche Anti-Atomkraft-Bewegung formiert sich, Helmut Schmidt ist Kanzler und macht aus seiner Befürwortung der Kernenergie kein Hehl. Die Proteste werden lauter, die Zahl der Atomkraftgegner wächst, die ökologische Frage gerät ins Bewusstsein der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Und da gibt es einen, für den nichts mehr zählt als der Kampf gegen die Atomkraft. Er heißt Hartmut Gründler. 1930 geboren, gründete der Tübinger Lehrer 1972 den "Arbeitskreis Lebensschutz", der in linken Kreisen der Umweltschützer-Szene zu verorten war und sich gegen die Atompolitik richtete. Nach etlichen Protesten, Hungerstreiks und offenen Briefen, die nicht zur gewünschten Aufmerksamkeit führten, ging Gründler für seinen Kampf um den "Lebensschutz" in den Tod. Am 16. November 1977 übergoss er sich mit Benzin und zündete sich an. Das war in Hamburg, wo gerade die SPD tagte. Wenige Tage später erlag er seinen Verletzungen.

Das ist eine wahre Begebenheit, die den Journalisten und Schriftsteller Nicol Ljubic so fasziniert hat, dass er daraus einen Roman gemacht hat. Die Geschichte dazu ist frei erfunden, könnte sich aber tatsächlich so zugetragen haben. Hartmut Gründler, im Roman nur mit Vornamen erwähnt, tritt ins Leben einer Tübinger Familie und bestimmt fortan das innerfamiliäre Geschehen. Das stabile Gefüge von Vater, Mutter und Kind gerät Schritt für Schritt ins Wanken, als Hartmut zur Untermiete ins Haus der Familie zieht.

Es ist eine Erzählung im Rückblick: Als Erwachsener erinnert sich der damals siebenjährige Hanno, was er als Kind erlebte, dachte, fühlte. Die Erinnerungen werden unterbrochen von kurzen Zeitsprüngen in die Gegenwart, die nur erahnen lassen, was aus Hanno, mittlerweile 44 Jahre alt, geworden ist. Weder gerettet noch verloren, erscheint er wie jemand, der nicht gescheitert ist, aber auch nicht das erreicht hat, was ihm vielleicht einmal vorschwebte.

Zentraler Bezugspunkt der Geschichte ist Hannos Mutter. Ihre Faszination für Hartmuts beharrlichen Kampf für die gute Sache entwickelt sich rasch zu einer Fixierung, in der sie nichts anderes mehr gelten lässt als Hartmut. Alles, was er macht, denkt und sagt, setzt sie als Dogma, nach dem nicht nur sie sich ausrichtet, sondern auch verlangt, dass ihr Sohn es tut. Sie schärft dem kleinen Hanno ein, dass es kein größeres Übel auf der Welt gebe als Atomkraftwerke, sie passt die gutbürgerlichen Mahlzeiten ihrer Familie den verzichtbasierten Ernährungsgewohnheiten von Hartmut an, sie nimmt Hanno mit auf Anti-Atomkraft-Demos, sie animiert ihn, jeden Schritt im politischen Leben Hartmuts aufmerksam zu verfolgen, sie stellt Hartmut grundsätzlich über die Bedürfnisse und Interessen ihres Kindes, und sie hört mit ihrer Indoktrination selbst dann nicht auf, als Hartmut bei ihnen auszieht, in den Hungerstreik tritt und sich schließlich verbrennt.

Nicht einmal vor dem Anblick des Brandopfers vermag die Mutter ihr Kind zu schützen. Aus Hartmuts Tod macht sie ein Martyrium, dessen politisches Vermächtnis sie vollenden will. Sie archiviert seine Briefe und die wenigen Zeitungsartikel über ihn, geht auf die Straße, spricht Leute an, um sie für Hartmut zu begeistern, und wirkt zunehmend wie eine weltfremde Frau, die von allen guten Geistern verlassen ist.

Dass kaum jemand Hartmut beachtete, sein Widerstand ins Leere lief und er eher den Eindruck eines Spinners als eines ernstzunehmenden Aktivisten machte, interpretiert sie nicht als seine Unzulänglichkeit, sondern als die aller anderen. "Er war einfach zu groß für uns alle", sagt sie und merkt gar nicht, welche Bürde sie ihrem Kind damit auferlegt, dass sie aus Hartmut "einen zweiten Jesus" macht. Hannos Vater ist näher an seinem Kind, insofern er sich kindgerechter verhält, doch er erscheint in Ljubics Roman immer in einer gewissen Distanz, die ihn davon abhält, sich schützend vor seinen Sohn zu stellen. Auch der Vater bleibt stets im Schatten der Mutter.

Sie opfert sich auf. Aber geht es ihr wirklich um die Sache oder nicht doch eher um sich selbst? Sie führt keine glückliche Ehe, sehnt sich nach einem selbstbestimmten Leben, in dem sie nicht mehr bloß Hausfrau und Mutter sein muss. "Irgendwann ist mir die Welt zu Hause einfach zu klein geworden", erklärt sie Hanno viele Jahre später, "und Hartmut hat mir ein Fenster geöffnet." Ihr Kind aber kommt in diesem Horizont nicht vor. Hanno sehnt sich nach der Nähe seiner Eltern. Das ist die Sicherheit, die er braucht und die er versteht - nicht die erhöhte Sicherheit, die durch die Stilllegung der Atomkraftwerke eintritt. Doch er bleibt mit diesem Bedürfnis allein und begreift erst in der Erinnerung, woran das lag: "Vielleicht war mein Radius zu klein, und vielleicht ist es genau das Problem von Kindern, dass ihr Radius zu klein ist und sie deswegen die Welt nicht verstehen."

Nicol Ljubic gelingt es, ein plastisches Bild von dem verstörenden Verhältnis zwischen Mutter und Kind zu zeichnen. Seine Idee, eine historisch kaum bekannte Figur zum Auslöser einer schwierigen Familiengeschichte zu machen, überzeugt dort, wo die Mischung zwischen Nähe und Distanz aufgeht. Das Kind und mit ihm der Leser erleben Hartmut aus nächster Nähe, doch Hartmut bleibt trotzdem ein Fremder. Das hat durchaus seinen Reiz, trägt aber nicht über dreihundert Seiten. Der Roman zieht sich, es kommt zu Wiederholungen, die Erzählung stagniert, als wäre mit der einen guten Idee schon das ganze Pulver verschossen. Vielleicht fiele das nicht so sehr ins Gewicht, wenn das Buch mehr sprachliche Gründlichkeit aufweisen würde. Der verbreiteten Unart, aus Nebensätzen Hauptsätze zu machen, ohne dabei die stilistische Qualität zu erhöhen, schließt sich auch Ljubic an, dessen Roman es in dieser Hinsicht an literarischer Eleganz mangelt. Dadurch hält sich das Lesevergnügen in Grenzen. Hartmut Gründler aber wird man wohl kaum mehr vergessen.

HANNAH BETHKE

Nicol Ljubic: "Ein Mensch brennt". Roman.

Dtv, München 2017. 336 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Hans-Peter Kunisch ist beeindruckt, wie Nicol Ljubic in seinem Roman "Ein Mensch brennt" journalistische Recherche in Literatur verwandelt. Er erzählt von dem Umweltschützer Hartmut Gründler, der sich aus Protest gegen die Atomkraft 1977 in Hamburg selbst verbrannte. Heute ginge eine solchen Nachricht sofort um die Welt, damals interessierte sie kein Schwein. Helmut Schmidt nannte den Mann einen "irregeleiteten Gutmeinenden". Ljubics erzählt Gründlers Geschichte aus der Sicht des Jungen, in dessen Tübinger Familie der Aktivist einst gelebt hatte, wie der Kritiker berichtet: Die Mutter war der Faszination seiner Radikalität erlegen, der Vater als liberaler Gemütsmensch auf Distanz geblieben. Kunisch goutiert die schnörkellose Sprache und verfolgt gespannt, wie am Ende die Irritation des Erzählers in Abscheu umschlägt. Für Kunisch ist "Ein Mensch brennt" ein "tief deutscher" Roman und Ljubics bisher bester.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.02.2018

Im Abgrund der Konsequenz
Nicol Ljubić hat Hartmut Gründler, der sich 1977 aus Protest gegen die Atomkraft selbst verbrannte, in eine Romanfigur verwandelt
Als sich der siebenundvierzig Jahre alte Hartmut Gründler am 16. November 1977 vor der Hamburger Petrikirche mit Benzin übergießt und anzündet, um vor den Gefahren der Atomenergie zu warnen, weiß noch keiner von Tschernobyl oder gar von Fukushima. Der Glaube an die Technik ist, bis weit in die SPD hinein, intakt. Der Bundeskanzler Helmut Schmidt hält Leute wie Hartmut Gründler für „grüne Spinner“, und noch als Gründler nach seiner Aktion im Krankenhaus im Sterben liegt, spricht der Kanzler in seiner Rede beim parallel stattfindenden SPD-Parteitag nur von irregeleiteten „Gutmeinenden“, die Arbeitsplätze gefährdeten. Auch Gründler bleibt bei seiner Haltung. Er bittet darum, Schmidts Buch „Als Christ in der politischen Entscheidung“ auf seinen Sarg zu nageln. Was geschieht.
Heute ginge die spektakuläre Geschichte von Hartmut Gründler um die Welt. Damals berichten Medien wie der Spiegel, der Stern, die Zeit nur sehr spärlich. Die Süddeutsche Zeitung bringt eine knappe Meldung und lehnt, so Nicol Ljubić in seinem Roman „Ein Mensch brennt“, den Druck der Todesanzeige ab.
Ljubićs Buch versetzt seine Leser in eine seltsam ferne Zeit. Nicht nur, weil es in allem, was Hartmut Gründler angeht, gut recherchiert ist. Es trifft den Ton der Verhärtung zwischen den Fronten, zeigt den Willen zur Konfrontation, der den Deutschen Herbst bestimmte. Und berichtet aus einer Perspektive, in der eine Distanz zum Geschehen enthalten ist. Der vierundvierzigjährige Ich-Erzähler Hanno hat den Pfarrerssohn und Aktivisten Gründler in den Siebzigerjahren kennengelernt, als er selber ein neunjähriger Junge war. Schnell merkt Hanno, dass der neue Mieter im Souterrain des Tübinger Familienhauses „anders“ tickt. Gründler nimmt den Wein und die Begrüßungszigarre des Vaters nicht an. Er trinke keinen Alkohol, rauche nicht.
Geschickt verbindet Ljubić die Sicht eines durch die damaligen Geschehnisse noch heute irritierten Erzählers, der anschaulich auf seine eigene Naivität zurückblickt, mit der Darstellung der schleichenden Zerstörung der Gemeinschaft seiner Eltern, die bald nach dem Einzug Gründlers beginnt. Die Mutter Hannos, eine Lehrerin, ist für Gründlers gewaltfreies Anliegen des „Lebensschutzes“ empfänglich. Sie sieht in seiner Leidenschaft für die Bekanntmachung der Gefahren der „Endlagerung“ fasziniert die Möglichkeit einer Existenz jenseits von Sockenstopfen und Schulheftekorrigieren.
Der Vater, ein mittelständischer Unternehmer, gutmütiger Lebensgenießer und Autofan (Citroën DS), toleriert den asketischen Gründler mit skeptischem Spott. Doch der Einfluss des Aktivisten auf die Mutter wächst. Wahrscheinlich ohne dass die beiden je ein Verhältnis beginnen. Gerade, dass es Hartmut ausschließlich um die Sache geht, zieht die Mutter an.
Der freundliche Vater Hannos taugt nicht zum kapitalistischen Feindbild, ist aber für die spannungsreiche Ausgewogenheit des Romans wichtig. Es ist die laxe Selbstzufriedenheit des gelassenen Gemütsmenschen, die seine Frau zum Seitenwechsel provoziert. Und sie lässt im Kontrast Gründlers Konsequenz, die sie ironisch kommentiert, umso deutlicher hervortreten. Der junge Hanno wiederum ist lieber beim Vater, weil er spürt, dass von Gründler und der Mutter Kräfte ausgehen, die seine Familie auseinandertreiben. Vater und Sohn sehen Western und rasen mit dem Auto, der „Déesse“, aber sie können die Folgeerscheinungen von Gründlers Entschlossenheit nicht bremsen.
Ljubićs Sprache ist – der erzählten Kindheit gemäß – einfach, schnörkellos. Eben dadurch zieht sie in ihren Bann. Ihre Geheimnisse entwickelt sie aus den Zusammenhängen, die der Junge nur halb versteht. Überzeugend gaukelt sie auch den authentischen Ausdruck der Gefühle und Gedanken des älter gewordenen Hanno vor, den seine verstorbene Mutter mit der Hinterlassenschaft ihres privaten Hartmut-Gründler-Archivs beglückt hat. Der erwachsene Hanno soll ihren letzten Willen umsetzen, die Erinnerung an Gründler und seine „Opfer“ wachhalten.
Auch der Spannungsaufbau gelingt. Erst allmählich verrät Ljubic, wie es, über Hungerstreiks nach Gandhis Vorbild und ein tragikomisches Anketten am Kölner Dom, zur weiteren Radikalisierung und Selbstverbrennung nach dem Muster vietnamesischer Mönche und des Tschechen Jan Palach kommt, um die gleichgültige Öffentlichkeit wachzurütteln.
Anfangs steht Gründler in seinem Kampf gegen die sprachliche Verschleierung der Risiken der Atomkraft positiv da. Der reale Gründler hat, etwa in Rowohlts Literaturmagazin 8, „Die Sprache des Großen Bruders“, tatsächlich darüber geschrieben. Aber dann werden die Reserven des erwachsenen Hanno gegen Gründler sichtbar. Was er nach Gründlers Revival anlässlich von Fukushima von der triumphierenden Mutter erfährt, befremdet ihn. Der Umschlagspunkt von Irritation in Abscheu ist erreicht, als Hanno von ihr erfährt, dass Gründler sie zur gemeinsamen Selbstverbrennung anstiften wollte. Nicht, weil er vergessen hatte, dass sie Mutter war – sondern, weil er damit rechnete, dass die Selbstverbrennung einer Mutter mehr Aufsehen erregen würde. Klar wird schließlich auch, dass die Mutter bis zu ihrem Tod von der „Schuld“ umgetrieben wurde, damals „Nein“ gesagt zu haben, wegen Hanno. Aus gewöhnlich-privaten Gründen hat sie auf ihr Opfer für die Menschheit verzichtet.
Im Buch heißt es, alle Figuren außer Gründler und den Politikern seien Fiktion. Aber die Widmung des Romans an Wilfried Hüfler gibt einen guten Hinweis. Hüfler, er war 1980 Mitbegründer der Grünen, starb 2015 im Alter von 83 Jahren. Im Nachruf der Südwestpresse konnte man lesen, dass der pensionierte Lehrer in seinen letzten Jahren an einer Biografie des von ihm unterstützten und bewunderten Gründler schrieb. Ljubić, der auffällig häufig erwähnt, dass Hannos Mutter mit einem Journalisten gesprochen habe, der Gründlers Geschichte aufschreiben sollte, stattet die Figur der Mutter mit Anklängen an Wilfried Hüfler aus. Doch den Familienroman, in den er die Geschichte Gründlers einbettet, hat er frei konstruiert.
„Ein Mensch brennt“ ist eine beeindruckend fugenlose Verwandlung journalistischer Recherche in Literatur. Mit „Meeresstille“, einer Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Jugoslawien-Krieg, stand Nicol Ljubić, der 1971 als Sohn einer Deutschen und eines Kroaten in Zagreb geboren wurde, 2010 auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Der tief deutsche Roman „Ein Mensch brennt“ ist sein bisher bester.
HANS-PETER KUNISCH
Schnell merkt der junge Hanno,
dass der neue Mieter im
Souterrain anders tickt
Den Familienroman, in den
Ljubić die Geschichte Gründlers
einbettet, hat er frei konstruiert
Nicol Ljubić: Ein Mensch brennt. Roman. dtv Hardcover, München 2017. 333 Seiten, 20 Euro. E-Book 17,80 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
"Ljubic fesselt den Leser, er erzählt bildhaft und anekdotenreich zugleich."
Stefan Maelck, MDR Kultur, Buch der Woche 05.09.2017
Der tief deutsche Roman 'Ein Mensch brennt' ist sein bisher bester. Hans-Peter Kunisch Süddeutsche Zeitung 20180221