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Wie konnte sich der Sohn eines promovierten Historikers und einer Sekretärin, der sich gern mit schnellen Autos, falschen Wimpern und teuren Kleidern schmückte, der Künstler, Journalist oder auch Filmregisseur werden wollte, zum »Staatsfeind Nr. 1« entwickeln?
Die längst fällige Biografie des Andreas Baader und die Geschichte der ersten RAF-Generation, zum 30. Jahrestag des »Deutschen Herbst« 1977. Mit zahlreichen bisher unbekannten Dokumenten und Fotos.
Andreas Baader, geboren 1943 in München, wurde 1977 wegen vierfachen Mordes und mehrerer Mordversuche zu lebenslanger Haft verurteilt.
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Produktbeschreibung
Wie konnte sich der Sohn eines promovierten Historikers und einer Sekretärin, der sich gern mit schnellen Autos, falschen Wimpern und teuren Kleidern schmückte, der Künstler, Journalist oder auch Filmregisseur werden wollte, zum »Staatsfeind Nr. 1« entwickeln?

Die längst fällige Biografie des Andreas Baader und die Geschichte der ersten RAF-Generation, zum 30. Jahrestag des »Deutschen Herbst« 1977. Mit zahlreichen bisher unbekannten Dokumenten und Fotos.

Andreas Baader, geboren 1943 in München, wurde 1977 wegen vierfachen Mordes und mehrerer Mordversuche zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach der gescheiterten Entführung der »Landshut« auf dem Flughafen in Mogadischu, mit der die Freilassung von 11 RAF-Häftlingen erpresst werden sollte, beging er am 18. Oktober 1977 in Stammheim Selbstmord. Erstmals äußern sich hier Zeitzeugen, Menschen aus dem privaten Umfeld Baaders und aus seiner Familie, etwa die Tochter von Andreas Baader und Ello Michel.

Die Liebesbriefe zwischen Andreas Baader und Ello Michel wurden den Autoren zugänglich gemacht. Hinzu kommen zahlreiche bisher unveröffentlichte Fotos aus den Kinder- und Jugendtagen wie aus Untergrund und Gefängnis. Auch die tragische Familiengeschichte der Baaders, vor allem die des Baader sehr nahe stehenden Onkels, eines Solotänzers und Schauspielers, wird zum ersten Mal erzählt
Autorenporträt
Herrmann, Jörg
Jörg Herrmann, Dr. theol. habil., Jahrgang 1958, arbeitet als Theologe und Publizist. Er hat ebenfalls bereits über Andreas Baader und die RAF publiziert und unter anderem 'Mission mit allen Mitteln', ein Buch über Scientology, veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2007

Historische Schieflage
Im Mittelpunkt des Interesses an der RAF stehen meistens Mörder wie Ulrike Meinhof und Andreas Baader, nicht aber deren Opfer

Auch nach ihrem Ende wird der "Rote Armee Fraktion" immer noch unverhältnismäßig großes Interesse entgegengebracht. Legenden entstehen und wollen nicht vergehen. Einblicke in eine fremde Welt.

Die RAF war keine westdeutsche Affäre, sondern eine Spätgeburt der Weltbürgerkriege des 20. Jahrhunderts. Die interessierten Dritten, die den schießenden westdeutschen Kommunisten jahrelang das logistische Hinterland sicherten, saßen an der Spitze einer regierenden kommunistischen Partei. Das war die ostdeutsche Seite der Medaille. Ohne Unterstützung des Ministeriums für Staatssicherheit, das mit Billigung der SED-Führung handelte, hätte die erste Generation der RAF ihre Ausbildung in palästinensischen Lagern und die Rückkehr in die Bundesrepublik nicht bewerkstelligen können. Die Stasi gewährte den Terroristen nicht nur verdeckte Ein- und Ausreisen, sie ermöglichte ihnen nach Anschlägen via DDR die Flucht in Dritte-Welt-Länder, fälschte Pässe und gab ihnen - wenn nötig - auch Reisegeld. Christian Klar und Genossen absolvierten auf Übungsplätzen der Nationalen Volksarmee eine von Stasi-Ausbildern angeleitete Schieß- und Sprengausbildung. Mit einer Panzerfaust jagten sie auf dem Schießplatz Rüdnick bei Oranienburg aus dreihundert Meter Entfernung probeweise einen alten Mercedes-Benz in die Luft, in dem ein Schäferhund als Versuchstier angebunden war. Klars damalige DDR-Ausbilder behaupteten später, dass ihnen nicht bekannt war, wer ihnen da zur Weiterbildung untergeschoben wurde. Keiner der Verantwortlichen für diese ost-westdeutsche Waffenbrüderschaft ist nach der Wiedervereinigung belangt worden.

Der Marburger Hochschullehrer Wolfgang Abendroth, ein akademischer SED-Verbündeter, gehörte in den sechziger Jahren zu den Einflussträgern in der Neuen Linken. Er trug dazu bei, dass sich ein großer Teil seiner Schüler nach dem Auseinanderfallen der APO zu Apologeten der DDR und Anhängern der DKP entwickelten. Auch Ulrike Meinhof, die im Sommersemester 1955 ihr Studium in Marburg aufnahm, besuchte Abendroths Seminare. Meinhofs Tochter Bettina Röhl erwähnt das in ihrer aufschlussreichen Doppelbiographie der eigenen Eltern nur am Rande. Es ist gleichwohl bemerkenswert, dass Ulrike Meinhof im akademischen Dunstkreis Abendroths die Entscheidung zum Eintritt in die illegale KPD fällte.

Meinhofs politischer Freund im Sozialistischen Deutschen Studentenbund Jürgen Seifert stellte damals fest, dass sie sich in ihrer Marburger Zeit "völlig verändert" hatte. Sie schrieb ihm im Oktober 1958, sie sei "ein wenig zum Nachdenken gekommen" und habe frühere Position revidiert: "Wir sind uns darüber einig, dass die positiven Alternativen zur westlichen Politik im Sozialismus zu sehen sind, dass personelle Veränderungen in den Regierungen das Grundübel nicht ausrotten können, sondern nur eine Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse." Bettina Röhl interpretiert diesen Brief zutreffend als erstes Zeugnis der Hinwendung Ulrike Meinhofs "zu einer kommunistischen Gesinnung, der sie im Prinzip bis zu ihrem Tod treu bleiben sollte".

Die SED finanzierte seit 1955 die Hamburger Zeitschrift "Studenten-Kurier", die 1957 in "konkret" umbenannt wurde. Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhof fuhren bis Mitte der sechziger Jahre immer wieder in die DDR, um sich dort von SED-Funktionären Ratschläge und Instruktionen für die Öffentlichkeitsarbeit erteilen zu lassen und Rechenschaft darüber abzulegen, dass sich die DDR-Subventionen für "konkret" auszahlten. Wie sich das DDR-Engagement gelohnt hat und auf welche Weise Ulrike Meinhof in den sechziger Jahren zur Transmission der SED-Einflusspolitik in der Bundesrepublik beitrug, hat Bettina Röhl, gestützt auf zahlreiche Briefe, Akten und Zeitzeugenaussagen, in eine nahezu lückenlose historische Erzählung gegossen. Das Buch behandelt vor allem die ersten 34 Lebensjahre Ulrike Meinhofs. Aber dies waren die für sie politisch prägenden Jahre. Im Unterschied zu ihrem Mann Klaus Rainer Röhl blieb Ulrike Meinhof, als es 1965 zum Bruch kam, in ihrer Grundüberzeugung der illegalen KPD und der SED verbunden. So sah es auch ihr damaliger KPD-Instrukteur Manfred Kapluck. Er habe, berichtete er Bettina Röhl, seinerzeit zu den Ost-Berliner KPD-Verantwortlichen gesagt: "Wieso wollt ihr Ulrike ausschließen, sie hat doch nichts getan. Das Gleiche sagte ich später auch zu Ulbricht und den anderen Genossen, als Ulrike in den Untergrund ging und Terroristin wurde: Warum denn ausschließen, sie hat doch nichts getan, was der DDR schadet. Da ließ man sie drin." So sei es gekommen, dass Ulrike Meinhof "bis zu ihrem Tod Mitglied der KPD (DKP) blieb".

Die Zeit des Terrorismus kommt in Bettina Röhls Werk nur auf den letzten Seiten des Epilogs vor. Ob die Autorin ihrer Erzählung einen zweiten Band zum Untergang der Illusion in Gewalt und Terror folgen lässt? Das vorliegende Buch, das zum Teil auch eine Autobiographie ihrer Kindertage ist, hat einen immensen Aufwand an Recherchen, Energie und Herzblut verschlungen. Die Autorin verarbeitet - trotz aller Bemühung um Historisierung - mit der Biographie ihrer Mutter auch das zutiefst verletzende Erlebnis einer enttäuschten Tochterliebe.

Vaterliebe hat Andreas Baader nie erlebt. Seine Mutter zog ihn als Kriegerwitwe allein auf. Im Jahr 1956 kam der Junge auf das Maximilians-Gymnasium in München, auf dem vor ihm Max Planck, Werner Heisenberg und Franz Josef Strauß die Schulbank drückten. Die Prügelstrafe war noch nicht abgeschafft, als Baaders Klassenlehrer dem schlechten Schüler ins Zeugnis schrieb: "Es fehlt dem Buben die starke Hand zu Hause. Der Vater ist vermisst. Die Mutter ist berufstätig und hat zu ihrer täglichen Berufsarbeit nicht die Kraft, dem Buben den fehlenden Vater zu ersetzen." Andreas Baader musste das Gymnasium verlassen und scheiterte drei Jahre später auch auf dem Internat, dessen Kosten sich seine Mutter vom Munde abgespart hatte. Seine wichtigste männliche Bezugsperson war in jener Zeit sein Onkel, der Tänzer Michael Kroecher, dessen Karriere das "tausendjährige Reich" in die Quere kam. Er konnte weder seine avantgardistische Leidenschaft noch seine Homosexualität ausleben und war nach dem Krieg für eine Karriere als Solotänzer zu alt. Die Bayerische Staatsoper beschäftigte ihn in den fünfziger Jahren als "Aushilfstänzer" mir sechzig Mark Tagesgage. Später tauchte Kroechers Charakterkopf noch in einigen Filmen neben Romy Schneider und Marcello Mastroianni auf. Andreas Baader war stolz auf seinen Onkel. Als er 1965 einen Soloabend in der Berliner Akademie der Künste bestritt, holte der Neffe den alten Onkel am Tempelhofer Flughafen ab und kutschierte ihn im offenen Sportwagen durch den Berliner Frühling. Der Tanzabend wurde ein Reinfall, damals hegte man in West-Berlin noch keine Sympathie für alternde Schwule in "seidenen Trikots". Baader wird das kaum gestört haben, denn er war da selbst schon eine kleine Größe im Submilieu der Halbstadt, einschlägigen Kreisen bekannt als androgynes Modell des Fotografen Herbert Tobias.

Klaus Stern und Jörg Herrmann zeichnen in ihrer biographischen Studie ein erhellendes Bild über die Jugend- und Entwicklungsjahre des späteren Terroristen. Für die Jahre nach dem Abtauchen Baaders in den terroristischen Untergrund, die den zweiten Teil der Biographie ausmachen, wird lediglich bereits Bekanntes rekapituliert. Das allerdings fasst konsistent zusammen, was man wissen sollte, wenn es um Baader als Antreiber des RAF-Terrors, Frauenfeind und nihilistischen Verächter der demokratischen Gesellschaft geht. Die Autoren verschweigen auch nicht, welche Rolle die Anwälte der RAF in der großen Stammheimer Prozessinszenierung Mitte der siebziger Jahre gespielt haben. Otto Schily etwa versuchte seinerzeit als Verteidiger im RAF-Verfahren - bezogen auf die tödlichen Bombenanschläge gegen amerikanische Einrichtungen - eine seiner Meinung nach bestehende internationale Gefechtslage folgendermaßen zu beschreiben: "Ich finde, es ist notwendig, noch einmal klar zu sagen, um was es geht: dass mittels militärischer Einrichtungen hier auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland Völkermord vollzogen ist." Es seien die "gleichen Bilder: das jüdische Kind im Getto, das mit erhobenen Händen auf SS-Leute zugeht, und die vietnamesischen Kinder, die schreiend, napalmverbrannt dem Fotografen entgegenlaufen nach dem Flächenbombardements". Die Frage sei, "ob es gerechtfertigt war, gegen solche Mechanismen und gegen die Apparatur, mit der solche Mordaktionen durchgeführt wurden, vorzugehen". Schily war der harmloseste von allen hinters Licht geführten Verteidiger im Stammheimer Verfahren. Er hat keine Kassiber und schon gar keine Waffen in die Haftanstalt geschmuggelt. Doch auch er wurde durch seine "ehrlichen" Stellungnahmen und öffentlichen Auftritte in den Auditorien der westdeutschen Universitäten zu einem "nützlichen Idioten" der psychologischen Kriegführung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und der RAF-Unterstützerszene.

In keinem der damaligen "teach-ins" und "Solidaritätsversammlungen" hätte ein Anwalt der Opfer des RAF-Terrors, eine Angehörige von ermordeten "Volksfeinden" oder ein zum Krüppel geschossener Polizeibeamter das Wort ergreifen können. Der Furor des ebenso selbstgerechten wie einsatzfreudigen RAF-Umfelds hätte eine solche unerwünschte Betroffenheit durch Pfeifen, Schreien und Prügel zum Schweigen gebracht. Es hat 25 Jahre gedauert, bis sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen des Themas in einer Weise annahm, die mit Heinrich Breloers Doku-Drama "Todesspiel" eine andere Perspektive auf die Agenda der öffentlichen Diskussion setzte. Anne Siemens war 1977 gerade einmal drei Jahre alt. Die junge Autorin schreibt als Nachgeborene über die Opfer der RAF fort, was Breloer begonnen hat. Auf der Grundlage von Gesprächen mit Familienangehörigen der Opfer erzählt Anne Siemens "Die andere Geschichte des deutschen Terrorismus". Sie stellt jene Fragen, die das betroffenheitsselige Linksmilieu sich bis heute nicht gestellt hat. Wie wurden die Familien der von RAF-Killern Ermordeten mit ihren traumatischen Erlebnissen fertig? Die Autorin sprach darüber mit Frau und Sohn des 1975 in Stockholm während einer Geiselnahme in der deutschen Botschaft ermordeten Diplomaten Andreas von Mirbach, sie befragte die Töchter des durch einen Kopfschuss ermordeten Diplomaten Heinz Hillegaart. Die beiden Geiseln wurden von ihren RAF-Mördern hinterrücks erschossen, um der Forderung nach Freilassung Andreas Baaders, Gudrun Ensslins, Ulrike Meinhofs und 23 anderer Terroristen Nachdruck zu verleihen. Anne Siemens sprach mit der Tochter von Jürgen Ponto. Der Bankier starb im Juli 1977 durch Schüsse von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, als er sich seiner Entführung widersetzte. Der Sohn von Martin Schleyer schildert, wie er die Entführung und Ermordung seines Vaters erlebte. Gabriele von Lutzau und Jürgen Vietor beschreiben die schockierenden Abläufe im entführten Lufthansajet "Landshut", dessen Kapitän als Geisel erschossen wurde, und Patrick von Braunmühl erinnert sich an seinen im Oktober 1986 ermordeten Vater, den Direktor im Auswärtigen Amt Gerold von Braunmühl. Wer ihn ums Leben brachte, konnte bis heute nicht ermittelt werden.

Sämtliche RAF-Opfer, über die Anne Siemens mit Angehörigen sprach, starben ohne eine Chance der Gegenwehr. Sie waren unbewaffnet und wurden von ihren Mördern zumeist durch Kopfschüsse getötet. Das Buch ist eine schwere, eine belastende Lektüre. Aber es setzt angesichts des medialen und wissenschaftlichen Interesses an Verbrechern wie Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt einen Kontrapunkt in das öffentliche Bewusstsein und leistet damit einen längst überfälligen Beitrag zur Würdigung der Leidtragenden des RAF-Terrors. Der richtete sich angeblich "exemplarisch" gegen Repräsentanten "des Systems", in Wirklichkeit aber gegen die offene und freie Gesellschaft.

JOCHEN STAADT.

Bettina Röhl: So macht Kommunismus Spaß. Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2006. 677 S., 29,80 [Euro].

Klaus Stern, Jörg Herrmann: Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007. 359 S., 15,- [Euro].

Anne Siemens: Für die RAF war er das System, für mich der Vater. Die andere Geschichte des deutschen Terrorismus. Piper Verlag, München 2007. 287 S., 19,90 [Euro].

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"Die Biografie von Klaus Stern und Jörg Herrmann ist das umfangreichste Buch über den Mitbegründer der RAF."
Welt am Sonntag 18.02.2007