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Dier hier erstmals veröffentlichten Memoiren Gustav René Hockes (1908 1985) entstanden während rund 20 Jahren neben dem journalistischen Beruf und einem umfangreichen wissenschaftlichen wie auch essayistischen Werk und reichen bis fast zu Hockes Tod. In ihnen zeichnet er nicht nur seinen bewegten Lebensweg nach, sondern gibt aus persönlicher, kenntnisreicher Sicht Einblicke "hinter die Kulissen" von Politik und Gesellschaft seiner Zeit im Schatten der Macht. Ein wesentlicher Teil des 20. Jahrhunderts wird durch ihn als kritischen Beobachter wieder lebendig. Hocke war stets an den Brennpunkten…mehr

Produktbeschreibung
Dier hier erstmals veröffentlichten Memoiren Gustav René Hockes (1908 1985) entstanden während rund 20 Jahren neben dem journalistischen Beruf und einem umfangreichen wissenschaftlichen wie auch essayistischen Werk und reichen bis fast zu Hockes Tod. In ihnen zeichnet er nicht nur seinen bewegten Lebensweg nach, sondern gibt aus persönlicher, kenntnisreicher Sicht Einblicke "hinter die Kulissen" von Politik und Gesellschaft seiner Zeit im Schatten der Macht. Ein wesentlicher Teil des 20. Jahrhunderts wird durch ihn als kritischen Beobachter wieder lebendig. Hocke war stets an den Brennpunkten des politischen und künstlerischen Geschehens präsent. Immer wieder begegnete er bedeutenden Menschen: So etwa Konrad Adenauer, Ingeborg Bachmann, James Joyce, Thomas Mann, Aurel Milloss, Kurt Neven DuMont sowie Johannes XXIII. und Paul VI. neben zahlreichen Politikern, Diplomaten und kirchlichen Würdenträgern. Trotz seiner Zeitkritik ist Hocke nie zynisch, sondern bleibt zeitlebens Moralist
und gläubiger Christ in der Nachfolge Pascals. Zahlreiche Zitate, literarische Anspielungen und Personen werden in einem Stellenkommentar erläutert. Eine Werkbibliographie gibt einen Überblick über Hockes Werk; ein Personenregister erschließt den Band.
Autorenporträt
Dr. Detlef Haberland studierte Germanistik, Hispanistik und Geschichte des geographischen Denkens/Geschichte der Reisen und Entdeckungen in Bonn und Zürich. Er lehrt als Privatdozent Neuere deutsche Literatur an der Universität zu Köln. Zahlreiche Arbeiten zur Literatur des Barock, des 19. und 20. Jahrhunderts, zur Reiseliteratur und -geschichte sowie zur regionalen Literaturgeschichte und Interkulturalität.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Interessant auf jeden Fall. Zwar gibt es manches, das Niklas Maak an Gustav Rene Hockes Autobiographie "Im Schatten des Leviathan" befremdet. Doch spürbar fasziniert haben ihn die "Anekdoten und Indiskretionen" des Buches, die neben anderen von Max Frisch und Ingeborg Bachmann, von Max Ernst, Andre Breton und Konrad Adenauer handeln. Hocke, Schüler von Ernst Robert Curtius und langjähriger Zeitungskorrespondent, legt Bekenntnisse vor, die anspruchsvoll und schillernd, ja "monströs" sind, wie Maak befindet, und die manchmal in hohlem Pathos, dann wieder in homophoben Ausfällen kulminieren. Stellenweise, so Maak, liest sich das wie ein "Kolportageroman aus dem Rom der vierziger bis siebziger Jahre". Problematisch bleibt Hockes Umgang mit der eigenen Vergangenheit, mit seinem Beitritt in die nationalsozialistische Partei; problematisch bleibt auch der wissenschaftliche Rang seiner Bücher - als "Großessays" bezeichnet sie der Rezensent - über "Die Welt als Labyrinth" und den "Manierismus in der Literatur". So anregend Hockes Methode unbestreitbar sein mag - verschafft sie tatsächlich Erkenntnisgewinn? Maak ist sich da nicht sicher. Ist das Hockesche Verfahren dafür nicht einfach zu unscharf? Unscharf war ganz sicher nicht der Säbel, mit dem Hocke, Zeichen der Spannung, unter der er ein Leben lang stand, sich zu entleiben versuchte. Die Ärzte verhinderten Schlimmeres.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Der gebildete Schrecken von Rom
Mit dem Säbel der Marotten: Gustav René Hocke ordnet sein Leben / Von Niklas Maak

Der Abend, an dem Max Frisch den Essayisten und Rom-Korrespondenten Gustav René Hocke fast umgebracht hätte, begann mit einem mißlungenen Essen in Frischs Wohnung auf dem Parioli-Hügel in Rom. Ingeborg Bachmann kam eine Stunde zu spät, das Essen war verkocht, man betrank sich um so mehr, und als Hocke gegen drei Uhr morgens das Haus verlassen wollte, sagte Max Frisch: "So können Sie nicht fahren. Ich bringe Sie mit meinem Wagen nach Hause." Frisch, berichtet Hocke, "brauste los, Pfeife zwischen den Zähnen, Haar im Wind, wie eine Galionsfigur aus den Zeiten Willhelm Tells. Er sagte gutartige Trostworte: ,Bleiben Sie frisch, lieber Hocke', und fuhr dann in einer Kurve auf einen besonders dicken Pinienstamm auf." Der Beifahrer schlug mit dem Kopf aufs Armaturenbrett und behielt eine Narbe an der Stirn, Frischs neues Fiat-Cabrio glich einer Ziehharmonika.

Die grimmige Freude, die Hocke an der Beschreibung von Frischs Ungeschick am Steuer hat, mag auch mit dessen Beziehung zu Ingeborg Bachmann zu tun haben. Hocke selbst hatte Bachmann 1953 kennengelernt, als sie von Paris nach Rom gekommen war. "Unsere Zwiegespräche", schreibt Hocke, "von kaum jemandem gestört, dauerten rund zwei Jahre. Als die gegenseitige Sympathie zu einer engeren Bindung zu führen schien, trennten wir uns vorerst. Weder sie noch ich wollten meine Ehe zerstören."

Zahllose solcher Anekdoten und Indiskretionen finden sich in den Lebenserinnerungen des Schriftstellers, Essayisten und Rom-Korrespondenten Gustav René Hocke; Geschichten vom zwiespältigen Arbeiten als Journalist im Dritten Reich, Berichte von Begegnungen mit Max Ernst, André Breton oder Konrad Adenauer, der mit Hocke seinen Weinkeller ausprobierte und über die Gefahren des Sozialismus stritt. In ihren besten Passagen lesen sich die Erinnerungen wie ein Kolportageroman aus dem Rom der vierziger bis siebziger Jahre; die Anekdoten, die Hocke ausbreitet, sind so schillernd, monströs, pathetisch und labyrinthisch wie die manieristischen Kunstwerke, die Hocke zeitlebens interessierten und die er in seinen Großessays "Die Welt als Labyrinth" und "Der Manierismus in der Literatur" beschrieb. Von 1969 bis 1984 hat Hocke an seinen "Lebenserinnerungen" gearbeitet, 1985, im Jahr seines Todes, war das Manuskript noch unvollendet; seine Frau Traude erstellte das Typoskript, das jetzt, mit einem Kommentar und zahlreichen Erläuterungen und Dokumenten versehen, von Detlef Haberland herausgegeben wurde.

Hocke, 1908 als Sohn eines deutschen Kaufmanns und einer belgischen Malerstochter in Brüssel geboren, war ein sehr belesener, ebenso berserkerhafter wie eigenwilliger Arbeiter; in Rom, wo er als Korrespondent unter anderem der "Kölnische Zeitung" und der "Hannoverschen Allgemeinen", später als freier Schriftsteller mit einigen Unterbrechungen von 1940 bis zu seinem Tod 1985 lebte, durchforstete er unermüdlich Archive, Museen und Sammlungen nach Abwegigem und Eigenartigem, machte erhellende Entdeckungen und verschraubte das Gefundene zu abenteuerlichen Theorien, wobei auch hin und wieder sein Faible für Parapsychologie durchschlug (eine Marotte, die er mit seinem Lehrer Ernst Robert Curtius teilte).

Mit der "Welt als Labyrinth" erreichte der Journalist ein breites Publikum; Hocke beschreibt in dem materialreichen Buch die Kunst der Zeit zwischen 1550 und 1650 und entdeckt sodann in der Moderne reichlich herbeigezwungene Analogien zu Leitgedanken und Stilmerkmalen der manieristischen Epoche. Daß sich, genügend Entschlossenheit vorausgesetzt, alles mit allem vergleichen läßt, daß sich bei genügend selektivem Hinschauen alles verblüffend ähnelt, war für Hocke kein Problem. Er wollte manierierte Kunst als Ausdruck einer immer wiederkehrenden Verfaßtheit des Menschen in der Krise sehen, und daß auch die krisenhafte Nachkriegsära ihre "Maniera" produzierte, leuchtete den Lesern seit 1957 ein; die Bücher wurden Bestseller. Dabei klafften die Qualitäten von Material und Analyse bei Hocke oft auseinander: Sein 1978 erschienenes, über tausendseitiges "europäisches Tagebuch" versammelte ausgewählte Tagebucheinträge seit 1409 und bietet einmaliges Quellenmaterial, das Hocke aber vor allem als Ausdruck eines offenbar überhistorisch existenten, antropologisch zuweisbaren "europäischen Geistes" interessiert, ohne auch nur anzudeuten, worum es sich dabei genau handeln könnte. Bei aller oft kritisierten methodischen Bedenklichkeit hatten und haben Hockes Bücher ihre Verdienste hauptsächlich als anregende Materialsammlungen aus der Ideen-, Kunst- und Literaturgeschichte. Von Curtius hatte Hocke die Vorstellung vom Manierismus als einer sich historisch durchhaltenden Stilkategorie übernommen; Klassik und Manierismus wären demnach zwei sich naturgesetzlich wiederholende Komplementärfiguren, sogenannte "Urgebärden des Menschen", die ohne jede Betrachtung von Zeit- und Mentalitätengeschichte analysiert werden können und in jeder Epoche auffindbar sind. Hockes wenig ausformulierte, eher suggestiv vorgetragene Ästhetik, die die moderne Kunst hauptsächlich als Ausdruck von "Angst" und "Verzweiflung" begreift und den Wert eines Werkes nach dem Grad des Ausdrucks einer "glaubwürdigen existentiellen Erschütterung" bemißt, ist eigentlich eine verkappte Moraltheorie: Kunst habe die ewige conditio humana, die großen Gefühle zu reflektieren und auszulösen.

Interessant ist Hockes Autobiographie aber auch deswegen, weil sie zeigt, daß die Klage über den Zustand der Gegenwartskunst (im Gegensatz zum Manierismus) eine nachweisbare historische Konstante der Kunstgeschichte ist: Fast jede Dekade der Moderne bejammert ihre Kunstproduktion als wertlos und epigonal - so auch Hocke, der schon auf der dritten Nachkriegs-Kunstbiennale "mattes Absinken in dekorative Technik, kokette Nachäfferei" und das Fehlen der "echten Dämonie eines Rembrandt, die Unbedingtheit eines Renoir" - das Fehlen eben der "glaubwürdigen existentiellen Erschütterung" - beklagt.

Schon in solchen Formulierungen rumpelt Hockes Hang zum Pathos herum, und oft liest sich die Autobiographie irritierend bis unfreiwillig komisch. Da wechseln sich düsteres Pathos, wenn "der Leviathan wieder seine Pranken hob", wenn man den "kalten Atem der Not" spürt und Kunst und Leben ein großes Tosen und Beben werden, mit etwas überparfümierter Herrenkulinarik ab, wo es um die Beschreibung von Frauen geht. Da wandern "klassisch schöne" Deutsche durch die Erinnerungen, an "Sommerabenden, wenn die erste Prise vom Meer her den Pinien ihren harzigen Duft entlockt" sind die römischen Frauen "schöner denn je", wohingegen Hocke gar nicht humanistisch und tolerant mehr ist, wenn es um die "pervers-dionysischen Szenen" geht, die er in Kriegsgefangenschaft erlebt haben will: "Zu homoerotischen Liaisons konnte ich mich nicht entschließen. Das Laster contra naturam widersprach für mich eher einem moralischen denn einem biologischen Gebot, wenn man so will . . . Geistige und körperliche Unzucht hinter Stacheldraht erstickt die animalische wie seelische Kreatürlichkeit des Menschen." So geht es weiter, seitenlang, und es erstaunt, daß das wissenschaftliche Nachwort Hockes homophobe Ausfälle ebenso unkommentiert läßt wie seine gruselig gönnerhafte Begeisterung für "männliche Intelligenz" bei Frauen: Ingeborg Bachmann etwa sei bei ihrer Ankunft in Rom "ein armes Nervenbündel" gewesen, aber habe sich dann als eine Frau "zwischen geradezu hypermännlicher Intelligenz und hintergründigen mythischen Ahnungskräften" entpuppt, die sich gern "wie eine Undine im Wald" verkroch, andererseits aber, wie Hocke mit einer nußknackerhaften Genugtuung bemerkt, trotzdem bei Max Frisch "die Hausfrau" machte.

Über allem schwebt in der Autobiographie der "Schatten des Leviathan", das von Hocke vielzitierte Sinnbild des Staates, der nicht mehr den Menschen dient - und wo Hocke hier vom Leviathan redet, meint er meist den Nationalsozialismus. Unmittelbar nach seiner Promotion 1934 in Bonn war Hocke als Volontär bei der "Kölnischen Zeitung" angestellt worden, die in der Nazidiktatur als ein "Nest der passiven Resistenz" galt, wie es Luise Rinser einmal gewunden formulierte. 1937 fuhr Hocke zum ersten Mal nach Italien, reiste durch die griechisch geprägten Landschaften Süditaliens, zu den Wirkungsstätten der Eleaten und Pythagoräer. 1940, als andere aus Hockes Kreisen längst das Land verlassen hatten, ging er für die "Kölnische Zeitung" als Korrespondent nach Rom - und die obsessive Frage, inwieweit er dadurch, als Mitläufer, Schuld auf sich genommen habe, bestimmt große Teile seiner Autobiographie. Die französischen Essays und die deutschen Satiren des 18. Jahrhunderts, die er Ende der dreißiger Jahre herausgab, will er als Torpedos und versteckte Kritik am Nationalsozialismus verstanden wissen ("Wieder sollte wackerer Intellekt, Selbst- und Gesellschaftskritik gegen Massenwahn angeregt werden"), seine Tätigkeit als Rom-Korrespondent im Dritten Reich rechtfertigt er mit der "Hoffnung, eines Tages einen auch nur winzigen Hebel zu finden, um an dem Sturz der verhaßten Mafia mitzuwirken". Ausgiebig beschreibt er, wie er nach der Kritik an der Kulturoffensive von SS-Oberen, nach seiner Heirat mit der Engländerin Mary Turner 1937 und einer andauernden doppelbödigen Regimekritik in seinen Artikeln, in Lebensgefahr geriet und sich verstecken mußte. Sein Parteibeitritt wird dagegen schnell als Produkt einer "mafiosen Nötigung" durch den NS-Staat erklärt. Dabei beschönigt Hocke nicht, daß er von den Vernichtungslagern wußte ("dieses Thema wird in den Erinnerungen großer Diener Hitlers von Kesselring bis Speer nur am Rand berührt . . . Warum hätten wir davon wissen sollen und diese Herrschaften nichts?")

Nach seiner Internierung in einem Kriegsgefangenenlager in den Vereinigten Staaten, wo Hocke die erste antifaschistische Kriegesgefangenen-Zeitschrift, "Der Ruf", gründete, kehrte er als erster deutscher Italien-Korrespondent für eine Reihe deutscher Zeitungen und Zeitschriften 1949 nach Rom zurück. Doch kaum eine Anekdote aus dieser Zeit, in die nicht die Schatten der deutschen Vergangenheit fallen: Einmal, berichtet Hocke, habe sich Thomas Mann mit seiner Frau zu einem Rom-Besuch angesagt. Man besichtigte Borrominis Kirchen, deren halluzinatorische Perpektiven den Literaten begeisterten. Man ging gemeinsam essen, doch als der Archäologe Ludwig Curtius das Lokal betrat, bestand Mann darauf, sofort zu gehen; Curtius habe sich "dem Nazismus gegenüber nicht konsequent genug verhalten". Hocke nutzt die Anekdote zur Ehrenrettung von Ludwig Curtius, der vielleicht einen "mißverständlichen", aber doch "ironisch" gemeinten Artikel über Hitler als Vollender der Geschichte verfaßt habe - und verteidigt ihn gegen Thomas Mann, der in den Vereinigten Staaten "gar nicht wissen konnte, wie schwer antikonformistische Menschen im Dritten Reich auch nur ihre nackte Existenz behaupten konnten". Das Thema von Schuld und Entschuldbarkeit des Mitläufertums ließ Hocke bis zuletzt nicht los. Am 21. September 1983, während eines schweren Atemnotanfalls, versuchte er, sich mit einem historischen Säbel aus dem 18. Jahrhundert umzubringen; Ärzte entfernten die Antiquität. Zwei Jahre später starb Hocke, 77-jährig, im römischen Vorort Genzanzo.

Gustav René Hocke: "Im Schatten des Leviathan". Lebenserinnerungen 1908-1984. Deutscher Kunstverlag, München 2005. 879 S., geb., 68,- [Euro].

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