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Daniel Brecher, geboren 1951, wuchs als Sohn einer im Zweiten Weltkrieg verfolgten jüdischen Familie in Düsseldorf auf. Hin- und hergerissen zwischen dem Diasporaleben im Land der Täter und dem Ruf der Zionisten, entscheidet er sich für ein Leben in Israel. Die Realitäten des jungen Staates - das Beharren auf seinem ausschließlich jüdischen Charakter, die alltägliche Diskriminierung der arabischen Bevölkerung, der ständige Kriegszustand - desillusionieren ihn bald. Als Historiker in der Armee beginnt Brecher sich kritisch mit der Geschichte Israels auseinanderzusetzen. Deutlich spürt er den…mehr

Produktbeschreibung
Daniel Brecher, geboren 1951, wuchs als Sohn einer im Zweiten Weltkrieg verfolgten jüdischen Familie in Düsseldorf auf. Hin- und hergerissen zwischen dem Diasporaleben im Land der Täter und dem Ruf der Zionisten, entscheidet er sich für ein Leben in Israel. Die Realitäten des jungen Staates - das Beharren auf seinem ausschließlich jüdischen Charakter, die alltägliche Diskriminierung der arabischen Bevölkerung, der ständige Kriegszustand - desillusionieren ihn bald. Als Historiker in der Armee beginnt Brecher sich kritisch mit der Geschichte Israels auseinanderzusetzen. Deutlich spürt er den Konformitätsdruck, der die Gesellschaft prägt. Schließlich verläßt er das Land. Um seine Zukunft zu sichern, so Daniel Brechers Ausblick, muß Israel den Zionismus überwinden und sich grundlegend erneuern.

Autorenporträt
Daniel Cil Brecher wurde 1951 in Tel Aviv geboren; zwei Jahre später zog seine Familie nach Düsseldorf. Er studierte Geschichte und Philosophie und kehrte 1976 nach Israel zurück. Dort arbeitete er u. a. an der Gedenkstätte Yad Vashem. 1983 wurde er zum Direktor des Leo-Baeck-Instituts in Jerusalem ernannt. Brecher lebt seit 1986 wieder in Europa.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2006

Israel und der Holocaust
Die Vernichtung der europäischen Juden gab nur den letzten, aber wohl entscheidenden Schub für die Staatsgründung
Die Gründung Israels ist eine Folge des Holocaust. Diese Aussage gilt geradezu als Binsenweisheit. Und es ist ja auch unbestreitbar, dass der deutsche Massenmord an den Juden und die zeitgleiche repressive Flüchtlingspolitik der Briten, mit der sie die Überlebenden an der Einreise nach Palästina hinderten, der Staatsgründung den letzten, womöglich entscheidenden Schub gaben. Doch eine realistische Chance für einen jüdischen Staat hatte es lange vor den Nazis gegeben, und die Geschichte seines Entstehens begann nicht in Palästina, sondern in Großbritannien.
Der israelische Historiker Tom Segev hat die drei Jahrzehnte vom Ersten Weltkrieg bis 1948 nicht als erster beschrieben, doch er erzählt sie äußerst anekdotenreich, fast romanhaft und sehr nah an den handelnden Personen, wodurch ihm ein lebendiges, gut lesbares Buch gelungen ist, das in Israel bereits erfolgreich war und als Standardwerk gelten kann.
1904 wird der aus Russland stammende Chemiker Chaim Weizmann - später der erste Staatspräsident Israels - Professor in Manchester. Doch mehr als der Wissenschaft widmet er sein Leben der zionistischen Idee: der Rückkehr der Juden in ihre einstige Heimat Palästina. Weizmann muss ein gewaltiges Talent beim Aufbau persönlicher Beziehungen zu den Spitzen des Empire besessen haben: Er lernte er schon vor dem Krieg die späteren Premiers David Lloyd George und Winston Churchill, vor allem aber den späteren Außenminister Arthur James Balfour kennen und überzeugte sie und andere davon, dass das Schicksal des Empire nicht zuletzt auch vom weltweiten, jüdischen Einfluss abhänge.
Die Führer Großbritanniens entwickelten schließlich eine Vorstellung von den Juden, die mit umgekehrtem Vorzeichen den späteren Nazi-Phantasien von der jüdischen Weltverschwörung entsprach. Lloyd George sprach in seinen Memoiren von der „jüdischen Rasse”, die, von ihren „finanziellen Instinkten” getrieben, die USA zur Intensivierung ihrer Kriegsanstrengungen bewegt habe, und Lord Balfour, der sich als christlichen Zionisten bezeichnete, bescherte Weizmann mit der „Balfour-Erklärung” vom 2. November 1917 den größten diplomatischen Erfolg, als sich Großbritannien verpflichtete, dem jüdischen Volk eine „nationale Heimstätte” in Palästina zu verschaffen. Folgerichtig übernahmen die Briten 1922 vom Völkerbund, dem Vorläufer der Uno, das Mandat für Palästina mit genau diesem Ziel und verfolgten es bis zum Zweiten Weltkrieg.
Segev zeigt uns die Menschen, die die große Politik bestimmten, in persönlichen Begegnungen, privaten Erlebnissen und mit ihren inneren Monologen; zionistische Führer wie David Ben Gurion und Zeev Jabotinsky, arabische Clanchefs wie den Jerusalemer Mufti und Hitler-Freund Amin al Hussaini, vor allem aber die Beamten der britischen Mandatsregierung vom Hochkommissar bis zum Polizeichef, die in ihrer Mehrheit die Juden bei ihrem nationalen Projekt unterstützten. Ausgerechnet der Terror der Nazis erschütterte die britische Vorstellung von der jüdischen Allmacht und ließ Weizmanns Einfluss schwinden. Der arabische Aufstand von 1936 zwang die Briten zu einer Änderung ihrer prozionistischen Haltung - zu spät, um die „jüdische Heimstätte” noch zu verhindern.
Segev gehört in Israel zur Gruppe der Neuen Historiker, die seit Ende der 80er Jahre das Ziel verfolgen, den „Mythos der Entstehung Israels” zu entlarven. Zu diesem Mythos zählen Aussagen wie die, dass die Juden in Palästina ein „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land” angetroffen hätten oder eben, dass Israel die Antwort auf den Holocaust sei.
Der Holocaust als Legitimation für Israels Existenz, für seine Politik und für seine Armee ist auch das Thema des Historikers Daniel Cil Brecher, der in Tel Aviv geboren wurde, in Deutschland aufwuchs, hin und hergerissen zwischen den Werten der 68er und denen der zionistischen Jugend. Der Antisemitismus der jungen Bundesrepublik, der seinen Eltern bei der Wohnungssuche und ihm selbst in den antijüdischen Klischees der Apo begegnet, trieb ihn 1976 „zurück” nach Israel, wo der Antimilitarist pflichtschuldigst in die Armee eintrat und eine „Erziehung zum Israeli” durchlief.
Während des Libanon-Feldzugs diente er als Historiker in der Abteilung „Kampftraditionen” und erhielt den Auftrag, aus den Erfahrungen des Antisemitismus und des Holocausts Identitätsstiftendes für das Selbstverständnis der „Israelischen Verteidigungsarmee” herauszufiltern. An dieser Aufgabe scheiterte er, weil seine pazifistisch-universalistische Haltung in der Armee eines Landes, das sich seit Jahrzehnten im Dauerkrieg befindet, keinen Platz hat. Brecher wurde „fremd in Zion”. Anfangs fragte er sich noch, was israelische Kampfjets eigentlich bei einer Gedenkveranstaltung in Auschwitz zu suchen haben, schließlich aber konnte er in der Existenz des jüdischen Staates gar keinen Sinn mehr erkennen und kehrte zurück nach Europa.
Aus seinen menschlich bewegenden Erfahrungen zieht Brecher seine Schlüsse: Juden müssen nicht zwangsläufig Erfüllungsgehilfen israelischer Politik sein, Juden können wie alle Menschen ihre Heimat in der Welt haben. Leider diskutiert er nicht einmal ansatzweise, wie die Welt für Juden heute ohne einen jüdischen Staat aussähe. Sollte das Judentum einmal ganz verschwinden, werde er es nicht vermissen, bekennt er.
Obwohl Brecher mit seinem antizionistischen Bekenntnis der Beifall von ungewollter Seite sicher ist, wäre es unfair,
in ihm den nützlichen Idioten antiisraelischer Kreise zu sehen, aber ebenso falsch wäre es, seine Position für mehr zu
nehmen, als sie ist, die eines Außenseiters in der jüdischen Welt. Um Brecher einordnen zu können, sollte man - nicht nur - Segev lesen.
LORENZ BECKHARDT
TOM SEGEV: Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels. Siedler Verlag, München 2005. 669 Seiten, 28 Euro.
DANIEL CIL BRECHER: Fremd in Zion. Aufzeichnungen eines Unzuverlässigen. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 416 Seiten, 22,90 Euro.
Eine Armee, die sich seit Jahrzehnten im Dauerkrieg gegen eine feindliche Übermacht sieht: Israelische Soldaten auf einer Patrouille bei Hebron.
Foto: Reuters
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dem einigermaßen nationalistischen Sprachgebrauch in Israel zufolge ist einer, der das Land verlässt, ein "Absteiger" - und ein solcher ist dann gewiss auch Daniel Cil Brecher. Der nämlich wanderte erst ein, stieg auf bis zum Direktor des Leo-Baeck-Instituts in Jerusalem und verließ Israel einigermaßen desillusioniert. Heute lebt er in den Niederlanden. In diesem Buch nun, das zwischen "individuellem Bericht und politischer Reflexion" gelagert ist, analysiert er seine Erfahrungen und spart nicht mit Kritik an den Mythen, mit denen sich Israel im Konflikt mit den Palästinensern als Opfer stilisiert. Kein Wunder, dass er in seiner zeitweiligen Heimat als "Nestbeschmutzer" betrachtet wird. Der Rezensent Carsten Hueck findet jedoch die Analysen nicht nur nachvollziehbar, sondern lobt sowohl die Argumentation als auch den sehr angenehmen Stil des Buches.

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