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Der Vater erschießt die Mutter, zielt auf die Tochter, drückt nicht ab, bringt sich dann selbst um. Der Schrei der Sanduhr ist die Geschichte eines Mädchens, das zwischen einem dominanten Vater arabischer Herkunft und einer strengen katholischen Mutter bis zu seinem zehnten Lebensjahr aufgewachsen ist und dabei vernachlässigt und mißhandelt wurde. Später wird es von Schuldgefühlen geplagt. Als junge Frau verliebt sie sich ausgerechnet in einen gewalttätigen arabischen Schriftsteller, den sie auch heiratet. Die Trennung von ihm ist eine erste Befreiung von dem Trauma ihrer Kindheit. Chloe…mehr

Produktbeschreibung
Der Vater erschießt die Mutter, zielt auf die Tochter, drückt nicht ab, bringt sich dann selbst um. Der Schrei der Sanduhr ist die Geschichte eines Mädchens, das zwischen einem dominanten Vater arabischer Herkunft und einer strengen katholischen Mutter bis zu seinem zehnten Lebensjahr aufgewachsen ist und dabei vernachlässigt und mißhandelt wurde. Später wird es von Schuldgefühlen geplagt. Als junge Frau verliebt sie sich ausgerechnet in einen gewalttätigen arabischen Schriftsteller, den sie auch heiratet. Die Trennung von ihm ist eine erste Befreiung von dem Trauma ihrer Kindheit. Chloe Delaume erzählt hier die eigene Geschichte, schnell, knapp, manchmal radikal verkürzt, dann wieder ruhig, lakonisch. Rhythmus und Musikalität bestimmen ihren Stil. Dieser ungewöhnliche poetische Text ist ein Beispiel für die Kraft von Literatur.
Autorenporträt
Die Autorin wurde 1973 in Beirut geboren und lebt in Paris. Sie ist Mitherausgeberin der Revue Evidence, einer Zeitschrift für junge Künstler, Musiker und Schriftsteller. Für den Schrei der Sanduhr wurde sie mit dem Prix Decembre 2001 ausgezeichnet; es ist ihr zweites Buch und ihr erstes auf deutsch.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Thomas Laux hatte sich schon gefreut, dass unter Frankreichs Autorinnen die Literatur der "narzisstisch überdrehten oder ins Pornografische gewendete Selbstfindungsprogramme" erst mal ausgedient hatte. Allerdings war ihm die Lektüre von Chloe Delaume zweitem Buch nicht angenehmer, zumal er feststellen musste, dass "gewisse Sedimentformen" dieser schrillen Töne offenbar überlebt haben. Nicht, dass die junge Autorin libanesischer Herkunft kein Talent hätte - im Gegenteil. Nur vergeude sie es leider an "kompromisslosen Formwillen" und "psychoanalytischen Aplomb". Ein autobiografisch gefärbter "Bericht über Leid und Befreiung" eines ungeliebten Kindes, den der Rezensent in seiner Maniriertheit beinahe unerträglich fand.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.09.2004

Szenen aus dem Familien-Gulag
Chloé Delaumes Konfession „Der Schrei der Sanduhr”
Literatur muss weh tun, und Sprache ist Gewalt. So oder so ähnlich mag sich das Chloé Delaume gedacht haben, als sie mit der Bearbeitung intimer autobiographischer Erfahrungen begann. Eine radikale Konfession schwebte ihr vermutlich vor, eine kompromisslose Spiegelung erlittener Grausamkeiten. Wie riskant dieser Ansatz ist, führt die 1973 in Beirut geborene Pariserin in „Der Schrei der Sanduhr” auf unfreiwillig überzeugende Weise vor.
Gegenstand des schmalen Bandes ist ein Delikt, wie man es im Lokalteil seiner Zeitung täglich nachlesen kann. Die neunjährige Chloé wird Zeugin einer Gewalttat: Ihr arabischer Vater jagt der Mutter eine Kugel durch den Leib, zielt auf das Kind, verschont es im letzten Moment und exekutiert schließlich sich selbst. Dem Gemetzel gingen Unterdrückung und Misshandlungen voraus. Während der Vater das Mädchen seit ihrem Kleinkindalter mit Schlägen traktierte, wandte die Mutter subtilere Methoden an und richtete die sprachlich frühreife Tochter ab wie ein kleines Hündchen, um sie durch ein Wechselbad aus Stolz und Demütigung zu verunsichern. Nach dem Mord wird Chloé in die Obhut von lieblosen Verwandten gegeben und verstummt. Ein Jahr lang verweigert sie jede Auskunft. In ihrer Jugend häufen sich Suizidversuche, bis sie den brutalen Erniedrigungen aus ihrem Elternhaus in einer frühen Ehe mit einem Libanesen wiederbegegnet und endlich die Kraft findet, sich zu wehren und fortzugehen.
Die Tiefe der Verletzung
So reihen sich die Episoden aus dem Familien-Gulag aneinander, eine entsetzlicher als die andere, und fast seufzt man erleichtert auf, als einem auf Seite zehn das männliche Gegenüber der Ich-Erzählerin Chloé begegnet. Ein Psychoanalytiker zwar, und schon durch seinen Beruf ein Klischee, aber immerhin ein geduldiger Begleiter auf der qualvollen Reise in die Vergangenheit und vielleicht, so hofft man, eine ordnende Instanz. Doch weit gefehlt. Der Prozess der Befreiung von ihrer Erblast steht im Mittelpunkt des in Frankreich preisgekrönten Buches, das Chloé Delaume, entsprechend ihrer Manie zu überspitzten Allegorien, „Der Schrei der Sanduhr” nennt. Wie Sandkörner haben sich die Spuren ihres Vaters in sie eingenistet, aus Sand vermag sie im Verlauf der Selbstbefragung ein Glasgehäuse zu brennen, das sie am Ende zertrümmern kann. Ein schiefes Bild, preziös bemäntelt, aber die Tiefe der Verletzungen steht außer Frage und entzieht sich jeder Beurteilung. Nun nimmt der Leser nicht hinter der Couch Platz und die Heilung der Patientin ist ihm schnuppe, vielmehr hegt er gewisse Erwartungen, was den Gehalt der Geschichte und ihre ästhetische Vermittlung betrifft. Da stehen ihm bald die Haare zu Berge.
Denn Chloé Delaume ist eine Mystikerin. Ihr Streben richtet sich allerdings nicht auf die Verschmelzung mit einer Gottheit oder einer pantheistischen Weltseele, nein, sie selbst ist Gegenstand der glühend ersehnten Unio mystica. Einzig und allein ihre geschundene Privatseele steht im Mittelpunkt dieser spirituell grundierten Versenkung in den tiefen Schacht der Erinnerung, und dabei wird die Sprache zum Austragungsort der tastenden Suche. Grammatikalische Konventionen und Interpunktion sind außer Kraft gesetzt, statt dessen herrscht der Signifikant, Bilderfluten überschwemmen das stammelnde Ich, das sich mühsam einen Weg bahnt durch die innere Verwüstung. „Wie bei der von Soldaten geschändeten biblischen Heiligen die des Morgens mit brandigem Uterus starb strichen sie jede Falte auf dem Perkalbezug glatt wühlten in der Tiefe um kräftig ihr fructoses Mitleid einzuspritzen”, skandiert die erinnernde Stimme weihevoll.
Der Humus und die Hiebe
Und das ist erst der Anfang. Chloé Delaume ist eben keine Teresa von Avila. Mit immer stärker dröhnender Inbrunst lässt sich die 31jährige Französin auf die von ihrem Therapeuten empfohlene Durcharbeitung des Geschehenen ein und changiert zwischen pseudo-naivem Märchenton, mystisch verbrämter Geheimnistuerei und schwülstigem Jugendstil: „Das Kind kümmerte dahin Moos die Jugendliche Humus dann die Frau es sich schuldig Efeu zu leben. Ganz von alleine natürlich blieb der Gral unerreichbar. Hündin mit Kegeln und Lanzelot durchforsten den Baldrian mit Gin-Tonic-Hieben.” Die Verkitschung kennt keine Grenzen, kein Assoziationsraum ist Delaume zu aufgeladen, kein mythologischer Bezug zu platt. Egal, ob Kassandra, Penelope, Judith oder Lilith, alles, was in einem feministischen Proseminar über Literaturtheorie Platz hätte, wird in die Weiblichkeitsfindung hinein gepackt. Kaum zu übertreffen sind die lacanianisch inspirierten Salbadereien des Psychoanalytikers: „Selbst wenn stark die unangenehme Niedertracht der Herbergseltern Sie trieb zu Iktus und ikonischem Ulkus als junges Mädchen mussten Sie einfach Begeisterung epidermieren gewöhnlich beruhigt das in diesem Alter die Ichthyose die juckt vor allem in ihrem Fall.” Am Ende juckt nichts mehr, die Nöte Chloés sind von den bulimischen Satzgirlanden längst erstickt. Nur ein leises Ächzen des Lesers ist zu hören.
MAIKE ALBATH
CHLOÉ DELAUME: Der Schrei der Sanduhr. Aus dem Französischen von Christiane Seiler. Deutsche Verlags-Anstalt München 2004. 122 S., 17,90 Euro.
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