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Eine amerikanische Wissenschaftlerin will den Sommer allein in London verbringen, doch schon bald stört eine Nachbarin ihr zurückgezogenes Leben. Ridley Wandor, von auffallender Häßlichkeit, lebt mit ihrer unsichtbaren Mutter und der geheimnisvollen "Familie Jäger" zusammen, die sich als unüberschaubare Menge von Kaninchen entpuppt. Sie arbeitet als Altenpflegerin und drängt der Wissenschaftlerin die Geschichte über ihre Patienten auf, die alle innerhalb weniger Tage sterben. Fühlte die Erzählerin sich bisher verfolgt, ist sie plötzlich besessen, das Geheimnis der Nachbarin zu ergründen.…mehr

Produktbeschreibung
Eine amerikanische Wissenschaftlerin will den Sommer allein in London verbringen, doch schon bald stört eine Nachbarin ihr zurückgezogenes Leben. Ridley Wandor, von auffallender Häßlichkeit, lebt mit ihrer unsichtbaren Mutter und der geheimnisvollen "Familie Jäger" zusammen, die sich als unüberschaubare Menge von Kaninchen entpuppt. Sie arbeitet als Altenpflegerin und drängt der Wissenschaftlerin die Geschichte über ihre Patienten auf, die alle innerhalb weniger Tage sterben. Fühlte die Erzählerin sich bisher verfolgt, ist sie plötzlich besessen, das Geheimnis der Nachbarin zu ergründen. Abgestoßen und fasziniert zugleich, verstrickt sie sich immer tiefer in Beobachtungen und Spekulationen über die Frau mit dem "unnachahmlich schauerlichen Lachen".
Autorenporträt
Claire Messud wurde 1966 als Tochter einer Kanadierin und eines Algerienfranzosen in den USA geboren. Sie studierte in Yale und Cambridge und arbeitet als Journalistin. 'Und dazwischen das Meer' ist ihr zweites Buch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2005

Was nützt der Tod in Gedanken?
Existenzfleck: Claire Messud erzählt zwei Geschichten vom Sterben

Diesem Schatten entkommt man nicht. Der Tod ist ein finsteres Nachtstück, und bisweilen läßt sich das Dämmern schon aus weiter Ferne ausmachen. Dann nützt es auch nichts, sich mit der eigenen Jugend zu trösten: Ende Dreißig ist die amerikanische Schriftstellerin Claire Messud, und obwohl sie nach Auskunft von Biologen und Demographen die größte Lebensstrecke, statistisch zumindest, noch vor sich hat, will sie deren Ende schon nicht mehr aus dem Blick nehmen. Um Sterben, Tod, Vergänglichkeit kreisen ihre beiden in einem Band vereinten Kurzromane, beschwören Verfall und Abschied aus unterschiedlichen Perspektiven, ohne deren Schrecken bannen zu können.

"Eine einfache Geschichte" heißt der erste der beiden Romane, und er hält, was der Titel verspricht. Schlicht ist der Text konstruiert, er erzählt die Geschichte zweier Frauen, die keine großen Erwartungen mehr hegen. Über achtzig ist Maria Poniatowski, über neunzig die ihr zur Pflege anvertraute Mrs. Ellington. Deren Leben verlief glücklich und unbeschwert, eine klassische amerikanische Wohlstandsbiographie, und erst jetzt, mit der bevorstehenden Einlieferung ins Altenheim, muß sie mit größeren Sorgen rechnen.

Ganz anders ist es Maria ergangen: Kindheit und frühe Jugend in der Ukraine, dann, nach dem Einmarsch der Nazis, Deportation, Flucht aus dem Arbeitslager, nach Kriegsende die Übersiedlung in die Neue Welt. Dort die weiteren Stationen: Heirat und Geburt des Sohnes, ein paar glücklich ausgefüllte Jahre, schließlich der viel zu frühe Tod des Ehemanns. Wie im Zeitraffer läßt Claire Messud Marias Geschichte vorüberschnurren, um erst die letzten Jahre, die Witwen- und Großmutterexistenz, in trägerem Tempo zu schildern.

"Es läuft letzten Endes nicht auf viel hinaus, ein Leben", heißt es einmal, und viel haben Marias späte Jahre tatsächlich nicht zu bieten: der jährliche Urlaub auf Kuba, hin und wieder die Enkel, einmal in der Woche Tanzstunde. Was bleibt, ist vor allem die Hingabe ans Ritual. "In ihrem Bemühen, ihr Leben in all seiner kostbaren Bedeutung zu bewahren, hatte sie das Leben von sich abgehalten", berichtet die Erzählerin, offenbar ohne große Lust, ihrer Figur beim Füllen der Lücke behilflich zu sein. Womit auch? Die "einfache Geschichte" rollt auf ihr Ende zu, mit großen Kunstgriffen ist da nicht viel zu wollen.

Der Roman verrät Willen zur Melancholie - und nimmt darüber streckenweise recht sentimentale Züge an. Vielleicht auch, weil die Autorin, Tochter einer Amerikanerin und eines Algerienfranzosen, die Themen Exil und Migration allzu routiniert angeht, denen sie sich bereits in einem früheren Roman genähert hatte. "Und dazwischen das Meer" (auf deutsch 2001 erschienen) erzählt die Geschichte einer pied-noir-Familie, die sich mit der Übersiedlung nach Frankreich nie ganz hat abfinden können und deren Anpassungsversuche schließlich im Desaster enden. Zukunft, so die Moral dieser Geschichte, hieße demnach vor allem, sich auf veränderte Lebensverhältnisse einstellen zu können.

Ebendiese Fähigkeit fehlt der Protagonistin des zweiten Kurzromans, "Familie Jäger". Dem egozentrischen Charakter entspricht die Ich-Form der Erzählung, deren hermetisches Geraune fremde Stimmen und Ideen nicht zuläßt. Entsprechend düster ist der Plot: Eine amerikanische Wissenschaftlerin reist für einige Monate nach London, um dort Material für ihr nächstes Buch zu beschaffen. Die Einsamkeit in der fremden Stadt feiert die kurz zuvor von ihrem Lebensgefährten verlassene Erzählerin zunächst als kleinen Akt der Emanzipation, als "zweckmäßige Spielart aufgehobener Belebung", wie sie es nennt, als Befreiung von Gefühlen und anderen Zumutungen des Lebens.

Und doch: Es war eine Zeit, berichtet sie rückblickend, "in der ich selbst gar kein Leben hatte". Wo das Leben schwindet, da naht der Tod, hier in Form ihrer abstoßenden Nachbarin Ridley Wandor. Altenpflegerin ist sie von Beruf, Hüterin des Vorzimmers des Todes. Meist sterben die Alten und Kranken, nur wenige Tage nachdem Wandor sie in ihre Obhut genommen hat. Eine Mörderin? Vielleicht töte sie ihre Schützlinge ja kraft ihrer Gedanken, argwöhnt die Pflegerin. Unsinn, sagt ihre Freundin: "Gedanken töten Menschen nicht." Wirklich nicht? Auf jeden Fall hat sich die zwielichtige Wandor mit ihren Andeutungen Zutritt in die Phantasie der einsamen Erzählerin verschafft, läßt deren stille Wohnung, eigentlich als "Ort der Abwehr" gedacht, mehr und mehr zur "Falle" werden - zu einer Gedankenfalle, der sie immer schwerer entkommen kann.

Unversehens kippt das Geschehen ins Unheimliche. Denn der aufgedunsene Todesengel verleiht den morbiden Träumen der Erzählerin eine ungemein direkte Note. Um so glücklicher kann sie sich schätzen, London am Ende doch wieder verlassen und ins normale, sprich: geschäftigere Leben zurückkehren zu können. Vor allem dürfte sie sich klargeworden sein, daß das Thema ihres neuen Buchs, die Entwicklung des romantischen Todesbegriffs im achtzehnten Jahrhundert, ein durch und durch historisches ist. Denn Tod und Romantik, das zeigt die spröde Melancholie des ersten ebenso wie die beklemmende Düsternis des zweiten Romans, sind in der Vorstellungswelt der Moderne nicht einmal im Ansatz miteinander vereinbar.

Physisch, darauf deutete der erste der beiden Romane hin, mag sich der Tod hinauszögern lassen. Dem Schatten aber, den er bereits Jahrzehnte zuvor auf die Lebenden wirft, läßt sich in unseren nachromantischen Zeiten nicht davonrennen. Er bleibt der dunkle Fleck der Existenz, der auch durch den lichtesten Gedanken nicht zu erhellen ist.

KERSTEN KNIPP

Claire Messud: "Familie Jäger". Zwei kurze Romane. Aus dem Englischen übersetzt von Dora Winkler. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 216 S., geb., 18,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angela Schader ist angetan von den beiden in diesem Erzählband versammelten Geschichten, die ihrer Ansicht nach ein "wohltemperiertes Unbehagen" ausstrahlen. Die erste Geschichte erzählt von einer Frau, die gleich zu Beginn in den "Arbeits- und Auffanglager des Zweiten Weltkriegs" Dramatisches durchmacht und sich im weiteren Verlauf ihres Lebens wenig mehr als "sparsame Regungen" zugesteht. Besonders berührend findet Schader in dieser Geschichte die "winzigen, spät eroberten Freiräume" der Protagonistin, die dem "dramatischen Auftakt" eine "bodennahe Perspektive" entgegen hält. An der zweiten Geschichte - Thema ist die nachbarschaftliche Begegnung zweier Frauen - gefällt der Rezensentin besonders die Ambivalenz, mit denen die Geschehnisse einer Beurteilung entzogen werden :"der Text scheint das Material zur Beurteilung dieser Fragen nur bereitzustellen, um es der vorschnellen Anwendung mit taschenspielerhafter Geste wieder zu entziehen."

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