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Produktdetails
  • Verlag: DVA
  • Seitenzahl: 368
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 556g
  • ISBN-13: 9783421054630
  • ISBN-10: 3421054630
  • Artikelnr.: 24322946
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.07.2001

Weiße Onkels in Afrika
Ein informativer, aber überheblicher Blick auf den krisengeschüttelten Kontinent, der längst als Sozialfall abgeschrieben ist
CHRISTOPH PLATE, THEO SOMMER (Hrsg.): „Der bunte Kontinent. Ein neuer Blick auf Afrika”, DVA, München 2001. 368 Seiten, 29,80 Mark.
Eigentlich war es eine gute Idee. Afrika sollte dem Leser einmal nicht als Erdteil der Kriege und Katastrophen präsentiert werden, sondern als „Der bunte Kontinent”. „Die kleinen Hoffnungen” wolle dieses Buch illustrieren, versprachen die Herausgeber, der Afrikajournalist Christoph Plate und der ehemalige Zeit-Chefredakteur Theo Sommer.
In eine Marktlücke stößt das Buch allemal. Gut zu lesende Sachbücher, die dem Publikum die afrikanischen Staaten näher bringen, sind eine Rarität. Fast 40 Autoren haben die Herausgeber versammelt. Deren Themenspektrum reicht von A wie Architektur über P wie Palmschnaps bis W wie Weisheit der Alten. Trotz des reichen Angebots wirkt der bunte Kontinent jedoch über weite Strecken seltsam unbelebt. Wenn der renommierte Afrikakorrespondent über das Klima schreibt und dabei in rasendem Tempo mehrfach den Kontinent durcheilt, sodass einem beim Lesen ganz schwindlig wird, dann weiß man am Ende seiner sieben Seiten, dass es zwischen Kapstadt und Kairo jede Menge heftige Wettervarianten gibt. Aber die Fakten sind blutleer, nichts bleibt im Gedächtnis haften.
Ermüdend statt erhellend sind derartige Überblicksartikel. Afrikanische Schriftsteller werden aufgelistet und Religionen, historische Verkehrswege und Sprachgruppen. Der Spagat, den die Herausgeber versprechen, nämlich „spannende Lektüre” und ein „Nachschlagewerk” gleichermaßen zu bieten, misslingt. Aufzählungen sind nicht spannend, und als Fachliteratur zum Nachlesen sind die meisten Beiträge zu unpräzise. Den Ansprüchen an Weiterführendes genügen 30 Seiten Literaturhinweise und Internet-Adressen im Anhang. Als der avisierte „neue Blick” auf Afrika können sie allerdings nicht gemeint sein.
Herablassende Zuwendung
Statt dessen immer wieder der alte Blick. Das Hollywoodepos „Jenseits von Afrika” wird gleich in mehreren Beiträgen bemüht, wenn es um die Faszination Afrikas auf Ausländer geht. Altbekannt auch die Attitüde des wohlmeinenden, aber gestrengen Wohltäters gegenüber dem notorisch krisengeschüttelten Kontinent. „Wenn Afrika sich helfen lassen will, wird ihm geholfen werden”, lässt Theo Sommer wissen. Von solcher Onkelhaftigkeit ist es nicht weit zum Artikel des US-Amerikaners Alan Donovan, der vor Jahrzehnten als Entwicklungshelfer nach Afrika kam und blieb, Mitbegründer der Galerie „African Heritage” in Nairobi wurde und über die Anfänge von Mode und Models wie Iman in Kenia schreibt: „Peter Beard, der bekannte amerikanische Fotograf, war sofort von ihrer stolzen Eleganz begeistert und bat darum, sie in den Trachten und mit dem Schmuck des African Heritage fotografieren zu dürfen.” Weibliche Models sind schön und vergänglich, Männer sind bekannt und besitzen obendrein einen Nachnamen, auch in Kenia.
Wie der Model-Artikel stammen die meisten Beiträge von Europäern, US- Amerikanern und schon lange im Ausland lebenden Afrikanern. „Viele der Autoren, die auf dem Kontinent leben, sind mit dem täglichen Überleben beschäftigt”, schreiben die Herausgeber im Vorwort, „da fehlt die Muße, sich zurück zu lehnen, um über Gegenwart und Zukunft nachzudenken.” Das ist zynisch. Wer in Afrika einen Job hat, und sei es als Journalistin oder Hochschullehrer, verdient tatsächlich wenig. Umso mehr schätzen Afrikaner europäische Honorare. Afrikanerinnen, von denen nur eine einzige zu Wort kommt, übrigens auch. Bei den unabhängigen Zeitungen auf dem Kontinent gibt es viele Autorinnen und Autoren, die kenntnisreich schreiben.
Einige Schmuckstücke enthält „Der bunte Kontinent” dennoch. Wie Christiane Averbeck den Bogen von der Küchenschabe zum Tierschutz in Afrika spannt, wie sie die Verbindung herstellt zwischen afrikanischem Dorfleben und europäischem Idealismus, ist gelungen. Oder Daniel Bax, der einen auch für Uneingeweihte verständlichen Pfad in die afrikanische Musikszene bahnt und beiläufig erläutert, dass in Europa als Weltmusik gefeierte afrikanische Klänge selten die selben sind, die Menschen zwischen Dakar und Mombasa vibrieren lassen.
Der südafrikanische Rap-Poet Lesego Rampolokeng darf beim Thema Gewalt aus dem sachlichen Rahmen fallen. Unterhaltsam und damit geeignet, Neugier auf Afrika zu wecken, sind Beiträge wie jener der Kenianerin Sylvia Lyall über die aufreibenden Verpflichtungen, die Todesfälle für die Lebenden mit sich bringen. Oder Peter Winklers amüsante Schilderung der Desaster, in denen Feste mitunter enden, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen feiern. Winkler erlebte europäische Gastgeber, die völlig verwirrt zurück blieben, als ihre sudanesischen Gäste bereits kurz nach Beginn der Party und nur eine halbe Stunde nach Eröffnung des Buffets gesättigt und gut gelaunt den Heimweg antraten.
Erst reden, dann essen
Des Rätsels Lösung erfuhren die Europäer ein paar Tage später anlässlich der Gegeneinladung der sudanesischen Seite. Erst nach stundenlangem, entspanntem Trinken und weitschweifigen Reden wurden die angerichteten Speisen zum Verzehr frei gegeben. Zwanzig Minuten später war die üppig gedeckte Tafel leer. „Gegessen, merkten die Europäer, wird im Sudan am Ende des Fests. Es ist der Höhepunkt, bevor der Vorhang fällt.” Unbekanntes aus fremden Welten, auch mal mit einem Augenzwinkern erzählt, ohne zu schulmeistern, schärft immer auch den Blick auf das Eigene, weil es das scheinbar Normale relativiert. Anlass für solches Lesevergnügen bietet „Der bunte Kontinent” leider zu wenig.
GABY MAYR
Die Rezensentin ist Afrika-Spezialistin und Journalistin in Bremen.
Black is beautiful: Das afrikanische Model Iman (2.v.r.) zwischen Naomi Campbell und den italienischen Designern Stefano Dolce (links) und Domenico Gabbana. Die westliche Modewelt liebt die „stolze Eleganz” der Kenianerin.
Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Rezensent mit dem Kürzel "ach" vermisst gerade die bunte Vielfalt in dem von den Journalisten Theo Sommer und Christoph Plate herausgegebenen Sammelband. Und einen neuen Blick mag "ach" auf Afrika auch nicht werfen. Er bemängelt, dass die meisten Beiträge, für ihn journalistische Features, von Deutschen geschrieben wurden und Nordafrika nur mit einem Text vertreten ist. Afrika, das ist für den Rezensenten ein krisengeschüttelter Kontinent, der wegen seiner "kulturell bedingten Vorliebe für persönliche Herrschaft" nicht in der Lage ist, durch eine Akkumulation von Kapital und Wissen den Weg aus der Krise anzutreten. Die Betonung der Autoren darauf, dass Afrika mehr zu bieten hat als Katastrophen, hält "ach" für eine Binsenweisheit. Was er sich aber stattdessen gewünscht hätte, führt er nicht näher aus.

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