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Catharina Margaretha Linck war die letzte Frau, die in Europa wegen der so genannten Unzucht zwischen Frauen hingerichtet wurde. Seit ihrem 15. Lebensjahr als Mann verkleidet, versuchte sie sich zuerst glücklos als Prophet in einer radikalpietistischen Sekte, kämpfte dann mehrere Jahre lang als Musketier im Spanischen Erbfolgekrieg und ließ sich schließlich 1717 in Halberstadt unter dem Namen Anastasius Lagrantinus Rosenstengel mit einer anderen Frau trauen. Von ihrer argwöhnischen Schwiegermutter verraten, wurde der enttarnten Betrügerin der Prozess gemacht, in dem das Corpus delicti, ein…mehr

Produktbeschreibung
Catharina Margaretha Linck war die letzte Frau, die in Europa wegen der so genannten Unzucht zwischen Frauen hingerichtet wurde. Seit ihrem 15. Lebensjahr als Mann verkleidet, versuchte sie sich zuerst glücklos als Prophet in einer radikalpietistischen Sekte, kämpfte dann mehrere Jahre lang als Musketier im Spanischen Erbfolgekrieg und ließ sich schließlich 1717 in Halberstadt unter dem Namen Anastasius Lagrantinus Rosenstengel mit einer anderen Frau trauen. Von ihrer argwöhnischen Schwiegermutter verraten, wurde der enttarnten Betrügerin der Prozess gemacht, in dem das Corpus delicti, ein "von Leder gemachtes ausgestopfftes Männliches Glied", ausnehmend gewürdigt wurde. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. persönlich verurteilte sie zum Tode. Das Buch verfolgt Catharina Lincks verwegenen Lebensweg und erörtert die Fragen, die ihr paradigmatischer Fall in der Geschichte der Sexualitäts- und Identitätskonstruktion, der frühneuzeitlichen Rechts- und Sozialgeschichte sowie der Gender Studies aufwirft. Ergänzt durch den Abdruck der skurrilen Gerichtsakten ist diese historische Studie zugleich ein Schelmenroman voll tragischer Komik.
Autorenporträt
Steidele, Angela§Angela Steidele ist promovierte Literaturwissenschaftlerin. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Themenkreis Homosexualität und Literatur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2015

Glühendes Leben
Angela Steidele erzählt in ihrem preisgekrönten Roman „Rosenstengel“
von Ludwig II. und einem Transsexuellen des frühen 18. Jahrhunderts
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Da hat sich aber jemand viel vorgenommen: nicht eine zentrale Geschichte zu erzählen, sondern in ein und demselben Roman gleich zwei, die zudem gut anderthalb Jahrhunderte auseinanderliegen. Und zu den darin aufgefächerten Intrigen in Politik, Kirche und Psychiatrie und zur Geschichte der frühen Sexualmedizin samt dem schäumenden Frauenhass ihrer Protagonisten endlich noch eine dritte über zwei religiös spintisierende Radikal-Pietistinnen zu stellen, die sich an Vorstellungen vom mann-weiblichen Wesen der Frau erhitzen. Dies alles in Form eines vielstimmigen Briefromans, der sich die Schriftsprache sowohl des frühen 18. als auch des späten 19. Jahrhunderts zu eigen machen muss.
  Am Ende von Angela Steideles Roman „Rosenstengel“, der gerade mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet wurde, kennen wir die letzten Lebensjahre Ludwigs II., und alle, die darin eine wesentliche Rolle spielten, stehen uns vor Augen: zweifelhafte Freunde, grausame Ärzte und machtgierige Politiker. Und die Geschichte der Transsexuellen Catharina Linck im frühen 18. Jahrhundert kennen wir auch, die zum Gegenstand von Berichten und ideologischen Kämpfen zumeist religiöser Eiferer wurde. Die Frau, die seit ihrem 15. Lebensjahr möglichst Männerkleider trug, nannte sich in ihrer männlichen Existenz Anastasius Rosenstengel, kämpfte als Musketier im Krieg und scheint ein Frauenheld und Herzensbrecher gewesen zu sein. Dreimal wurde er getauft (erst protestantisch, dann katholisch, dann wieder protestantisch), gleich zweimal heiratete er Susanna Elisabeth Mühlhahn (einmal nach protestantischem, einmal nach katholischem Ritus), zweimal wurde er zum Tode verurteilt. Gewaltsam gingen beide Leben zu Ende: Catharina Linck wurde 1721 hingerichtet. Der verschwendungssüchtige Ludwig, von seinem Onkel entmachtet, ertrank am 13. Juni 1886 im Starnberger See. Mord oder Selbstmord? Angela Steidele entwirft auch darauf gleich zwei mögliche Antworten, das letzte Wort hat hier „Sisi“, Kaiserin von Österreich und Ludwigs engste Freundin.
  Viel historische Gelehrsamkeit ist nötig, um die Geschichten vom Leben und Ableben eines einstigen Waisenkinds und eines bayerischen Königs von allen Seiten zu beleuchten – die Bibliografie der wissenschaftlichen Quellen im Anhang des Buches ist eindrucksvoll. Und doch fragt man sich, je länger man liest, weshalb die Verschränkung dieser grundverschiedenen Biografien überhaupt sein musste. Wäre nicht eine von ihnen allein bewegend genug gewesen? Im Roman selbst findet sich ein Hinweis, den Angela Steidele dem Juristen und Aufklärer Christian Thomasius in einen Brief hineingeschrieben hat: „Anastasius Rosenstengel tauget (. . .) allenfalls zur Heldin eines noch zu schreibenden Romans, in welchem allerley Schertze verstecket, welche jedoch auch unentdecket vorübergehen mögen, ohne daß der Lehr sonderlich ein Abbruch damit geschähe.“
  Ein Lehrstück also ist des Rätsels Lösung. Wohl, damit nicht der Eindruck entsteht, bei Rosenstengel handle es sich um einen historischen Sonderfall, wird sein Schicksal verzahnt mit der Geschichte des Märchenkönigs, ihr gemeinsamer Fixpunkt ist die Sexualität: Ist Rosenstengel ein Transsexueller des frühen 18., so Ludwig ein Schwuler des späten 19. Jahrhunderts. Beide erleiden Ausgrenzung und Gewalt seitens ihrer Zeitgenossen.
  Mit einem Kunstgriff verdrahtet Steidele ihre beiden Lehr-Beispiele durch den jungen Nervenarzt Franz-Carl Müller, der (abweichend von der realen Geschichte) zum Geliebten des Bayernkönigs wird, während er sich mittels der historischen Briefe in die wissenschaftliche Erforschung des Falles Rosenstengel vertieft. Ludwig selbst formuliert derweil das Schreib-Ideal für Steideles Roman: „Mit Bewunderung hat es mich stets erfüllt, wie jener begnadete Schriftsteller“ – gemeint ist (kleiner anachronistischer Scherz!) Wolfgang Hildesheimer mit seiner fiktiven Biografie „Marbot“– „aus oft so spröder, todter Materie einen wahren, lebenglühenden Menschen gestaltet, wie er den kargen Stoff, ohne ihn in seinem historischen Bestand zu verletzen, durch selbstschaffende Kraft bereichert und poetisch verklärt. So muß man es machen!“
  Hat Angela Steidele es selbst auch so gemacht? Dramaturgisch triftig zeigt sie im Wechsel der Briefstimmen, wie sich die Schlinge des religiösen, wissenschaftlichen und politischen Zugriffs um die Hälse von Rosenstengel und Ludwig zusammenzieht, durch „selbstschaffende Kraft“ hat sie reale Handlungen und Lebensweisen ihrer Protagonisten ihren Erzählabsichten angepasst, und ein einigermaßen „lebenglühender Mensch“ ist dabei in Gestalt der witzig-realistischen Kaiserin Elisabeth auch herausgekommen.
  Und doch möchte man irgendwann rufen: Wir haben verstanden! Der Mensch an sich ist ein ziemlich fieses Tier (außer Sisi)! Vorsicht vor Wissenschaftlern! Politiker sind Schweine (außer Bismarck)! Kirchenleuten ist nicht zu trauen! Denn alle zusammen jagen, verfolgen und entrechten die Homosexuellen, ganz gleich, ob Mann oder Frau, egal, in welchem Jahrhundert! – Es ist nicht nur die Überfülle an Text und Material, es ist ein sich allmählich steigernder agitatorischer Impetus, der diesem Roman die Lebenskraft nimmt.
Zweifelhafte Freunde, grausame
Ärzte umgeben den König
Ludwig II. in Gestalt von O. W. Fischer umarmt seinen Bruder Prinz Otto von Bayern, dargestellt von Klaus Kinski im Film „Glanz und Ende eines Königs“ von Helmut Käutner aus dem Jahr 1954.
Foto: picture alliance
  
  
  
  
Angela Steidele: Rosenstengel. Ein Manuskript
aus dem Umfeld Ludwigs II. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015. 383 Seiten,
28 Euro. E-Book 24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wolfgang Behringer hat diese Biografie der Catharina Linck mit großem Interesse gelesen. Die Linck, erfahren wir, lebte im 18. Jahrhundert fast zwanzig Jahre lang unentdeckt als Mann. Sie diente in der preußischen Armee als Musketier und nahm an mehreren Kriegen teil, zog als "radikalpietistischer Prophet" durch die Lande, ging einer bürgerlichen Arbeit nach und heiratete schließlich sogar. Niemand wusste, dass sie eine Frau war, bis ihre Schwiegermutter sie eines Tages mit Hilfe einer Nachbarin enttarnte, erzählt Behringer. 1721 wurde sie nach einem Prozess öffentlich enthauptet. Die Literaturwissenschaftlerin Angela Steidele beschreibt in ihrem Buch das Leben dieser Frau und den Prozess mit großer Zuneigung zu ihrer Heldin, so Behringer. Zugleich sei das Buch aber auch eine Studie über Transvestitismus, Transsexualität und weibliche Homosexualität. Gelungen findet der Rezensent das immer dann, wenn Steidele mit den Quellen argumentiert. Sobald es um Philosophie oder Rechtspraxis der damaligen Zeit geht, breite die Autorin allerdings nur "Lexikonwissen" aus. Auch die Diskussionen um die "Mikrogeschichte" seien Steidele offenbar unbekannt, denn sie fülle die Wissenslücken immer wieder mit Spekulationen aus. Insgesamt jedoch überwiegt für Behringer der "Lesegenuss".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Chronik einer unerhörten Begebenheit, die man gebannt in einem Zug zu Ende liest.« DIE ZEIT