Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 4,00 €
  • Gebundenes Buch

Bis heute prägt die Aufklärung unser Bild vom 18. Jahrhundert. Die Vernunft drang in die verschiedensten Lebensbereiche vor und bewirkte einen enormen Aufschwung von Bildung und Wissenschaft. Zugleich war diese Zeit aber auch ein Jahrhundert von Kriegen und Hungersnöten. Michael North entfaltet in anschaulicher Weise einen neuen Blick auf das 18. Jahrhundert: Er zeigt, daß sich Adelige und Bürger in dieser Zeit leisten konnten, nach Zerstreuung, Abwechslung und Glück zu suchen, welche sie in Kunst und Unterhaltung fanden. Dabei profitierten sie von einer Kommerzialisierung und breiten…mehr

Produktbeschreibung
Bis heute prägt die Aufklärung unser Bild vom 18. Jahrhundert. Die Vernunft drang in die verschiedensten Lebensbereiche vor und bewirkte einen enormen Aufschwung von Bildung und Wissenschaft. Zugleich war diese Zeit aber auch ein Jahrhundert von Kriegen und Hungersnöten.
Michael North entfaltet in anschaulicher Weise einen neuen Blick auf das 18. Jahrhundert: Er zeigt, daß sich Adelige und Bürger in dieser Zeit leisten konnten, nach Zerstreuung, Abwechslung und Glück zu suchen, welche sie in Kunst und Unterhaltung fanden. Dabei profitierten sie von einer Kommerzialisierung und breiten Vermarktung aller Kulturgüter. Für den Zahlenden entwickelte sich ein umfangreiches Angebot an Literatur, Theateraufführungen, Kunstausstellungen , Musik und Konzerten.
Autorenporträt
Michael North ist Professor für Allgemeine Geschichte der Neuzeit am Historischen Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Ein Häppchen für Papa
Erst aufgeklärt macht Hedonismus Spaß: Michael North erzählt von den Genüssen des Kulturkonsums  / Von Erwin Seitz

Luther hatte für die Deutschen eine Art von Morgenthauplan entworfen. In seiner berühmten Kampfschrift "An den christlichen Adel deutscher Nation" machte er sich nicht nur Luft gegenüber der weltlichen Pracht der römischen Kurie, sondern hielt es auch für geboten, den Fuggern und dergleichen Gesellschaften "einen Zaum ins Maul zu legen". Gegen die städtische, höfische Art, gegen Handel und Frühkapitalismus, modische Kleidung und Spezereien aus dem Ausland brachte er das einfache bäuerliche Leben in Stellung: "Das weiß ich gut, daß es viel göttlicher wäre, Ackerwerk zu mehren und Kaufmannschaft zu mindern." Die Besinnung auf die Landwirtschaft verhieß für Luther eine Rückbindung an die elementare göttliche Macht. Es gäbe keine Habsucht, keine Verweichlichung, keinen Sittenverfall. Wohl und Weh des Menschen entschied sich für den Kirchenmann an der Frömmigkeit; die Erfindungen in den Städten, die das Leben erleichterten und angenehmer machten, gab er bereitwillig dafür hin.

Daß der wortgewaltige erste Medienstar der Deutschen das brave, biedere Leben zum Ideal erhob, blieb nicht ohne Wirkung auf die Nation. Während des Dreißigjährigen Kriegs und noch danach sahen viele keine andere Möglichkeit, als sich mit Luther zu trösten. Erst im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts suchten heimische Kunsthandwerker und Künstler, Bürger und Aristokraten verstärkt den Anschluß an die feinere Lebensart im Süden und Westen Europas. Michael North beklagt, daß dem aufblühenden Kulturkonsum in den deutschen Landen des achtzehnten Jahrhunderts bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. Mit seiner Studie "Genuß und Glück des Lebens" will er nun "die unterhaltsame Seite des Zeitalters des Aufklärung" ins rechte Licht rücken.

Der Begriff der Aufklärung bleibt bei ihm allerdings recht schlicht: Aufklärung bedeute das Vordringen der Vernunft, den Aufschwung von Bildung und Wissenschaft. Er zieht den Schluß: "Durch den Kulturkonsum überwanden Kenner und Liebhaber die Langeweile der Vernunft." Wahr ist, daß sich die Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts nicht nur von der orthodoxen Theologie löste, sondern auch vom cartesianischen Intellektualismus. Der Mensch sollte als ein geistiges wie sinnliches Wesen anerkannt werden. Es war die Vernunft der Aufklärung, die einer neuen sinnlichen Kultur zuarbeitete. Weil North diesen philosophischen Hintergrund nicht berücksichtigt, sondern sich an die "materielle Kultur" hält, bleibt seine Darstellung streckenweise blaß.

Begrüßenswert ist es, daß der Autor auf eine Rangordnung der Künste verzichtet. Der Konsum der praktischen Künste, die Nahrung, Kleidung und Wohnung betreffen, wird gleichwertig neben dem Konsum der schönen Künste wie Literatur, Musik oder Malerei behandelt. Ohne daß North darauf eingeht, entspricht dieses Nebeneinander der Einheit von Geist und Sinnlichkeit, von der die Aufklärung sprach.

Den Beginn macht das Kapitel "Buch und Lektüre". Zahlreiche Dokumente, Briefe, Nachlaßinventare und Meßkataloge zeigen uns, was die Deutschen im achtzehnten Jahrhundert lasen. Es ist nicht überraschend, daß der Bestand an theologischen Schriften prozentual zurückging und im Gegenzug das Interesse an Romanen und Schauspielen zunahm. Erst nach dem Siebenjährigen Krieg häuften sich die Bestände der Bücher, hob eine breitere literarische Kultur an. Es entstanden neben Leihbüchereien auch Lesegesellschaften, in denen sich adeliges und bürgerliches Publikum mischten.

Aufschlußreich ist das Kapitel "Mode und Luxus". Als bedeutender Akteur auf diesem Gebiet wird Friedrich Justin Bertuch vorgestellt, der sich als Schriftsteller, Verleger und Unternehmer am Weimarer Musenhof niederließ. Ab 1786 brachte er das "Journal des Luxus und der Moden" auf den Markt. Lesegesellschaften und private Personen in ganz Deutschland abonnierten es. Neben den Artikeln über Kleidung sollten auch Aufsätze über Wohnen, Tischkultur und gutes Benehmen, Literatur und Kunst erscheinen. Der Herausgeber wußte selbstverständlich, daß nicht wenige der von Luther geprägten Deutschen den Luxus für ein Werk des Teufels hielten. Geschickt sprach er den Leser an: "Luxus, sagt der Anhänger des physiokratischen Systems, ist die Pest der Staaten! Er löst alles Gefühl für Moralität und Ehre auf." Dem wurde entgegengesetzt: "Luxus, sagt der Finanzier und der Technolog, ist die reichste Quelle für den Staat; der allmächtige Hebel der Industrie. Er verwischt alle Spuren der Barbarey in den Sitten; schafft Künste, Wissenschaften, Handel und Gewerbe."

Die Fugger und dergleichen Gesellschaften, so kann man schließen, wurden rehabilitiert. Das brave, biedere Leben in Krähwinkel sollte ein Ende haben. Bertuch lancierte die städtisch geprägte, weltläufige Lebensart. Er schaute nach Paris und London. Beim Streit um die Vorherrschaft in der Mode schlug er sich auf die englische Seite und trat für einen schlichteren, leichteren Kleidertypus ein. Er sprach sich für eine neue Beweglichkeit, für ein neues Körpergefühl aus, lobte das Leitbild von Privatheit, Bequemlichkeit und Funktionalität. Die Wiener, die vorläufig der höfischen Mode aus Frankreich treu blieben, verspottete er dagegen. Der bürgerliche, ökonomische Geist der Engländer war für Bertuch schlechthin das Vorbild.

In anderen Kapiteln vermißt man nicht nur den Hinweis auf die philosophischen Überlegungen, die die Entfaltung des Kulturkonsums beförderten, es kommen auch die ästhetischen Aspekte der Kulturgüter zu kurz. Im Kapitel über die "Wohnkultur" wird lang und breit anhand von Nachlaßinventaren dargelegt, daß ab 1730 in adligen, bald auch in begüterten bürgerlichen Wohnungen neben Möbeln aus Tanne und Eiche auch solche aus Nußbaum vorhanden waren. Vergeblich wartet man darauf, daß die Schönheit der Nußbaummaserung beschrieben und der Gewinn an feinerer Lebensart deutlich wird. Zwar vernimmt man gern, daß die Zimmer und Möbel im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts kleinteiliger wurden und eine intimere Wohnkultur einleiteten, aber die Zählung der Spiegel und Kommoden in den Inventaren ergibt noch kein plastisches Bild. Einem Buch mit dem Titel "Genuß und Glück des Lebens" hätte es auch zugestanden, über das Essen auf dem Tisch zu berichten. Doch man liest nichts davon. Im Abschnitt "Neue Genußmittel und Geselligkeit" werden lediglich Tee, Schokolade und Kaffee behandelt.

North läßt in seinem Buch hauptsächlich den Norden zu Wort kommen. Was wunder, daß er der "norddeutsch-protestantischen Aufklärung" bei der Entwicklung des Kulturkonsums eine führende Rolle zuerkennt. Neben den Residenzen in Weimar, Berlin und Dresden entdeckt er die Messestädte Frankfurt am Main und Leipzig und die Hafenstadt Hamburg als wichtige Zentren. Selbst in den Kapiteln über "Musikkultur" und "Theater und Oper" tritt die kaiserliche Residenz Wien nur kurz in Erscheinung. Nicht nur die mangelhafte Verknüpfung des Kulturkonsums mit Philosophie und Ästhetik, auch das Mißverhältnis in der Aufmerksamkeit für Süden und Norden erzeugt Unbehagen.

Die Stärke des Buches liegt in der Aufwertung der praktischen Künste, die Nahrung (wenngleich nur Getränke), Kleidung und Wohnung betreffen, ergänzt durch den Blick auf "Reisen und Reisekultur" sowie "Gärten und Landhäuser". Das Klischee, daß sich die ältere deutsche Kultur vorwiegend auf das rein Geistige bezog und die gesellschaftliche Eleganz wenig beachtete, wird man etwas korrigieren müssen. Norths Studie ist ein Anfang. Sie faßt die Ergebnisse jüngerer Einzelstudien zum Kulturkonsum des achtzehnten Jahrhunderts erstmals zusammen.

Michael North: "Genuß und Glück des Lebens". Kulturkonsum im Zeitalter der Aufklärung. Böhlau Verlag, Köln 2003. 306 S., Abb., geb., 26,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Martin Luther hatte für das Glück, das in Raffinement und Genuss liegt, wenig übrig. Erst im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, begann sich Deutschland von diesen das einfache und bäuerliche Leben preisenden Vorgaben zu erholen. Handwerker und Künstler begannen sich vorsichtig in Richtung Süden und Westen zu orientieren und für den "Anschluss an die feinere Lebensart" dieser nicht protestantisch geprägten Weltgegenden zu plädieren. In einzelnen Kapiteln untersucht North die verschiedenen Aspekte des beginnenden "Kulturkonsums" der Deutschen, von Literatur bis Mode, von Wohn- bis Musikkultur. Der Rezensent Erwin Seitz hält die Bemühungen des Autors für außerordentlich begrüßenswert, sieht jedoch Schwächen im Theoretischen - so bleibe der Begriff der "Aufklärung" allzu "schlicht" - und auch nur einige der Darstellungsgebiete seien in aufschlussreicher Weise ausgewertet - gelobt wird vor allem das Kapitel "Mode und Luxus". Ein grundsätzlicher Mangel der Studie, so Seitz, bestehe in der Unterbelichtung des Südens, insbesondere Wiens. Nichtsdestoweniger sei dieses Buch "ein Anfang", auf dem es nun aufzubauen gelte.

© Perlentaucher Medien GmbH