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Der Erste Weltkrieg gilt als die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts". In seinen fatalen politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Folgen ist dieser gesamteuropäische Epochenumbruch noch längst nicht vollständig aufgearbeitet. Der Band leistet hierzu einen wichtigen Beitrag aus sozialhistorischer Sicht.
Der Band versteht sich als Beitrag zur Sozialgeschichte Europas im 20. Jahrhundert. Er behandelt die Rückwirkungen des Ersten Weltkrieges auf die europäische Innenpolitik von 1917 bis 1928 und beschreibt die unterschiedlichen Tableaus der politischen, sozialen, ökonomischen und
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Produktbeschreibung
Der Erste Weltkrieg gilt als die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts". In seinen fatalen politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Folgen ist dieser gesamteuropäische Epochenumbruch noch längst nicht vollständig aufgearbeitet. Der Band leistet hierzu einen wichtigen Beitrag aus sozialhistorischer Sicht.

Der Band versteht sich als Beitrag zur Sozialgeschichte Europas im 20. Jahrhundert. Er behandelt die Rückwirkungen des Ersten Weltkrieges auf die europäische Innenpolitik von 1917 bis 1928 und beschreibt die unterschiedlichen Tableaus der politischen, sozialen, ökonomischen und ideologischen Veränderungen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und der Sowjetunion. Die Kriegserfahrung war durch den Zusammenbruch herkömmlicher Sinnangebote, die Delegitimierung der angestammten Führungsschichten und eine breite politische Mobilisierung geprägt. Sie begründete eine Formveränderung der Politik, welche zu erheblichen sozialen und ökonomischen Belastungen führte und allenthalben mit populistischen Strategien sowie der Verstärkung korporativer Strukturen beantwortet wurde. Das Werk stellt einen ersten Baustein für den vom Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte e.V. bearbeiteten Grundriss einer "Sozialgeschichte Europas im 20. Jahrhundert" dar, welcher sich zur Aufgabe se setzt, die Parameter für eine vergleichende europäische Geschichtsdarstellung im 20. Jahrhundert zu entwickeln.
Autorenporträt
Hans Mommsen war bis zu seiner Emeritierung 1996 Professor für Neuere Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2001

Das vergesellschaftete Fronterlebnis
Wie reagierten die großen europäischen Staaten nach 1918 auf die Kriegserfahrung?

Hans Mommsen (Herausgeber): Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2000. 246 Seiten, 59,80 Mark.

Die internationale Forschung beschäftigt sich nach wie vor intensiv mit dem Ersten Weltkrieg. Allerdings geht es in der jüngeren Forschung nicht mehr vorrangig um jene Problembereiche, die in den Jahren der "Fischer-Kontroverse" mit hohem emotionalen Aufwand traktiert wurden: die Verantwortlichkeiten beim Kriegsausbruch und die Kriegszielprogramme der am Krieg beteiligten Mächte. Vielmehr sind im Zeichen der "kulturalistischen Wende" die mentalitäts-, wahrnehmungs- und sozialgeschichtlichen Phänomene in den Vordergrund gerückt.

Das Interesse der "neuen Kulturgeschichte" am Ersten Weltkrieg konzentriert sich auf Themen wie etwa die Deutung und Verarbeitung von Kriegserfahrung und Fronterlebnis, den Platz, den der Krieg in der Erinnerungskultur der einzelnen Nationen einnahm und einnimmt, die Auswirkungen von Massenmobilisierung und sozialstaatlicher Intervention auf Gesellschaft und Politik in der Nachkriegszeit. Mit solchen Themen befaßte sich der Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte. Als Ertrag liegt nun ein Sammelband vor, dessen neun Beiträge sich ausnahmslos durch hohe Qualität auszeichnen. Mit der verbindenden allgemeineren Fragestellung, ob dem Ersten Weltkrieg die Bedeutung einer grundlegenden historischen Zäsur zukommt, untersuchen die Autoren die politischen, sozialen, ökonomischen und mentalen Veränderungen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Rußland während des Krieges und im Gefolge des Krieges, die Rolle, welche die Kriegserfahrung für die Menschen in den einzelnen Ländern spielte, sowie die durch den Krieg bewirkte "Formveränderung der Politik" im Nachkriegseuropa.

Die Befunde fallen verständlicherweise nicht einförmig aus - neben Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Rückwirkungen des Krieges gab es gravierende Unterschiede. Wie Bernd Weisbrod einleitend über die kulturelle Konstruktion und Verarbeitung der Kriegserfahrung konstatiert, veränderte sich unter dem Einfluß der Massenmobilisierung die herkömmliche "politische Repräsentation": "Die Kriegsrepräsentation von Politik legte den Grundstein für einen postliberalen Formwandel des Politischen in allen europäischen Nachkriegsgesellschaften - wenn auch in signifikant unterschiedlichem Ausmaß."

Dieser Frage gehen die übrigen Beiträge nach. Benjamin Ziemann verdeutlicht das Muster der Kriegsverarbeitung in Deutschland an zwei sozialen Gruppen, der sozialistischen Arbeiterschaft und der bäuerlichen Bevölkerung (diese beiden Gruppen stellten das Gros der deutschen Kriegsteilnehmer). Er kann nachweisen, daß die Zäsurbedeutung des Fronterlebnisses in pauschaler Weise überbetont wurde und die dominante These einer "Brutalisierung" durch den Krieg empirisch nicht haltbar ist: "Das ,Fronterlebnis' - nicht als eine kulturell geprägte Erfahrung, sondern als ein nationalistisch aufgeladener politischer Mythos - fungierte im nationalen Lager seit Mitte der zwanziger Jahre als Katalysator tiefgreifender Umwälzungen in der bürgerlichen Vergesellschaftung."

In eine ähnliche Richtung weist der Befund Dirk Schumanns, der die Gewaltakzeptanz in großen Teilen des deutschen Bürgertums analysiert. Entscheidend für die Gewaltakzeptanz sei nicht der Krieg selbst gewesen, sondern die Art und Weise, wie die Kriegserfahrung in den Ereigniskomplexen von 1918 bis 1923 auf bürgerlicher Seite interpretiert wurde. Was die nationalistischen Agitationsverbände angeht, betont Heinz Hagenlücke, sie hätten sich, trotz einer Radikalisierung, in ihrem Erscheinungsbild bis Mitte der zwanziger Jahre durch Krieg und Revolution nur wenig geändert, sie seien dem traditionellen Typus des wilhelminischen Honoratiorenverbandes stark verhaftet geblieben, so daß sie nicht als Vorformen der NSDAP eingestuft werden könnten. Somit laufen die Beiträge von Ziemann, Schumann und Hagenlücke darauf hinaus, daß der mentalitätshistorische Zäsurcharakter von Krieg und Kriegserlebnis, zumindest im Sinne unmittelbarer Kausalität, eine gewisse Relativierung erfährt.

Mit den Auswirkungen der sozialen und politischen Mobilisierung während der Kriegsjahre auf Politik und Gesellschaft der Nachkriegszeit befassen sich die Beiträge von Kenneth O. Morgan über Großbritannien, John Horne über Frankreich und Giovanna Procacci über Italien. Die Entwicklung in den drei Siegerstaaten verlief unterschiedlich. Die britische Politik nach 1918 war durch eine wesentlich stärkere Klassenpolarisierung als in der Vorkriegszeit gekennzeichnet. Ein von der Mittelschicht gestützter Konservatismus gewann die politische Hegemonie; der Konservatismus wurde in der Zwischenkriegszeit zur Konsensideologie weiter Teile Großbritanniens. In Frankreich gingen Staat und politisches System gestärkt aus dem Krieg hervor. Die "Kriegskultur", in ihrem Kern konservativ, prägte in starkem Ausmaß die Nachkriegspolitik; Frankreich lebte in den zwanziger Jahren "im Schatten des Krieges". In Italien hingegen trieb der Krieg eine Transformation der Gesellschaft voran, er veränderte in grundlegender Weise die Struktur der Zentralverwaltung, die Formen politischer Repräsentation und Meinungsbildung, das Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung und schließlich die Mentalität der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen und Klassen. Die bereits im Krieg einsetzende Delegitimierung der politischen Führungsschicht, die Enttäuschung weitgespannter Erwartungen bei Kriegsende und die wachsende Revolutionsfurcht im Mittelstand ließen zunehmend ein Klima der Staatsverdrossenheit und Gewaltbereitschaft entstehen und bewirkten eine tiefe Krise des liberalen Staates. So entwickelte sich jene Konstellation, in der die faschistische Bewegung zur Macht gelangte.

Die russische Oktoberrevolution ist das Thema von Manfred Hildermeier. Ausgehend von der Feststellung, daß die Oktoberrevolution als ein russisches, europäisches und globales Phänomen das "reale" Geschehen ebenso wie seine Wahrnehmung und Interpretation umfaßt, stellt er sehr präzis die unterschiedlichen Positionen bei der Bewertung von Ursachen, Charakter und Folgen der Oktoberrevolution vor. Es sei, so seine Schlußfolgerung, "wenig geblieben von der einstigen Behauptung, daß Stalin anderes wollte als Lenin". Was 1917 begründet wurde, war "ein gigantisches, ausschließlich staatlich gelenktes, nichtmarktwirtschaftlich-kapitalistisches und allein in diesem Sinne sozialistisches Modernisierungsprojekt".

Den Band beschließt die gehaltvolle Studie von Michael Prinz über die Deutung des Krieges im Spannungsfeld von Geschichtsschreibung, Politik und Erinnerungskultur Großbritanniens. In der öffentlichen und historiographischen Debatte seit 1918 dominierten zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Deutungen, eine konservative, eine liberal-humanistische und eine sozial-progressive. Vor allem die britischen Sozialhistoriker haben herausgearbeitet, daß der ausgeprägte kriegsbedingte Wandel nach 1918 von den politischen und sozialen Eliten radikal revidiert wurde. Daher sind unter langfristigem Aspekt die Thesen über den Krieg als Motor tiefgreifenden sozialen Wandels in Großbritannien zu revidieren. "Der Krieg erscheint primär als eine zivilgesellschaftliche Auszeit."

Hier wie in anderen Beiträgen wird deutlich, daß es zu einfach wäre, wollte man den Krieg selbst zum großen Veränderer der sozialen Welt stilisieren. Folgenreicher wurde vielmehr, wie die Gesellschaften der europäischen Staaten nach dem Krieg auf die Kriegserfahrung reagierten und ihre Wahrnehmung des Krieges in den - jeweils verschiedenartigen - Erinnerungskulturen verankerten.

EBERHARD KOLB

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"Es gehört zu den liebsten Klischees der populären Geschichtsbetrachtung, dass Faschismus und Zweiter Weltkrieg quasi natürliche Folgen des Ersten Weltkriegs und der mit ihm verbundenen gesellschaftlichen Verwerfungen waren. Ein etwas näherer Blick auf die Entwicklungen in den verschiedenen Ländern zeigt, dass diese Vereinfachung unzulässig ist - und dieser Sammelband bietet ein ganzes Bündel von Anhaltspunkten." (Der Standard)"Das Interesse der 'neuen Kulturgeschichte' am Ersten Weltkrieg konzentriert sich auf Themen wie etwa die Deutung und Verarbeitung von Kriegserfahrung und Fronterlebnis, den Platz, den der Krieg in der Erinnerungskultur der einzelnen Nationen einnahm und einnimmt, die Auswirkungen von Massenmobilisierung und sozialstaatlicher Intervention auf Gesellschaft und Politik in der Nachkriegszeit. Mit solchen Themen befaßte sich der Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte. Als Ertrag liegt nun ein Sammelband vor, dessen neun Beiträge sich ausnahmslos durch hohe Qualität auszeichnen." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nach Eberhard Kolb zeichnen sich die neun Beiträge dieses Bandes "ausnahmslos durch hohe Qualität" aus. Dabei weist er darauf hin, dass die Autoren zu denjenigen Historikern gehören, die sich primär für "Themen wie die Deutung und Verarbeitung von Kriegserfahrung und Fronterlebnis", die Rolle des Krieges in der Erinnerung oder auch die "sozialstaatliche Intervention auf Gesellschaft und Politik in der Nachkriegszeit" interessieren. Kolb geht auf die einzelnen Beiträge des Bandes ein und hebt dabei die thematischen Schwerpunkte hervor. Deutlich wird seiner Ansicht nach, dass "der Krieg selbst" keineswegs für die Veränderungen der sozialen Gesellschaft verantwortlich war, sondern vielmehr die Art und Weise wie die verschiedenen Staaten "nach" dem Krieg auf diese Erfahrungen reagierten und welche Erinnerungskulturen daraus entstanden sind.

© Perlentaucher Medien GmbH