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Während der Aufbau des Ministeriums für Staatssicherheit bereits gut erforscht ist, wurden seine ideologischen Prämissen bisher kaum hinterfragt. Man ging von einem kollektivistischen Menschenbild aus: der Mensch galt nicht als autonome Person, sondern als grundsätzlich verführbar und manipulierbar. Der Staatssicherheitsdienst versuchte seine Schwachpunkte herauszufinden, um dann mit ausgefeilten Techniken haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen oder Andersdenkende einzuschüchtern. Zum Zweck der politischen Machtsicherung wurde die Bevölkerung verängstigt und gegenüber Oppositionellen…mehr

Produktbeschreibung
Während der Aufbau des Ministeriums für Staatssicherheit bereits gut erforscht ist, wurden seine ideologischen Prämissen bisher kaum hinterfragt. Man ging von einem kollektivistischen Menschenbild aus: der Mensch galt nicht als autonome Person, sondern als grundsätzlich verführbar und manipulierbar. Der Staatssicherheitsdienst versuchte seine Schwachpunkte herauszufinden, um dann mit ausgefeilten Techniken haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen oder Andersdenkende einzuschüchtern. Zum Zweck der politischen Machtsicherung wurde die Bevölkerung verängstigt und gegenüber Oppositionellen individueller Psychoterror betrieben. Detailliert zeichnet der Verfasser nach, mit welchen Manipulationsmethoden das MfS die Bürger gleichzuschalten versuchte und belegt zugleich, dass es den Menschen ihren individuellen Freiheitswillen dennoch nicht nehmen konnte. Durch konkrete Fallbeispiele erhält der Leser Einblick in die Funktionsweise einer zentralen Herrschaftsinstitution des SE D-Staates.
Autorenporträt
Matthias Wanitschke ist Mitarbeiter beim Landesbeauftragten des Freistaates Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Heimliche Zersetzung
Das Menschenbild der Stasi ertrug keine Individualität
MATTHIAS WANITSCHKE: Methoden und Menschenbild des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Böhlau Verlag, Köln 2001. 409 Seiten, 40,80 Euro.
Dieses Buch trifft ins Herz der SED-Diktatur, es zielt auf ihr Menschenbild. Zwar gehört die Geschichte der DDR-Staatssicherheit inzwischen zu den am besten dokumentierten Bereichen der DDR. Die Frage, von welchem Bild des Menschen sich das wichtigste Herrschaftsinstrument des SED-Staates tatsächlich leiten ließ, blieb aber bislang unbeantwortet. Diese Lücke schließt nun die Arbeit von Matthias Wanitschke. Und nicht nur das macht sie lesenswert.
Zu den beharrlichsten Selbsttäuschungen des SED-Staates gehört seine stete Berufung auf das Erbe des Humanismus; auch der Genosse Minister Erich Mielke bezeichnete sich stets als Humanist. Faktisch jedoch strebte der reale Sozialismus eine enthumanisierte Gesellschaft an. Ihr Ideal war nicht der mündige Bürger, sondern der Befehlsempfänger. In einem Staat, der sich im Besitz der Wahrheit über die gesetzmäßige Entwicklung der Geschichte wähnte, waren alle wesentlichen Fragen beantwortet. Wer sich nicht mit den offiziellen Antworten zufrieden geben wollte, abweichende Meinungen äußerte oder Institutionen in Zweifel zog, den brachte die Staatssicherheit über kurz oder lang zum Schweigen.
Wanitschke, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Thüringer Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen tätig ist, analysiert das Selbstverständnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in seiner Dissertation von innen heraus: anhand von Richtlinien, Fallbeispielen und Akteneinschätzungen. Erhellend an dieser Studie wirkt die Verknüpfung von historischer Darstellung im Überblick, anschaulichen Fallstudien und der Deutung der Stasi-Praxis auf der Folie demokratischer Grundwerte wie Verantwortung, Gewissen und freie Entfaltung der Persönlichkeit. Durch die Gegenüberstellung von Stasi-Praxis und demokratischen Grundwerten gelingt Wanitschke eine dichte Beschreibung der spezifischen Kultur der Unterdrückung des SED-Staates. Er macht dessen in der Öffentlichkeit geschickt verschleierte Menschenverachtung auf bemerkenswerte Weise sichtbar.
In der Welt des realen Sozialismus gab es im Grunde nur zwei Arten von Menschen: Freunde und Feinde. Der Systemimperativ dieser geschlossenen Gesellschaft lautete strikt: Andersdenkende sind auszuschalten. Dazu benötigte das MfS Agenten: hauptamtliche und inoffizieller Mitarbeiter. Wanitschke beschreibt die Methoden des organisierten Existenzdrucks. Diese dienten im Zusammenspiel mit den staatlichen Behörden, Massenorganisationen, Betrieben und Parteien dem Ziel, den aufkeimenden Eigensinn des Einzelnen zu entmutigen. Ergänzend dazu arbeitete das MfS an der „Zersetzung” Andersdenkender, die möglichst unauffällig für den Westen und das Opfer erfolgen sollte. Laut „Richtlinie 1/76” bestand das Ziel des Psychoterrors unter anderem darin, gegnerische Überzeugungen zu untergraben. Kurzum: Das Ich sollte innerlich blockiert werden, um ein störungsfreies Funktionieren der Gesellschaftsmaschinerie zu gewährleisten.
Gesteuerte Kämpfer
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich dem inoffiziellen Mitarbeiter, „der Hauptwaffe im Kampf gegen den Feind”, wie ihn das MfS definierte. Im Unterschied zum Dritten Reich, in dem die Gestapo mit Denunziationen aus den Reihen der Volksgenossen rechnen konnte, war der IM kein eigenmächtiger Denunziant. Vielmehr wurde er systematisch ausgewählt, administrativ verpflichtet und dann mit konkreten Aufträgen ausgestattet. Dabei sollte er das, was er tat, nicht vollständig überblicken. Er sollte ein Mensch sein, der sich ohne Selbstvertrauen und ohne echte mitmenschliche Bindungen in einer feindlichen Umwelt bewegt und vollständig an den Führungsoffizier, also an die staatliche Hierarchie, ausliefert. Der IM war der ideale DDR-Bürger, der erwünschte „neue Mensch” des Sozialismus. Seine Aufgabe war es, diffuse Angst zu säen, um Konformität zu ernten.
Zuletzt stellt der Autor die Gewinnung hauptamtlicher Stasi- Mitarbeiter dar, also die Ausbildung und Formung von ohne Rückfragen funktionierenden Tätern. Solche so genannten „tschekistischen Persönlichkeiten” sollten sich dadurch auszeichnen, dass sie die grundlegenden Befehle, der jeweiligen Situation angepasst, in die Tat umsetzen. Wer sich als gewissenhaftes Werkzeug für die Machterhaltung des SED-Staates erwies, durfte in der Hierarchie aufsteigen. Wanitschke veranschaulicht dies anhand von zwei Stasi-Karrieren. Eine davon endete allerdings zuletzt im Freitod – aus Gewissensgründen.
HANS–JOACHIM FÖLLER
Der Rezensent lebt als Sozialwissenschaftler in Meiningen.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ausgiebig lobt Hans-Joachim Föller diese Studie über das Menschenbild der Stasi. Er meint, sie treffe mit ihrer Fragestellung ins "Herz der SED-Diktatur". Föller findet die Dissertation unter anderem deshalb so "lesenswert", weil sie in ihren Ausführungen interne Quellen des MfS mit Fallbeispielen und historischen Betrachtungen verknüpft. Der begeisterte Rezensent preist den Autor, der in Thüringen beim Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen tätig ist, für seine "dichte Beschreibung", in der es ihm, wie Föller betont, gelingt, die bei der Stasi vorherrschende, "geschickt verschleierte Menschenverachtung" beeindruckend deutlich zu machen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Studie eröffnet einen beachtlichen Einblick in das Wesen und die inneren Wirkmechanismen des selbsternannten 'Schild und Schwert der Partei'.
Ihm gelingt überzeugend eine ethische und philosophische Auseinandersetzung mit dem marxistischen Menschenbild, wonach das Individuum immer dem Kollektiv untergeordnet war. Diese faktenreiche Studie wird ergänzt durch einen Fußnotenteil, eine Fundgrube, in der neben weiterführender Literatur Fallbeispiele vertieft, Sachverhalte diskutiert und sogar Diskurse angeboten werden." (Thüringische Landeszeitung)"Dieses Buch trifft ins Herz der SED-Diktatur, es zielt auf ihr Menschenbild.
Durch Gegenüberstellung von Stasi-Praxis und demokratischen Grundwerten gelingt Wanitschke eine dichte Beschreibung der spezifischen Kultur der Unterdrückung des SED-Staates. Er macht dessen in der Öffentlichkeit geschickt verschleierte Menschenverachtung auf bemerkenswerte Weise sichtbar.
Wanitschke beschreibt die Methoden des organisierten Existenzdrucks. Diese dienten im Zusammenspiel mit den staatlichen Behörden, Massenorganisationen, Betrieben und Parteien dem Ziel, den aufkeimenden Eigensinn des Einzelnen zu entmutigen.
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich dem inoffiziellen Mitarbeiter, 'der Hauptwaffe im Kampf gegen den Feind', wie ihn das MfS definierte.
Zuletzt stellt der Autor die Gewinnung hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter dar, also die Ausbildung und Formung von ohne Rückfragen funktionierenden Tätern." (Hans-Joachim Föller, Süddeutsche Zeitung, 11.03.2002)"Das Buch von Dr. Matthias Wanitschke, der Mitarbeiter beim Thüringer Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen ist, trage aber zur Offenlegung von Denkweisen der Staatssicherheit bei. Deshalb sei dieses Sachbuch wichtig." (Thüringer Allgemeine. 14.06.2002)…mehr