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Bereits die griechischantike Philosophie stellte das Handwerk in der Rangfolge der Wertschätzung weit unter die viel edlere "reine Theorie". Seither steht der Theoretiker im Gegensatz zum Praktiker, also zum Arbeiter und Handwerker. Es wirkt das Vorurteil, dass der Handwerker nichts zur theoriefähigen Erkenntnis beitrage. Der Physiker genießt mehr Ansehen als der Ingenieur, und dieser wieder mehr als der Handwerker. Peter Janich unternimmt in diesem spannend geschriebenen Buch eine beeindruckende Forschungsreise durch die Wissenschaftsgeschichte. Ein philosophischer Blick auf die Fächer…mehr

Produktbeschreibung
Bereits die griechischantike Philosophie stellte das Handwerk in der Rangfolge der Wertschätzung weit unter die viel edlere "reine Theorie". Seither steht der Theoretiker im Gegensatz zum Praktiker, also zum Arbeiter und Handwerker. Es wirkt das Vorurteil, dass der Handwerker nichts zur theoriefähigen Erkenntnis beitrage. Der Physiker genießt mehr Ansehen als der Ingenieur, und dieser wieder mehr als der Handwerker. Peter Janich unternimmt in diesem spannend geschriebenen Buch eine beeindruckende Forschungsreise durch die Wissenschaftsgeschichte. Ein philosophischer Blick auf die Fächer Geometrie, Physik, Chemie, Lebens- und Kommunikationswissenschaft zeigt, dass diese ihre Gegenstände handwerklicher Herstellung verdanken. Mehr noch, die zweckmäßige Reihenfolge von Schritten im Herstellen gibt dem "Mundwerk", also der logischen Begriffs- und Theoriebildung, eine eigene Rationalität. Was der Handwerker in das gute Funktionieren seiner Produkte als Zweck investiert, macht am Ende den technischen Erfolg der modernen Naturwissenschaften aus. Das Buch ist anschauliche Wissenschaftsphilosophie und nicht zuletzt eine Ehrenrettung des Handwerks vor seinen Verächtern.
Autorenporträt
Peter Janich ist emeritierter Professor für theoretische Philosophie an der Philipps-Universität Marburg. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.05.2015

Gegen den Dünkel
Peter Janich rehabilitiert das Handwerk
Der Ausgangspunkt aktueller gesellschaftlicher Probleme liegt häufig Jahrzehnte, zuweilen Jahrhunderte in der Vergangenheit. Manchmal auch Jahrtausende. Ein Beispiel: Das Bundesinstitut für Berufsbildung prognostiziert gravierende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Da es zu viele Studenten und zu wenige Lehrlinge gebe, könnten Millionen Stellen für nicht-akademische Fachkräfte unbesetzt bleiben. Kein Wunder, wird doch allenthalben die Notwendigkeit von Hochschulreife und Studium propagiert. Entsprechend hat sich die Abiturquote in den vergangenen fünfzehn Jahren beinahe verdoppelt.
Befeuert wird diese Entwicklung von einem alten Dünkel. Schon im antiken Griechenland spielte man mit Rückendeckung von Platon und Aristoteles den hoch angesehenen Denker gegen den subalternen Praktiker aus. Während freie Bürger tüchtig philosophierten, mussten Sklaven, Frauen und Handwerker all jene Verrichtungen besorgen, welche mit körperlicher Anstrengung verbunden waren. Für Sklaverei und gegen Frauen wird sich heute kein vernünftiger Mensch mehr äußern. Handwerker allerdings haben einen nach wie vor schweren Stand. So wird jemand mit mangelnder ästhetischer Urteilskraft als „Banause“ bezeichnet; das Wort hat seinen Ursprung im altgriechischen „bánausos“, was schlicht „Handwerker“ heißt.
Wie konnte dieses Ressentiment entstehen? Ist es gerechtfertigt? Was ließe sich entgegnen? In „Handwerk und Mundwerk“ gibt der Philosoph Peter Janich Antworten auf derartige Fragen. Zur Geringschätzung des Handwerks sei es gekommen, weil im noch jungen Abendland zur Zeit der großen Philosophen alle Aktivitäten mit einem praktischen Nutzen unter Generalverdacht standen. Dagegen galten Tätigkeiten, die ihren Wert in sich hatten, die nur um ihrer selbst willen ausgeführt wurden, als nobel. Das höchste Gut war die Erkenntnis, und der Weg dorthin führte über theoretisches Terrain. Mit dieser Überzeugung räumt Janich auf, er beklagt die fehlende Einsicht „in die Bedeutung und die Logik des Handwerks“ und identifiziert als Hauptschuldigen der Misere das Mundwerk, also „die Sprache und die sprachlichen oder sprachabhängigen Kulturleistungen des Menschen“.
Janich versteht sich als Vertreter des methodischen Kulturalismus, einer Philosophie, die sich gegen die Kurzschlüsse des Naturalismus richtet und davon ausgeht, dass nicht Theorien, sondern menschliche Handlungen die Grundlagen wissenschaftlicher Forschung liefern. Auf Zweckrationalität kommt es ihm an, nicht auf intellektualistische Distanz zur Welt. Der Mundwerker Janich betreibt seine Sache durchaus emphatisch. Eifrige Janich-Leser werden längst vertraut sein mit seinem Begriff von Handlungsfähigkeit, die immer in menschlichen Gemeinschaften erlernt werden muss. Sie ist nie einfach so da.
  Demnach ist das Vorgehen eines Handwerkers kein zufälliges Naturgeschehen. Es ist, im Gegenteil, eine Kulturleistung, wobei Kultur verstanden wird als die „Tätigkeit des Menschen, die Natur zum Zweck seiner Bedürfnisbefriedigung handwerklich-technisch zu verändern“. Wie das konkret abläuft, erläutert der beflissene Autor zigfach, etwa an der Erfindung und Weiterentwicklung des Rads, aus dem die Seilrolle, das Zahnrad sowie das Schneckengetriebe hervorgingen. Aber auch das ist bereits ein alter Janich-Hut, der so schon im Buch „Kultur und Methode“ (2006) auftaucht.
  Janich zelebriert einen Parforceritt durch fünf wissenschaftliche Disziplinen und zeigt, dass sie ohne das Handwerk gegenstandslos wären: Die Geometrie braucht die Herstellung räumlicher Formen an Körpern, die Physik die Fertigung von Geräten, mit denen sich experimentieren lässt, die Chemie ist auf die Behandlung von Stoffen angewiesen, die Lebenswissenschaften auf das Können von Tierzüchtern oder Medizintechnikern, die Informationswissenschaften gäbe es nicht ohne Techniken zur Datenverarbeitung oder Signalübertragung.
  Problematisch wird die stets präzise Argumentation, sobald mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Im Abschnitt, der klären soll, ob Physik nun ein handwerkliches Experiment oder eine mundwerkliche Weltbildkonstruktion ist, geht es unter anderem um das Newtonsche Gravitationsgesetz, „wonach sich zwei Massen mit einer Kraft anziehen, die dem Produkt der beiden Massen proportional und dem Quadrat des Abstandes der beiden Massen (genauer ihrer Schwerpunkte mit der Unterstellung homogener Dichte) umgekehrt proportional ist“. Solchen Satzungetümen muss der Leser gewachsen sein, andernfalls wird die Lektüre ein zähes Unterfangen.
  Abgesehen davon sind die Ausführungen häufig von zwingender Stringenz. Es wird verständlich, wie wichtig eine Rehabilitation des Handwerks ist – nicht nur für die Debatten in geisteswissenschaftlichen Kolloquien, sondern auch für die bildungspolitische Wirklichkeit.
KAI SPANKE
  
  
  
  
Peter Janich: Handwerk und Mundwerk. Über das Herstellen von Wissen. Verlag C. H. Beck, München 2015. 372 Seiten, 29,95 Euro.
E-Book: 24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2015

Gott und die Geometer
Zwei ganz unterschiedliche Auseinandersetzungen mit naturalistischer Weltdeutung

Hinter seinem eigenen Rücken Aufstellung zu nehmen ist keine einfache Aufgabe. Obwohl auf sie hinausläuft, wozu eine immer besser gelingende wissenschaftliche Bekanntschaft mit uns selbst als Naturwesen manchmal verführt, nämlich uns schlicht als solche Naturwesen anzusehen, als Teil einer Geschichte des Lebens und unter Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Welt stehend, die wir - auf verschiedenen Skalen - wissenschaftlich ganz gut heraushaben. So gut, dass wir uns die Welt unter diesen Auspizien oft als einen großen gesetzmäßigen Zusammenhang vorstellen, mit physikalischer Standardtheorie zuunterst - und dann vor der Frage stehen, wie wir selbst in dieses Bild eigentlich hineinpassen als verantwortliche, hin und wieder vernünftige, auch Wissenschaft betreibende Akteure.

Damit ist die Frage aufgeworfen, ob im Rahmen einer naturalistischen Weltdeutung eigentlich erklärt werden kann, dass wir auf ebendiese Deutung kommen. Die Antwort lässt sich knapp geben: einstweilen jedenfalls nicht. Was hartgesottene Naturalisten nicht anficht, während manche ihrer Kritiker meinen - unlängst etwa mit Aplomb Thomas Nagel -, dass wir offensichtlich eine andere, komplettere Naturwissenschaft brauchen, die uns auch erklärt, wie wir selbst als bewusste Subjekte mit irreduzibler Ich-Perspektive auf die Welt ins Spiel kommen.

Aber bei diesem Typ von Debatte haben beide Seiten meist schon bestimmte Vorstellungen von Wissenschaft unterschrieben und keine, die auf der Hand liegen. Weshalb eine andere Version, naturalistische Tendenzen anzugehen, darin besteht, sich genauer anzusehen, wie in den Wissenschaften eigentlich verfahren wird, die die theoretischen Ambitionen auf das Ganze nähren; wie also etwa in Physik und Lebenswissenschaften tatsächlich Wissen hergestellt wird. Die moderne Wissenschaftsforschung verfährt dabei meist deskriptiv, bis in übersehene Laborecken. Dass man das Projekt auch mit einer deutlichen normativen Komponente verfolgen kann, ohne sich gleich zum Ordnungshüter auf wissenschaftlichem Feld aufzuwerfen, führt seit langem schon der Wissenschaftsphilosoph Peter Janich vor. An den Konstruktivismus Erlanger Schule und die "Protophysik" denkt man bei Janich, aber auch an neuere Einreden gegen weltanschauliche Ambitionen von Neurowissenschaften und Biologie. Nun hat Janich ein Buch vorgelegt, das seine pragmatisch-rekonstruktive Betrachtung von Wissenschaft auf breiter Front vor Augen führt.

Der Titel "Handwerk und Mundwerk" verweist dabei auf das Programm. Handwerk steht für die Verankerung in der Praxis und im Herstellen von Instrumenten und Technologien, ohne die Wissensproduktionen weder in Gang kämen noch blieben - ob nun in der Physik, den Lebenswissenschaften oder der seltener behandelten Chemie. Aus dieser Perspektive ist schon einmal hinreichend klargestellt, dass es dabei immer um Eingriffe, um Tatsachen im Wortsinn geht, nicht einfach um Diktate "der" Natur. Vor allem aber steckt für Janich im Handwerk dieser Eingriffe eine solide Erdung der über sie geführten und mit ihnen gewonnenen theoretischen Reden, des "Mundwerks".

Solide deshalb, weil das zuletzt handgemeine Herstellen gar nicht in tiefe Verwirrung geraten kann, ohne auf eklatante Weise fehlzuschlagen, während sich die theoretische Rede ohne weiteres verselbständigen und die Ermöglichung ihrer Einsichten vergessen kann. Sie an diese Ermöglichung zu erinnern ist der Kern von Janichs therapeutischer Behandlung der Versuchung, uns als Präparatoren einer Natur auszublenden, der im Gegenzug tendenziell alles aufs Konto geschrieben wird. Die Therapie setzt tief an, weshalb Janich nicht mit der Physik beginnt, sondern mit Euklids Geometrie, deren jahrhundertelang unangetastete Leitfunktion auch bedeutete, dass pragmatische Bodenhaftung schnell verlorenging.

Leicht macht es Janich seinen Lesern nicht immer, von denen wohl einige bereits bei der Geometrie ins Schlingern geraten werden. Und die eingestreuten harschen Kommentare zu neuerer Wissenschaftsforschung und deren Interesse an Experiment und Labor werden den einen zu beiläufig und gekränkt anmuten und den anderen kaum ein Licht aufstecken.

Janichs Verfahren ist unter anderem eine Variante, naturalistische Höhenflüge zu ernüchtern. Natürlich lässt sich da auch ganz anders verfahren, wie es etwa der Berliner Wissenschaftstheoretiker Holm Tetens in einem schmalen Bändchen vorführt. Tetens nimmt sich den strikten Naturalismus als offensichtliche metaphysische Behauptung vor und zeigt bündig, wo sie an ihre Grenzen stößt. Aber das ist nur der Auftakt, um dagegen eine keineswegs schlechter begründete Position zu stellen, in der die Welt und wir Hervorbringungen Gottes sind. Und nicht nur eines Gottes der Philosophen, der bloß für die Schöpfungsallmacht einsteht, sondern eines gütigen Gottes, dem es um die Erlösung der Menschen geht.

Einen solchen "Versuch über rationale Theologie" werden religiös bewegte Leser anders ansehen als religiös harthörige - was gar nicht heißen muss, dass ihm Erstere gewogener sein müssen. Aber in jedem Fall ist er doch eine exzellente philosophische Lockerungsübung, die zudem das Diktum von Jorge Luis Borges bewährt, dass neben der Mathematik nur noch die Theologie als exakte Wissenschaft gelten kann. Und wie immer man einzelne Schritte des Traktats auch ansieht: Schnörkelloser und knapper kann man eigentlich gar nicht den Übergang machen von naturalistischen Glaubensbekenntnissen à la mode zu spekulativen Sätzen, die man nicht verlorengeben muss. Disziplinierte Metaphysik ist eben zu üben, unabsichtliche unterläuft ohnehin dauernd. Und dass dieses Bändchen in einer Reihe mit dem Titel "Was bedeutet das alles?" erscheint, ist nur angemessen.

HELMUT MAYER

Peter Janich: "Handwerk und Mundwerk". Über das Herstellen von Wissen.

C. H. Beck Verlag, München 2015. 372 S., geb., 29,95 [Euro].

Holm Tetens: "Gott denken". Ein Versuch über rationale Theologie. Reclam Verlag, Stuttgart 2015. 95 S., br., 5,- [Euro].

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"Das Buch (...) führt interessierte Leser tief in die Wissenschaftsphilosophie ein und beleuchtet das komplexe kulturgeschichtliche Zusammenspiel von Wissenschaft und Technik, Theorie und Praxis."
Martin Schneider, spektrum.de, 1. Mai 2015