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Goethe war kein Freund der Französischen Revolution. Er nannte sie "das schrecklichste aller Ereignisse" und erklärte: "Ihre Greuel standen mir zu nahe." Gustav Seibts fulminante Untersuchung zeigt, wie wörtlich das zu verstehen ist, und führt uns mitten hinein in die Belagerung von Mainz 1793, die Goethe als Augenzeuge und als Handelnder miterlebte.Nach "Goethe und Napoleon" widmet sich Gustav Seibt nun in einem weiteren ebenso eleganten wie klugen Buch der Revolutionserfahrung Goethes. Was hat sich im Juli 1793 wirklich abgespielt? Warum mündete die Mainzer Republik in Wochen des…mehr

Produktbeschreibung
Goethe war kein Freund der Französischen Revolution. Er nannte sie "das schrecklichste aller Ereignisse" und erklärte: "Ihre Greuel standen mir zu nahe." Gustav Seibts fulminante Untersuchung zeigt, wie wörtlich das zu verstehen ist, und führt uns mitten hinein in die Belagerung von Mainz 1793, die Goethe als Augenzeuge und als Handelnder miterlebte.Nach "Goethe und Napoleon" widmet sich Gustav Seibt nun in einem weiteren ebenso eleganten wie klugen Buch der Revolutionserfahrung Goethes. Was hat sich im Juli 1793 wirklich abgespielt? Warum mündete die Mainzer Republik in Wochen des Bürgerkriegs und reaktionären Terror? Welche Rolle hat Goethe in diesen verstörenden Ereignissen gespielt und wie hat er sie gedeutet? All diesen Fragen geht Seibt immer nah an den Quellen nach und beleuchtet dabei nicht nur Goethes Haltung zum wichtigsten Umbruch seiner Epoche neu, sondern wirft auch ein ungewohntes Licht auf eine fatale Weichenstellung in der deutschen Geschichte - Deutschlands Abwendung von den Idealen der Französischen Revolution. Seibts Buch ist eine grandiose Erzählung von Terror und Wut und dem Versuch, den Kreislauf der Gewalt zu unterbrechen.
Autorenporträt
Gustav Seibt ist einer der angesehensten deutschen Feuilletonisten. Nach Stationen bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der "Berliner Zeitung" und der "Zeit" schreibt er seit 2001 für die "Süddeutsche Zeitung". Für seine Arbeiten wurde er u. a. mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, dem Literaturpreis der Friedrich-Schiedel-Stiftung und dem Hildegardvon-Bingen-Preis für Publizistik ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2014

VON SZ-AUTOREN
Am Wendepunkt
Gustav Seibt über den politischen
Goethe und die Revolution
Es liege nun einmal in seiner Natur, er wolle lieber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen – wer diesen berüchtigten Satz Goethes verstehen will, muss alle Hintergründe ausleuchten, in die sein Urheber ihn gestellt hat. Das unternimmt Gustav Seibt, Autor im Feuilleton der SZ, in einer Studie, die Goethes Verhältnis zur Französischen Revolution insgesamt in den Blick nimmt. Dabei geht es nicht nur um Meinungen und Dichtungen, sondern vor allem um die persönlichen Erfahrungen, die Goethe mit dem „schrecklichsten aller Ereignisse“ machte, als Augenzeuge und Mithandelnder.
  Goethe war dabei, als der erste Versuch des französischen Revolutionsexports nach Deutschland, die Jakobiner-Republik von Mainz, in einer Belagerung und in Szenen von Menschenjagd abgewickelt wurde. Was ist hier wirklich vorgefallen? Warum scheiterte der erste Demokratie-Versuch in Deutschland so grausam? Und was war Goethes Rolle dabei? Das sind Fragen, die nicht nur zum politischen Goethe, sondern auch an einen Wendepunkt der deutschen Geschichte führen.
SZ
Gustav Seibt: Mit einer Art von Wut. Goethe in der Revolution. Verlag C.H. Beck, München 2014. 248 Seiten, Abb., 19,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Goethes Ausspruch, wonach er "lieber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen" wolle, wird gerne zitiert, weiß Alexander Honold, leider allerdings allzu oft ohne die "brodelnde Schlacke seiner Entstehung" zu bedenken, erfährt der Rezensent in Gustav Seibts Studie "Mit einer Art von Wut". Auf die führt der Autor in seinem Buch zurück, in gewohnter Manier auf eine singuläre Szene zugespitzt, erklärt Honold: ein Lynchmob will in Mainz einen Clubbisten, einen Kollaborateur der französischen Revolutionäre, totschlagen, was Goethe, so die Geschichte, zum einschreiten bewegte, weil er die Sache der Konterrevolutionäre durch willkürliche Gewaltanwendung gefährdet sah, fasst der Rezensent zusammen. Seibt beschreibt ausführlich Goethes Verhältnis zur Revolution anhand dieser Szene, wozu er zahlreiche Passagen aus dem Werk heranzieht, die ein wesentlich komplexeres Bild zeichnen als der isolierte Ausspruch glauben machen mag, so Honold.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2015

Ein erkalteter Klassiker und die Hitze seiner Entstehung
Mainz bleibt Mainz, aber wie hielt er's mit der Revolution? Gustav Seibt fragt, ob Goethe wirklich als Gewährsmann für Law and Order taugt

"Es ging nicht gütlich ab" - in diese dürren Worte fasst Mephisto das Ergebnis einer von Faust bestellten Vertreibungsaktion. Philemon und Baucis, jenes rührend alte Paar aus glücklichen Zeiten, hatte von seinem idyllischen Gütchen weichen müssen, weil Faust im Schlussakt des zweiten Tragödienteils ein Unternehmen der Landgewinnung großen Stils befehligte und ausgerechnet auf ihren Wohnsitz Anspruch erhob. Die beiden Alten überlebten den Raub nicht, ihre Hütte ging in Flammen auf. Mit sanftem Druck und klaren Worten, so gesteht Mephisto hinterher, sei da leider nichts auszurichten gewesen. Faust wendet sich mit Grausen vom eigenen Wollen und der fremden Tat. Ihm, der durch sein Wegschauen nochmals schuldig wurde, bleibt nur der Weg in die Erblindung. Wie ein Schock durchschlägt die mörderische Gewalt gegen Schutzlose, selbst wenn sie nur durch Botenbericht eingefangen ist, den weitgespannten Bogen des Dramas.

Es gibt, so bemerkt Gustav Seibt in seiner vielbeachteten Goethe-Studie, im weitläufigen Werk des Dichters wohl nur eine Situation, die in ihrer Brutalität dem Furor der späten Philemon-und-Baucis-Szene zur Seite gestellt werden kann. Dabei handelt es sich um eine Begebenheit der Realhistorie, die für das Nachbild Goethes von erheblicher Wirkung war. In den Wirren der Koalitionskriege von 1792 und 1793 wurde Goethe zum Augenzeugen militärischer und handgreiflicher Gewalt. Gerade die Städte und Landstriche am Mittelrhein, in seiner vertrauten Heimatregion, wechselten damals binnen kurzer Zeit mehrfach ihre Besatzung. Die Bevölkerung hatte, wenn es glimpflich kam, Beschlagnahme und soldatische Einquartierung zu erdulden, in schlimmeren Fällen politische Repression, willkürliche Strafaktionen oder die sofortige Vertreibung. So hartnäckig sich das Jakobinertum in Frankreich selbst zu behaupten vermochte, so fragil erwies sich das Experiment seines Exports auf deutschen Boden.

Gemeinhin gilt Goethe als konsequenter Verächter der neufränkischen Menschheitspläne; zum faktischen Gegner der Revolution wurde er, seit sie auf deutsche Lande überzugreifen drohte. Dieser schmale Band über Goethes Wirken "in der Revolution" bringt an dem vertrauten Bild wichtige Korrekturen an. Wieder bündelt Seibt, wie schon für seine Darstellung der Begegnung Goethes mit Napoleon, die großen geschichtlichen Linien ins Brennglas einer singulären Szene. Es geht dabei um eine Episode bei der Rückeroberung der Stadt Mainz, die über ein Dreivierteljahr von der französischen Revolutionsarmee gehalten worden war.

Zusammen mit Speyer, Worms und den umliegenden Landstrichen war das besetzte Mainz von den Franzosen zur ersten deutschen Republik erkoren worden, freilich im Schatten der Galgen und Bajonette. Während der Wiedereinnahme der Stadt durch die Koalitionstruppen, an deren Feldzug im Tross des Weimarer Herzogs Carl August auch Goethe teilnahm, ging es tatsächlich "nicht gütlich ab". An den Ausfallstraßen, die den weichenden Besatzern zum Abzug eröffnet worden waren, brachen sich aufgestaute Aggressionen Bahn. Es kam zu wütenden Übergriffen, spontanen "Jagdszenen" und Racheaktionen rückströmender Einwohner gegen solche Mainzer Bürger, die sich während der Fremdherrschaft den Franzosen angeschlossen und ihren Eid auf die Ideale der Revolution geleistet hatten.

Zu den Unterstützern der neuen Administration gehörten unter anderen der Weltreisende Georg Forster, die Theologen Böhmer und Dorsch, der Mathematiker Mathias Metternich, überhaupt viele Beamte und Professoren. Als vermeintliche Verräter und innere Feinde zogen sich diese nach den Jakobiner-Clubs genannten "Clubbisten", welche in Mainz für einige Monate die Sache einer deutschen Republik propagieren durften, die schier unbändige Wut ihrer eigenen Landsleute zu. Denn Letztere, die mit dem Vordringen der Franzosen aus ihren Häusern und Besitzungen vertrieben worden waren, sahen nun durch die neuerliche Wendung des Kriegsglücks den Tag der ersehnten Abrechnung gekommen.

Zwischen den Dagebliebenen, die unter republikanischer Besatzung mehr oder minder freiwillig zu Amtsträgern geworden waren, und den "Exportierten", wie man die aus den französischen Eroberungen Vertriebenen nannte, brach im Juli 1793 ein mit kruder Gewalt geführter "bürgerlicher Krieg" aus, als die militärische Rückgewinnung von Mainz durch preußische und österreichische Kräfte eigentlich schon vollzogen war. Man entdeckte im Defilee der Geschlagenen notorische "Clubbisten", zog sie unter Packwagen und aus Kutschen heraus, um sie auf dem nächsten Acker halbtot zu prügeln. Ob die deutschen Kollaborateure der Revolution von Rechts wegen auf Amnestie hoffen durften oder eine Anklage wegen Hochverrats zu befürchten hatten, blieb trotz langwieriger Verhandlungen unklar; in diese Regelungslücke hinein entlud sich in jenen Tagen ein bis dahin ungekannter Gewaltstau.

Und Goethe? Als er einen jener vom Volkszorn Geschundenen auf der Wache aufsuchen wollte, verwehrte es ihm der preußische Offizier mit der dringenden Empfehlung, den Blick lieber nicht "diesem traurigsten und ekelhaftesten aller Schauspiele" zuzuwenden. So steht es in der "Belagerung von Maynz", mit der Goethe im Jahr 1820 seinen Bericht über den Frankreich-Feldzug beendet. Anders als sein zaudernder Faust hielt Goethe seinerzeit die Augen nicht verschlossen. Er konnte im Laufe des Feldzugs mit seinem Weimarer Dienstherrn das "Chausseehaus" in dem Vorort Marienborn beziehen und somit das Zeitgeschehen aus bester Beobachterwarte verfolgen. Die in der "Belagerung" geschilderten Szenen bilden nach Einschätzung Seibts "die krassesten Darstellungen körperlicher Gewalt" in Goethes Werk überhaupt.

Dennoch wurde gerade der Goethe der Revolutionszeit immer wieder als Lieferant reaktionärer Parolen beansprucht, als Gewährsmann für law and order um jeden Preis. So führt etwa Thomas Mann zur ideologisch angespannten Zeit der "Betrachtungen eines Unpolitischen" seinen Goethe als denjenigen ins Feld, "der zu sagen wagte, dass er lieber eine Ungerechtigkeit als eine Unordnung dulden wolle". Angespielt ist damit auf ein einschlägiges Goethe-Diktum, das sich eines weiten Verbreitungsgrades erfreut, dessen Gebrauch aber selten vom nötigen Hintergrundwissen begleitet ist. Gustav Seibts Studie zu Goethes Haltung in der Mainzer Belagerung zielt letztlich auf ein revidiertes Verständnis dieses einen Satzes.

Am Tage jenes denkwürdigen Ausspruches - vertraut man der späteren Darstellung Goethes - sei die pogromartige Stimmung vor dem Logis des Herzogs eskaliert, indem eine tobende Menge sich mit dem Ausruf "schlagt ihn todt!" auf einen der abziehenden Clubbisten geworfen habe. Nur durch das kurzentschlossene Eingreifen Goethes, der seinen Beobachterposten verließ, auf den Vorplatz trat und "mit gebietender Stimme" Einhalt gebot, konnte ein akuter Fall von "Selbstrache" verhindert werden. Zur Rede gestellt, warum er zugunsten eines mutmaßlichen Franzosen-Günstlings eingegriffen habe, will Goethe nach eigenen Angaben "scherzhaft auf den reinen Platz vor dem Hause" gedeutet und die Worte gesprochen haben: "Es liegt nun einmal in meiner Natur, ich will lieber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen."

Lieber ungerecht als unordentlich: Die einprägsame Formel wurde annähernd so berühmt wie Goethes Aperçu über die Kanonade von Valmy als dem Beginn einer neuen Epoche. Wie jenes wurde sie wohl ebenfalls erst im Nachhinein geprägt und hat stark verklärende Züge. Wahrscheinlich sogar, dass die Anekdote von Goethes Eingreifen vollständig erfunden ist, weil sich so gar keine Bestätigung durch die Berichte Dritter auftreiben lässt (die ansonsten jede Kleinigkeit registrieren) und ihr auch Goethes unmittelbare Äußerungen von der Belagerungsfront widersprechen. Im Eifer des Gefechts nämlich hatte Goethe als Parteigänger der konterrevolutionären Truppen die Pöbeljustiz noch gutgeheißen: "Der Modus daß man die Sache gleichsam dem Zufall überließ und die Gefangennehmung von unten heraus bewirckte, deucht mich gut", befand er am 27. Juli 1793. Erst rückblickend meldet sich Skepsis, möglicherweise auch das Erschrecken darüber, wie er sich von der umlaufenden Wut so sehr hatte anstecken lassen.

Aber was besagt denn die Maxime, lieber Ungerechtigkeit als Unordnung dulden zu wollen, fragt Seibt. War es etwa ungerecht, den "Clubbisten" das zugestandene freie Geleit auch gegen den aufschäumenden Volkszorn zu gewähren? Wesentlich für Goethes Selbstkorrektur ist Seibt zufolge die Einsicht, dass die Bekämpfung der Revolution ihrerseits in den Strudel eines fortgesetzten Schreckens zu sinken drohte, wenn erst "das Gewaltmonopol außer Kraft gesetzt" war. Hier musste schon das bloße Zuschauen mitschuldig machen, mehr noch die unbedacht geäußerte emotionale Zustimmung. Gleicht es nicht einem Exorzismus in eigener Sache, wenn Goethe an die Stelle des früheren Gutdünkens nachträglich einen mustergültigen Akt von Zivilcourage setzt?

Schon das den Zeitumständen abgewonnene literarische Werk hatte, genau besehen, nicht gerade mit antifranzösischer Militanz sympathisiert. In den knappen Dramen "Der Bürgergeneral" und "Die Aufgeregten" karikiert Goethe egoistische Motive und politisches Unvermögen, ohne das Beharren auf sozialer Gerechtigkeit zu diskreditieren. Das Versepos "Hermann und Dorothea" und der Novellenzyklus "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" liefern ein differenziertes Bild, in dem sowohl Parteigänger wie Gegner der Revolution zu Wort kommen. Nirgends rückt Goethe näher an das Geschehen heran als in der Rahmensituation der "Ausgewanderten", die jener von Boccaccios Pest-Flüchtlingen im "Decamerone" nachgestaltet ist. Indem Seibt eindringlich die Lokalisierung des Geschehens betont, das bei Goethe vis-à-vis der Belagerungskämpfe auf der anderen Rheinseite spielt, versetzt er ein erkaltetes Klassikerwerk zurück in die brodelnde Schlacke seiner Entstehung.

Das Kernstück von Seibts mikrohistorischer Nachzeichnung stellt die unerhörte Begebenheit einer durch den eingreifenden Dichter verhinderten Lynchjustiz dar. Verfolgt man die in dieser Anekdote geschürzten Fäden in ihren geschichtlichen Kontext zurück, in jene Tage der rückeroberten Mainzer Republik, so wird klar, dass Goethes Diktum über die Unordnung nicht zur Scharfmacherei taugt, ganz im Gegenteil. Was verschlägt es da, wenn sich die Begebenheit dem quellenkritischen Auge als mutmaßliche Fiktion erweist? So ist am Ende Goethe selbst als Protagonist einer Kriegsnovelle zu entdecken, die sein scharfsinniger Interpret aus dem Trümmerschutt der Entsetzung von Mainz herauszuschälen verstand.

ALEXANDER HONOLD

Gustav Seibt: "Mit einer Art von Wut". Goethe in der Revolution.

C. H. Beck Verlag, München 2014. 248 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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