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Das neue Buch des Bachmann-Preisträgers
"Er schloss die Augen, atmete kurz und heftig aus, tief ein und machte einen Schritt nach vorn." Eine kleine Stadt in den Achtzigerjahren, Schüler in einer Stimmung zwischen Angst und Erwartung, Angst vor Atomraketen, gegen die sie auf große Friedensdemos ziehen, und Erwartung, was ihre Zukunft, die Liebe, den Aufbruch ins Leben anbelangt. Der achtzehnjährige Jan, die Hauptfigur in Thomas Langs Roman, bewundert seine ältere Schwester An, die sich zur Fotografin ausbilden lässt, und liebt seine exotische Mitschülerin Kiku, der er Briefe schreibt und…mehr

Produktbeschreibung
Das neue Buch des Bachmann-Preisträgers

"Er schloss die Augen, atmete kurz und heftig aus, tief ein und machte einen Schritt nach vorn."
Eine kleine Stadt in den Achtzigerjahren, Schüler in einer Stimmung zwischen Angst und Erwartung, Angst vor Atomraketen, gegen die sie auf große Friedensdemos ziehen, und Erwartung, was ihre Zukunft, die Liebe, den Aufbruch ins Leben anbelangt. Der achtzehnjährige Jan, die Hauptfigur in Thomas Langs Roman, bewundert seine ältere Schwester An, die sich zur Fotografin ausbilden lässt, und liebt seine exotische Mitschülerin Kiku, der er Briefe schreibt und vor deren Nähe er doch zurückschreckt. Er schreibt und entdeckt die Literatur, aufgeregt, glücklich, geht in die Disco und auf Schülerpartys, redet und streitet, träumt und begehrt, schlägt sich mit seinem Freund Torsten, um sich zu spüren, und lebt doch in einer Art Blase, als müsste er erst noch zur Welt kommen. Da passiert ein Unglück, das sein Leben für immer verändern wird, undJan vollends aus der Bahn zu werfen droht.

Dicht und anschaulich, in präzisen Bildern und mit wunderbarem Feingefühl erzählt Thomas Lang in seinem neuen Roman von Aufbruch und Schmerz, Entdeckung und Verlust, von frühem Tod und unerfüllter Liebe und einer Befreiung, die einfach geschieht.
Autorenporträt
Thomas Lang, geboren 1967 in Nümbrecht (NRW), studierte Literatur in Frankfurt am Main. Seit 1997 lebt er als Autor in München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2010

Verlieren lernen
Provinzjugend in den Achtzigern: Thomas Langs Roman „Bodenlos oder Ein gelbes Mädchen läuft rückwärts”
Die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind eine kaum verstehbare Zeit, vor allem aus heutiger Sicht, in der die damals ahnungslos ihrem Ende entgegen treibende Bundesrepublik gern verklärt wird. Da waren Landschaften noch nicht zum Blühen zu ermuntern, und im eigenen Haus war ohnehin alles besser. Rezessionen waren vergessen, die Stadtreinigung funktionierte sogar im Winter, in Berlin gab es deutlich weniger Touristen und die Mieten stiegen nicht.
Doch je mehr man sich auf einen Roman wie Thomas Langs „Bodenlos” einlässt, der die Erinnerung mit gut realistischem Furor für zeittypische Details und Generalstimmung auffrischt, desto unwirklicher erscheint dieses verlorene Paradies. Dem, der so folgsam wie neugierig durch die der Bestandsaufnahme einer historischen Episode gewidmeten Teile von „Bodenlos” zieht, stellt sich das paradiesische Land eher als verkrampftes, in sich verbissenes, von politischen Konflikten durchzogenes Gelände dar. Vor allem, wenn man, wie Langs Hauptfigur Jan, in der Provinz jung sein musste. Der offenkundig zeitenthobene Mief der deutschen Kleinstadt blieb, betonmodernisiert, überall zu spüren.
Wie in Füchten, knapp zehntausend Einwohner stark, bis auf eine Häuserzeile Nachkriegswerk und also eine wahre Augenweide, für einen halbwegs aufgeweckten Gymnasiasten wie Jan Bodenlos die pure Hölle. Langeweile. Da hilft kaum, dass An, die ältere Schwester, die Schule abgebrochen hat, ausgezogen ist und in ihrem Hochhausappartement die schüchtern benutzte kleine Freiheit lockt. Jan hängt mit seinen siebzehn, noch unerlösten Jahren in den Ferien zuhause rum, träumt vage von Kiku, der Tochter eines japanischen Vaters, das gerüchteweise in seine Klasse kommen soll, schreibt – zu kitschig, um erfunden zu wirken – in der Gartenlaube Gedanken auf.
Einen wesentlichen Teil von Jans materiell komfortablem Elend lokalisiert Lang überzeugend in den Eltern, einem schwer desolaten, gut funktionierenden Paar, besonders aus der Sicht eines Teenagers, der gern positive Gefühle spürte, aber im Zweifelsfall alles tun muss, um sie zu unterbinden. Jan verachtet seine Eltern, vor allem den Vater, der sich, auch aus familiären Gründen, zur Mittelmäßigkeit entschlossen hat, als angestellter Architekt abends von eigenen Entwürfen nur noch träumen kann. Zum Ausgleich hat er Eigenheim und Benz.
Wobei: der gemeinsame 95. Geburtstag von Karin und Rene, so werden die Eltern angesprochen, steht unter etwas besserem Stern als der 85. Karin hat eine Brust weniger, aber der Krebs scheint fürs erste besiegt. Was nichts daran ändert, dass ihr Vater bei der SS war und sie ein Uniform-Foto von ihm bei sich trägt. Schon von daher ist Jan „politisch”. Sehr schön zeigt Lang auf, wie die Vorwende-Zeit sich noch nicht mit der kenntnisarmen Idyllisierung der Ahnen zufrieden gab, sich allerdings auch nicht wirklich auf Einzelschicksale einließ, sondern, aus den Restbeständen der 68er-Bewegung her, mit aufklärerischem Generalverdacht operierte. Je nach Laune oder persönlicher Entwicklung wechselt Langs Provinzjugend zwischen Latzhose, Punker- oder Poppertum, demonstriert gegen Atomkraftwerke und für den Frieden, doch im wesentlichen ist nichts los. Provinz ist noch nicht Fluchtpunkt der Phantasien, sondern ein Ort, den man verlässt. Die letzten großen Ferien, das letzte Schuljahr, sie ziehen sich für Jan ins Unendliche.
Auf dem Zehnmeterbrett
Lang weicht, man muss es sagen, der Langeweile nicht aus, sondern begibt sich, indem er die Distanz zu Jans Perspektive beinahe verschwinden lässt, mitten in ihr Herz. Was vor allem den mittleren Teil des Buchs zu einer anstrengenden Veranstaltung macht. Fast scheint es, als habe Lang manche Kritiken seiner letzten Romane, die ihm Überkomplexität bescheinigten, zu wörtlich genommen. Was als Spurensicherung einer Achtziger-Jahre-Provinzjugend wertbeständig bleiben wird, gibt gedanklich wie dramaturgisch für hunderte von Seiten etwas wenig Spannung her. So ist man als Leser geradezu erleichtert, wenn man sich nicht nur in wohlbekannte Stimmungen einfühlen soll, sondern mehr Fleisch im Topf entdeckt. Es rührt, auch darin dem Erfahrungshorizont einer Pubertät gemäß, nicht von den Liebesträumen her, die der Spätentwickler Jan hegt. Es hat mit jener erstaunlichen Mischung aus körperlichen und gedanklichen Allmachtsphantasien zu tun, die Fünfzehnjährige vor dem Frühstück Gott wegbeweisen lässt, um gleich anschließend auf den höchsten erreichbaren Baum zu klettern.
Schon die Anfangsszene von „Bodenlos”, die Jan mit Freund Torsten auf dem Zehnmeterbrett des Schwimmbads zeigt, schafft es, diesen notorischen Hang zur Selbstüberforderung in seiner ganzen inneren Spannung zu vermitteln. Auch wenn dabei manche Metapher nicht ganz gerade stehen mag: das gehört dazu. Langs Maßstab, denkt man sich, muss nicht der ordentliche sozialrealistische Roman sein, der sich in der Malerei eines öden Milieus verstrickt, das in diesem Fall zu wenig Material abwirft, um Handlung zu ersetzen. Von Langs Fähigkeiten zur stilistischen Verdichtung her, bleibt die Orientierung an sprachlich wie inhaltlich noch heute wagemutigen Jugendbüchern, wie Musils „Törless”, interessanter.
Das soll nicht heißen, dass Jans Geschichte nicht folgerichtig entwickelt wäre. Eine erstaunliche Anzahl von Todesfällen begleitet sein Leben. Wie um zu zeigen, dass Erwachsenwerden nicht „immer mehr”, sondern Abspecken, Reduktion bedeuten kann. Ein Bruder seines Freundes Torsten bringt sich um, der andere Bruder wird getötet, Jans Schwester stirbt nach einem Autounfall, der schwerste Schicksalsschlag. Individualität, so Lang, erwächst aus Menschenverlieren lernen. Jan, schon länger Camus-Liebhaber, hat einige Lektionen in Kargheit zu absolvieren. HANS-PETER KUNISCH
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dem Rätsel der 80er Jahre kommt Hans-Peter Kunisch mit dieser Lektüre etwas näher. Allerdings führen ihn die zeittypischen Details in Thomas Langs Roman eher in den Mief der Provinz, in ein verkrampftes Land, nicht in das verlorene Paradies, in dem die Mieten konstant blieben und die Stadtreinigung sogar im Winter funktionierte. Der noch unerlöste 17-jährige Held bewegt sich in der "puren Hölle", vieles, was Kunisch liest, ist "zu kitschig, um erfunden zu wirken". Die Vorwendezeit mit ihren Restbeständen der 68er sowie die inneren Spannungen einer späten Pubertät zeichnet Lang jedoch laut Kunisch immer wieder auch überzeugend. Bleibt dem Rezensenten noch, kritisch anzumerken, dass das Eindampfen der Distanz zu seinem Helden den Autor (und vor allem den Leser) manchmal in Gefahr bringt, im Herz der Langeweile zu versauern.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2010

Die unerträgliche Seltsamkeit des Raumes

Die Besten sterben jungfräulich: In seinem bislang gewichtigsten Roman rekonstruiert Thomas Lang die Jugend der Achtziger ohne jede Nostalgie und findet im Innersten seiner Generation eine tiefe Sehnsucht nach dem Jenseits.

Bodenkontrolle an Major Jan: "Wollen Sie das Projekt denn so zerstören?" Doch - er kann nichts hören. Er schwebt weiter ... Das glücksanaloge Fluidum, in welches bereits der Raumfahrer von David Bowies "Space Oddity" abgeglitten ist, bildet eines der Leitmotive von Thomas Langs neuem, beeindruckendem Roman "Bodenlos". Gleich fünfmal hintereinander lässt sein schwermütiger Held, der ohne Netz auf dem schmalen Grat zwischen Pubertät und Erwachsenendasein balancierende Jan Bodenlos, Major Tom entrückt davonschweben, allerdings in der ätherisch unerlösten Schlagerversion Peter Schillings aus dem Jahre 1983. Spät erst fällt dem Jungen Bowies Original in die Hände und damit ein Stück gelingende Weltflucht. Schließlich verlässt Major Tom hier, 1969, die Kapsel und findet sich seltsam wabernd unter funkelnden Sternen wieder, ist die Melancholie nicht ins Kosmische übersteigert wie bei Schilling, sondern überwunden. Mit der Traurigkeit der Erde hat dieser Entkommene nichts mehr zu schaffen: "Planet Earth is blue and there's nothing I can do."

Thomas Lang hat erneut ein Generationenporträt als konkrete Mentalitätsgeschichte vorgelegt: Wieder geht es um die eigene Generation des 1967 geborenen Autors, doch diesmal ist es ein panoramatisch angelegter, komplexer Rückblick. Bereits in den beiden vorangegangenen Büchern Langs stand diese gedemütigte, isolierte, nihilistische Generation im Mittelpunkt. Die Entfremdung von den Eltern thematisierte der Roman "Am Seil" (2006), in dem sich der sterbewillige Bert und sein am Leben zerbrochener Sohn Gert unter Maßgabe des Endes wieder annähern. "Unter Paaren" (2007) rechnete auf sehr direkte Weise mit den hohlen Lebensträumen derer ab, die ihre Jugend in den achtziger Jahren verschwendet haben. Den Unernst der Spaßgeneration will der Autor nicht als heiteres Lebenselixier verstanden wissen, sondern als das genaue Gegenteil: als allzu teuer erkaufte Überlebensstrategie. Unerbittlich, minutiös und mitunter auf Kosten des narrativen Flusses breitet Lang in seinen Texten das Gequälte, das Selbstquälerische und schließlich Fremdquälerische im Leben der heute über Vierzigjährigen aus.

Das neue, deutlich voluminösere Buch setzt diese äußerst thetische, aber auch literarisch gekonnt umgesetzte und 2005 mit dem Bachmann-Preis prämierte Erzählstrategie nicht nur fort, sondern führt sie auf einen neuen Höhepunkt. Jetzt erst nähern wir uns - im Krebsgang - dem eigentlichen Grundtrauma. Nicht der Vater-Sohn-Konflikt, auch nicht der sich in Ellenbogenmentalität übersetzende Radikalindividualismus nämlich stellt für Lang eine zufriedenstellende Erklärung der Absonderlichkeiten dieser so wenig in sich ruhenden Generation dar: Die ist vielmehr, so legt "Bodenlos" nahe, in den endlosen, als Endzeit wahrgenommenen achtziger Jahren zu suchen, in der Internalisierung des Kalten Kriegs.

Nach der Zerteilung des Raumes, im Bewusstsein des lediglich aufgeschobenen Endkampfs zwischen den Blöcken und in Erwartung der Umweltapokalypse hat sich eine morbide Langeweile herausgebildet. Streift die anästhesierte Jugend einmal ein Rest von Lebensübermut, macht er im nächsten Moment wieder dem Pathologischen Platz. "Im Übrigen stellte sich bei ihm wie bei den meisten anderen die alte Lähmung wieder ein." Wer in den Achtzigern in Westdeutschland aufgewachsen ist, der weiß: So fühlte es sich wirklich an. Ein wenig lustiger oft, manchmal ist es das auch bei Lang, aber immer wieder auch gelähmt, wattiert, in Luftpolster verpackt wie eine zurückgehende Remittende.

Vielleicht war der Bruch zwischen den Generationen hier sogar tiefer als im Jahrzehnt zuvor, als Kinder erstmals koordiniert gegen ihre Eltern aufbegehrten. Damals war es immerhin noch Kampf, ein Drittes also, das beide Seiten einte. Jetzt war es totaler Rückzug: Zwei einander unverständliche Sphären existierten nebeneinanderher, Kinder und Eltern, zwei Blöcke. Punk, New Wave, Gothic, Null Bock, Bahnhof Zoo, das waren nur die markanten Stilisierungen einer viel tiefer verwurzelten Verweigerungshaltung. Anerkennung war allenfalls so zu erlangen: "Kiku fehlte in der ersten Zeit viel. Es hieß, dass sie schon zum Schuldirektor zitiert worden sei. Auf diese Weise verschaffte sie sich unter den Mitschülern schnell Respekt." Thomas Lang hat diesem würgenden Gefühl einer übermächtigen Ausweglosigkeit nun ein Denkmal gesetzt, das ohne jede Generation-Golf-Nostalgie auskommt.

Formal wirkt der Roman ambitioniert, aber nicht überdreht. Zweimal wird in Rückwärtsschleifen erzählt, was eher die Bedeutungslosigkeit der Chronologie demonstriert denn ihre Außerkraftsetzung. Obwohl "Bodenlos" als exemplarische Geschichte auf Archetypisches abhebt, funktioniert die Geschichte auch als rein literarische. Man mag unter Ausblendung des Überbaus jedoch einige Passagen etwas handlungsarm, einige Figuren etwas blass finden. Der Held und Kristallisationspunkt vieler gerne zielloser Erzählschleifen, Jan, ist ein durchaus sympathischer, schüchterner Teenager. Er wohnt im fiktiven, tristen Füchten bei Köln. Wir überblicken aus nächste Nähe seinen Alltag, das Herumhängen mit Schulfreunden, die ihm fremd anmutende Welt seiner Eltern. Schmerz, Lust und Lebensüberdruss verarbeitet Jan in lyrisch-kitschig kalauernden Tagebucheinträgen, die tatsächlich von einem Teenager stammen könnten.

Achtziger-Couleur verleiht Lang seiner Handlung nur hier und da durch nostalgische Schlüsselwörter wie "Bildschirmtext", "saurer Regen" oder "Raucherschulhof", ansonsten eher durch die bedrückende Kulisse aus eternitverschalten Wohnwürfeln und schäbigen kunstschiefervernagelten Tiefgaragen. Das Scheitern ist hier allgegenwärtig. Ausführlich wird etwa von den Proben zu einem politisierten Theaterstück erzählt, das schließlich doch nicht zustande kommt. Aufrührerische Gedanken kursieren unter den Schülern, ein Reflex auf die hyperaktiven, gemeinschaftlichen Siebziger, aber dann rafft man sich nicht einmal zu der erwartungsvoll thematisierten Friedensdemonstration auf. Längere Zeiträume überdauert keine der Freundschaften, um so mehr dagegen die unerfüllte Sehnsucht, ein ins Unendliche sich erstreckendes Verlangen.

Im Falle des sexuell unerfahrenen Jan richtet es sich auf zwei Frauen, doch muss er in beiden Fällen mit deren Verlust zu leben lernen. Zunächst ist da die begehrte Mitschülerin Kiku, mit der er eines der wenigen persönlich-intimen Gespräche seines Lebens geführt hat. Noch Jahre wartet er vergeblich darauf, von ihr erlöst zu werden. Daneben konzentriert sich Jans Liebe halb verboten auf seine Schwester An: Leider hat Lang eine Vorliebe für diese Namensspiele wie schon bei Bert und Gert; auch der Name "Bodenlos" ist stilistisch natürlich eine bodenlose Frechheit. Die orientierungslose An begreift sich als Künstlerin und vermag für - allerdings stets schnell scheiternde - Momente der provinziellen Enge des Kleinstadtlebens zu entkommen, bevor ihr Stern ganz verglüht. Sie kommt bei einem Verkehrsunfall um.

Ans Tod ist nicht der einzige. Mehrere Mitschüler Jans sterben bei Unfällen oder begehen Selbstmord. Vor allem aber durchzieht eine Todessehnsucht den gesamten Roman. Ständig fordert auch Jan den Tod heraus, steckt den Hals zwischen Schiebefenster, lässt den Motor im geschlossenen Raum laufen, lenkt den Wagen mit geschlossenen Augen, weicht aber erschreckt zurück, wenn es brenzlig wird. Trotzdem teilt er nicht nur Kiku mit: "Ich habe oft das Gefühl, dass ich sterben möchte." Nur im wollüstigen Umarmen des Untergangs stellt sich hier eine Art Gemeinschaftsgefühl ein.

Tatsächlich wird ein Manifest verfasst und der Schülerzeitung beigelegt, in dem man den Tod der Selbstmörder feiert: "Wir meinen, dass viel zu wenige abtreten." "Den Entkommenen", so heißt es weiter, "wünschen wir, dass sie mehr werden. Beeilt euch. Bevor die Seitenausgänge verschwinden, euer Leben ausweglos auf das ferne Ziel zuläuft und der Tod müde wird. Wir versprechen euch Licht. Willkommen im Jenseits der Wirklichkeit." Jan wählt ein anderes Jenseits, verweigert auch die Verweigerung - und geht zur Bundeswehr, beginnt zu schreiben, wird erwachsen. Thomas Langs Buch ist leicht zu lesen und schwer zu verdauen.

OLIVER JUNGEN.

Thomas Lang: "Bodenlos. Oder: Ein gelbes Mädchen läuft rückwärts". Roman. C. H. Beck Verlag, München 2010. 461 S., geb., 21,95 [Euro].

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