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Der Dichter der Leidenschaften
Martin Hose, Klassischer Philologe und international renommierter Literaturwissenschaftler, legt eine moderne Darstellung von Leben und Werk des Euripides vor. Die Tragödien dieses bedeutenden griechischen Dichters bewegen in ihrer ungebrochenen Aktualität auch heute noch gleichermaßen Leser und Theaterbesucher. Das Geheimnis ihrer Wirkungsmacht - das Mitgefühl des Euripides für Leid und Verzweiflung von Tätern und Opfern - wird in diesem Band erhellt. Keiner der großen Tragödiendichter der Antike mutet moderner an als der Athener Euripides (5. Jahrhundert v.…mehr

Produktbeschreibung
Der Dichter der Leidenschaften

Martin Hose, Klassischer Philologe und international renommierter Literaturwissenschaftler, legt eine moderne Darstellung von Leben und Werk des Euripides vor. Die Tragödien dieses bedeutenden griechischen Dichters bewegen in ihrer ungebrochenen Aktualität auch heute noch gleichermaßen Leser und Theaterbesucher. Das Geheimnis ihrer Wirkungsmacht - das Mitgefühl des Euripides für Leid und Verzweiflung von Tätern und Opfern - wird in diesem Band erhellt.
Keiner der großen Tragödiendichter der Antike mutet moderner an als der Athener Euripides (5. Jahrhundert v. Chr.). Viele seiner Stücke - darunter Elektra, Hekabe, Iphigenie im Taurerland, Medea und Die Bakchen - sind feste Bestandteile unseres kulturellen Gedächtnisses geworden und erscheinen regelmäßig auf den Theaterspielplänen. Sie konfrontieren uns in ihrer ungebrochenen Aktualität stets aufs neue mit ethischen Grundfragen des menschlichen Lebens. Martin Hose - ein international anerkannter Euripides-Spezialist - stellt hier den antiken Dichter, sein Leben, seine erhaltenen Tragödien sowie - mit dem Kyklops - sein einziges erhaltenes Satyrspiel vor. Er analysiert die Stellung der Dramen des Euripides im politischen und intellektuellen Kontext des klassischen Athen, zeigt ihren Charakter als literarische Versuchsanordnungen, ordnet sie literaturgeschichtlich ein und bestimmt ihr Verhältnis zu jenen der beiden anderen bedeutenden Tragödiendichter Athens - Aischylos und Sophokles. Die Darstellung ist ebenso informativ wie anregend und richtet sich an alle Freunde der griechischen Tragödie.
Autorenporträt
Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2008

Wurde die Freiheit Athens am Skamander verteidigt?

Euripides ist, im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, nicht hölderlinförmig genug. Dabei wird es Zeit, ihn wieder zu lesen. Er belehrt nicht, er beweist nicht, er erweitert unsere Sensibilität, er gibt Zweifelsfragen auf. Martin Hose klärt sie.

Von Kurt Flasch

Das Siegesfest der Griechen stand an. Troja, wo immer es gelegen haben mag, war nach zehn Jahren Krieg gefallen. Seine Männer waren getötet, seine Frauen und Kinder zur Sklaverei in Griechenland verurteilt; sie wurden auf die Sieger verteilt und warteten auf den Abtransport. Die griechischen Schiffe standen zur Abfahrt bereit. Sie sollten Helena als Gefangene zurückbringen. Ihr königlicher Gatte wollte sie in Sparta hinrichten; schließlich hatte die Treulose den Krieg verursacht. Von einem griechischen Dichter, der über diesen Triumphtag ein Theaterstück für sein Publikum in Athen schrieb, konnte man erwarten, dass er den gewonnenen Krieg und die Heimkehr der Flotte bejubelte. Sein Thema war vorgegeben: Dankopfer für die hilfreichen Götter und Einzug der siegreichen Krieger.

Euripides (circa 485 bis 407/406 vor Christus) erfüllte all diese Erwartungen nicht. Seine Tragödie "Die Troerinnen" handelt von der Schlussszene des gewonnenen Krieges, zeigt dieses Siegesfest aber als Katastrophe - kein Preis der Götter, kein Lob der Feldherren, keine triumphale Rückkehr in die Heimat. Nicht die siegreichen Männer stehen im Mittelpunkt, sondern die unglücklichen Frauen. Und ein Kind, das die Sieger von einem Turm werfen; sie mussten es zerschmettern, denn es war der Sohn des Herrschers, und mit ihm hätte die Dynastie weiter bestehen können. Und was war mit den Göttern? Hatten sie geholfen? Ihre Haltung war zweideutig: Poseidon stand auf der Seite des besiegten Troja, aber Athene, die Schutzgöttin Athens, war beleidigt, weil ihr Heiligtum in der besiegten Stadt entweiht worden war. In ihrem Zorn bittet sie Poseidon, er solle die rückkehrende griechische Flotte vernichten. Die Sieger kamen, wie man weiß, nie an. "Die Troerinnen" des Euripides zeigen diesen Krieg nicht nur als Untergang Trojas, sondern auch als Katastrophe für Athen. Wer das Stück gesehen hatte, ging mit dem Zweifel nach Hause: Wurde die Freiheit Athens am Skamander verteidigt?

Es wird Zeit, wieder Euripides zu lesen. Er belehrt nicht, er beweist nicht, er erweitert unsere Sensibilität, er gibt Zweifelsfragen auf. Kurt Steinmann hat vor ein paar Jahren die Bacchantinnen neu übersetzt, ebenso Raoul Schrott, als er noch nicht seine poetische Kraft darauf verlegt hatte, Troja zu verlegen. Man fragt wieder nach Euripides. Das Theater von Luzern spielt zur Zeit die "Medea". In dieser Tragödie rächt sich eine verlassene Ehefrau. Deren Mann hat sie verlassen und erklärt dies seiner wütenden Frau: Er kann als Einwanderer seine prekäre soziale Stellung sichern, auch für seine Kinder, indem er die Königstochter von Sparta heiratet. Medea, die kräuterkundige weise Frau, rächt sich, indem sie ihre Rivalin und deren Vater mit Zaubermitteln umbringt. Sie zerstört das Leben ihres treulosen Gatten und ihr eigenes, indem sie die gemeinsamen Kinder tötet. Diese Tragödie quillt über von aktuellen Fragen: Die Angst des Fremden vor dem Abstieg, die Überlegenheit der intelligenteren Frau, einer unerwünschten Ausländerin. Sie versteht sich als Repräsentantin ihres Geschlechts und der Immigranten. Diese selbstbewusste Gattin, Enkelin des Helios, nimmt das Verlassenwerden nicht demütig hin. Euripides gestaltet den Zwiespalt der Mutter, die ihre eigenen Kinder umbringt; er formuliert den Zweifel an den Göttern während der griechischen Aufklärung.

Martin Hose, Gräzist an der Münchner Universität, gibt in seinem neuen Buch gedrängte Auskunft über den dritten der drei großen griechischen Tragödiendichter, der in der deutschen Kultur ein wenig zurücktritt gegenüber Sophokles und Aischylos. Er ist nicht hölderlinförmig genug. Hose setzt ein mit der launigen Bemerkung des Komödiendichters Aristophanes, nachdem Euripides gestorben sei, habe der Theatergott Dionysos sich gelangweilt. Er erzählt das Wenige, das wir vom Leben des Euripides wissen: Seine Mutter sei Gemüsehändlerin gewesen, und seine Frau habe ihn betrogen. Er galt als mürrisch und gedankenversunken; er ist noch kurz vor seinem Tod aus Athen ausgewandert; in Makedonien sollen ihn wilde Hunde zerrissen haben. Das klingt schnurriger, als es bei Martin Hose steht, der als seriöser Philologe uns einführt in die atheniensische Krisensituation des fünften, vorchristlichen Jahrhunderts. Durchgehend zeigt er die politischen Aspekte der Dramen; deren ausschließlich politische Interpretation wehrt er ab. Er informiert detailliert über den Aufbau griechischer Tragödien und schafft damit die Voraussetzung, um anschließend die einzelnen Dramen in ihrer Struktur zu analysieren. Er hält bei der Interpretation jedes Theaterstücks immer vier Bälle in der Luft: Die formale Struktur der Tragödie, die damalige politische und soziale Krise, die intellektuelle Situation im Umkreis des Sokrates und der Sophisten, schließlich die Auseinandersetzung des Euripides mit den großen Konkurrenten: Aischylos und Sophokles.

Dieses Ballspiel auf beengtem Raum verdient Bewunderung. Er hält diese vier Gesichtspunkte kohärent durch, und wo es nötig ist, klärt er Einzelheiten der Textüberlieferung. Darüber hinaus achtet er auf Umschichtungen, Neuerungen und Entwicklungen im Gesamtwerk des Euripides, der insgesamt zweiundneunzig Dramen verfasst haben soll, von denen achtzehn erhalten sind. Als Gesamtbild zeichnet sich ab: Euripides als Zweifler und Fragender. Er tritt mehr und mehr heraus aus dem Rahmen des Mythos und geht über zur psychologischen Analyse. Er interessiert sich weniger für Götter als für den Zwiespalt von Menschen in geschichtlicher Krisenzeit. Er kennt die Zerrissenheit von Frauen und Männern; er lässt Könige auftreten, die mehrmals ihren Standpunkt wechseln. Er zeigt Götter, deren Schutzwirkung sich aufhebt, weil sie gleichzeitig auf beiden kämpfenden Seiten stehen. Er sieht besorgt auf die expansive Militärpolitik Athens. Er plädiert für Frieden, er spricht mit den Troerinnen gegen militärische Expeditionen in fremde Länder, wie die im selben Jahr stattfindende Militäraktion gegen Syrakus, die mit einer blutigen Niederlage endete. Euripides ist kein Pazifist; aber wenn Kriege geführt werden, dann nur, wenn es wirklich sein muss und nur zur Verteidigung des eigenen Bodens.

Martin Hose bespricht kundig und konzentriert alle achtzehn erhaltenen Dramen. Das gibt seinem Buch fast den Charakter eines Kompendiums. Es ist sorgfältig gearbeitet, nimmt ständig Rücksicht auf die Forschungslage; es liefert Bibliographie und Register. Der Verfasser erklärt, er wünsche sich eine Leserschaft, "die nicht aus Philologen besteht". Das war auf 250 Seiten nicht zu schaffen. Dazu hätte er auswählen müssen. Wer eine der Tragödien schon kennt, liest den betreffenden Abschnitt mit großem Gewinn. Ohne diese Vorbereitung wirken die einzelnen Kapitel wie ausgearbeitete Artikel aus der Realenzyklopädie für klassisches Altertum. Wehmütige Erinnerungen an die großen Stilisten unter den Gräzisten tauchen auf: Wilamowitz-Moellendorff und Werner Jaeger, Karl Reinhardt und Wolfgang Schadewaldt waren gelehrt, sehr gelehrt, aber sie konnten einladend schreiben.

Der gelehrte Münchner Ordinarius beendet sein Vorwort, indem er leise bedauernd mitteilt, er habe sich nicht getraut, in diesem Buch "ich" zu sagen. Er fragt mit vornehmer Bangigkeit den Leser, ob sein Buch vielleicht trotzdem "subjektiver" ausgefallen sei, als es dieser Verzicht erscheinen lasse. Aber bekanntlich sind alle Bücher "subjektiv"; auch ein Lexikonartikel ist es. Der Verfasser hatte keinen Grund, sich zu verstecken und seine Selbstverhüllung zu bedauern. Dieser Euripides zeigt das persönliche Profil des Autors, und das danken wir ihm. Er hat uns einen großen Autor neu erschlossen. Jetzt wissen wir wieder, was wir an Euripides haben. Wir verstehen auch die altgriechische Legende, die von Euripides erzählt: Die Götter hätten in ihrem Zorn auf den Gottlosen dreimal den Blitz in sein Grab einschlagen lassen.

- Martin Hose, Euripides. Der Dichter der Leidenschaften. C.H. Beck Verlag München 2008, 256 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.09.2008

Ein Unglück erwächst aus dem anderen
Euripides, der Dramatiker der Krise, wird heute auf dem Theater viel gespielt. Martin Hose zeichnet den zweifelsüchtigen Griechen als Dichter seiner Zeit
Aristoteles nannte ihn den „tragischsten aller Dichter”. Für Nietzsche war er im Verein mit Sokrates der Totengräber der Tragödie: Der „ästhetische Sokratismus” der Dramen des Euripides als „mörderisches Prinzip” bedeutete die auf die Bühne gebrachte Aufklärung der Sophistik, deren Glauben, dass Wissen Glück garantiere, dem Menschen die Tragik absprach. Inzwischen hat man in dem schon von seinem Zeitgenossen Aristophanes in der Komödie „Die Frösche” als Realisten und Rationalisten abgeurteilten Dichter den Irrationalisten entdeckt. Die Bandbreite für die Interpretation der 18 erhaltenen Dramen (von etwa 75) ist also enorm groß. In seiner Monographie über den jüngsten der drei großen attischen Tragiker aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert, den Schöpfer von „Medea” und „Troerinnen”, bemüht sich der Münchner Gräzist Martin Hose um eine möglichst konsequente Deutungslinie. Dass sie näher an Aristoteles als an Nietzsche verläuft, sagt schon der Untertitel des Buches: „Der Dichter der Leidenschaften”.
Angesichts der Widersprüche, des Gedankenreichtums, des virtuosen Künstlertums dieser Dichtung bleibt eine solche Etikettierung freilich blass. Auch die Formel, die der Autor nach der interpretierenden Vergegenwärtigung der einzelnen, so verschiedenartigen Stücke für das Ganze findet: dass sie „Zeugnisse eines stetigen Experimentierens, einer Suche nach immer neuen Wegen für die Tragödie” seien, passt nur deshalb, weil sie ziemlich nichtssagend ist. Etwas mehr Leidenschaft würde man sich für die Darstellung des „Dichters der Leidenschaften” schon wünschen; dass wissenschaftliche Solidität und Engagement sich nicht auszuschließen brauchen, hat gerade die Geschichte der Euripides-Forschung vorgeführt. Der Versuch, die (teilweise krassen) Einseitigkeiten in der Beurteilung des Dichters seit Aristophanes zu vermeiden, hat eine gewisse Einebnung der Extreme, zwischen denen das Werk ausgespannt ist, zur Folge, eine Verharmlosung der Radikalität, mit der Euripides alles in Frage stellt, was sich der Sehnsucht des Menschen nach Sicherheit als Halt und Heil anbietet.
Hinter dem Experimentator droht der leidenschaftliche Aufklärer zu verschwinden, der mit seiner Zweifelsucht vor der Position eines überlegenen Wissens nicht stehenbleibt, sondern auch sie in ihrer Bodenlosigkeit durchschaut. Man tut als Leser dieses Buches gut daran, sich weniger an die Ergebnisse als an die Behandlung der einzelnen Dramen zu halten. Der Durchgang lohnt sich. En passant kommt hier auch zur Geltung, was die Synthese schuldig bleiben muss. So verweist Hose in seiner Interpretation der „Bakchen” – die heute auf den Theaterbühnen viel gespielt werden – auf die Nähe des Dramatikers zur zeitgenössischen Sophistik: Wenn Euripides in seinem vorletzten Stück den Chor die glückselige Einheit des Menschen mit der Natur in archaisierenden Tönen preisen lässt, erscheint dieses Dasein bereits als vorsophistische Gegenwelt, die indirekt auf die Sophistik verweist. „Modern” im Sinne der Aufklärung ist die psychologisierende Tendenz der Menschendarstellung bei Euripides, die der Interpret vor allem anhand der späten Werke, an Orestes, am Pentheus der „Bakchen” oder am Agamemnon der „Iphigenie in Aulis” herausarbeitet. Plausibel wirken die Hinweise auf die Umfunktionierung der geläufigen Mythen durch den Dichter, die der Kette der mythischen Katastrophen ihren metaphysischen Charakter nimmt, indem sie sie auf menschliche Triebe zurückführt.
Dagegen scheint mir die rigorose Religionskritik, die Euripides von seinen frommen Vorgängern Aischylos und Sophokles so deutlich unterscheidet, zu kurz zu kommen. Am Beispiel des „Herakles” oder des „Orestes” argumentiert Hose gegen das „Missverständnis” einer vernichtenden Kritik ihres Autors am traditionellen Götterglauben mit der Bemerkung, Euripides habe dem Mythos ja selbst die das göttliche Weltregiment verhöhnende Fassung gegeben. Aber dieses Argument greift nicht. Es handelt sich um Versuchsanordnungen (diesen Begriff verwendet Hose gerne), die übertreibend die Ungerechtigkeit und Grausamkeit jener höheren Wesen anprangern, an deren Existenz zu zweifeln die Betroffenen und die mit ihnen in „sympathetischer Identifikation” verbundenen Zuschauer alle Ursache haben.
Das Resultat einer solchen wahrhaft vernichtenden Götterkritik ist das von Hose zutreffend beschriebene Desinteresse des Euripides am Verhältnis von Mensch und Gott zugunsten der zwischenmenschlichen Konflikte. (Das Rätsel „Bakchen”, der großen Ausnahme, kann auch Hose nicht lösen.) Diesem fruchtbaren Interpretationsansatz gesellt sich der ebenso produktive, im Werk des Dichters Reaktionen auf seine Zeit zu sehen. „Euripides and His Age” nannte Gilbert Murray schon vor Jahrzehnten seine schmale, aber maßgebende Schrift über den Tragiker. Dieses Zeitalter, zwischen 460 und 430 vor Christus, war von großen Krisen und Umstürzen geprägt. Die zehn Jahre, die den um 486 geborenen Euripides von Sophokles trennen, sind ein gewaltiger Unterschied und erklären das andersartige Welt- und Menschenbild des Jüngeren, das sich übrigens auch in intertextuellen Verweisen auf die Dramen des Aischylos und Sophokles ausdrückt.
Die Epoche stürmischer Wandlungen hat in dem von ebenso heftigen Entwicklungsschüben gezeichneten Werk des Euripides die ihr zugehörige Dichtung gefunden. Indem Martin Hose die Dramen unter bestimmte Konzepte und Probleme bündelt, gelangt er zu einer Einteilung in sechs Abschnitte. Am Anfang stehen Familie und eheliche Liebe als Konfliktbereich, es folgt das Thema Krieg mit seinen die Vaterstadt Athen verklärenden, dann aber die Seele der Opfer furchtbar verheerenden Auswirkungen. In der dritten Phase gilt das Interesse des Dichters den selbstzerstörerischen Kräften im Menschen. Die Rolle des Zufalls prägt das Geschehen der folgenden Stücke. Eine fünfte Dramengruppe zeigt Habgier, Ehrgeiz und Angst als die Grundantriebe menschlichen Handelns. Schließlich betritt ein in sich gebrochener, wankelmütiger, zwischen gegensätzlichen seelischen Kräften zerrissener Protagonist die Bühne.
Es versteht sich, dass alle diese Themen im Spiegel des Mythos erscheinen. Weniger selbstverständlich ist der schöpferische, oft überaus kühne Umgang mit den überlieferten Bauformen der Tragödie. Hier passt die Charakterisierung des Dichters als eines unermüdlichen Experimentators durchaus. Schwer zu vermitteln ist im Rahmen einer solchen notwendig auf das Inhaltliche ausgerichteten Studie die Sprachkunst des poetischen Werks. Umso mehr Anerkennung verdient das Kapitel, das Martin Hose, der bereits eine große Studie zum Chor bei Euripides vorgelegt hat, seinem Dichter als einem „Meister der Lyrik” widmet. Es zeigt, dass Euripides die Sprache des Dramas zu bisher unerhörten lyrischen Höhen gesteigert hat. „Ich werde”, heißt es in einem Chorlied des „Herakles”, „nicht aufhören, die Chariten (das sind die Göttinnen des Liebreizes, der Anmut) mit Musen zu verbinden zu süßestem Gespann.” ALBERT VON SCHIRNDING
MARTIN HOSE: Euripides. Der Dichter der Leidenschaften. Verlag C. H. Beck, München 2008. 256 Seiten, 24,90 Euro.
Kirsten Dene in der Rolle der Agaue in einer Inszenierung der „Bakchen” 1999 am Wiener Burgtheater Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zwar hätte sich Rezensent Albert von Schirnding bei der Darstellung dieses großen antiken Autors gerade auf Grund des Untertitels der Publikation etwas mehr Leidenschaft und auch farbigere Etikettierungen gewünscht. Auch kritisiert er die "Einebnung der Extreme", die seit Aristophanes die Auseinandersetzungen mit diesem Dichter charakterisierten. Dennoch findet er diese Monografie verdienstreich, die dem Rezensenten zufolge Inhalte, Mythen, Zeit- und Rezeptionskontexte sorgfältig aufarbeite, auch wenn er sich dabei mitunter eine stärkere Konzentration auf die Sprachkunst des Eurides hätte vorstellen können.

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