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Darf man anordnen, daß auf unseren Schulhöfen deutsch gesprochen wird? Kann der Staat Fremdwörter und Anglizismen verbannen? Wie können wir Deutsch wieder als Wissenschaftssprache beleben? Und wie erreichen wir, daß sich das Deutsche als Europasprache behauptet? Jutta Limbachs Buch ist ein Plädoyer für, und eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache. Deutsch spielt keine Hauptrolle im weltweiten Sprachenkonzert; an der Stellung der globalen lingua franca Englisch kann und will niemand mehr rütteln. Trotzdem, Deutsch ist eine beachtliche "Regionalsprache" in der Europäischen Union. 32% aller…mehr

Produktbeschreibung
Darf man anordnen, daß auf unseren Schulhöfen deutsch gesprochen wird? Kann der Staat Fremdwörter und Anglizismen verbannen? Wie können wir Deutsch wieder als Wissenschaftssprache beleben? Und wie erreichen wir, daß sich das Deutsche als Europasprache behauptet? Jutta Limbachs Buch ist ein Plädoyer für, und eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache.
Deutsch spielt keine Hauptrolle im weltweiten Sprachenkonzert; an der Stellung der globalen lingua franca Englisch kann und will niemand mehr rütteln. Trotzdem, Deutsch ist eine beachtliche "Regionalsprache" in der Europäischen Union. 32% aller EU-Bürger sprechen deutsch (51% englisch, 26% französisch und 15% spanisch). Wie wird sich das Deutsche in einer erweiterten Union behaupten, in der offiziell 20 Sprachen gesprochen werden? Und innenpolitisch ist die Frage, welche Integrationskraft das Deutsche entwickeln wird und welche Perspektiven ein Konzept von Mehrsprachigkeit eröffnet. Taugt die Sprache als Instrument der Integration und in welcher Weise können Rechtsnormen den Sprachgebrauch beeinflussen?
Jutta Limbach, die als Präsidentin des Goethe-Instituts in besonderer Weise mit den Themen Spracherwerb und Sprachkultur befasst ist, geht in diesem Buch der Frage nach, welche Rolle wir selbst dem Deutschen zubilligen, was uns zu recht daran hindert, sprachlich aufzutrumpfen und weshalb es dennoch sinnvoll ist, uns mit Nachdruck für eine konsequente Sprachpraxis einzusetzen. Um weltgewandt zu erscheinen, spricht mancher Deutsche im Ausland selbst mit Deutschen lieber englisch oder französisch. Welcher Italiener, Spanier oder Grieche käme je auf eine solche Idee? Jutta Limbach nimmt einige unserer Sprachgewohnheiten unter die Lupe und plädiert dann sehr überzeugend zu Gunsten des Deutschen.
Haben wir eine Sprache mit Zukunft? Jutta Limbach, bis vor kurzem Präsidentin des Goethe-Instituts, sucht in ihrem neuen Buch eine Antwort.
Autorenporträt
Jutta Limbach ist seit 1994 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Sie lehrte in Berlin als Professorin für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht und war dort von 1989-94 Justizsenatorin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2008

Haben wir eine Sprache mit Zukunft?

Wer spricht in hundert Jahren noch Deutsch? Jutta Limbach, bis vor kurzem Präsidentin des Goethe-Instituts, sucht in ihrem neuen Buch eine Antwort. Zum Auftakt des F.A.Z. Reading Rooms zur Zukunft der deutschen Sprache stellt die Autorin ihre wichtigsten Thesen vor.

Von Jutta Limbach

Wohl noch nie ist in deutschsprachigen Ländern ein so gutes Deutsch von einer so großen Zahl von Menschen gesprochen und geschrieben worden. Diese Behauptung wird Protest auslösen. Ist doch die deutsche Sprache ein beliebter Gegenstand moralisierender Nörgelei. Es ist ein deutscher Aberglaube, zu meinen, dass man einem geschätzten Kulturgut am besten dient, wenn man seinen Zustand bejammert und seinen Verfall prophezeit. Je drastischer das Bedrohungsszenarium an die Wand gemalt wird, desto mehr geraten die Vorzüge der deutschen Sprache in den Hintergrund. Wer Texte sucht, die Kauderwelsch aufbieten, wird stets reiche Beute finden. Dennoch wird die deutsche Sprache nicht wegen der Seitensprünge in fremde Reviere und wegen der dabei erzeugten Mischlinge dahinwelken. Besser als jede deutschtümelnde Beckmesserei bewahrt gute Literatur die poetische und sprachschöpferische Kraft unserer Sprache. Literaturpreis-Jurys haben weniger ein Qualitäts- als ein Mengenproblem zu meistern.

Gleichwohl sei die populäre Sprachkritik nicht geringgeschätzt, beweist sie doch Sensibilität für Fragen der Sprachästhetik. Dieses aus der Gesellschaft kommende Schutzbedürfnis bestätigt die These, dass die Sprache eine Res publica, eine öffentliche Angelegenheit im ursprünglichen Sinne, ist. Nicht eine Akademie schreibt vor, wie das Deutsche richtig gesprochen und geschrieben wird. Die Sprachgemeinschaft ist es, die unsere Muttersprache fortbildet. Das meint auch der Bundestag, der im Streit um die Rechtschreibreform dem Bundesverfassungsgericht mitteilte, dass "sich die Sprache im Gebrauch der Bürgerinnen und Bürger ... ständig und behutsam, organisch und schließlich durch gemeinsame Übereinkunft weiterentwickelt. Mit einem Wort: Die Sprache gehört dem Volk." In der Tat: Die Muttersprache ist eine Privat- und öffentliche Angelegenheit freier Bürger.

Nicht die Frage, ob Rohheit mit einem oder zwei "h" geschrieben werden sollte, macht die deutsche Sprache gegenwärtig zu einem Politikum. Zwei Phänomene sind es, die die Sprachpolitik herausfordern: die Globalisierung und die Migration. Der mit der Wirtschaft einhergehende Trend zum Englischen als einziger Weltsprache bedroht nicht nur den Status des Deutschen als Europasprache. Auf längere Sicht können die kulturelle Unterschiede einebnenden Kräfte zu einem Verkümmern der anderen Sprachen führen. Der Glaube, die deutsche Sprache werde sich als Kultursprache, als die Sprache der Dichter und Denker behaupten, dürfte sich mit der Zeit als treuherzig erweisen. Denn eine Sprache, die in der Arbeitswelt immer weniger gesprochen wird, verarmt und taugt eines Tages nur noch als Schlüssel zum Sich-Erinnern an die Blütezeit deutscher Hochkultur. Mangels eines fortgebildeten Wortschatzes lässt sie uns sprachlos bei der Reflexion von Gegenwartsproblemen und dem Entwurf von Zukunftsplänen in der entgrenzten Welt.

Sprache als Friedensstifter

Die Sorge, dass auch von der Europäischen Union ein Druck auf eine internationale Verkehrssprache ausgehen könnte, scheint auf den ersten Blick unbegründet. Denn der Reformvertrag von Lissabon setzt diesem Trend die Maxime der Mehrsprachigkeit entgegen. Die Vielzahl der Sprachen gehört seit jeher zu den kulturellen Schätzen Europas. Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu respektieren und das kulturelle Erbe zu bewahren. Im Sinne dieser Aufgabe hat die Europäische Kommission das Jahr 2008 dem interkulturellen Dialog gewidmet. Eingedenk der Tatsache, dass sprachliche und kulturelle Vielfalt zugleich Quelle von Reichtum, aber auch von Spannungen ist, gilt es, die positiven Auswirkungen der Vielsprachigkeit Europas zu stärken.

Auf den ersten Blick berechtigen die offiziellen Sprachregeln der Europäischen Union zu großen Erwartungen. Seit ihrer Gründung sind alle offiziellen Sprachen der Mitgliedstaaten gleichberechtigt. Zudem ist die deutsche Sprache seit 1993 neben der englischen und französischen zur dritten internen Arbeitssprache in der Kommission gewählt worden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Unsere Landsleute in Brüssel haben aus diesem privilegierten Status kaum Kapital zu schlagen vermocht. Die Tatsache, dass laut dem Eurobarometer rund 83 Millionen Menschen in der Europäischen Union Deutsch als Muttersprache und seit der Ost-Erweiterung rund 63 Millionen als Fremdsprache sprechen, hat sie im Gebrauch der deutschen Sprache kaum zu stimulieren vermocht. In sieben Ländern hat Deutsch einen offiziellen Status. Der deutsche Sprachraum mit seinen vierzehn Sprachnachbarn ist ein Transit- und Austauschgebiet par excellence zwischen Nord und Süd und seit dem Fall des Eisernen Vorhangs auch zwischen Ost und West.

Gäbe es nicht die Lichtblicke einer in Brüssel deutsch sprechenden Kanzlerin und den Protest des Bundestags wegen der fehlenden Übersetzung Brüsseler Texte in die deutsche Sprache, man könnte schier verzweifeln über die deutsche Sprachflucht in der Union. Wir können nur hoffen, dass der Deutsche Bundestag und das Auswärtige Amt nicht zu spät erwacht sind, um die Versäumnisse künftig wettzumachen. Eine kluge Personal- und Sprachpolitik sind gefordert. Diese darf allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass auch die anderen Europäer ihre Sprache lieben und sie nicht verkümmern lassen wollen. Das Bildungsziel der Mehrsprachigkeit ist ein normatives Konzept und kein Sprachregime.

Sprachgewirr an Berliner Schulen

Wer Anschauungsunterricht in Sachen kultureller und sprachlicher Vielfalt sucht, braucht nicht auf Reisen in fremde Länder zu gehen. In vielen deutschen Städten zeigen bereits die Geschäftsbezeichnungen der Gaststätten, Kioske und Feinkostläden eine Vielfalt von Sprachen und Kulturen an. Auch wenn einige Politiker noch immer Schwierigkeiten haben, das Wort "Einwanderungsland" in den Mund zu nehmen, müssen sie sich der Tatsache stellen, dass hierzulande fast sieben Millionen Ausländer, darunter rund drei Millionen Muslime, leben, die Deutschland als zweite Heimat betrachten. Die zugewanderten Menschen sprechen in vielen Zungen. Ein Beispiel bietet das babylonische Sprachengewirr auf Berliner Schulhöfen, dem wir mit "Deutschpflicht" und "Pausensprache" zwei jüngst neu zusammengesetzte Wörter verdanken. In siebzig Berliner Oberschulen ist Deutsch für die große Mehrzahl der Schüler nicht die Muttersprache. Mitunter werden an diesen Schulen acht bis zehn verschiedene Herkunftssprachen gesprochen.

Gewalt gehört an diesen Berliner Schulen zum Alltag. Deutsche sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Es geht nicht um ein Problem von In- und Ausländern, sondern um die Herkunft aus den ärmsten Schichten. Die Pisa-Studien haben auf eindringliche Weise deutlich gemacht, dass die Lebenschancen der Migrantenkinder in hohem Maße durch mangelnde Lernhilfen vertan werden. Wir wissen, dass das Gleiche auch für deutschsprachige Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern gilt.

Die aus kultureller Zwietracht resultierenden Gewaltausbrüche haben die Politik herausgefordert, sich erneut und grundsätzlicher der Integration von Zuwanderern anzunehmen. Eigene Integrations- und insbesondere Sprachkurse sollen den Zuwanderern helfen, sich in der deutschen Kultur und Politik zurechtzufinden und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Das Erlernen der deutschen Sprache ist ein notwendiges, wenn auch kein ausreichendes Mittel der Integration. Eine aktive Bürgerschaft ist ohne die Fähigkeit, sich sprachlich zu verständigen, kaum möglich.

Nicht nur der Druck und die Pflicht, Deutsch zu lernen, auch das Erlernen der Mutter- und Herkunftssprache werden im heißen Streit erörtert. Viele Kinder aus Zuwandererfamilien beherrschen weder die Landes- noch ihre Muttersprache. Gibt es - wie es in dem Berliner Schulstreit behauptet worden ist - ein Grundrecht auf Muttersprache? Ist der deutsche Staat verpflichtet, Kindern aus Einwandererfamilien das Erlernen ihrer Herkunftssprache zu ermöglichen? Gibt es wenigstens eine Art Minderheitenrecht, das den Staat verpflichtet, Kultur und Sprache der zugewanderten Volksgruppen zu schützen und zu fördern? Weder das Grundgesetz noch andere deutsche Rechtsquellen geben eine positive Antwort auf diese Frage.

Diese Rechtslage schließt es aber nicht aus, die zugewanderten Minderheiten bei dem Versuch zu unterstützen, ihr kulturelles Erbe und ihre Sprache zu pflegen. Für alle gilt die Humboldtsche Einsicht, dass die Muttersprache der Königsweg zur Bildung der Persönlichkeit ist. Der mit dem Spracherwerb verbundene geistige Prozess bringt Selbstbewusstsein und ein kulturelles Wertesystem hervor. In der Bundesrepublik sollte die Bereitschaft reifen, die Tatsache, dass Migrantenkinder sich in zwei Sprachwelten zurechtfinden müssen, nicht nur als Defizit, sondern als Schatz zu betrachten.

Den Reading Room zu Jutta Limbachs Buch

"Hat Deutsch eine Zukunft?" finden Sie im Internet unter www.faz.net/limbach. Leser sind eingeladen, dort mit Wissenschaftlern, Autoren und Politikern zu diskutieren.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.05.2008

Gutes Deutsch
Jutta Limbach und die Suche nach einem neuen Anfang
Gleich zweimal zitiert Jutta Limbach in ihrem gerade erschienenen Buch „Hat Deutsch eine Zukunft?” aus dem Schauspiel „Torquato Tasso” die Verse: „Vergleiche dich! Erkenne, was du bist.” Beide Male wird das Zitat „Goethe” zugeschrieben und mit unbedingter Zustimmung zitiert. Goethe hat diese Zeilen zwar geschrieben. Doch hat er sie jemandem in den Mund gelegt. Und zwar gerade nicht Tasso, dem genialischen Dichter, einer Figur wie aus dem „Sturm und Drang”. Der hier redet, ist Antonio Montecatino, sein Gegenspieler, der dem Künstler den Anspruch auf Einzigartigkeit ausreden will. Und so versteht auch Jutta Limbach diesen Satz: als Empfehlung an Immigranten, sich selbst in einem Verhältnis zu den Menschen zu betrachten, die sie aufgenommen haben, und als Ratschlag an die Deutschen, sich um die kleineren Sprachen in Europa zu bemühen.
Goethes Antonio ist Diplomat und Politiker in den Diensten des Herzogs von Ferrara. Aus ihm spricht der Geist der Macht, der Intrige und der Bürokratie. Hätte er zu der Zeit gelebt, in der dieses Schauspiel geschrieben wurde, in den achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts, und hätte er Deutsch gesprochen, wäre seine Sprache kaum so rein gewesen, wie sie ihm Goethe in den Mund gelegt hatte. Die deutsche Kanzleisprache, der Jargon der feudalen Verwaltung, hätte sich mit sehr viel Französisch gemischt, und wenn er vielleicht auch nicht ganz so lächerlich geklungen hätte wie Riccaut de la Marlinière in Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm”, so wäre ihm das Deutsche doch auch als Barbarensprache erschienen. Er hätte wenig Sinn gehabt für die Sprache der Empfindsamkeit, mit der zu jener Zeit der Aufstieg des Deutschen zur National- und Kultursprache begann.
Jutta Limbachs „Hat Deutsch eine Zukunft?” (Beck Verlag, München. 108 Seiten, 14,90 Euro) ist nur ein kleines Buch, und so groß die Verdienste der Autorin als Juristin, Richterin und als Präsidentin des Goethe-Instituts auch sein mögen, so leicht wiegt diese Schrift, misst man sie an dem, was die Philologie über die deutsche Sprache weiß. Das Buch hat aber gar nicht den Anspruch, neue Erkenntnisse vorzutragen. Es ist von harmlos bürokratischer Gesinnung, mäßigend gegenüber dem Überschwang der Sprachreiniger und der Fundamentalisten, von milder Hoffnung beseelt – also selbst von der Art, mit der Antonio in Goethes Schauspiel auftritt. In seinem Zentrum indessen die romantische Behauptung, die Sprache sei die „geistig-seelische Heimat” der Deutschen.
Wie eine solche Heimat beschaffen sei, würde man nun gerne wissen. Aber die Schrift gibt keine Antwort auf diese Frage, abgesehen von der Anrufung einiger echter und ein paar vermeintlicher Autoritäten, von Johann Gottfried Herder bis Andrej Plesu, und wie die Zukunft der deutschen Sprache aussehen soll, wird auch nicht verraten. Wenn dieses Büchlein dennoch ein großes Echo in der Öffentlichkeit auslöst, so liegt das am Gegenstand. Was mit der deutschen Sprache geschieht und geschehen wird, ist zu einer Angelegenheit des Unbehagens geworden. Es ist dasselbe Unbehagen, das aus dem törichten Begehren nach einer neuen Rechtschreibung ein nationales Desaster werden ließ, dieselbe Unruhe, die Bastian Sicks Bücher und Darbietungen zum richtigen Deutsch, so oberflächlich sie sein mögen, zu gewaltigen Erfolgen macht. Dahinter rumort die Sorge, dass den Deutschen ihre Sprache entgleite. Dieser Unruhe begegnen Jutta Limbach und Bastian Sick auf sachlich je verschiedene, aber formal verwandte Weise: nämlich als Autoritäten, vor denen man keine Angst haben muss.
„Der Traum von der Weltsprache ist für die deutsche Sprache ausgeträumt”, schreibt Jutta Limbach. Nun, ja. Wenn es einen solchen „Traum” je gegeben haben sollte, so hatte er in den fünfziger Jahren des zwanzigstens Jahrhunderts aufgehört, als die deutschsprachige Ökumene auseinandergebrochen war, die sich jahrhundertelang vom Elsass bis ins Baltikum erstreckt hatte. Für die Frage, wie es in Zukunft mit der deutschen Sprache beschaffen sei, sind die Anfänge des Deutschen als Weltsprache indessen interessanter als das Ende: Denn das Deutsche wurde spät, schnell und plötzlich zu einer Kultursprache, mit einem plötzlichen Schub ähnlich dem, wie er sich um das Jahr 1600 im Englischen ereignet hatte – nur zweihundert Jahre später.
Goethes „Werther” war das erste literarische Werk aus Deutschland, das eine große europäische Leserschaft erreichte. Gewiss, vorher hatte es Martin Luther und dessen Bibelübersetzung gegeben. Aber erst Ende des achtzehnten Jahrhundert ist der Wille da, unter fast allen Gelehrten und Dichtern der deutschen Länder, der ganzen Welt ein Dasein in der deutschen Sprache zu verleihen, ein vollständiges, alle Bereiche des Wissens umfassendes deutsches Wörterbuch zu schaffen, eine eigene, melodische, sich allmählich von den lateinischen Vorbildern befreiende Syntax. Dass diese wenigen Menschen, die Dichter Lessing, Goethe, Schiller, die Gelehrten Winckelmann, Adelung, Campe, Herder, sich mit diesem Vorhaben durchsetzten, gehört zu den Wundern der Sprachgeschichte.
Es wäre ihnen nicht gelungen, hätten sie nicht auch einen einzigartigen Gegenstand gehabt, für den sich damals die ganze Welt interessierte: zuerst den Streit der Religionen, dann die Säkularisierung der protestantischen Theologie in der Empfindsamkeit und in der idealistischen Philosophie. Dass der erste große Erfolg der deutschen Literatur der „Werther” ist, ein Denkmal für die neue Religion der Liebe, ist kein Zufall: Denn überall wurden damals Briefromane geschrieben, und Goethe importierte hier nur eine im Ausland schon etablierte Form. Aber er gestaltete das fiktiv Authentische des Briefromans in einer neuen, nicht den rhetorischen Mustern des Französischen entlehnten Sprache. Daraus entstand eine neue Schriftlichkeit, und der „Werther”, abgefasst in einem Deutsch, das so keiner je gesprochen, geschweige denn geschrieben hätte, wurde selbst zum Modell für Tausende und Abertausende von Briefen jener Zeit. Und gleichzeitig war dieser Kult des Wirklichen und Wahren an eine Weltbewegung angeschlossen, verband sich mit der Aufklärung und diese mit ihm – und so ging es voran, bis nach der Reichsgründung eine nationale Bürokratie die Sache in ihre Hände nahm.
Die meisten Kritiker der gegenwärtigen deutschen Sprache, Jutta Limbach eingeschlossen, meinen, für die zunehmenden Schwierigkeiten im Umgang mit der deutschen Sprache einen Verantwortlichen ausmachen zu können: das Englische in seinem Siegeszug durch den Alltag, vor allem aber durch Forschung und Wirtschaft, auch wenn alle wissen, dass dieses Englisch sehr wenig mit der Kultursprache gleichen Namens zu tun hat. Indessen hat die zunehmende Unfähigkeit, sich auf Deutsch auszudrücken, nur bedingt etwas damit zu tun, dass sich einige akademische Disziplinen und Wirtschaftsunternehmen auch in Deutschland nur noch auf Englisch verständigen – und auch wenig mit der modischen Liebe zu englischen Vokabeln, denn diese wandern in die Sprache herein und wandern auch wieder hinaus, und denen, die drinnen bleiben, bricht das Deutsche früher oder später die Knochen, sodass sie sich irgendwann anfühlen, als wären sie schon immer deutsch gewesen.
„Der rasante technologische Fortschritt stellt die Tauglichkeit unserer Sprache, die Komplexität wissenschaftlicher Erkenntnisse in Worte zu fassen, auf eine harte Probe”, schreibt Jutta Limbach und beruft sich dabei auf den Germanisten Wolfgang Frühwald. Aber ihre Behauptung trifft nicht auf die Wissenschaft zu, sondern nur auf deren Popularisierung – weshalb es sich eben nicht um ein Problem der „Wissenschaftssprache” handelt, sondern um eines der Verallgemeinerung. Nein, das Englische ist keine ernsthafte Bedrohung der deutschen Sprache, und die Wissenschaft ist es auch nicht. Wenn in der Öffentlichkeit immer weniger und immer schlechteres Deutsch gesprochen wird, liegt das zuallererst an der Verrohung der öffentlichen Sprache selber – in der Verwaltung, in der Politik und in der Wirtschaft, also in den Instanzen, in denen sich die gesellschaftliche Macht sammelt, und von dort aus geht sie auf die Medien über und wird allgegenwärtig. Was soll man davon halten, wenn Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, seinen Aktionären erklärt: „Wir werden unseren Kurs der zeitnahen Transparenz fortsetzen und uns unvermindert für zielführende Reformen des Finanzsystems insgesamt einsetzen?” Meint er wirklich, er wolle ein Schiff in die Durchsichtigkeit lenken – und das auch noch in der Nähe der Zeit?
Das haltlose Gerede der ökonomischen und politischen Eliten dürfte in der deutschen Sprache weit größeren Schaden anrichten, als ihn alle „meeting points” und „Backshops” zusammen je zustandebringen dürften. Denn dieser Jargon, der sich gerne lateinischer und französischer Lehnworte bedient, die über das Englische eingeführt werden, soll tatsächlich öffentliche Rede sein – beansprucht also Allgemeinheit. Dabei ist sie totalitär. In diesem aktuellen Jargon, diesem sprachlichen Bankert, dessen Eltern eine Brandschutzverordnung und ein Fremdwörterbuch gewesen sein müssen, kehrt Antonios Redeweise, die höfische Sprache des deutschen Absolutismus, zurück. Sie ist ein Wiedergänger aus dem achtzehnten Jahrhundert, allerdings unter absurderen Bedingungen – die Fremdsprachen, deren Vokabeln in Deutschland so gerne gesprochen werden, gibt es in dieser Form nirgendwo anders als in Deutschland.
Der Satz, mit dem sich die deutsche Literatur vor über zweihundert Jahren von den Zumutungen der höfischen Sprache befreite, steht nicht im „Torquato Tasso”, sondern in einem anderen Schauspiel Goethes, dem „Götz von Berlichingen” aus dem Jahr 1773. Er lautet „Sag’s ihm, er kann mich . . . ”. Wenn die deutsche Sprache eine Zukunft haben soll, die hinter ihrer Vergangenheit nicht zurückbleibt, wird sie ein Organ des Neuanfangs finden müssen, wie es die deutsche Literatursprache einmal war – sie wird ihre Literatur noch einmal neu erfinden müssen. THOMAS STEINFELD
Was sagt man, wenn man sagt, die „geistige Heimat der Deutschen” sei ihre Sprache?
Im aktuellen Jargon der Eliten kehrt die höfisch-bürokratische Sprache des Absolutismus wieder
Die meisten Kritiker des gegenwärtigen Deutsch haben Angst vor dem Englischen
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Verhalten äußert sich Rezensentin Stefana Sabin über Jutta Limbachs Buch "Hat Deutsch eine Zukunft?" Wie sie berichtet, setzt sich die ehemalige Verfassungsrichterin und Präsidentin des Goethe-Instituts mit der Frage auseinander, ob und wie das Deutsche dem Druck des Englischen und der Konkurrenz anderer Sprachen standhalten kann. Die Überlegungen der Autorin findet Sabin zwar nicht verkehrt, aber auch nicht besonders originell oder gar brisant. Zudem scheint ihr die Darstellung etwas "kraftlos", wofür in ihren Augen der bisweilen "bürokratische Ton" verantwortlich ist, der für sie eher nach Verfassungsgericht als nach Goethe-Institut klingt.

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