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In ihrem ersten Roman erzählt Lea Polgár eine Familien- und Liebesgeschichte aus dem Budapest zwischen 1906 und 1911 und zugleich die Geschichte einer scheiternden jüdischen Assimilation. Guszti, Sohn aus einer großbürgerlichen, aber im Abstieg befindlichen ungarischen Familie, verliebt sich in Rahel, die jüngere und schöne Tochter einer wohlhabenden, liberalen, jüdischen Familie, die gerade den Adelstitel erworben hat. Rahels Schwester Sára, weniger attraktiv und gewandt, ist die religiösere und konservativere der beiden. Beide Familien sind geprägt von Konflikten und Spannungen, und im…mehr

Produktbeschreibung
In ihrem ersten Roman erzählt Lea Polgár eine Familien- und Liebesgeschichte aus dem Budapest zwischen 1906 und 1911 und zugleich die Geschichte einer scheiternden jüdischen Assimilation. Guszti, Sohn aus einer großbürgerlichen, aber im Abstieg befindlichen ungarischen Familie, verliebt sich in Rahel, die jüngere und schöne Tochter einer wohlhabenden, liberalen, jüdischen Familie, die gerade den Adelstitel erworben hat. Rahels Schwester Sára, weniger attraktiv und gewandt, ist die religiösere und konservativere der beiden. Beide Familien sind geprägt von Konflikten und Spannungen, und im liberalen, prosperierenden Budapest der k.u.k. Zeit am Vorabend des Ersten Weltkriegs kommt es zu den ersten Ausschreitungen gegen Juden. Guszti und Rahel, genannt Raschi, heiraten und gehen sogar nach Amerika, weil Guszti dort die neuesten Entwicklungen in der Photographie und im Film studieren will, aber ihre Ehe scheitert am Ende. Sára dagegen gibt schließlich dem Werben eines orthodoxen Juden
nach, den sie zunächst abgewiesen hatte, und wird eine glückliche Ehefrau. Zweisträngig, in klassischer Erzählform und anhand eingestreuter Aufzeichnungen von Sára, erzählt Lea Polgár in diesem farbigen und atmosphärisch dichten Roman von scheiternder und glückender Liebe und von einer halbwegs friedlichen Welt der Koexistenz in einer der großen europäischen Metropolen, wie es sie bald darauf nicht mehr geben durfte. Das Debüt eines großen Erzähltalents.
Autorenporträt
Lea Polgár, 1974 in Budapest geboren, wo sie auch heute lebt, arbeitet, nachdem sie Geschichte, Englische Literatur und Film studiert hat, als Lehrerin und Übersetzerin. Sie hat bislang Kurzgeschichten veröffentlicht. 'Die zwei Welten der Rahel Bratmann' ist ihr erster Roman.

Susanne Simor, geboren 1963 in Budapest, studierte französische, italienische und neuere deutsche Literatur in München, Nantes und Perugia. 'Die zwei Welten der Rahel Bratmann' ist ihre erste Romanübersetzung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.11.2006

Alte Feindschaften werden nur vertagt
Im Ton eines sanfteren Schnitzlers: Lea Polgárs „Die zwei Welten der Rahel Bratmann”
Eines Abends am Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Ágoston Tringer, genannt Guszti, ein Budapester Zahnarztsohn und Student der Jurisprudenz, der eigentlich Maler werden will, geht mit seiner Mutter in die Oper. Die Mutter isterst vierzig und der knapp zwanzigjährige Guszti fragt sich, ob er einen Ödipus-Komplex hat, wenn er sie begehrt. Dann sieht er in der Oper eine Frau, etwa im Alter der Mutter. In der Pause spricht er sie, von sich selbst überrascht, an. Ihre Schönheit fasziniere ihn, ob er sie malen dürfe? Sie wehrt ab, doch der Mann an ihrer Seite sagt sofort zu. Er habe erst kürzlich daran gedacht, seine Frau porträtieren zu lassen. Der junge Mann solle sie doch besuchen.
In allen osteuropäischen Ländern hat der Kommunismus die Frage nachder Herkunft des Einzelnen und seiner Familie als bürgerliches Relikt eingestuft und unterdrückt. In Jugoslawien begannen die Konflikte nach dem Zusammenbruch des Tito-Regimes neu und eskalierten. In Ungarn zeigt sich, schwächer, aber immer wieder und erst kürzlich im Vorfeld der Feiern zum 56er-Aufstand, dass alte Feindschaften durch Repression nur vertagt werden. Vor allem die Frage nach dem Antisemitismus spielt in Ungarn eine entscheidende Rolle. So ist es kein Zufall, dass die in der Oper erblickte Schöne eine Jüdin ist, Guszti aber aus einer christlichen Familie stammt.
Lea Polgár, 1974 in Budapest geboren, gehört zu jener Generation Ungarn, die die Verschwiegenheiten um das „Jude sein” noch in der eigenen Familie erlebt hat und sich jetzt in unterschiedlicher Weise auf die Suche nach ihrer Herkunft macht. Polgár forscht in der Zeit, in der allesnoch möglich schien: das gute Auskommen mit den andersgläubigen Nachbarn. Auf den ersten Blick erzählt Polgárs Roman „Die zweiWelten der Rahel Bratmann” nur eine schöne, traurige, sozusagen „moralische” Geschichte mit viel Atmosphäre, macht dabei aber deutlich, dass die Figuren die Zeit, in der sie leben, nicht verstehen.
Das Überraschendste an diesem Erstling ist über weite Strecken die Sprache, die gut lesbar ins Deutsche übersetzt ist. Nicht selten fühltman sich, als folge man einem sanfteren Schnitzler. Als habe sie nie vom ideologischen Verbot des Historismus gehört, versetzt sich Polgár nicht nur in die Zeit um 1910. Sie vollzieht den Sprung mittels stilistischer Mimikry auch im Tonfall des Erzählens, wobei sich Stil und Thema auf erstaunliche Weise durchdringen. Man glaubt nicht selten, den Menschen von damals zuzusehen. Dem reichen Kunsthändler Áron von Bratmann etwa, skrupellos im Geschäftsleben, aber liberal in der Religion und in seine Frau noch nach zwanzig Jahren Heirat verliebt; Berta von Bratmann, seiner schönen Gattin, die ein düsteres Geheimnis zu haben scheint; Raschi, der Tochter der beiden, einer aufmüpfigen jewish princess, und ihrer gescheiten, weniger hübschen, orthodoxen Halbschwester Sára, deren schroff ungelenke, tagebuchähnliche Notizen den Haupttext immer wieder kontrastieren. Sára stammt aus Bertas erster Ehe mit einem Orthodoxen, die noch durch Bertas Vater vermittelt worden war, den alten Lederer, einen Patriarchen im Hintergrund, der das einfache, gläubige, aber auch reich gewordene Gründerzeit-Ostjudentum verkörpert.
Christliche Rache
Auf der „anderen Seite” – und so etwas gibt es in diesem, wie die Vorbilder um 1900 mit gelegentlich etwas durchsichtigen Oppositionen und Ähnlichkeiten arbeitenden, Text – stehen etwa die kleinbürgerlich antisemitische Frau des Zahnarztes Tringer, die ihren Mann früher betrogen hat, woraus Gusztis Bruder Mischi entstand, der bei Tringers immer benachteiligtwird, oder Tringer selbst, der sich, weil ihn seine Frau nicht mehr „lässt”, bei kleinbürgerlich friedlichen Huren holt, was ihm fehlt.
Doch eben: All diese privaten Geschichten sind zweitrangig. Im ungarischen Original beginnt das Buch mit zwei Seiten zum historisch verbürgten Pogrom von Tisza Esla, wo „christliche Rache” zwölf Juden und eine Jüdin ins Gefängnis brachte, weil sie angeblich ein christliches Mädchen getötet und ihr Blut für rituelle Zwecke verwendet hätten. In der deutschen Übersetzung ist dieser Auftakt verschwunden, der Fall wird jedoch anderswo angesprochen, und zwar an zentraler Stelle. Das düstere Geheimnis, das Berta von Bratmann versteckt, das auch im Mittelpunkt des Textes steht und aus Berta die schwierige Schönheit macht, in die der junge Maler Guszti sich verguckt, spielte sich in der Nähe von Tisza Esla ab. Berta hatte einmal aus Scherz einen Jeschiwe Bocher, einen verliebten Talmud-Schüler, aus dem sie sich nie etwas gemacht hat, dazu verleitet, als Mutprobe über die Theiss zu schwimmen, wobei dieser ertrank.Bertas „Schuld” wurde bekannt. Die ganze Familie – „wir konnten dort nicht mehr leben” – zog daraufhin nach Budapest. Unter dem „Vorwand” des antisemitischen Blutschuldprozesses.
Das ist der Trick dieses sanft wirkenden Romans. Er nimmt die moralischen undLiebes-Fragen seiner Figuren, die sich wie andere zwischen subjektivem Wünschen und persönlicher oder öffentlicher Moral entscheiden sollen, ernst und macht sie sympathisch nachvollziehbar. Aber im selben Atemzug zeigt er, vor der bekannten historischen Zukunft, die Áron von Bratmann gegen Ende des Buches ahnt, dass es blauäugig war, „so” zu denken, den Blutschuldprozess nicht als das Eigentliche zu erkennen.
Auch Bertas hübsche Tochter Raschi, in die sich der Berta-Verehrer Guszti schließlich verliebt, wird von Mutters Fehlverhalten, das sie über die Lektüre alter Briefe erfährt, zu individuellem Umdenken bewegt: weg von kapriziösem Kecksein, hin zu verantwortlichem Handeln; eine rührende Geschichte, wobei das böse Fazit des Romans lautet, dass die moralische Besserung des Einzelnen in einem größeren Rahmen wenig hilft.
Das Buch setzt in einer Zeit ein, als alles noch auf der Waage stand. Als es zwischen liberalen Juden, wie den von Bratmanns, und aufgeschlossenen Christensöhnen, wie Guszti Tringer, noch möglich war, über Gefühle und Interessen die Schranken der Vorurteile zu bezwingen. Doch der versteckte, teilweise offene Hass ist schon dabei, sich Bahn zu brechen. Lea Polgár hat ein auf seiner Oberfläche manchmal etwas gediegen wirkendes, aber äußerst interessantes Buch geschrieben. HANS-PETER KUNISCH
LEA POLGÁR: Die zwei Welten der Rahel Bratmann. Roman. Aus dem Ungarischen von Susanne Simor. C.H. Beck Verlag, München 2006. 290 S., 18,90 Euro.
Muntere Tollerei am Budapester Donaustrand, als noch alles offen und die Unglücksgeschichte fern war
Foto: Scherl
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hans-Peter Kunisch feiert das Romandebüt der ungarischen Autorin Lea Polgar als ungewöhnliches und dabei fesselndes und berührendes Werk. Im Mittelpunkt stehen eine christliche und eine jüdische Familie im Budapest zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein junger Student verliebt sich erst in die Mutter, dann in die Tochter eines jüdischen Kunsthändlers, was die Autorin in einem Ton erzählt, der der Zeit angepasst ist und den Rezensenten an Arthur Schnitzler erinnert. Hinter der traurig-schönen Liebesgeschichte aber scheint der sich stetig verstärkende Antisemitismus auf, der im Pogrom von Tisza Esla einen ersten Höhepunkt findet, und den die Figuren des Romans zwar nicht zu erkennen imstande sind, der aber dennoch den Fluchtpunkt des Buches bildet, so Kunisch beeindruckt. Während die Protagonisten nämlich in ihre eigenen Geheimnisse und Konflikte verstrickt sind, die der Leser durchaus empathisch miterlebt, kündigt sich bereits die schreckliche historische Zukunft an, hinter der schließlich das individuelle Schicksal verschwindet, resümiert der Rezensent bewegt.

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