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Kaum ein anderer Historiker hat das Bild der neueren deutschen Geschichte und die Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik in ähnlicher Weise geprägt wie Hans-Ulrich Wehler. Sein Hauptwerk, die "Deutsche Gesellschaftsgeschichte" (bislang 4 Bände), gilt schon jetzt als eines der großen Geschichtswerke unserer Zeit. Gleichzeitig beteiligte Wehler sich immer wieder an wichtigen politischen Debatten und bezog mit viel Freude an Polemik Position. Der Interviewband verbindet den Rückblick auf das eigene Leben mit einem Kommentar zu Geschichte, Geschichtswissenschaft und politischer Kultur. Sein…mehr

Produktbeschreibung
Kaum ein anderer Historiker hat das Bild der neueren deutschen Geschichte und die Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik in ähnlicher Weise geprägt wie Hans-Ulrich Wehler. Sein Hauptwerk, die "Deutsche Gesellschaftsgeschichte" (bislang 4 Bände), gilt schon jetzt als eines der großen Geschichtswerke unserer Zeit. Gleichzeitig beteiligte Wehler sich immer wieder an wichtigen politischen Debatten und bezog mit viel Freude an Polemik Position. Der Interviewband verbindet den Rückblick auf das eigene Leben mit einem Kommentar zu Geschichte, Geschichtswissenschaft und politischer Kultur. Sein Urteil über neuere Tendenzen in der Geschichtsschreibung ist dabei so dezidiert wie seine politischen Standortbestimmungen provozierend sind.
Autorenporträt
Hans-Ulrich Wehler, geboren 1931, studierte Geschichte und Soziologie an den Universitäten Köln, Bonn, Athens/Ohio (USA). 1960 Promotion, 1968 Habilitation. Von 1968 bis 1970 war er Privatdozent in Köln, 1970/1971 Professor an der Freien Universität Berlin. Seit 1971 war er Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität Bielefeld, 1972 Gastprofessor an der Harvard University, Cambridge/Massachussetts, 1976 an der Princeton University, Princeton/New Jersey, 1983/1984 an der Stanford University, Stanford/California, 1989 an der Harvard University. 1996 Emeritierung, 1997 Yale University. 1999 wurde Hans-Ulrich Wehler zum auswärtigen Ehrenmitglied des amerikanischen Historiker-Verbandes ernannt. Im Jahr 2003 erhielt er den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen, 2004 wurde er Ehrensenator der Universität Bielefeld. 2014 erhielt er den Lessing-Preis für Kritik. Hans-Ulrich Wehler verstarb 2014.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2006

Der Sonderweg des Mittelstreckenläufers
Franziska Augstein
Aktenstudium befördert die Ausgeglichenheit: Der Historiker Hans-Ulrich Wehler im Gespräch
Viele Zeitgenossen wirken interessant, weil sie kompliziert sind, wandelbar in ihren Überzeugungen und unberechenbar in ihren Reaktionen. Selten kommt es vor, dass jemand durch seine Gradlinigkeit fasziniert. Letzteres gilt indes für Hans-Ulrich Wehler.
Der Doyen der bundesdeutschen Sozialgeschichtsforschung ist so gelassen in seinem Habitus und so nüchtern in seinem Verhältnis zur Welt, dass er Dinge, die er verachtet, und Dinge, auf die er stolz ist, mit dem gleichen kleinen, amüsiert-ironischen Lächeln erzählt. Dass er mehr Akten gelesen hat als die allermeisten, trägt seit Jahrzehnten zu seiner inneren Ausgeglichenheit bei. Wehler ist die Person gewordene Bestätigung der Theorie von Richard Tawney über das protestantische Arbeitsethos.
Anlässlich seines 75. Geburtstags am 11. September ist ein langes Interview mit ihm erschienen, das zwei Schüler, Manfred Hettling und Cornelius Torp, geführt haben. Aus dieser Konstellation ergibt sich die Entscheidung der beiden Interviewer, auf eine nähere Erforschung von Wehlers Seele zu verzichten. Nach Kindheit und Jugend erkundigen sie sich nur, soweit es notwendig ist, um zu klären, warum der Dreizehnjährige noch 1945 mit der Waffe in der Hand sein Land – „das Reich” – verteidigen wollte.
„Meine Eltern kamen beide aus großen calvinistischen Familienclans”, sagt Wehler, was Tawneys These entgegenkommt. Diese Tradition, fährt er fort, hätten Vater und Mutter nicht an ihn weitergegeben. Seinen Fleiß und seine Freude an „Leistung” erklärt er damit, dass er Leistungssport betrieben habe: 1947 wurde er Kreismeister über 1500 Meter; er war ein guter Mittelstreckenläufer. Als Historiker wurde er zum Langstreckenläufer. Die kürzeren Distanzenin diesem Metier ergaben sich dann aus seiner politischen Haltung, die – auch dank eines frühen Studienaufenthalts in den Vereinigten Staaten – seit jeher kritisch-aufgeklärt und liberal ist. In den fünfziger und anhebenden sechziger Jahren war Wehler demokratischer und freiheitlicher gesinnt, als viele Adenauer-Deutsche es kannten und wollten.
Um ein Haar hätte er in Köln nicht promovieren können: Noch vor dem Mauerbau hatte er aus Ostberlin eine Anzahl Bände der Werke von Marx und Engels mitgebracht. Diese wurden ihm vom westlichen Zoll abgenommen, der Fall wurde nach Köln gemeldet, und an der Fakultät gab es jemanden, der meinte, ein Student, der so viel Marx und Engels lese, gehöre nicht an diese Universität.
Wehler hat auch zwei Habilitationsschriften verfasst, die abgelehnt wurden. Einmal nahm er den amerikanischen Imperialismus zu genau unter die Lupe: So kritisch durfte man mit den Siegern nicht umgehen. Beim zweiten Mal störtensich die Prüfer daran, dass er ihrem idealisierten Bismarck-Bild Kratzer beibrachte. Schließlich hat er sich 1968 mit einer Arbeit über Clausewitz und den Übergang zum totalen Krieg in den Jahren 1914 bis 1918 habilitiert. Bei der mündlichen Prüfung gab es fast einen Eklat: Ein Professor, ein alter Verehrer des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß, verteidigte Ludendorffs Führung und fing an, über den „Juden Albert Einstein” und die Atombombe zu schwafeln.
So ging es zu in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre, wenn ein im Geist der damaligen amerikanischen Freiheitsideale gereifter junger Mann versuchte, auf die Beine zu kommen. Wehler hat alle diese Anfechtungen durchgestanden, indem er weiter gelaufen ist, indem er so viel gelesen hat, dassbald niemand mehr ihm an den Karren fahren konnte. Woher er die Kraft dazu fand,sich nicht nach der Decke zu strecken, ist mit Übung im Dauerlauf und dem Zuspruch seiner Lehrer allerdings nicht ganz erklärt.
Das Buch vermag auch nicht ganz zu erhellen, warum Wehler von den 68ern nichts hält. Möglicherweise hat er sie schon deshalb nie ernstgenommen, weil sie sich so vehement auf Lektüre beriefen, ohne in seinen Augen tatsächlich genug gelesen zu haben. Unter den vielen guten Fragen der Interviewer hätte man sich auch die folgende gewünscht: Haben nicht die 68er samt ihrer intellektuell erratisch fundierten Chaotik dazu beigetragen,dass die Bundesrepublik von da an nicht bloß schleichend, wie zuvor, sondern gezielt und schnell zu einem in gesellschaftspolitischer Hinsicht liberaleren Staat geworden ist?
So eine Frage kommt nicht vor, weil sich das Gespräch fast ausschließlich um Wehler als Historiker dreht: Wie wurde er zum Sozialhistoriker, wie hat sich die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik entwickelt, was hält er heute von der Sozialgeschichte, was hält er von anderen wissenschaftlichen Ansätzen? Freimütig, kritisch und konzis gibt der Befragte Auskunft. Bei Fernand Braudel findet er „Zivilisation und Kapitalismus verschlungen, das ist ganz diffus”. Auch bedauert er, dass die Historiker der Annales-Schule sich nicht ins 19. und
20. Jahrhundert gewagt hätten. Die Dinge, die der Soziologe Niklas Luhmann beim Nachdenken über die „Gesellschaft in der Gesellschaft” abhandelte, kann Wehler „nicht übersetzen in die Probleme, die mich interessieren”. Norbert Elias war schon zu Lebzeiten „antiquiert”. Michel Foucaults politisches Denken war falsch und dogmatisch: „Wo immer ich ihn historisch kontrollieren kann, führt erin die Irre.” Verglichen mit dem, was Wehler früher über Foucault gesagt hat, ist das ein mildes Urteil. Die Maßstäbe, denen er sich selbst unterwirft, legt er auch bei anderen an. Wenn er sagt, eine Arbeit sei gut, ist das so viel wie ein Ritterschlag.
Indem Wehler erzählt, entsteht nebenbei eine kleine Handbibliothek von ihm hochgeschätzter Arbeiten, die allerlei Anregungen bietet und für jedenangehenden Historiker nützlich ist. Dass einer wie Wehler eine Autobiographie schreiben wird, ist unwahrscheinlich, weil er sich Themen setzt, an denen er sich „die Zähne ausbeißen kann”, und mit einer Autobiographie wohl unterfordert wäre. Ein paar sprachliche Fehler sind in diesem Büchlein stehen geblieben, die Hettling, Torp oder das Lektorat hätten ausputzen sollen. So hat Wehler 1958 nicht einen Aufruf „gegen” die Oder-Neiße-Grenze unterschrieben, er war vielmehr,wie aus dem Kontext deutlich hervorgeht, dafür. Und anders als die Fragesteller meinen, steht ihr hässliches Wort „Opferidentifikation” nicht für die Identifikation des Publikums mit den NS-Opfern, es bedeutet vielmehr: das Identifizieren von Opfern.
Auf Fragen nach Selbstkritik geht Wehler freundlich-nachdenklich ein. Er findet aber nichts, beim besten Willen nicht. Seine Modernisierungstheorie, seine Theseeines deutschen Sonderweges in der Geschichte, sein ganzer auf Deutschland konzentrierter gesellschaftshistorischer Ansatz: Alles habe immer noch seine Berechtigung. Derzeit arbeitet Wehler am letzten Band seiner Gesellschaftsgeschichte, der die Gegenwart einholen wird. Wenn das Buch fertig ist, wird er nicht selbstzufrieden sein, er wird – was etwas anderes ist – mit sich selbst zufrieden sein, auf Kritik an seinem Werk sorgfältig eingehen und dabei ein kleines amüsiert-ironisches Lächeln aufsetzen.
FRANZISKA AUGSTEIN
HANS-ULRICH WEHLER: Eine lebhafte Kampfsituation. Ein Gespräch mit Manfred Hettling und Cornelius Torp. Verlag C. H. Beck, München 2006. 224 S., 12,90Euro.
Immer geradlinig: Hans-Ulrich Wehler, der Doyen der deutschen Sozialgeschichtsforschung.
Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2006

Bielefelder Allerlei
Hans-Ulrich Wehler antwortet

Der Schüler interviewt seinen Lehrer. So erfährt die Öffentlichkeit, wie Hans-Ulrich Wehler auf das Thema seiner Dissertation gekommen ist und wie er Vorlesungen gehalten hat, was er über die Doktoranden des einen Kollegen denkt, daß es "einige intelligente Arbeiten" eines anderen gibt und daß ein weiterer 1972 "aus seiner Münchener C-3-Position herauswollte". Oder er wirft die Frage auf, ob wieder ein anderer "noch den Band über die Arbeiter nach dem Zweiten Weltkrieg abschließt". Klatsch und Selbstbespiegelung aus der Geschichtswissenschaft, unterhaltsam und mindestens so selbstreferentiell wie die Großordinarien des "Historismus", dessen jahrzehntelange Verfemung wie manches andere nonchalant als "ungerechtes Urteil" zurückgenommen wird. Bleiben - nach dem von Wehler verehrten "agonalen Prinzip" - zwei Fragen: Wie wichtig muß man sich eigentlich nehmen? Und warum muß man das drucken?

ANDREAS RÖDDER

Hans-Ulrich Wehler: Eine lebhafte Kampfsituation. Ein Gespräch mit Manfred Hettling und Cornelius Torp. Verlag C.H. Beck, München 2006. 224 S., 12,90 .

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'... darin liegt natürlich der Spaß beim Lesen: unfair, widersprüchlich, überzogen, aber auch geistreich, stilvoll, flüssig, und immer gedankenanregend.' - Richard J. Evans in die tageszeitung über den Essayisten Hans-Ulrich Wehler

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht nur Hans-Ulrich Wehler möchte als "Schlauvogel" erscheinen, wie Patrick Bahners erklärt. Auch der Rezensent gibt sich alle Mühe, den Leserkreis des Buches möglichst klein zu halten. Im Gespräch zieht Wehler die Bilanz seines Historikerlebens, seiner Wirksamkeit. Und er tut das selbstbewusst, "sportlich", weniger gern sachlich, lieber unter Anwendung von Kollegenschelte. Wenn wir Bahners richtig verstehen. Die Rechtfertigung des Bandes besteht für Bahners denn auch sowohl in den "freiwilligen" wie in den "unfreiwilligen Mitteilungen" des Historikers: So wird ein "historiografiegeschichtliches Dokument" draus. Eins mit Formfehlern allerdings. Bahners spricht von "Rohform". Im Lektorat saßen wohl keine Schlauvögel.

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