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Mord als schöne Kunst betrachtet
Morde sind zwar unerquicklich für das jeweilige Opfer, haben aber auch ihre guten Seiten, denn sie beflügeln Kunst und Wissenschaft - die Mediziner, die den Kommissaren dabei helfen, die Killer zu fassen, die Schriftsteller, die die Jagd in Krimis beschreiben und die Filmemacher, die sie auf Celluloid oder digital festhalten. Bei seinem ebenso spannenden wie unterhaltsamen Spaziergang durch die Kulturgeschichte des Mordes zeichnet Jörg von Uthmann diese Entwicklung nach - vom König Ödipus, dem literarisch ergiebigen Vatermörder, bis zur DNA-Analyse, die es…mehr

Produktbeschreibung
Mord als schöne Kunst betrachtet

Morde sind zwar unerquicklich für das jeweilige Opfer, haben aber auch ihre guten Seiten, denn sie beflügeln Kunst und Wissenschaft - die Mediziner, die den Kommissaren dabei helfen, die Killer zu fassen, die Schriftsteller, die die Jagd in Krimis beschreiben und die Filmemacher, die sie auf Celluloid oder digital festhalten. Bei seinem ebenso spannenden wie unterhaltsamen Spaziergang durch die Kulturgeschichte des Mordes zeichnet Jörg von Uthmann diese Entwicklung nach - vom König Ödipus, dem literarisch ergiebigen Vatermörder, bis zur DNA-Analyse, die es 1987 erstmals erlaubte, einen Mörder anhand seines "genetischen Fingerabdrucks" zu überführen.
Autorenporträt
Jörg von Uthmann war viele Jahre Diplomat und Journalist, u.a. für die FAZ und den Tagesspiegel. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher über kulturgeschichtliche Themen. Jörg von Uthmann lebt in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2006

Ein Chinese sollte nicht vorkommen
Mit leichter fester Hand: Jörg von Uthmanns umfassende Kriminalgeschichte des Mordes

Der kleine Band ersetzt eine Bibliothek. Er enthält eine Geschichte der Strafverfolgung und deren Reflexion in Romanen, Theaterstücken, Opern, Filmen und Fernsehspielen. Plakative Fälle mit Angabe der Namen und der Orte des Geschehens werden ungefähr in zeitlicher Abfolge erzählt, soweit nicht das Sachproblem dominiert. Wenn möglich mit Kontext: Was ist aus der Sache geworden? Wurde der Täter gehenkt, hat er seine Freiheitsstrafe überlebt, hat die Presse gebellt, haben sich Schriftsteller des Falles angenommen? Man erfährt viel über die Entwicklung der Kriminalistik und der Kriminalliteratur, über Edgar Allan Poe, Conan Doyle, Charles Dickens, Agatha Christie und Dorothy Sayers, die Oxford-Studentin, die keine Kriminalromane, sondern religiöse Traktate schreiben wollte. Alles mit leichter Hand und Sachverstand beschrieben, jede Gefühlsregung und jeden Tiefgang vermeidend. Als der Mietnachfolger in der Wohnung des Frauenmörders John Christie "die Tapete abriß und den Schrank öffnete, kollerte ihm eine tote Frau entgegen". Kein Schreckensschrei, kein Entsetzen, das bloße Faktum, betont durch "kollern", das an Steine erinnert. Und doch!

Als der Rezensent "Ein Teelöffel Arsenik, eine kleine Prise Zyankali. Frauen und Ärzte sind unter den Giftmischern auffallend stark vertreten" gelesen hatte, fiel ihm das Ferrero-Küßchen in seiner Manteltasche ein, das ihm eine tapfere Wahlkämpferin mit spitzbübischem Lächeln beim morgendlichen Einkauf zugesteckt hatte. Und ihm schoß wahrhaftig der Gedanke durch den Kopf, ob ihm das süße Gebilde zuträglich sei. Lächerlich! Aber das Kapitel lehrt, daß Täter und Opfer vertraut sein müssen, damit er sein Gift richtig plazieren kann, und daß Süßigkeiten dem Opfer Appetit machen sollen. Das sagt zwar schon der gesunde Menschenverstand, aber nicht so treffend und klarsichtig wie von Uthmann.

Der Verfasser hat die Akzente einleuchtend gesetzt. Allerdings kann man zweifeln, ob die griechischen Sagen, allen voran das Ödipus-Drama, in eine Kriminalgeschichte gehören. Schicksal und Urstreit haben mit "Jack the Ripper" nur mittelbar zu tun. Außerdem vermißt man einen Typ von Detektiv, den, der sich in einer zynischen Welt auf die Seite der Gerechtigkeit schlägt wie der Kommissar Bärlauch in Dürrenmatts "Der Richter und sein Henker" oder wie Bernhard Schlinks edelmütiger Privatdetektiv Gerhard Selb. Das könnte Absicht sein. Daß Selb in politische Geschichten verstrickt ist, stört den Leser. Warum es stört, kann man in diesem Buch erfahren. Inzwischen hat Schlink Selb an "ausgelatschtem" Herzen sterben lassen.

Der Band enthält keine Theorie des Kriminalromans. Dagegen würde sich von Uthmann selbst am heftigsten wehren. Aber wie ein Kenner Wein differenzierter genießen kann als ein Kneipenschlozer, so hat auch ein Kenner der Kriminalliteratur mehr von Mordgeschichten als ein kenntnisarmer Gelegenheitskonsument. Genau das ist von Uthmanns Perspektive. Aber er ist vorsichtig. Mit gleichsam auf dem Rücken verschränkten Händen, also ohne erhobenen Zeigefinger, zitiert er: "Über den literarischen Wert der meisten Kriminalromane darf man sich in der Tat keinen Illusionen hingeben. Selbst eine Könnerin wie Agatha Christie schrieb nur eine anspruchslose, klischeegesättigte Alltagsprosa." Dorothy Sayers habe festgestellt, "den höchsten Grad literarischer Vollendung könne diese Art von Literatur nicht erreichen, da sie die Wirklichkeit weder darstellen noch verstehen wolle, sondern vor ihr fliehe". Deshalb können Kriminalromane süchtig machen wie Rauchen. Dem Kettenleser komme es nicht einmal auf den Denksport an. Wenn ihn eine Lösung enttäusche, klappe er das Buch einfach zu und beginne mit dem nächsten. Selbstverständlich leugnet von Uthmann nicht, daß es eine reiche, anspruchsvolle Literatur gibt, in der Verbrechen vorkommen. Dostojewski nimmt bei ihm breiten Raum ein. Aber auf eine Abgrenzung verzichtet er.

Wenn der seelische Mechanismus der Leser so einfach ist, muß es für den Kriminalroman Rezepte geben. Auf der anderen Seite kann er sich nicht als Instrument der politischen Bildung eignen. Politik lenkt nur ab. Widerstandskämpfer, Attentäter und Verschwörer haben daher in Kriminalromanen nichts zu suchen, meint denn auch der Verfasser der "Zwanzig Regeln für das Verfassen von Kriminalromanen", Van Dine. Ein anderer Autor, der katholische Priester Ronald Fox, hat zehn Gebote formuliert, die Fairness zwischen Autor und Leser herstellen sollen. Das fünfte Gebot lautet: "Kein Chinese darf in der Geschichte vorkommen", das sechste: "Der Detektiv darf nicht selbst der Verbrecher sein." Aber diese Regeln stammen aus der goldenen Zeit des Kriminalromans, und die endete mit den Versuchen russischer, französischer und amerikanischer Schriftsteller, die Welt zu verbessern oder sie wenigstens so darzustellen, wie sie ist, was aber, wie wir seit der Aufklärung wissen, fast dasselbe ist.

Zum Schluß geht es um die Kernfrage: "Warum und wie wird gestraft?" Wieder eine Blitzreise durch die Geschichte der Strafverfolgung, zeitlich von Kain und Abel bis Jürgen Bartsch und räumlich von Schuld und Sühne bis zur Geisteskrankheit, mit dem, natürlich wieder zitierten, Schluß, der Begriff der Geisteskrankheit sei aufzugeben, weil Gefängnisse humaner seien als psychiatrische Anstalten.

GERD ROELLECKE

Jörg von Uthmann: "Killer, Krimis, Kommissare". Kleine Kulturgeschichte des Mordes. Verlag C.H. Beck, München 2006. 293 S., 31 Abb., br., 12,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rundum gelungen findet Rezensent Gerd Roellecke diese "Kleine Kulturgeschichte des Mordes", die Jörg von Uthmann vorgelegt hat. Wie Roellecke berichtet, bietet der Band eine Geschichte der Strafverfolgung sowie deren Reflexion in Romanen, Theaterstücken, Opern, Filmen und Fernsehspielen. Der Autor berichte über zahlreiche plakative Fälle samt Kontext. Auch erfahre der Leser viel über die Entwicklung der Kriminalistik und der Kriminalliteratur, z.B. über Edgar Allan Poe, Conan Doyle, Charles Dickens, Agatha Christie und Dorothy Sayers. Die Akzente des Buchs findet Roellecke "einleuchtend gesetzt". Zudem äußert er sich lobend über die Darstellung des Autors, der mit "leichter Hand" und "Sachverstand" schreibe. Das Fazit des Rezensenten: "Der kleine Band ersetzt eine Bibliothek."

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