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Hilft die Philosophie? Der moderne Mensch muß heute sein Leben weitgehend selber gestalten und wird dadurch für seine Existenz auch selbst verantwortlich. Doch kaum ein Philosoph des 20. Jahrhunderts interessiert sich für individuelle Lebensprobleme. Anders Jean-Paul Sartre: Gerade Ungewißheit eröffnet die individuelle Freiheit; der einzelne erhält nicht von außen, von Gott, Vaterland, der Familie oder der Klasse seine Aufgaben, die er nur noch gut auszuführen hat. Er muß den Sinn seines Lebens, sein Wesen selber zusammenstellen. Niemand nimmt ihm dafür die Verantwortung ab. Sartre verlangt in…mehr

Produktbeschreibung
Hilft die Philosophie? Der moderne Mensch muß heute sein Leben weitgehend selber gestalten und wird dadurch für seine Existenz auch selbst verantwortlich. Doch kaum ein Philosoph des 20. Jahrhunderts interessiert sich für individuelle Lebensprobleme. Anders Jean-Paul Sartre: Gerade Ungewißheit eröffnet die individuelle Freiheit; der einzelne erhält nicht von außen, von Gott, Vaterland, der Familie oder der Klasse seine Aufgaben, die er nur noch gut auszuführen hat. Er muß den Sinn seines Lebens, sein Wesen selber zusammenstellen. Niemand nimmt ihm dafür die Verantwortung ab. Sartre verlangt in diesem Sinne vom Einzelnen Engagement. Sein Existenzialismus nimmt die notwendig reflexiven Lebensformen unter den Bedingungen der Individualisierung und Globalisierung in der Risikogesellschaft (Ulrich Beck) vorweg.

Das Buch gibt einen Überblick über Sartres Leben und sein Werk, führt dabei vor allem in seinen Existenzialismus ein und zeigt dessen Aktualität auf: eine philosophisch durchdachte Lebensform könnte dem modernen Menschen helfen, unter unsicheren sozialen, ethischen und religiösen Umständen die eigene Existenz zu gestalten.
Autorenporträt
Hans-Martin Schönherr-Mann ist Professor für Politische Philosophie am Geschwister Scholl Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zahlreiche Buchveröffentlichungen und Beiträge für den Rundfunk und für Zeitungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2005

Im Schlauchboot des Geistes
Mit Hans-Martin Schönherr-Mann tritt Sartres Krümelmonster auf

Nächste Woche Dienstag ist Sartre-Tag, der Philosoph wäre dann hundert Jahre alt geworden, und so war es kein schlechter Einfall des Verlags C. H. Beck, uns noch einmal die Aktualität des Verstorbenen vor Augen führen zu wollen. Ein Autor war bald gefunden, gleich um die Ecke sozusagen, es handelt sich um Hans-Martin Schönherr-Mann, Professor für Politische Philosophie am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Schönherr-Mann unternimmt den Versuch, uns Sartres Werk als "Philosophie des Individuums für das 21. Jahrhundert" nahezubringen. Was also ist Schönherr-Manns Sartre für einer? Er ist, soviel kann man ohne Untertreibung sagen, ein Sartre zum Anfassen, einer, der mitten in unseren verwurschtelten Alltag hineinspricht, ein Sartre, der weiß, was auch Friedbert Pflüger heute morgen im Fernsehen sagte: daß man die Menschen mitnehmen muß.

Unter dieser hochdidaktischen Prämisse verwandelt sich die Frage, was Schönherr-Manns Sartre für einer ist, in die Frage: Welchen Begriff von verwurschteltem Leser-Alltag hat Schönherr-Mann, auf den hin plaudernd er seinen Sartre entwirft? Das Kennzeichen des Verwurschtelten, das uns Heutige mit Sartre verbindet, ist laut Schönherr-Mann der "Reflexionszwang". Nie war die Anforderung, selbständig zu denken, so hoch wie heute, da wir frei sind: "In Bastelbiographien und Patchworkexistenzen zerbröselt die Totalität der Entwürfe." Wir sind Sartre. Er zerbröselte, wir zerbröseln. Denkend müssen wir unsere Krümel wieder zusammensetzen. Überleben ist folglich ein Leben unter Reflexionszwang. Wer aufhört zu reflektieren, fällt augenblicklich ins Nichts zurück, verkrümelt sich. Mit diesem Aktualisierungsversuch des Freiheitsdenkers aus Paris fürs deutsche Patchworkland betritt Schönherr-Mann als Krümelmonster Sartres die Szene.

Schönherr-Mann entwickelt seine Zeitdiagnose nicht ohne geistesgeschichtlichen Rückblick, der sich im begründungstechnisch entscheidenden Absätzchen wie folgt liest: "Zweifellos erweist sich diese Sachlage - daß die Menschen aus ihren traditionellen Lebensgewohnheiten herausfallen und sich zunehmend individualisieren - als äußerst bedenklich, bringt uns folglich zum Denken oder Reflektieren, so daß die Freiheit der Gedanken in den Zwang zur Reflexion ausartet. Genau an dieser Stelle avanciert Sartres Existentialismus zur Lebensform unserer Epoche, die sich seit dem 19. Jahrhundert anbahnt. Denn um uns mit der Gedankenfreiheit bzw. dem Reflexionszwang anzufreunden, müssen wir vor allem denken, dazu aber das Denken überhaupt erst lernen, uns in der Reflexion einüben. Daß man sich dazu bilden muß, das wußten schon der Humanismus und die Aufklärung." Die wußten das schon. Alle Leute davor wußten es nicht. Genau an dieser Stelle, nämlich an der Schwelle vom Mittelalter zum Humanismus und der Aufklärung kurz vor dem 19. Jahrhundert, genau an dieser Stelle schlägt zivilisationsgeschichtlich die Freiheit der Gedanken, die zu nichts Gedankenvollem führte, in den Reflexionszwang um, welcher schließlich dafür sorgt, daß Sartre und wir im selben Boot zu sitzen kommen, und zwar dort wiederum genau an der Stelle, wo die Humanisten und die Aufklärer, die ja historisch früher, also schon länger als Sartre und wir im Boot sitzen, uns noch ein Sitzplätzchen freigelassen haben. So stechen wir mit dem Steuermann Schönherr-Mann in die hohe See der freien Gedanken, doch ein gutes Bauchgefühl will so recht nicht aufkommen, spüren wir doch genau, daß unsere ehemals freien Gattungsgedanken bastelbiographisch längst unfrei geworden sind, weil dazu verurteilt, zwanghaft das Schlauchboot unseres geschlauchten Geistes auf Kurs zu halten. Oder, wie es Schönherr-Mann ausdrückt: "daß Sein und Fragen originär zusammengehören", eine Formulierung, wie der Autor sie bereits in seinem 2003 erschienenen Text "Sein und Fragen - Ein Essay" grundgelegt hatte.

Und während wir in Gedanken schon von Bord dieses bedenkenswerten Büchleins gehen wollen, um unserem verwurschtelten Alltag, bevor es Abend wird, rasch noch eine Perspektive zu geben - also abzuwaschen, die Kinder vom Kindergarten abzuholen und einkaufen zu gehen -, ruft uns Sartres Krümelmonster nach: "Zum Denken und Reflektieren zwingt uns nicht nur das Bewußtsein, sondern die Realität, unser Bedürfnis, diese zu beeinflussen, und der Zwang, unserem Leben eine Perspektive zu geben." Wenn Denken so schlauchend ist, wie dieser Beck-Autor glauben macht, dann möchten wir auf dem Markt für intelligente Bücher nicht weiter stören.

CHRISTIAN GEYER

Hans-Martin Schönherr-Mann: "Sartre". Philosophie als Lebensform. C. H. Beck Verlag, München 2005. 173 S., br., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2005

Sein nächstes Jahrhundert?
Wie Hans-Martin Schönherr-Mann versucht, Sartre als Ahnherrn der globalen Zivilgesellschaft zu retten
Sartres hundertster Geburtstag: ein Festtag für Frankreich. Sartre ist für die französische Ideengeschichte beinahe so wichtig wie Descartes oder Voltaire; mit gewissem Recht nannte daher Bernard-Henri Lévy seine vielgerühmte Sartrebiografie von 2000 „Le siècle de Sartre”, „Sartres Jahrhundert”. Sartre war der Intellektuelle schlechthin, ein Autor, der mit den verschiedensten Textgattungen operierte: mit philosophischen Werken, Theaterstücken, Romanen, Essays, Rezensionen, Porträts und Physiognomien, Reiseberichten, Drehbüchern, Vorworten und Nachrufen, ganz abgesehen von der mehrbändigen Flaubert-Studie, die ohnehin die vertrauten Grenzen zwischen Philosophie, Literatur, Psychoanalyse oder Biografie sprengt.
Sartres Werk ist mit den wichtigsten Denkströmungen des 20. Jahrhunderts assoziiert: Phänomenologie, Psychoanalyse, Existentialismus, Marxismus. So könnten auch die Etappen der Sartre-Rezeption gegliedert werden: der existentialistischen Welle in den fünfziger Jahren folgte die marxistische in den sechziger und siebziger Jahren, bevor Sartre dann vorübergehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geriet, um schließlich, nach seinem Tod, zum Klassiker erhoben zu werden. Schon 1964, kurz nach Erscheinen des Romans „Die Wörter”, war ihm der Literaturnobelpreis verliehen worden, den Sartre allerdings - wie vor ihm nur Boris Pasternak, im Jahr 1958 - ablehnte; fünf Jahre später wäre Beckett beinahe dem Beispiel Sartres gefolgt. Heute ist diese spektakuläre Geste beinahe vergessen; dagegen drängt sich die Frage auf, was Sartres Werk denn zu einer Analyse der Gegenwart beitragen könnte.
Verschiedene Antworten sind vorstellbar. Lévy betonte in mehreren Interviews, dass er zu einer Generation gehöre, die Sartre nicht mehr gelesen habe, ihn gar für einen „philosophischen Dinosaurier” hielt; erst im Krieg um Sarajewo, in zahlreichen Diskussionen mit bosnischen Intellektuellen, habe er den Autor der „Fragen der Methode” wiederentdeckt. Michael Hardt und Antonio Negri zitieren - in „Empire” (2000) - Sartres Einsatz für Frantz Fanon und seinen Begriff vom „Moment des Bumerangs” im postkolonialen Zeitalter. Angesichts von Globalisierungsprozessen und neuen Kriegen wird also der politisch engagierte Autor in den Vordergrund gerückt.
Sokratiker ohne Fragen
Hans-Martin Schönherr-Mann, der in München politische Philosophie lehrt, schlägt dagegen eine andere Richtung ein: Er porträtiert Sartre als einen Theoretiker des Individualismus, als Denker der Freiheit und der moralischen Verantwortung - vergleichbar mit John Rawls. Folgerichtig wird darum eine neue Aktualität des Existentialismus behauptet. Sartres Werk, so argumentiert Schönherr-Mann schon im Untertitel seiner neuen Biografie, entwerfe eine Philosophie als „Lebensform”.
Der Ausdruck ist nicht ganz glücklich gewählt, insofern wir mit „Lebensform” eher Begriffe der Biologie oder Kulturanthropologie assoziieren; tatsächlich meint Schönherr-Mann jedoch, dass Sartres Denken und seine Lebenspraxis eine Einheit bildeten, und zwar in Politik und Moral, in Beruf und Alltag, vom Schreiben und Diskutieren im Pariser Café Flore bis zur Gestaltung von Freundschafts- und Liebesbeziehungen. Sartres Existentialismus wird als eine programmatische Analyse von Freiheitserfahrungen präsentiert, was die Rede von „Lebensform” mit neueren Idealisierungen der „Lebenskunst” (von der „Kunst des Existierens” bei Kierkegaard bis zur cura sui beim späten Foucault) verschwistert.
Dabei bleibt es aber nicht. Sartre wird an manchen Stellen wie ein Protagonist philosophischer „Lebenshilfe” kommentiert, der nicht nur Grundsätze aufgestellt, sondern auch Perspektiven und Ratschläge formuliert habe für die konkrete Existenz im 21. Jahrhundert - wie schon die Einleitung annonciert. Da melden sich allerdings erhebliche Zweifel. Kann man Sartre wirklich als „Sokratiker” charakterisieren? Nicht die Fragen (oder irgendwelche Dialoge) dominieren seine Schriften, sondern auf konkrete Situationen bezogenen Thesen und Antworten - wobei der Begriff der „Situation” für Sartres Denken nicht weniger wichtig ist als der Freiheitsbegriff, wie übrigens auch Schönherr-Mann unterstreicht. Sartres „Das Sein und das Nichts” löst gewiss keine Lebensprobleme, ebensowenig wie die Flaubert-Studien oder die posthum publizierten „Cahiers pour une morale” („Entwürfe einer Moralphilosophie”, SZ vom 20. Mai).
Natürlich kann man - mit einem gewissen historischen Recht - Sartres Marxismus als epochalen Irrweg betrachten, den er erst im Alter wieder aufgegeben hat. Darf aber darum der politische Kopf, der zeitweise radikale Intellektuelle, einfach zum Vorläufer von „Greenpeace” ernannt werden, der im Grunde bloß mithelfen wollte, eine globale Zivilgesellschaft zu begründen? Es leuchtet ein, dass die Lebensformen der Moderne - seit dem Säkularisierungsprozess (Nietzsches „Gott ist tot”), seit der Enttäuschung der Fortschrittshoffnungen und Utopien - zunehmend reflexiv geworden sind; plausibel ist auch, dass Schönherr-Mann diese wachsende Reflexivität als Chance und nicht als Verlust, als notwendigen Effekt buchstäblich bodenloser Freiheitserfahrungen und (weniger bodenloser) Verantwortung darstellen will. Fragwürdig erscheint dagegen der Versuch, ausgerechnet Sartre als philosophischen Kronzeugen für diese Prozesse zu beanspruchen.
Auf den ersten Blick hat Hans-Martin Schönherr-Mann eine lesenswerte Einführung in die Philosophie Sartres verfasst, die sich ohne komplizierte Fachterminologie an ein interessiertes Publikum wendet. Rasch bemerkt der Leser zwar, dass der Autor nur für den halben Sartre, für den Existentialisten, plädiert, den Sartre selbst später verworfen hat; doch ist eine solche Parteinahme völlig legitim, zumal unter dem Aspekt der intendierten Aktualisierung und „Rettung” des existentialistischen Projekts. Sieht man freilich genauer hin, drängt sich die Frage auf, ob Schönherr-Manns Einführung überhaupt von Sartres Philosophie handelt. Geht es nicht doch um eine politische Theorie des Liberalismus? Oder um eine systemtheoretische Analyse der wachsenden Reflexivität von Kulturen und Lebensformen? Wer weiß: Zumindest eine „Bewältigung lebensweltlicher Probleme” (so die Frage des Nachworts) wird nach der Lektüre niemand mehr erwarten.
THOMAS MACHO
HANS-MARTIN SCHÖNHERR-MANN: Sartre. Philosophie als Lebensform. C.H. Beck, München 2005. 166 S., 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit Skepsis begegnet Rezensent Thomas Macho der neuen Sartre-Biografie Hans-Martin Schönherr-Manns, der den französischen Philosophen als "Theoretiker des Individualismus", als "Denker der Freiheit und der moralischen Verantwortung" präsentiere. Schönherr-Manns Behauptung einer "neuen Aktualität des Existenzialismus", sein Verständnis von Sartres Philosophie als "Lebensform" und insbesondere seine Deutung Sartres als eines Denkers, der nicht nur Grundsätze aufgestellt, sondern auch Perspektiven und Ratschläge formuliert habe für die konkrete Existenz im 21. Jahrhundert, wecken bei Macho "erhebliche Zweifel". Plausibel scheinen ihm zwar Schönherr-Manns Ausführungen über die zunehmende Reflexivität der Lebensformen der Moderne, die als Chance zu begreifen sei. Für "fragwürdig" aber erachtet er Schönherr-Manns Versuch, ausgerechnet Sartre als Kronzeugen für diese Prozesse anzuführen. Macho erscheint das Buch "auf den ersten Blick" als eine "lesenswerte Einführung", auch wenn sie, was er für legitim hält, nur für den halben Sartre, für den Existenzialisten, plädiert. Bei genauerem Hinsehen aber stellt sich für Macho die Frage, "ob Schönherr-Manns Einführung überhaupt von Sartres Philosophie handelt." Bei ihm jedenfalls ist der Eindruck entstanden, dass es vielleicht doch eher um eine politische Theorie des Liberalismus oder um eine systemtheoretische Analyse der wachsenden Reflexivität von Kulturen und Lebensformen geht.

© Perlentaucher Medien GmbH
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