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Ein authentischer Mordfall aus dem Jahre 1952 im nordirischen Belfast ist die Geschichte eines eklatanten Justizirrtums. Am 13. November 1952 wird die Leiche der neunzehnjährigen Patricia Curren in die Praxis des Familienarztes gebracht. Bei den nun einsetzenden Ermittlungen gelingt es den Beteiligten offenbar, alles zu vertuschen. Da sind die Gerüchte über Patricias Promiskuität, den lockeren Lebenswandel der unruhigen, schönen Frau, die unglückliche, ewig mit ihrer Ehe, aber auch mit der Tochter hadernde Mutter, der übermächtige und gleichzeitig hochverschuldete Vater, Richter Curren, der…mehr

Produktbeschreibung
Ein authentischer Mordfall aus dem Jahre 1952 im nordirischen Belfast ist die Geschichte eines eklatanten Justizirrtums.
Am 13. November 1952 wird die Leiche der neunzehnjährigen Patricia Curren in die Praxis des Familienarztes gebracht. Bei den nun einsetzenden Ermittlungen gelingt es den Beteiligten offenbar, alles zu vertuschen. Da sind die Gerüchte über Patricias Promiskuität, den lockeren Lebenswandel der unruhigen, schönen Frau, die unglückliche, ewig mit ihrer Ehe, aber auch mit der Tochter hadernde Mutter, der übermächtige und gleichzeitig hochverschuldete Vater, Richter Curren, der die Familie in ihrem düsteren Haus einsperren will, und schließlich der Bruder, am Tag Anwalt und nachts ein religiöser Eiferer, der sich geißelt und von der Mutter vergöttert wird. Verurteilt aber wird Iain Hay Gordon, ein junger Soldat, der kein Alibi hat. Erst im Jahr 2000 wird das Fehlurteil gegen ihn aufgehoben ...
Meisterhaft gelingt es McNamee, die Atmosphäre der 50er Jahre wiederzuerschaffen und vor allem ein Bild der rätselhaft-tragischen Patricia Curren zu zeichnen, ihrer provozierenden Schönheit und Unabhängigkeit.
Autorenporträt
Eoin McNamee, geboren 1961 im nordirischen Kilkeel/County Down. Er veröffentlichte Drehbücher, Gedichte und Romane. Der Autor lebt mit seiner Familie in Sligo, Republik Irland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2003

Verbrechen in den eigenen Reihen
Alle sind verstrickt: Eoin McNamee rollt einen Justizirrtum auf

Ein aufsehenerregender Justizirrtum bildet den Hintergrund für den Roman des Iren Eoin McNamee. Im November 1952 wurde in Belfast die neunzehnjährige Tochter eines angesehenen Richters auf dem elterlichen Grundstück tot aufgefunden, brutal ermordet durch 37 Messerstiche. Die polizeiliche Untersuchung verlief dilettantisch, persönliche Rücksichten auf die Angehörigen des Opfers, politischer Opportunismus, Standesdünkel und Vorurteile verhinderten eine unbefangene Ermittlung. Schließlich wurde ein homosexueller Soldat als schuldig verurteilt; allein seine angebliche Geisteskrankheit bewahrte ihn vor der Hinrichtung. Das offenkundige Fehlurteil wurde erst 2000, nach fast einem halben Jahrhundert, aufgehoben.

Das sind die nüchternen Fakten, die der 1961 geborene McNamee zu einer Geschichte vielfältiger moralischer Verstrickungen verbindet, die für ihn geradezu die Qualität einer antiken Tragödie annehmen. Dabei liegt ihm wenig daran, in einem nachträglichen Indizienprozeß den wahren Mörder der lebenslustigen Patricia zu überführen, so genau er die Details dieses Falles auch studiert zu haben scheint. Zwar weisen alle Spuren auf den düsteren Wohnsitz der richterlichen Familie selbst, wo der ehrgeizige und hoch verschuldete Vater ein jähzorniges Regiment ausübt, die neurotische Mutter zu Gewaltausbrüchen neigt und der Sohn der Familie, Patricias älterer Bruder, ein sektiererisch frommes Leben führt, das niemandem so recht geheuer ist. Jeder aus dieser ehrenwerten Familie könnte Anlaß und Gelegenheit gehabt haben, die ebenso attraktive wie freizügige junge Frau zu töten. Daran läßt McNamee keinerlei Zweifel; doch am Ende interessiert ihn nicht die Frage nach dem Täter. Kein traditioneller Kriminalroman also, denn dort wäre sie von zentraler Bedeutung. Viel wichtiger sind hier die Ursachen für die offenkundige Rechtsbeugung, die sich in dem schwülen Klima zweifelhafter Frömmigkeit und allzu fadenscheiniger bürgerlicher Tugend vollzieht.

Aus ständig wechselnder Perspektive schildert McNamee die Vorgeschichte der Bluttat und die verschiedenen Stufen ihrer Untersuchung, die zunächst in den Händen der örtlichen Polizei liegt, dann an die Ermittler von Scotland Yard abgetreten wird. Die wollen rasch einen Schuldigen überführen und finden in dem labilen, naiven Soldaten Gordon ein leicht zu manipulierendes Opfer. Immer wieder überschneiden sich die Stimmen der beteiligten Personen, ihre Wahrnehmungen und Schlußfolgerungen, so daß es schwerfällt, in diesem Kaleidoskop von Meinungen und Interessen verläßliche Zeugen zu erkennen. Souverän vermischt der Erzähler die verschiedenen Zeitebenen, wechselt unvermittelt zwischen der Vorgeschichte des Mords und der Gegenwart, in der das Fehlurteil gegen Gordon aufgehoben wurde.

So verwirrend diese Vielstimmigkeit in den ersten Kapiteln des Romans auch erscheinen mag - allmählich entsteht daraus ein komplexes Bild der nordirischen Gesellschaft in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Systematisch deckt der Chronist McNamee auf, was er hinter der noblen Fassade der Wohlanständigkeit aufspürt: Alkoholismus und Spielsucht kommen da zutage, sexuelle Untreue in mancherlei Spielarten, Unterschlagung, Bestechung, Verrat, heftige Begierden, mühsam beherrschte Gewalt, aber auch zögernde Gesten des Vertrauens bei Gordons wenigen Freunden. Alle diese Gefühle aber, die großen Leidenschaften wie die kleinen Zeichen der Zuneigung, bleiben, wie MacNamee immer wieder zeigt, fest eingebunden in die moralischen und ideologischen Verstrickungen ihrer Zeit.

Der in Nordirland ständig schwelende Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken spielt dabei eine wichtige Rolle, ebenso der Fremdenhaß und die latente Homophobie der patriarchalen Gesellschaft. Der Belfaster Chief Inspector sähe gern einen Polen als Täter, würde dies doch die Integrität der eigenen protestantischen Oberschicht bestätigen. Daß schließlich ein junger Homosexueller gegen jede äußere Wahrscheinlichkeit als Mörder verurteilt wird, bringt den Belfaster Honoratioren dieselbe Entlastung, wie es die Überführung eines katholischen Ausländers getan hätte. Der Bericht von der stümperhaften Ermittlung von Patricias Tod wandelt sich so zu einem Sittengemälde Belfasts in den fünfziger Jahren.

Ganz ähnlich ist Thomas Hettche vor wenigen Jahren mit seinem "Fall Arbogast" und der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft verfahren. Gewiß wäre es voreilig, von zwei parallel strukturierten Romanen sofort auf einen neuen internationalen Trend zum zeithistorischen Roman über Justizirrtümer zu schließen. Doch bleibt eine erstaunliche Übereinstimmung: Beide Autoren stellen authentische Kapitalverbrechen an den Beginn ihrer erzählerischen Erkundung der fünfziger Jahre und versuchen, die gesellschaftlichen Strukturen jener Zeit über die Verfahrensweisen einer voreingenommenen Rechtsprechung zu erschließen, indem sie den bekannten Handlungsmustern des Kriminalromans eine neue Dimension verleihen.

McNamee durchschaut die kollektiven Vorurteile und die Wahl eines Sündenbocks für das Verbrechen innerhalb der eigenen Reihen mit dem Scharfblick eines Soziologen. Zum Glück seiner Leser erzählt er davon nicht in der nüchternen Sprache der Wissenschaft, sondern voller Anschaulichkeit und mit großer Einfühlung in die verworrenen Gefühle seiner Gestalten, für die er fast Mitleid zu erwecken versteht.

SABINE DOERING

Eoin McNamee: "Blue Tango". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hansjörg Schertenleib. Verlag C.H. Beck, München 2003. 304 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Wie hat man sich einen Hang zur "kontemplativen Metapher" vorzustellen? Andreas Merkel liefert gleich ein Beispiel nach, das den Lesern eine Ahnung gibt, was gemeint sein könnte: "ihr Atem hing in der Luft wie die Spur eisiger Tugend, der sie abgeschworen hatte", zitiert der Rezensent den Autor. Es geht in McNamees Roman, der einen authentischen Kriminalfall und Justizskandal aus den fünfziger Jahren in Nord-Irland aufgreift, vor allem um angebliche Tugendhaftigkeit, bigotte Moral, eine korrupte Justiz, ein tristes gesellschaftliches Klima, in dem die eigenwillige Richtertochter die Verhältnisse herausfordert und grausam zu Tode kommt. Der Roman besitzt alle bekannten Ingredienzien des klassischen Kriminalfalls, schreibt Merkel, und doch lasse man sich diese gerne detailliert schildern, wenn es so gekonnt wie bei McNamee geschehe. Ständig wechsele die personale Erzählperspektive und lasse so den Leser die Mosaiksteine selber zusammentragen. Im übrigen, fügt Merkel hinzu, ist der Roman ganz hervorragend übersetzt.

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