Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 35,50 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Auf der Grundlage von Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) ist der Arbeitskampf als verfassungsrechtlich ewährleistet anerkannt. Eine grundsätzliche gesetzliche Regelung gibt es jedoch nicht; vielmehr ist die Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts bislang weitgehend der Rechtsprechung überlassen geblieben. Nach der Bestimmung der zentralen Begriffe Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Arbeitskampf vermittelt das Werk die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen. Auf dieser Basis werden die einzelnen Arbeitskampfmaßnahmen vorgestellt und vor allem Streik und…mehr

Produktbeschreibung
Auf der Grundlage von Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) ist der Arbeitskampf als verfassungsrechtlich ewährleistet anerkannt. Eine grundsätzliche gesetzliche Regelung gibt es jedoch nicht; vielmehr ist die Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts bislang weitgehend der Rechtsprechung überlassen geblieben.
Nach der Bestimmung der zentralen Begriffe Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Arbeitskampf vermittelt das Werk die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen. Auf dieser Basis werden die
einzelnen Arbeitskampfmaßnahmen vorgestellt und vor allem Streik und Aussperrung sowie deren Folgen für die Arbeitsverhältnisse von Kampfbeteiligten und betroffenen Dritten eingehend erörtert.
Rechtsschutz- und Prozessfragen werden ebenso behandelt wie die Schlichtung und mögliche Alternativen zum Arbeitskampf.
- Koalitionsfreiheit als Individualgrundrecht
- Tarifautonomie und Betriebsverfassung
- Rechtsgrundlagen
- Arbeitskampf und Einzelarbeitsverhältnis
- Friedenspflicht
- Gemeinwohlbindung
- Fairnessgebot
- Betriebsverfassung und Arbeitskampf
- Rechtswidriger Arbeitskampf
- Warnstreik
- Streik im öffentlichen Dienst
- Folgen fremden Streiks im Betrieb
- Zulässigkeit der Aussperrung
- Rechtsstreitigkeiten
- Einstweilige Verfügung im Arbeitskampf
- Schlichtung
- Der Staat im Arbeitskampf
Für Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Rechtsanwälte, Arbeitsrichter, Hochschulen.
Autorenporträt
Prof. Dr. Otto Rudolf Kissel, Präsident des BAG a.D.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2002

Ein Ventil für aufgestautes soziales Unbehagen
Arbeitskampf: Der frühere BAG-Präsident Kissel zeigt Gewerkschaften und Unternehmen ihre Grenzen

Otto Rudolf Kissel: Arbeitskampfrecht. Ein Leitfaden. Verlag C.H. Beck, München 2002, 1088 Seiten, 138 Euro.

Streiks sind nicht nur bei Arbeitgebern unbeliebt: Auch deren Kunden sind betroffen, wenn sie vor verschlossenen Ladentüren stehen. Die Produktion von Zulieferern und Abnehmern wird lahmgelegt. Und bei einem Ausstand im öffentlichen Dienst bleiben nicht nur Straßenbahnen stehen und stapelt sich der Müll, sondern es geht zudem ans Portemonnaie der Steuerzahler. Mancher mag da mit Wehmut an die Kaiserzeit denken, in der die organisierte Arbeitsverweigerung als Nötigung und Erpressung galt. Dennoch: Mittlerweile sind Arbeitsniederlegungen und Aussperrungen längst durch Verfassungsrecht und internationales Recht abgesichert, wie der frühere Präsident des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Otto Rudolf Kissel, darlegt.

Sein "Leitfaden" ist deshalb so bedeutsam, weil es in der Bundesrepublik noch keine Regierung gewagt hat, Arbeitskämpfe rechtlich zu regeln. Beide großen Parteien haben stets davor gekniffen, sich mit den mächtigen Verbänden des Arbeitslebens anzulegen. Die Streikwellen, mit denen die Gewerkschaften 1956/57 die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erkämpften oder sich 1986 gegen strengere Neutralitätspflichten der Bundesanstalt für Arbeit beim Auszahlen von Arbeitslosengeld im Streikfall sperrten (sie wollten die Sozialetats weiterhin als indirekte Streikkassen mißbrauchen), waren den Politikern Warnung genug. Rechte und Pflichten der Tarifparteien sind daher in keinem Gesetzbuch nachzulesen, sondern mußten von Fall zu Fall von den Gerichten festgelegt werden.

Kissel behandelt deshalb die ganze Bandbreite des Arbeitskampfs - bis hin zum politischen Generalstreik und zur Betriebsbesetzung, zum Boykott und zum Bummelstreik. So stellt er die Spielregeln dar, die er früher als Vorsitzender des dafür zuständigen Senats selbst mitentwickeln konnte. Dazu gehört das "Ultima-ratio-Prinzip", nach dem zunächst alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, bevor Gewerkschaft oder Arbeitgeber zum Angriff blasen dürfen. Doch Kissel beschränkt sich keineswegs auf die juristische Ebene. Vielmehr leuchtet er sein Themenfeld von vielen Seiten aus, belegt und veranschaulicht seine Ausführungen mit einer bis ins Aktuelle reichenden Materialfülle.

So zeichnet Kissel die Entwicklung des Arbeitskampfrechts über die historischen Epochen hinweg nach. Zugleich macht er den zeitgeschichtlichen Hintergrund deutlich, vor dem sein früheres Gericht jeweils seine Rechtssätze aufstellen mußte. Denn die Gewerkschaften haben mit immer neuen Taktiken versucht, den durch die Rechtsprechung gezogenen Rahmen auszureizen, dem gegnerischen Lager "Nadelstiche" zu versetzen und damit die eigene Streikkasse zu schonen. Manche "Schlingerbewegung" der obersten Arbeitsrichter wird so verständlich. Kissel blendet auch die Machtstrukturen innerhalb der Verbände nicht aus. Überdies berücksichtigt er politische Zusammenhänge, etwa das heutige "Bündnis für Arbeit". Ebensowenig ausgeklammert werden die wirtschaftlichen Folgewirkungen von Tarifstreitigkeiten - beispielsweise für die Geldwertstabilität und für die Arbeitslosen. Diese dürfen schließlich nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, wenn Arbeitsplatzinhaber und Unternehmensvertreter in nächtlichen Marathonsitzungen über Mindestkonditionen von Beschäftigungsverhältnissen pokern.

Auch neuere Entwicklungen erwähnt der Verfasser, wie die "Verbandsflucht" im Arbeitgeberlager und die - nach seiner Beobachtung - gewachsene Bereitschaft der Gewerkschaften, Flächentarifverträge durch Öffnungsklauseln flexibler zu gestalten. Und er erörtert die (von manchen bange gestellte) Frage, ob die moderne Wirtschaftswelt so verflochten und verwundbar ist, daß Arbeitgeber schon bei der Androhung eines Streiks klein beigeben müssen. Die für ein angemessenes Ergebnis erforderliche Kampfparität wäre dann verloren. Tatsächlich bestimmen in Deutschland Streiks, nicht Aussperrungen das Bild. Doch andererseits lichten sich die Reihen der Gewerkschaftsmitglieder ebenfalls.

Wer von Kissel Bekenntnisse gegen Tarifkartell oder Gewerkschaftsmacht erwartet hätte, wird angesichts der neutralen Grundhaltung des ehemaligen Gerichtspräsidenten enttäuscht. Er vertritt die Ansicht, daß der Arbeitskampf eine durchaus anerkannte Form sei, Konflikte zwischen den Tarifvertragsparteien auszutragen. Einen anderen Mechanismus, um einen Preis für die Arbeitskraft zu finden (und weitere Arbeitsbedingungen zu regeln), gebe es nun einmal nicht. Kissel erinnert zudem an die Anfänge der Industrialisierung und der Gewerkschaftsbewegung, als einer Heerschar vereinzelter Arbeiter jegliche Macht fehlte, um mit den Fabrikanten über ihre erbärmlichen Arbeitsbedingungen zu verhandeln.

Über seine eigene Einschätzung schreibt der Autor, der übrigens vor Jahren die SPD aus Protest gegen deren Zusammenarbeit mit der PDS in Sachsen-Anhalt verließ, abgeklärt und ausgewogen: "Das alles mag resignierend wirken, aber einem Realitätsverlust entgegenwirken." Seine Lebenserfahrung aus jahrzehntelanger Richtertätigkeit hat zu einem milden Urteil über die kraftmeierischen Klassenkampfrituale im Streiktheater geführt. Dies zeigt sich, wenn er diesen Machtkämpfen zumindest den Nutzen einer "Ventilfunktion für breit aufgestautes soziales Mißbehagen - berechtigt oder nicht" in den Betrieben zuschreibt. Wenn in der Tarifauseinandersetzung die gebotene Verantwortung mitunter nicht wahrgenommen werde, sei dies der "Preis der Freiheit". Und er erinnert an anderer Stelle an die schlimmen Erfahrungen mit dem Führerprinzip im Arbeitsrecht des NS-Staates.

Dennoch wird sich nicht jeder Kissels Einschätzung anschließen wollen, daß der Arbeitskampf durchaus funktioniere. Auch er sieht Raum für Alternativen. Eine "Zwangsschlichtung" sei zwar nach dem Grundgesetz verboten, unterstreicht er. Denn die Koalitionsfreiheit gewährleiste, daß sich Tarifautonomie im freien Spiel der Kräfte vollziehe. Dazu gehöre auch die Freiheit der Kontrahenten, zu entscheiden, ob sie sich dem Spruch eines Schiedsrichters unterwerfen wollten. Eines aber könne der Gesetzgeber immerhin tun: die Eröffnung eines Arbeitskampfs von der Pflicht abhängig machen, zuvor ein Schlichtungsverfahren durchzuführen.

JOACHIM JAHN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Otto Rudolf Kissel ist als ehemaliger Präsident des Bundesarbeitsgerichts
ein ausgewiesener Kenner seines Gegenstands. Und er ist durch
jahrzehntelange Detailerfahrung mit Arbeitskämpfen offensichtlich ein
gelassener Mann geworden - zu sehr, scheint der Rezensent Joachim Jahn zu meinen, der (zwischen den Zeilen ist das zu lesen) gerne ein wenig schärfere Töne gegen die Gewerkschaften gehört hätte. Zu erfahren ist jedenfalls, dass das Arbeitskampfrecht in nur geringem Maß kodifizert ist, an eine genaue Regelung hat sich in der Bundesrepublik noch keine Regierung gewagt. Dadurch müssen die Gerichte selbst innerhalb der weiten Spielräume des Streikrechts und der Tariffreiheit entscheiden. Kissel beschreibt die historische Entwicklung, aber auch aktuelle Entscheidungen. Seine grundlegende - und vom Rezensenten wohl auch nicht so ganz geteilte - Annahme ist, dass das deutsche System des "Arbeitskampfs" durchaus funktioniert. Einen Schlichtungsversuch dem möglichen Streik verpflichtend vorzuschalten, hielte er allerdings für eine sinnvolle Ergänzung.

© Perlentaucher Medien GmbH