Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 49,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Der Band enthält die kommentierte kritische Edition des Briefwechsels zwischen Rahel Levin Varnhagen (1771-1833) und ihrem Bruder, dem Dichter, Theaterautor und Publizisten Ludwig Robert (1778-1832). Die Korrespondenz, soweit sie erhalten ist, wird hier erstmals nach den Originalhandschriften vollständig gedruckt. Die Vielzahl der Themen macht sie zu einem außergewöhnlichen Bild der bewegten Epoche, in der sie entstand. Die Geschwister Levin entstammen einer der kultivierten jüdischen Familien, die zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert der bürgerlichen Oberschicht Berlins angehörten. Der…mehr

Produktbeschreibung
Der Band enthält die kommentierte kritische Edition des Briefwechsels zwischen Rahel Levin Varnhagen (1771-1833) und ihrem Bruder, dem Dichter, Theaterautor und Publizisten Ludwig Robert (1778-1832). Die Korrespondenz, soweit sie erhalten ist, wird hier erstmals nach den Originalhandschriften vollständig gedruckt. Die Vielzahl der Themen macht sie zu einem außergewöhnlichen Bild der bewegten Epoche, in der sie entstand. Die Geschwister Levin entstammen einer der kultivierten jüdischen Familien, die zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert der bürgerlichen Oberschicht Berlins angehörten. Der bislang zum größten Teil ungedruckte Briefwechsel zwischen Rahel Levin Varnhagen und ihrem Bruder Ludwig Robert wird hier direkt aus den Handschriften wiedergegeben. Ludwig Robert genoß damals als Dichter, Theaterautor und Publizist einen bedeutenden, oft auch umstrittenen Ruhm, wurde aber nach seinem Tod nur noch als âEUR Bruder der RahelâEUR erwähnt. 300 Briefe dieser Korrespondenz, die weit umfangreicher gewesen sein muß, sind überliefert. Sie werden hier zum erstenmal vollständig und textgetreu nach den Originalhandschriften der Biblioteka Jagiellonska, Krakau, veröffentlicht. Kunst und Wissenschaft, Politik und Geschichte, Literatur, Musik und Theater, Privates und Öffentliches sind die Themen, die sich in den Briefen abwechseln und eine außergewöhnliche Darstellung der damaligen Epoche bieten. Dieses Zeitbild vervollständigt sich im Kommentar durch zahlreiche erklärende Aufzeichnungen Varnhagens, die ebenfalls in der Krakauer Bibliothek aufbewahrt sind. Die Unmittelbarkeit der Kommunikation, der Witz der Geschwister, die Persiflage, für die die publizistischen und kritischen Stellungnahmen Ludwig Roberts berühmt waren und die zu seiner Unbeliebtheit nicht wenig beigetragen haben dürften, machen diese Briefe auch für den heutigen Leser lebendig und unterhaltend.
Autorenporträt
Rahel Varnhagen, geboren 1771 als ältestes Kind des jüdischen Kaufmanns und Bankers Markus Levin, unterhielt einen der wichtigsten Salons und bildete ein geistiges Zentrum Berlins. Sie ließ sich 1814 protestantisch taufen und heiratete Karl August Varnhagen von Ense. Sie wohnte dem Wiener Kongress bei, zog 1816 nach Karlsruhe und 1819 wieder zurück nach Berlin. Sie starb hoch verehrt 1833.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2002

Von der Glückseligkeit des Neuen
Rahel Varnhagens Briefwechsel mit dem Bruder Ludwig Robert

Der Briefwechsel zwischen Rahel Levin Varnhagen und ihrem Bruder Ludwig Robert, mit Intervallen über beinahe vierzig Jahre geführt und jetzt mit Hilfe der Handschriften der Jagiellonischen Bibliothek Krakau von der Turiner Germanistin Consolina Vigliero erstmals so vollständig wie möglich ediert und kommentiert, ist viel mehr als ein Familiengemälde in einem jüdischen Haus und die Briefkultur zweier Hochbegabter in bewegten Zeiten. Er spiegelt die Geschichte einer verzweifelten jüdischen Assimilation, die sich zugleich als eminent deutsche Bildungsgeschichte versteht. "Arbeite immer an Dir: so schaffen wir uns weiter; erschaffen meine ich." So steht es im letzten Brief Rahels vom 9. Juli 1832, der den Adressaten nicht mehr erreicht - er war am 5. Juli gestorben. Sich selbst erschaffen: Rigoroser kann die Emanzipation aus der jüdischen Herkunft, dem "Geburtsfehler", wie beide Geschwister sagen, nicht gefaßt werden. "Wir sind unser Schicksal", heißt deshalb Rahels Parole. Im Status jäher Verzweiflung über die "Schmach" und mit kaum auflösbarer Zweideutigkeit erklärt sie, die "Falschgeborene", die doch eine "Hochgeborene" sein sollte, gelegentlich gar: "Der Jude aus uns, muß ausgerottet werden; das ist heilig wahr, und sollte das Leben mit gehen."

Liepmann Levin, der sich den Namen Ludwig Robert geben wird, wählt den Weg des Literaten. Das geschieht im Zeichen des "Wilhelm Meister", der, kaum erschienen, beiden zum Lebensbuch wird, von den Lehr- bis zu den Wanderjahren. So schreibt der Kaufmannsgehilfe, der den Kaufmann und den "gebildeten Menschen" nicht zu "vermischen" weiß: "Ich habe eine solche Furcht ein Werner oder eine Therese zu werden, daß ich gestern mit der grösten Angst ein Musenalmanach nahm, und die Idylle, durchlas, aber es ging gottlob so gut, daß ich heute wieder versuchen mußte, ob ich rechnen kann." Was der sonst unermüdliche Kommentar übersieht: Wie die beiden ökonomischen Figuren aus dem "Wilhelm Meister" stammt auch die "Idylle" von Goethe; es handelt sich um "Alexis und Dora", auf deren Schlußwendung gleich angespielt wird. In der Kenntnis und Bewunderung Goethes steht der Bruder seiner Schwester kaum nach: "Nur Goethens Werke sprechen selbst und sagen: Hier bin ich und stehe fest und unverrückt, grade so wie ich soll und muß . . ."

Die mühselige Laufbahn des Schriftstellers Ludwig Robert, der heute aus den populären Lexika verschwunden ist und dessen bestes Stück, "Die Macht der Verhältnisse", nur noch in den belesensten Literaturgeschichten auftaucht, zieht in seinen Briefen vorüber, in einem meist unerquicklichen Wechsel zwischen Selbstüberschätzung und, weitaus öfter, Depression. Vom "Polterabend- und Geburtstagsdichter von ganz Berlin" bringt er es zwar zu einigem Theaterruhm und zu reger publizistisch-kritischer Produktion. Doch wird man Ludwig Börnes bösem Bonmot, er sei "ein ausgebrannter Krater, der nie gebrannt habe", nur schwer widersprechen können. Lähmend und erdrückend legt sich die Macht der Restauration auf einen Autor, der die Ideale der Aufklärung hochzuhalten sucht.

Der kritische Furor, den der Malkontente ohnmächtig aufbietet, macht immer wieder Front gegen die Größen der Zeit, darunter pikanterweise viele Gäste des schwesterlichen Salons, entlädt sich auf Friedrich Schlegel ("Prügeln könnte ich ihn!") und dessen Bruder, auf Arnim ("Wie niederträchtig feige!") und Schleiermacher ("der herrschsüchtige Pfaffe steht blank und baar da"), Jacobi ("Welch ein widerwärtiger Mensch!") und Hegel ("ein difuser gelernter Denker"). Nicht besser als die Wortführer des Zeitgeistes kommen die Modeliteraten weg: Jean Paul - "unbärtiger, unerfahrner Greisknabe!"; Byron - der "sich mit seinem bösen Gewissen putzende melankolische bonvivant". Den Gegenkanon bilden Fichte, Pestalozzi und Goethe, die "drei größten Deutschen", allesamt Propheten einer neuen "evangelischen Erziehung der Menschen zur Freiheit", so daß "die Wanderjahre, Linhart und Gertrud und die Staatslehre, drei Theile Eines und desselben Buches sind", das einzige Therapeutikum gegen die "Weltkrankheit", ein Vermächtnis freilich erst für die Zukunft.

Wohl der beklemmendste Brief Ludwig Roberts aber schildert die nach dem Hep-hep-Ruf benannten judenfeindlichen Ausschreitungen, die er 1819 in Karlsruhe selbst miterlebt. Zwar hält die Garde du corps den hetzenden Pöbeltrupp in Schach, um so beunruhigender wirkt die neugierige Teilnahmslosigkeit der Bürger: "Kein einziger von den Männern oder Weibern, die zu den vielen vor den Thüren stehenden Kindern, ein ermahnendes oder nur ernstes Wort gesprochen hätten. Kichern, lachen und die Kinder mit kindischem Interesse erzählen, das war Alles, was man hörte."

Auch Rahel, der "Schwester-Freund", entgeht der jüdischen Variante des Weltschmerzes nicht. Und dies, obwohl sie auch hier ihren Goethe-Kult, das Heilmittel, nirgends zurückhält. "Es ist nie Jemand in meiner Seele gestanden wie Goethe; was ich liebte mein Lebenlang waren nur Formen für das wie ich mir dem seine Seele dachte. Zeitlebens schmachtete ich nach ihm: so lang ich schmachtete." Große Rahel-Deuter hat diese "Adoration" entzweit. Hannah Arendt erblickte darin die Flucht aus der eigenen Geschichte und Existenz in die emphatische Assimilation; Käte Hamburger nannte das eine "Irreführung, ja Verfälschung" und bestand auf der genuinen Formation von Rahels Lebensentwurf durch das Goethesche "Gedenke zu leben". Erstaunlich in der Tat, daß Rahel am jungen Goethe und damit am "Werther" ganz vorbeigeht und die Nähe zur Lebenslehre des klassischen Werks sucht.

Nie verliert sich der Eindruck, daß die Sehnsucht nach dem Klassisch-Gesunden einer unruhigen, womöglich romantisch-kranken Seele entspringt. Denn das Unglücksgefühl, das Gefühl der "Weltkrankheit", verläßt Rahel nicht. Oft bedarf sie eines stärkeren Antidots. So wird sie wie ihr Bruder zum "Fichtianer", beschwören beide immer wieder das starke Ich und die eiserne Konsequenz Fichtes, den sie in Berlin gehört haben. Die späte Wendung zum Saint-Simonismus gehört hierher - "Fichte tritt in's Leben", glaubt Rahel, während der Bruder skeptisch bleibt. Merkwürdig und wenig bekannt auch, wie Rahel Halt bei der Mystikerin Guyon oder beim Hermetiker Saint-Martin sucht. Der letztere - "Saint-Martin ist mein größter révélateur" - spielt ihr sogar eine Maxime zu, die noch kein Autor übertroffen habe: "Unsere künftige Glückseligkeit wird darin bestehen, daß wir jeden Augenblick etwas Neues erfahren werden." Erkennt sie, daß sie es immer schon so gehalten hat?

Eine bebende Unruhe kennzeichnet auch ihre Briefe an den Bruder. Es geht turbulent zu, und überall, zahllose Unterstreichungen markieren es, ist die ganze Rahel. Mit großer Geduld erschließt die Kommentatorin den Wirbel von Familien- und Vermögensnachrichten, Gesellschaftsklatsch, Theater- und Konzertberichten, Ratschlägen und Ängsten. Dazwischen aber wird immer wieder der Rahelsche Lebenston vernehmbar. Und dann findet man auch, am 3. August 1831, das bewegende Epitaph, in dem sie, von Krankheit gezeichnet, die Summe der eigenen Existenz zieht. "Wenn ich sterben muß: denke; sie hat Alles gewußt: weil sie alles kannte; nie etwas war, nichts beabsichtigte, und Alles durch Nachdenken siebte, und in Zusammenhang brachte; sie verstand Fichte, liebte Grünes, Kinder, verstand Künste, der Menschen Behelf. Wollte Gott helfen in seinen Kreaturen."

HANS-JÜRGEN SCHINGS

Rahel Levin Varnhagen: "Briefwechsel mit Ludwig Robert". Herausgegeben von Consolina Vigliero. Edition Rahel Levin Varnhagen. Verlag C. H. Beck, München 2001. 1014 S., geb., 98,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Weit mehr als "ein Familiengemälde in einem jüdischen Haus und die Briefkultur zweier Hochbegabter in bewegten Zeiten" stellt dieser Briefwechsel für Rezensent Hans-Jürgen Schings dar. Vielmehr spiegelt sich für ihn in den Briefen zwischen Rachel Varnhagen und ihrem Bruder Ludwig Robert "die Geschichte einer verzweifelten jüdischen Assimilation", die nach Ansicht des Rezensenten "auch als eminent deutsche Bildungsgeschichte" zu verstehen ist. Besonders ausführlich stellt er Rahel-Bruder Ludwig Robert vor, einen Schriftsteller, der heute nur noch in Eingeweihtenzirkeln bekannt sei, und macht neugierig auf seine Wiederentdeckung. Schmerz und bebende Unruhe charakterisieren für den Rezensenten die Briefe der Geschwister, als deren beklemmendsten er eine Bericht Ludwigs über selbsterlebte judenfeindliche Ausschreitungen in Karlsruhe empfand. Hochgelobt wird auch die Herausgeberin. Mit großer Geduld erschließe sie den Wirbel von Familien- und Vermögensnachrichten, Gesellschaftsklatsch, Theater- und Konzertberichten, Ratschlägen und Ängsten.

© Perlentaucher Medien GmbH"